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Und als dritte Entscheidung dann ein Urteil des BGH, und zwar des Dienstgerichts des Bundes, betreffend ein Urteil des Dienstgerichts für Richter beim LG Leipzig.
Gestritten worden ist darüber, ob der Antragsteller, der Richter am Amtsgericht ist, durch einen Bescheid des Präsidenten des LG G., mit dem dieser eine Passage in einem Urteil des Richters als eine mit den Dienstpflichten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung bezeichnete, in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Dabei ging es um Folgendes:
Der antragstellende Richter war 2016 am Amtsgericht tätig und dort mit Straf-, Jugend-und Bußgeldsachen befasst. Mit Urteil vom 14.06.2016 hat er eine Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Im Urteil hat er zunächst das Ergebnis der Hauptverhandlung – Freispruch aus tatsächlichen Gründen -, die Einlassung der Angeklagten und die nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen mitgeteilt. Danach hatte sich die Angeklagte auf einer der Partei NPD zuzurechnenden Seite in dem sozialen Netzwerk Facebook mit einem Kommentar an einer Diskussion beteiligt, in der verschiedene Nutzer unter der Überschrift: „Flüchtlingsunterkünfte: 36 Fertighäuser für Flüchtlinge in Berlin“auf eine Meldung von der Errichtung von Fertighäusern als Flüchtlingsunterkünften in Berlin reagiert hatten. In den Kommentaren wurde u.a. geäußert, dass Deutschen vergleichbare Unterkünfte auch gefallen würden, „wir … überrannt“ würden und man auf den Tag warte, „an dem es richtig knallt“ bzw. sich fragte, wann „wir Deutschen“endlich aufwachten. Ein Nutzer schrieb dann: „Ich spende das Benzin!“ Auf diesen Kommentar antworteten drei Nutzer, unter ihnen die Angeklagte, die schrieb: „Ich bring den Brandbeschleuniger mit.“
Auf der Grundlage dieser Feststellungen hatte der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint, weil weder aus der Überschrift noch aus der Meldung oder dem Verlauf der Kommentare ersichtlich sei, dass gegen eine der in der Vorschrift genannten Gruppen, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der Gruppen oder einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt bzw. zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgefordert werde. Dabei sei schon nicht zu erkennen, gegen welche Gruppe sich die Kommentare richten sollten, die dahin zu verstehen seien, dass die Nutzer mit der politischen Entscheidung, Fertighäuser für Flüchtlinge errichten zu lassen, nicht einverstanden gewesen seien. Der Kommentar „Ich spende das Benzin!“ sei ohne ersichtliche Bezugnahme gepostet worden; aus dem Verlauf ergebe sich nicht, wofür dieses Benzin sein solle.
Sodann hieß es in den Urteilsgründen:
„Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Kommentar der Angeklagten geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei dem Merkmal der Eignung zur Friedensstörung um ein abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt (vgl. BGH 46, 212 ff. m.w.N.).
Für die Eignung zur Friedensstörung genügt es danach, dass berechtigte, – mithin konkrete Gründe – für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern.
Allerdings vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit durch den Diskussionsbeitrag der Angeklagten erschüttert wird, oder werden soll.
In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Gerichts die Entscheidung der Bundeskanzlerin, eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, viel mehr geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, als der facebook-Kommentar der Angeklagten […].
Allerdings verstößt diese Entscheidung der Kanzlerin nicht gegen § 130 StGB.
Des Weiteren müssen auch Kommentare, die sich kritisch mit bestimmten Entscheidungen von Regierung und Verwaltung auseinandersetzen, unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 5 Grundgesetz betrachtet werden, wobei eine diesbezügliche Betrachtung nach Ansicht des Gerichts nicht mehr erforderlich ist, da bereits der Tatbestand nicht erfüllt wird.“
Der Präsident des LG vertrat gegenüber dem Richter die Auffassung, „dass es sich hierbei um eine mit den Dienstpflich-ten eines Richters nicht mehr vereinbare Äußerung“ handele und hat darum gebeten, dass dieser solche Äußerungen im Rahmen der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit künftig unterlasse. Dagegen ist der Richter beim Dienstgericht vorgegangen. Er hatte keinen Erfolg. Auch seine Revision ist ohne Erfolg geblieben. Der BGH führt im BGH, Urt. v. 27.10.2020 – RiZ(R) 4/20 – u.a. aus:
„…..
So verhält es sich hier. Die vorgehaltene Passage findet sich zwar in den Gründen eines Strafurteils, in dem sie sich an die Verneinung des Tatbestandsmerkmals der Eignung der Tathandlung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens anschließt. Auch nach der Urteilspassage finden sich weitere Ausführungen, mit denen die Entscheidung allerdings nicht mehr tragend begründet wird.
Die vorgehaltene Urteilspassage unterliegt gleichwohl der Dienstaufsicht. Denn mit der objektiv in keinem Zusammenhang mit der eigentlichen Rechtsfindung stehenden, politischen Meinungsäußerung des Antragstellers in den Urteilsgründen hat er zwar eine richterliche Tätigkeit entfaltet; diese ist aufgrund ihrer fehlenden Anbindung an die tatsächliche Begründung der Entscheidung dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit aber so weit entrückt, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden kann. Im Einzelnen:
a) Wie bereits das Dienstgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte es für die Frage, ob die Äußerung der Angeklagten geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, nicht darauf ankommen, ob die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung oder eine diesbezügliche „Entscheidung der Bundeskanzlerin“ ihrerseits den öffentlichen Frieden zu stören geeignet wäre. Die Bezugnahme darauf konnte also zur Prüfung eines Tatbestandsmerkmals des § 130 StGB, insbesondere zu dem der Eignung zur Friedensstörung nichts beitragen. Dies stellt auch der Antragsteller in seiner Revisionsbegründung nicht in Abrede. Er vertritt dazu lediglich die Auffassung, dies habe nicht von der Dienstaufsicht, sondern allein von dem Rechtsmittelgericht geprüft werden dürfen (dazu unten d)).
b) Ohne Rechtsfehler ist das Dienstgericht weiter davon ausgegangen, dass in der vorgehaltenen Urteilspassage die persönliche politische Meinung des entscheidenden Richters und damit des Antragstellers zum Ausdruck gebracht wurde. Soweit der Antragsteller mit der Revision diese Auslegung als „abwegig“ angreift, verkennt er, dass die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Äußerung und die Würdigung der darin im Einzelfall verwendeten Formulierungen grundsätzlich Sache der Tatgerichte ist. Sie unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 137 Abs. 2 VwGO). Das Revisionsgericht ist grundsätzlich an die im Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, sofern in Bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht werden. Die tatrichterliche Würdigung einer Äußerung oder Erklärung ist nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ob wesentlicher Tatsachenstoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein kann, außer Betracht gelassen wurde, oder ob sie sonst auf Rechtsfehlern beruht (BGH, Urteile vom 30. Oktober 2017 – RiZ(R) 1/17, DRiZ 2018, 184 Rn. 20 m.w.N. [zum Inhalt dienstlicher Äußerungen]; vom 26. Juli 2017 – RiZ(R) 3/16, juris Rn. 25 m.w.N. [zum Inhalt dienstlicher Beurteilungen]). Nach diesen Maßstäben ist die Auslegung des Inhalts der Urteilspassage mit Blick auf die sprachliche Überleitung und des Bezugspunkts der „Ansicht des Gerichts“ – einer politischen Entscheidung der Exekutive – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller zeigt Rechtsfehler auch nicht auf, sein Vortrag beschränkt sich auf eine eigene abweichende Würdigung, mit der er im Revisionsverfahren nicht durchdringen kann. Dasselbe gilt auch, soweit er beanstandet, dass das Dienstgericht in der vorgehaltenen Urteilspassage eine Kritik an der Bundeskanzlerin gesehen hat.
Die persönliche politische Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Bedeutung ist, hat in den Entscheidungsgründen eines Urteils indes nichts zu suchen; es liegt ein Fall der Zweckentfremdung einer grundsätzlich in den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit fallenden richterlichen Tätigkeit vor. Dadurch, dass der Richter sein Urteil zur Verbreitung seines politischen Standpunkts nutzt, verlässt er letztlich den der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich der richterlichen Tätigkeit (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG 6. Aufl. § 26 Rn. 30). Denn die richterliche Unabhängigkeit verleiht Richtern keinen Freibrief, im Rahmen der Urteilsbegründung zu allgemeinen politischen Problemen Stellung zu beziehen (vgl. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht für Richter 1985 S. 154).
c) Ein Bezug zur Rechtsfindung kann – entgegen dem Revisionsvorbringen – auch nicht dadurch hergestellt werden, dass der Staatsanwaltschaft habe verdeutlicht werden sollen, dass nicht jede Äußerung im Internet die Eignung zur Friedensstörung habe und dazu „auf ein Beispiel“ zurückgegriffen worden sei, mit dem habe aufgezeigt werden sollen, dass für das Merkmal der Eignung zur Friedensstörung nicht jedes Verhalten geeignet sei. Tatsächlich ist mit der vorgehaltenen Urteilspassage gerade keine Handlung beispielhaft aufgeführt worden, die die Eignung zur Friedensstörung nicht hatte, vielmehr ist eine politische Entscheidung genannt worden, die nach Auffassung des Antragstellers – auch noch in der Revisionsbegründung – die Eignung zur Friedensstörung gehabt haben soll, die aber gleichwohl – aus einer Vielzahl von anderen Gründen – den Tatbestand der Volksverhetzung offensichtlich nicht erfüllen konnte.
d) Nach alledem ist auch die abschließende Würdigung des Dienstgerichts, es handele sich bei der vorgehaltenen Urteilspassage um ein von der eigentlichen Rechtsfindung losgelöstes politisches Statement des Antragstellers, das in die Urteilsgründe lediglich aufgenommen wurde, aber keinen Bezug zur Begründung der Entscheidung aufweist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die mit der Revisionsbegründung vertretene Rechtsauffassung des Antragstellers, einen solchen fehlenden Bezug, der sich unter anderem daraus ergibt, dass mit der vorgehaltenen Urteilspassage das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Friedensstörung denknotwendig nicht verneint werden konnte (siehe oben a)), habe nicht die Dienstaufsicht zu prüfen, sondern allein die Rechtsmittelgerichte, geht fehl. Gerade wenn eine richterliche Äußerung in Entscheidungsgründen von der eigentlichen Rechtsfindung völlig losgelöst gemacht wird, kann sie der Dienstaufsicht unterfallen; dann ist es aber auch erforderlich, dass sich die Prüfungskompetenz der Dienstaufsicht führenden Stellen und in der Folge der Dienstgerichte darauf erstreckt.