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Verkehrsrecht III: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Drucksituation widerlegt Regelvermutung

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Und dann lege ich gleich noch einmal nach bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar mit dem LG Itzehoe, Beschl. v. 11.07.2023 – 14 Qs 86/23 . Der Beschluss ist ebenfalls in einem Verfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ergangen.

Das AG hat die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen (§ 111a StPO), das LG hebt auf die Beschwerde hin aus, weil nach seiner Auffassung die Regelvermutung widerlegt ist:

„1. Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO liegen nicht vor. Nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO kann einem Beschuldigten in einem Strafverfahren die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Fahrerlaubnis mit einem späteren Urteil entzogen werden wird, § 69 StGB. Dies ist auf-grund des derzeitigen Sachstands jedoch nicht der Fall.

So sind vorliegend dringende Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach Durchführung der Hauptverhandlung entzogen werden wird, derzeit nicht ersichtlich, da es vorliegend an dem erforderlichen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit fehlt, dass das Tatgericht den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen wird.

Zwar sind vorliegend – nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen – die Voraussetzungen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt. Die Regelvermutung ist aufgrund der bestehenden Umstände des vorliegenden Einzelfalls jedoch derzeit als widerlegt anzusehen.

Eine Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB ist gegeben, wenn besondere Um-stände vorliegen, welche die Vermutung der fehlenden Eignung entkräften, weil sie die Tat als weniger schwerwiegend erscheinen lassen als den Regelfall (Böse/Bartsch in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Auflage 2023, § 69 StGB Rn. 14; Heuchemer in: BeckOK StGB, 57. Edition, Stand: 01.05.2023, § 69 StGB, Rn. 43). Dies ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die Tat angesichts besonderer Umstände in der Person des Täters persönlichkeitsfremd erscheint, in einer Ausnahmesituation begangen wurde und eine Gesamt-würdigung ergibt, dass mit einer Wiederholung der Tat nicht zu rechnen ist (Heuchemer in: BeckOK StGB, 57. Edition, Stand: 01.05.2023, § 69 StGB, Rn. 45). Dies ist nach dem derzeitigen Sachstand vorliegend der Fall.

So ist die Tat bei einer Gesamtschau aller derzeit aktenkundigen Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung der Einlassung des Beschuldigten – welche nach Auffassung der Kammer jedenfalls plausibel und derzeit nicht durch sonstige aktenkundige Umstände widerlegt ist und daher zugunsten des Beschuldigten zugrunde zu legen ist – als ein, in einer Drucksituation aufgetretenes, Augenblickversagen anzusehen, mit dessen Wiederholung nach der Auffassung der Kammer derzeit nicht zu rechnen ist.

Der Beschuldigte hat sich vorliegend – nach seiner plausiblen Einlassung – allein deshalb für das Verlassen des Unfallortes entschieden, weil er zum Zeitpunkt des Unfalls als Verkaufsfahrer des Lebensmittellieferanten Bofrost mit seiner Lieferung an einen Kunden 1,5 Stunden in Verzug war und dieser Kunde sich bei dem Beschuldigten telefonisch gemeldet und mitgeteilt hatte, dass die-ser zeitnah das Haus verlassen würde. Allein aufgrund dieser beruflichen Drucksituation hat sich der Beschuldigte – wie sowohl in der Beschwerdebegründung seines Rechtsanwaltes vom 05.06.2023 (Blatt 69 ff. der Akten), als auch von dem Beschuldigten persönlich in seinen Angaben anlässlich der Anhörung vom 29.12.2022 (Blatt 15 der Akten) angegeben – fälschlicherweise dazu entschieden, zunächst die Lieferung an den besagten Kunden in unmittelbarer Nähe zum Unfallort durchzuführen und erst danach an den Unfallort zurückzukehren, um die Polizei zu informieren. Ob die Rückkehr an den Unfallort von dem Beschuldigten tatsächlich beabsichtigt war, ist durch das Tatgericht aufzuklären, muss durch das hiesige Beschwerdegericht – angesichts der Plausibilität der Einlassung und mangels dies widerlegender Anhaltspunkte in den Akten – zugunsten des Beschuldigten jedoch angenommen werden. Zudem ist der Beschuldigte – trotz seiner Eigenschaft als Berufskraftfahrer und dem damit einhergehenden überdurchschnittlichen Fahraufkommen – seit 32 Jahren, ausweislich des Auszuges aus dem Bundeszentralregister vom 23.01.2023 und dem Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 21.03.2023, weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.

Auch wenn das Verhalten des Beschuldigten trotz seiner Absicht zur Rückkehr an den Unfallort den Tatbestand des § 142 StGB erfüllt, so stellt sich die vorliegende Tat jedoch angesichts der oben genannten Umstände derzeit als eine solche dar, die vom Regelfall des § 142 Abs. 1 StGB in positiver Hinsicht deutlich abweicht.

Auch unabhängig von der Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist eine Ungeeignetheit des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen auf der Grundlage einer tatbezogenen Eignungsprüfung des Beschuldigten derzeit nicht ersichtlich. Eine solche besteht nur dann, wenn die Anlasstat die tragfähigen Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen (BGH, Urteil v. 27.04.2005 – GSSt 2/04 = NJW 2005, 1957, 1959). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Diesbezügliche Anhaltspunkte sind für die Kammer derzeit nicht ersichtlich.“

Na ja. Darüber kann man m.E. diskutieren 🙂 .

Verkehrsrecht II: Langer Zeitablauf nach Unfallflucht, oder: Vorläufige Entziehung ist keine Retourkutsche

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Als zweite Entscheidung stelle ich dann den LG Stuttgart, Beschl. v. 04.08.2023 – 9 Qs 39/23 – vor.

Das LG hat über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) entschieden. Zugrunde lag ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB). Insoweit ist offenbar, da das LG dazu nichts ausführt, nichts problematisch. Problematisch ist aber der Zeitablauf. Denn: Tatzeit war der 02.06.2022. Danach passiert im Hinblick auf die Fahrerlaubnis nichts. Am 20.06.2023 beantragt die Staatsanwaltschaft dann einen Strafbefehl und beantragt, der Angeklagten nach § 111a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das AG erlässt am 23.06.2023 den Strafbefehl, hinsichtlich der Fahrerlaubnis passiert nichts. Der Verteidiger äußert sich  am 10. Juli 2023 zur beantragten vorläufigen Entziehung und legt am 17.07.2023 zudem für die Angeklagte Einspruch gegen den zwischenzeitlich zugestellten Strafbefehl ein.

Zwei Tage später, am 19.07.2023, beschließt das AG die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. Zwar liege das verfahrensgegenständliche Unfallereignis bereits mehr als 13 Monate zurück, jedoch überwiege das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs die Interessen der Angeklagten als Fahrerlaubnisinhaberin.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hat:

„1. Zwar ist die Angeklagte der ihr zur Last gelegten Tat dringend verdächtig. Dagegen erscheint auf der Rechtsfolgenseite insbesondere aufgrund der seither vergangenen Zeit fraglich, ob die von § 111a Abs. 1 StPO vorausgesetzten dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeklagten mit Abschluss des Verfahrens die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, gegeben sind.

Das Amtsgericht hat sich in dem angefochtenen Beschluss lediglich mit der seit dem verfahrensgegenständlichen Unfallereignis vergangenen Zeit knapp auseinandergesetzt, ansonsten aber ausschließlich belastende Umstände in den Blick genommen.

Unberücksichtigt geblieben ist hingegen der Umstand, dass sich die Angeklagte, soweit ersichtlich, seither im Straßenverkehr beanstandungsfrei verhalten hat. Darüber hinaus hat das Amtsgericht nicht in seine Erwägungen einbezogen, dass die Angeklagte sich am 3. Juni 2022, mithin lediglich rund 14 Stunden nach dem Unfallereignis, auf das Polizeirevier Nagold begeben und dort ihre Unfallbeteiligung eingeräumt hat.

Angesichts dieses Ablaufs spricht einiges dafür, dass trotz des möglicherweise beträchtlichen Sachschadens ein die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB widerlegender Ausnahmefall gegeben ist. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dies insbesondere in Betracht kommt, wenn im Hinblick auf einen die Feststellungen nachträglich ermöglichenden Täter die Anwendung des § 142 Abs. 4 StGB daran scheitert, dass der Sachschaden nicht unerheblich war oder es sich um einen Unfall im fließenden Verkehr gehandelt hat und tätige Reue deshalb ausscheidet (vgl. LG Aurich, NZV 2013, 53; LG Gera, StV 2001, 357; LG Zweibrücken, Beschl. v. 11.3.2003 -Qs 31/03; AG Bielefeld, NZV 2014, 378; s. auch Fischer, StGB, 70. Aufl., § 142, Rn. 30).

2. Jedenfalls unterliegt der Beschluss aber deshalb der Aufhebung, weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, die mehr als 13 Monate nach dem Unfallereignis erfolgte, aufgrund dieser Zeitspanne nicht verhältnismäßig ist und die bisherige Sachbehandlung zudem eklatant gegen das Beschleunigungsgebot verstößt.

a) Zwar kann die Fahrerlaubnis grundsätzlich auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt vorläufig nach § 111a StPO entzogen werden. Eine feste Grenze, ab deren Erreichen oder Überschreiten die Anordnung der Maßnahme ausscheidet, existiert nicht. Erfolgt die vorläufige Entziehung erst längere Zeit nach der Tatbegehung ist jedoch, da es sich bei § 111a StPO um eine Eilentscheidung handelt, die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besonders sorgfältig zu prüfen.

b) Von diesen Maßstäben ausgehend ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gerechtfertigt. Denn obwohl die Fahrereigenschaft der Angeklagten bereits einen Tag nach dem Unfallereignis feststand und sich der Verdacht eines erheblichen Sachschadens schon aufgrund des Schadensbildes vor Ort geradezu aufdrängte, wurde das Verfahren insbesondere nach dem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen aus allein von der Justiz zu verantwortenden Gründen über Monate hinweg nicht betrieben.

Das Polizeipräsidium – Verkehrspolizeiinspektion – Ludwigsburg legte der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Verkehrsunfallanzeige am 18. August 2022 vor. In der Folge wurde der Verteidigung Akteneinsicht gewährt, woraufhin mit Schriftsatz vom 23. September 2022 eine Stellungnahme erfolgte. Anschließend wurde auch einem für eine Versicherungsgesellschaft tätigen Rechtsanwalt Akteneinsicht gewährt. Dieser reichte die Akten am 13. Oktober 2022 zurück.

In den folgenden acht Monaten geschah nichts. Nachvollziehbare oder gar in der Sphäre der An-geklagten oder der Verteidigung liegende Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von jenem, der der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss vorn 22. Oktober 2021 – 1 Ws 153/21) zugrunde lag. Denn dort hatten sowohl der Angeklagte als auch dessen Verteidiger durch eine Vielzahl von Verschleppungshandlungen (Erschwerung von Zustellungen durch Geltendmachung verschiedener Meldeadressen, unterlassene Rücksendung von Empfangsbekenntnissen und dadurch erzwungene Terminsaufhebung, offensichtlich unbegründete Ablehnungsgesuche usw.) einen Abschluss des Verfahrens in missbräuchlicher Weise zu verhindern versucht.

Vorliegend hingegen haben die Angeklagte und ihre Verteidiger nichts dergleichen getan, sondern im Gegenteil bereits einen Tag nach dem verfahrensgegenständlichen Ereignis die Fahrereigenschaft offenbart und überdies auch eingeräumt, dass die Angeklagte den Unfall verursacht hat. In der Folge erfolgte eine weitere Sacheinlassung. Verzögerungshandlungen sind demgegenüber nicht ansatzweise erkennbar.

Dies gebietet die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zumal hinzukommt, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist, seit dem verfahrensgegenständlichen Ereignis keine neuen Verkehrsübertretungen bekannt geworden sind und sich der Tatvorwurf im Laufe des Verfahrens abgeschwächt hat, nachdem die Staatsanwaltschaft den ursprünglich ebenfalls im Raum stehenden Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung fallen gelassen hat und insoweit nach § 170 Abs. 2 StPO verfuhr.“

Soweit, schon mal gut. Das LG „setzt aber noch einen drauf“ und gibt dem AG mit auf den Weg:

„c) Die Strafkammer weist überdies darauf hin, dass es grundsätzlich bedenklich erscheint, wenn eine Maßnahme nach § 111a StPO nicht bereits dann ergriffen wird, sobald der dringende Verdacht insbesondere einer Katalogtat nach § 69 Abs. 2 StGB vorliegt, sondern – bei unveränderter Sachlage – viele Monate später in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Einlegung eines Einspruchs gegen einen zwischenzeitlich erlassenen Strafbefehl. Denn durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis soll die Allgemeinheit vor den Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer schon vor dem Urteil geschützt werden (statt aller Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl, 2023, § 111a, Rn. 1). Das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit hängt indes nicht davon ab, ob gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt wird oder nicht.“

Das Letzte ist sehr vornehm ausgedrückt. Man hätte auch anders schreiben können. Nämlich. „Retourkutschen“ halten wir nicht. Und dass die vorläufige Entziehung eine „Retourkutsche“ war, liegt m.E. auf der Hand. Dafür spricht der Ablauf. Monatelang passiert nichts. Aber dann wird – zwei Tage nach Einspruchslegung – die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Gesetze I: Was der Gesetzgeber an Neuem plant, oder: Nebenklage/VStGB, V-Leute, digitale Hauptverhandlung

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Der derzeitige BMJ hat sich in der laufenden Legislaturperiode m.E. bisher noch nicht mit Ruhm bekleckert. Von ihm ist bisher wenig gekommen. Aber nun – na ja, die Legislaturperiode hat ja (erst) Halbzeit – ist doch noch das ein oder andere angekündigt worden.

Dazu mache ich dann heute – bezogen auf Straf- und/oder Bußgeldverfahren – folgenden Überblick, und zwar:

Ich weise zunächst hin auf die „Vorschläge zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“. Dazu gibt es diese PM v. 17.07.2023. Von den dort gemachten Vorschlägen interessieren mich die geplanten materiellen Änderungen wenig, sondern mir geht es um die verfahrensrechtlichen Pläne. Und da sieht der Referentenentwurf des BMJ zu einem „Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vor:

  • Stärkung der Opferrechte: Nebenklagebefugnis u.a.

    • Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden.  Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 StPO geändert werden.
    • Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Abs. 1 StPO geändert werden.
    • Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
    • Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen ein gemeinschaftlicher Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin als Beistand mehrerer Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
  • Stren­gere Regeln für den Ein­satz von V-Leuten

    • Außerdem sind, wie z.B. LTO berichtet hat, strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten geplant. Es befindet sich dazu wohl ein Referentenentwurf in der sog. Kabinettsabstimmung. Der sieht wohl vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der StA nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt demnach grundsätzlich nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.Um zu starke persönliche Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten zu verhindern, dürfen V-Leute künftig auch nur noch maximal fünf Jahre lang tätig sein. Der Entwurf richtet sich – so LTO -an den Maßstäben der Rechtsprechung des BGH zu den Fragen.
  • Digitalisierung der Hauptverhandlung

    • Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne zur „Digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“. Denn da gibt es inzwischen einen Regierungsentwurf zu einem „Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG“. Der ist bereits am 07.07.2023 im Bundesrat beraten worden (dortige Drucksache 227/23)
    • Mit der Neuregelung soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den LG und OLG geschaffen und ausgestaltet werden. Die Dokumentation soll durch eine Tonaufzeichnung erfolgen, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird. Zusätzlich ist auch eine Bildaufzeichnung möglich, die von den Ländern durch Rechtsverordnung jederzeit teilweise oder flächendeckend eingeführt werden kann.

Das ist es m.E., es sei denn, dass BMJ hat noch irgendwo etwas in der Pipeline.

Pflichti III: Und nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Einmal richtig, zweimal falsch

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Und dann – wie gewohnt – zum Schluss noch etwas zum „Dauerbrenner“ Zulässigkeit  der rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers. Die Porblematik ist nicht erledigt.

Ich habe dann zunächst den positiven und richtigen AG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2023 – 30 Gs 5496/23. Das macht es so, wie die m.e. inzwischen wohl überwiegende Meinung: Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist danach dann zulässig, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Vor-aussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Also die Entscheidung bitte merken 🙂 .

Vergessen sollte man hingegen den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.07.2023 – 5a Ws 1/21 – und den LG Berlin, Beschl. v. 20.06.2023 – 534 Qs 97/23. Beide lehnen die Möglichkeit einer rückwirkenden Bestellung ab. Die Argumente sind bekannt.

Nun, m.E. sind sie falsch. Vor allem auch, weil diese Rechtsprechung des zögerliche Handeln von StA und/oder Gerichten nachträglich „absegnet“. Der Sachverhalt zu OLG Frankfurt am Main ist ein „schönes“ Beispiel. Die „Erinnerung“ des Kollegen stammte aus Juni 2021. Allerdings sollte man dann nicht mehr lange warten und immer wieder erinnern. Vielleicht hilft es ja 🙂 . Obwohl ich beim OLG Frankfurt am Main wenig Hoffnung habe.

Dem LG berlin empfehle ich, vielleicht in dem Textbaustein doch mal die Rechtsprechung auszutauschen. Wenn man nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2019 noch mit Rechtsprechung aus 1989 argumentiert, macht sich das m.E. nicht so gut. Zumal es ja auch genügend Entscheidungen gibt, die die falsche Auffassung stützen könnten.

Pflichti II: Und nochmals „konsensuale Umbeiordnung, oder: Das ist zulässig

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Im zweiten Posting dann mal wieder etwas zur (kostenneutralen) Umbeiordung, und zwar der LG Mühlhausen, Beschl. v. 19.06.2023 – 3 Qs 92/23.

Das AG hatte die Umbeiordnung abgelehnt und sich dabei auf § 143 a Abs. 1 S. 2 StPO gestützt. Das hat das LG – zutreffend – anders gesehen.

„Zu Recht nimmt das Amtsgericht an, dass die Voraussetzungen von § 143 a Abs. 2 StPO nicht vorliegen. Richtigerweise führt das Amtsgericht des Weiteren die Vorschrift des § 143 a Abs. 1 S. 2 StPO an, wonach die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht aufzuheben ist, wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird. Eine derartige Übernahme der Pflichtverteidigung ist damit von Gesetzes wegen ausdrücklich unerwünscht. Mithin soll ein Herausdrängen des bisherigen Pflichtverteidigers über den Weg einer Wahlverteidigung verhindert werden. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich in vorliegender Sache um einen sogenannten konsensualen Verteidigerwechsel, der gerade nicht durch die Vorschrift des § 143 a StPO ausgeschlossen werden sollte (so etwa BGH, Beschluss vom 13.07.2021 – 2 StR 81/21).

Die Voraussetzungen für einen konsensualen Verteidigerwechsel sind vorliegend auch gegeben. Ein solcher Wechsel setzt voraus, dass der Beschuldigte und beide Verteidiger mit einem Verteidigerwechsel einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und auch keine Mehrkosten für die Staatskasse entstehen (vgl. etwa BGH a.a.O.). Der Beschwerdeführer und beide Verteidiger haben jeweils ein entsprechendes Einverständnis erteilt, wie es den Schriftsätzen vom 02.03.2023, 29.03.2023 sowie 20.04.2023 zu entnehmen ist. Anhaltspunkte für eine Verfahrensverzögerung durch den Verteidigerwechsel liegen ebenso nicht vor. Insbesondere ist noch kein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Schließlich hat Rechtsanwalt F. in seinem Schriftsatz vom 29.03.2023 erklärt, dass durch die Umbeiordnung für die Landeskasse keine Mehrkosten entstehen würden. Letzteres hat er darüber hinaus mit Schriftsatz vorn 09.05.2023 abermals bekräftigt und erklärt, dass er die in der Person des bisherigen Pflichtverteidigers entstandenen Gebühren nicht erneut geltend machen werde. Im Übrigen ist zu bemerken, dass aus dem Schriftsatz des bisherigen Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt B., vom 02.03.2023 hervorgeht, dass dieser Kenntnis davon hatte, dass es sich um einen Pflichtverteidigerwechsel handeln soll. Mithin hat Rechtsanwalt B. sein Einverständnis auch nicht lediglich vor dem Hintergrund der Vorschrift des § 143 a Abs. 1 S. 1 StPO erklärt, weil er davon ausging, es habe sich ein Wahlverteidiger gemeldet und demgemäß sei er von Gesetzes wegen ohnehin zu entpflichten (vgl. zu dieser abweichenden Situation KG, Beschluss vom 28.10.2021 – 3 Ws 276/21).“

Wie gesagt: Zutreffend.