Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Strafe I: Strafschärfung fehlender Milderungsgrund?, oder: Harte Drogen/weiche Drogen

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Und heute geht es dann weiter mit Entscheidungen zur Strafe und/oder zur Strafzumessung. Da beginne ich mit zwei BGH-Entscheidungen, und zwar:

„2. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, weil die Strafzumessung der Einzelstrafen – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten aufweist.

a) Die Strafkammer hat in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei Amphetamin zwar nicht um die „denkbar härteste, aber eine auch nicht weiche Droge“ handele. Damit hat die Strafkammer verkannt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Amphetamin auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, weshalb die Gefährlichkeit des Stoffes keinen wesentlichen Strafschärfungsgrund darstellt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. März 2023 – 2 StR 366/22, juris Rn. 13 mwN).

b) Ebenso rechtsfehlerhaft ist die bei der Strafrahmenwahl und konkreten Strafzumessung in Fall II. 2 der Urteilsgründe strafschärfende Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei den in der Wohnung gelagerten Betäubungsmitteln „teils um harte Drogen, namentlich Ecstasy“ gehandelt habe. Auch diese Wertung steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Ecstasy mit dem Wirkstoff MDMA auf der Gefährlichkeitsskala der Betäubungsmittel einen mittleren Platz einnimmt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. November 2022 – 3 StR 340/22, juris Rn. 9, jeweils mwN).“

„Ergänzend bemerkt der Senat:
Der Strafausspruch hat ebenfalls Bestand. Allerdings hat die Strafkammer dem Angeklagten rechtsfehlerhaft angelastet, er habe dem Nebenkläger nach der Tat keine „wirksame Hilfe“ zukommen lassen. Eine solche Hilfeleistung hätte strafmildernd berücksichtigt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1984 – 2 StR 81/84Rn. 5 mwN). Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes kann hingegen nicht strafschärfend ins Gewicht fallen. Der Senat vermag jedoch angesichts der von der Strafkammer hervorgehobenen weiteren Strafschärfungsgründe auszuschließen, dass sie ohne diesen Rechtsfehler auf eine noch mildere Strafe erkannt hätte.“

 

Immer wieder 🙂 .

 

Corona I: Fälschung von Impf- und Genesenenausweis, oder: Genug Feststellungen zur Beweiserheblichkeit?

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Und dann seit längerem mal wieder etwas zu Corona, und zwar „Aufarbeitungsentscheidungen“. An der „Front“ ist es ja – zum Glück – ruhiger geworden. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es dann doch noch.

Ich stelle zu der Thematik dann heute zunächst den OLG Celle, Eeschl. v. 18.07.2024 – 1 ORs 18/24 – vor. Geht noch einmal um Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Impfausweisen u..a.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Stade den Angeklagten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG forderte der Angeklagte am 10.05.2021 seine Schwester per Chat-Nachricht dazu auf, drei Impfaufweise für sich, seinen Vater und seine Ehefrau zu bestellen, die Eintragungen über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 enthielten, und überwies ihr dafür insgesamt 450 Euro. Die Schwester des Angeklagten entschloss sich deshalb, die Impfpässe bei der gesondert verfolgten S. O. zu bestellen. Diese beschaffte deshalb die Impfaufweise aus einer unbekannten Quelle.

Außerdem bat im November 2021 seine Schwester darum, ihm einen gefälschten Genesenen-Ausweis zu beschaffen. Diese übersandte ihm daraufhin am 11.11.2021 per E-Mail einen gefälschten Befund eines Labors, der dem Angeklagten einen positiven PCR-Test auf Antikörper für SARS-CoV-2 bescheinigte. Diese Dokumente hatte sie selbst auf ihrem PC erstellt und dafür als Vorlage den Befund einer dritten Person verwendet.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die Feststellungen des Landgerichts tragen weder den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 26 StGB noch den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 26 StGB. Es fehlt jeweils an vollständigen Feststellungen zu einer entsprechenden Haupttat, die gemäß § 26 StGB Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Anstiftung ist.

1. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erweisen sich die Urteilsfeststellungen in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Sie belegen weder das Vorliegen einer Urkunde noch ein Auseinanderfallen zwischen dem scheinbaren und dem tatsächlichen Aussteller.

a) Eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt war, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und den Aussteller erkennen ließ (st. Rspr.; statt aller BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 192/23 –, Rn. 35, juris, m. w. N.).

Ein vollständig ausgefüllter Impfausweis erfüllt diese Voraussetzungen; die vollständigen Angaben ergeben die Erklärung des im Impfausweis aufgeführten Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 –, Rn. 36, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 –, Rn. 15, juris).

Ob sich einem Impfausweis eine solche Erklärung entnehmen lässt, muss im Urteil in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Es reicht nicht aus, den Inhalt mit reinen Rechtsbegriffen zu umschreiben; erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung der jeweiligen Eintragungen, namentlich ob der Impfausweis für eine bestimmte Person ausgestellt wurde und ggf. für welche, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte, ob ein und ggf. welcher Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung eingetragen wurde, ob ein und ggf. welcher Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es beschränkt sich insoweit auf die Feststellungen, dass der Angeklagte „drei Impfausweise“ bei seiner Schwester bestellt habe, diese daraufhin „die gefälschten Impfpässe“ habe beschaffen wollen und die gesondert Verfolgte O. schließlich „die Impfausweise mit den gefälschten Einträgen zu in Wahrheit nicht erfolgten COVID-19 Impfungen“ beschafft habe. Den zur Konkretisierung des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB erforderlichen genauen Inhalt dieser Eintragungen hat die Strafkammer hingegen nicht festgestellt.

c) Das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Urkundenqualität entzieht auch der weiteren rechtlichen Bewertung der Strafkammer die Grundlage. Da es sowohl an Feststellungen zur Person des Haupttäters als auch zu einem etwaigen scheinbaren Aussteller fehlt, steht namentlich auch die Unechtheit einer eventuellen Urkunde in Frage; nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen ist, dass es sich zwar um unrichtige, nicht aber um unechte Impfbescheinigungen handelte.

2. Das angefochtene Urteil belegt auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB bei der Tat aus November 2021erfüllt sind.

Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich noch ausreichend entnehmen, dass die gesondert Verfolgte F. als Haupttäterin echte Daten verändert oder falsche Daten gespeichert hat. Denn sie hat entweder die vom Labor Dr. F. erstellte Datei durch Einfügen des Namens des Angeklagten verändert oder anhand dieser Vorlage eine eigene Datei mit dem Namen des Angeklagten erstellt, deren scheinbarer Aussteller das Labor Dr. F. war.

Die Urteilsfeststellungen belegen aber nicht, dass diese Daten auch beweiserheblich waren. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Daten geeignet und bestimmt sind, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr als Beweisdaten für rechtlich erhebliche Tatsachen benutzt zu werden (Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 269 StGB, Rn. 11 m. w. N.). Es ist deckungsgleich mit der für den Urkundenbegriff gemäß § 267 StGB erforderlichen Beweisfunktion und ergibt sich deshalb zugleich aus der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des § 269 Abs. 1 StGB, dass im hypothetisch gedachten Fall der Wahrnehmung der Daten eine Urkunde vorliegen muss (Zieschang a. a. O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 269 Rn. 9).

Ebenso wie für Urkunden gilt deshalb, dass einer Datei keine Beweisfunktion zukommt, wenn sie erkennbar als Kopie einer Urkunde erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Erklärungen üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden; ein entsprechendes PDF-Dokument ruft dann im Rechtsverkehr nicht den Eindruck eines Originals hervor, sondern wird lediglich als Reproduktion angesehen (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2023 – 1 ORs 2/23 –, Rn. 42, juris, m. w. N.).

Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob der Datei, die von der gesondert Verfolgten F. erstellt wurde, die erforderliche Beweisfunktion zukam, ist dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich. Denkbar ist sowohl, dass im Rechtsverkehr bereits dieser Dateiinhalt – etwa beim Vorzeigen mittels eines Mobiltelefons – als ein vom Institut Dr. F. erstellter Genesenenachweis angesehen worden wäre. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Datei selbst lediglich als – beispielsweise eingescannte – Reproduktion eines vermeintlich in Papierform vorliegenden Originals erschien und nicht die Datei selbst, sondern erst ein Ausdruck im Rechtsverkehr als eine vom Institut Dr. F. erstellte Erklärung angesehen worden wäre. Im zuletzt genannten Fall würde das Erstellen der Datei lediglich eine – straflose – Vorbereitungshandlung zu einer möglichen späteren Herstellung einer unechten Urkunde darstellen.

Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24. Von der Entscheidung gibt es aber nur den Leitsatz, der lautet:

Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats. 

OWI II: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei „OWis“, oder: Hilfsbeweis, (rechtzeitiger) Entbindungsantrag

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Im zweiten Posting habe ich hier dann vier Entscheidungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, darunter (natürlich) auch drei, die sich mit „Entbindungsfragen“ (§§ 73, 74 OWiG) befassen. Ich stelle hier dann aber nur die Leitsätze vor, und zwar.

Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn der Betroffene erfolglos alle ihm nach der konkreten Verfahrenslage zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu gehört namentlich auch die Stellung von (Hilfs-)Beweisanträgen.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist.

    1. Zur Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung (Fortführung von BGH StraFo 2024, 110)
    2. Zu rechtsmissbräuchlichem Verteidigerhandeln im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Stellen eines Entbindungsantrages.
    3. Der Senat geht davon aus, dass die Entscheidung des BGH StraFo 2024, 110 so zu verstehen ist, dass auch ein nicht beschiedener Entbindungsantrag bei einer Terminverlegung fortwirkt.

Befindet sich der drei Tage vor einem Hauptverhandlungstermin per beA übermittelten Entbindungsantrag zwar erst am Ende eines mehrseitigen Schriftsatzes, wird aber auf der ersten Seite des Schriftsatzes auf den Gerichtstermin mit dem Zusatz „EILT SEHR !“ hingewiesen, kann der Betroffene von der Berücksichtigung seines Antrags ausgehen.

Und zu den Fragen steht dann eine ganze Menge in <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das jetzt gerade neu erschienen ist und hier bestellt werden kann. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Streifenwagen, blaues Blinklicht, Martinshorn, oder: Wie war die konkrete Verkehrssituation?

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Ich stelle heute dann mal wieder OWi-Entscheidungen vor. Davon gibt es im Moment nicht so ganz viel. Ein paar habe ich aber inzwischen, über die ich hier berichten kann.

Ich beginne mit einem Beschluss des OLG Hamm, und zwar dem OLG Hamm, Beschl. v. 02.07.2024 – 5 ORbs 132/24 – zum freie Bahn Schaffen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO).

Das AG hate den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflicht, einem Einsatzfahrzeug mit Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, zu einer Geldbuße in Höhe von 240 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dazu hat es festgestellt, dass der Betroffene am 07.06.2023 auf der A N01 in Richtung R. als Führer eines Lastkraftwagens zunächst den rechten Fahrstreifen befahren habe. Ein Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn habe sich hinter dem Betroffenen befunden. Er sei dann auf den linken Fahrstreifen gewechselt, um ein anderes Fahrzeug zu überholen. Daraufhin habe der nach ihm fahrende Streifenwagen stark abbremsen müssen und sei insoweit an seiner uneingeschränkten Weiterfahrt gehindert gewesen, was der Betroffene bei der Durchführung des Überholmanövers habe absehen müssen.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Dem OLG genügen die Feststellungen des AG nicht:

„Das angefochtene Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht keine ausreichende Prüfung dahingehend, ob hier ein sorgfaltswidriger Verkehrsverstoß gegen § 38 Abs 1 S. 2 StVO vorliegt. Die Pflicht der übrigen Verkehrsteilnehmer nach § 38 Abs 1 S. 2 StVO richtet sich im Einzelfall nach der jeweiligen konkreten Verkehrslage, zu der das Tatgericht ausreichende Feststellungen treffen muss (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 13.01.1984 – 1 Ss 905/83 = BeckRS 1984, 497). Daran fehlt es hier.

Das Amtsgericht hat es in den Urteilsgründen (UA S. 2 f.) unterlassen, Feststellungen im Hinblick auf die Geschwindigkeit des vom Betroffenen gesteuerten Lastkraftwagens zu treffen. Außerdem fehlen Angaben dazu, in welchem Abstand sich das Polizeifahrzeug hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befand. Ohne diese Angaben ist es dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt, eine eigene Prüfung des etwaigen Sorgfaltspflichtverstoßes vorzunehmen. Denn ohne eine Vorstellung von der gefahrenen Geschwindigkeit des Lastkraftwagens und dessen Abstand zum – mit ca. 180 km/h fahrenden – dahinter befindlichen Streifenwagen lässt sich nicht ausreichend beurteilen, ob es dem Betroffenen vor dem Überholvorgang bei aufmerksamer Beobachtung der Verkehrslage überhaupt möglich gewesen wäre, das mit Sonderrechten ausgestattete Polizeifahrzeug wahrzunehmen.

Diese unterlassenen Sachverhaltsfeststellungen haben zudem für die Beurteilung des Vorliegens des Regelfahrverbots eine gewisse Relevanz, da nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage eine etwaige Abweichung vom Regelfall tragfähig beurteilt werden kann.

Im Übrigen sei angemerkt, ohne dass dies entscheidungserheblich ist, dass sich ein Fahrverbot grundsätzlich auch auf das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen bezieht (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11.04.2002, Az. Ss (B) 13/02 (18/02) = BeckRS 2002, 30252577).“

StPO II: Wenn das Berufungsurteil „viele Fehler“ hat, oder: Man mag es nicht glauben

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Als zweites dann der BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 184/24. Das ist mal wieder so eine Entscheidung, bei der man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und rufen möchte: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Das bezieht sich allerdings nicht aus den BayObLG-Beschluss, sondern aus das landgerichtliche Berufungsurteil, das grob fehlerhaft ist/war. Daher was bei mir die Entscheidung des BayObLg auch mit dem Zusatz „viele Fehler“ gespeichert.

In der Sache geht es um eine Verurteilung wegen eines Ladendiebstahls. Die beanstandet das BayObLG. Ich stelle hier, weil es sonst zu viel wird, nur die Ausführungen des BayObLG zu den insoweit tatsächlichen Feststellungen vor – und verweise noch einmal darauf: Es handelte sich um ein Urteil einer Berufungskammer:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts genügen nicht, um eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Diebstahls zu tragen. Das Landgericht hat außer Acht gelassen, dass die in den Urteilsgründen gewählte Formulierung „entwendete“ ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft genügt.

a) Der Begriff des Entwendens lässt offen, wie sich die Tat abgespielt hat und ob die Wegnahme im Rechtssinne vollendet wurde (St. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 203 StRR 255/23 -, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 — 202 StRR 33/21 —, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 — 3 Ss 89/19 —, juris Rn. 8 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 12. März 2015 — 2 OLG 22 Ss 14/15 —, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – 111-5 RVs 111/13 juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 – 111-5 RVs 38/13 juris; Quentin in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 318 Rn. 39). Für eine vollendete Wegnahme ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat (St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18-, juris m.w.N.; Schmitz in MüKo-StGB, 4. Aufl. § 242 Rn. 83 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 37 ff.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 16 ff.). Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft bei einem Ladendiebstahl ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen (BGH, Urteil vom 6. März 2019 — 5 StR 593/18 —, juris Rn. 3). Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu den möglichen Fallkonstellationen beim Ladendiebstahl Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 242 Rn. 100 ff.; Bosch a.a.O. Rn. 39). Allein der Umstand, dass die Sache zurückgegeben wurde, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf die Begründung von Gewahrsam von Seiten des Täters zu (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 a.a.O. Rn. 5). Entsprechendes gilt für die Feststellung der gewerbsmäßigen Begehungsweise. Weder der Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten noch die Darlegung seiner Absicht kann die fehlenden Ausführungen zu den Gewahrsamsverhältnissen kompensieren (zum Geständnis vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – III-5 RVs 111/13 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 — III-5 RVs 38/13 juris).

b) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf mehrere Lichtbilder, die die entwendeten Parfums zeigen, vermag die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen. Nach § 267 Abs. 1 §. 1 und §. 3 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; wegen der Einzelheiten kann auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, verwiesen werden. Satz 3 der Vorschrift gestattet jedoch nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 — 6 StR 319/21 juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 —2 StR 242/20 —, juris Rn. 19, 21). Da der Tatrichter nur auf die – eine Wegnahme nicht belegenden – Lichtbilder verwiesen hat, könnte der Senat aus den Abbildungen einen Gewahrsamsbruch nicht ableiten. Dass auch ein außerhalb der Lichtbilder befindlicher Text Gegenstand der Inaugenscheinnahme gewesen wäre und vom Gericht und den Beteiligten wahrgenommen worden ist, lässt sich den Ausführungen im Urteil nicht entnehmen. Der Senat darf daher die Bildunterschrift in der Revision nicht zur Kenntnis nehmen. Auf die in der Rechtsprechung nicht endgültig geklärte Frage, inwieweit ein Text innerhalb einer Abbildung von der Regelung des § 267 Abs. 1 §. 3 StPO erfasst ist (vgl. BayObLG5 Beschluss vom 31 . Januar 2022 – 202 ObOWi 106/22 juris; KG, Beschluss vom 23. April 2021BeckRS 2021, 12952; BeckOK StPO/Peglau, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 267 Rn. 9; Bartel in KK-StPO, 9. Aufl., § 267 Rn. 43), kommt es daher nicht an.“

Den Rest dann bitte selbst lesen. Hier müssen die Leitsätze dann reichen, und twar.

    1. Die Formulierung „entwendete“ in den Urteilsgründen ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft.
    2. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt.
    3. Bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung hat der Tatrichter zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren.
    4. In Fällen einer Kumulation von Alkohol und Betäubungsmitteln ist in der Regel die Hinzuziehung eines Sachverständigen sachdienlich.