Archiv der Kategorie: Urteil

Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe

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Und dann im zweiten Postingzwei Entscheidungen aus dem Jugendstrafrecht.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 5 StR 205/23. Er betrifft die Jugendstrafe. Es handelt sich bei der Entscheidung um einen sog. Anfragebeschluss. Der BGH möchte also die Rechtsprechnung ändern und fragt daher bei den anderen Senat wie sie es mit ggf. entgegenstehender Rechtsprechung halten, und zwar wie folgt:

2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, setzt nicht voraus, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.

Das hat der BGH umfassend begründet, und zwar so umfassend, dass ich auf das Selbstleseverfahren verweise.

Und als zweite Entscheidung noch etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23. Er befasst sich mit der der sog. Einheitsjugendstrafe, und zwar:

§ 31 Abs. 2 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung kann zwar aus erzieherischen Zweckmäßigkeitserwägungen (§ 31 Abs. 3 S. 1 JGG) abgesehen werden, hierfür müssen aber Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet. Das Abstellen allein auf den Ablauf der Bewährungszeit genügt diesen Anforderungen nicht.

 

Strafe I: Ein wenig vom BGH zur Strafzumessung, oder: Unbestraft, polizeiliche Überwachung, gleiche Strafe

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So, und heute dann Strafzumessungsentscheidungen. Es ist ein bisschen mehr als sonst, da sich einiges angesammelt hat. Hier zunächst einige BGH-Entscheidungen, allerdings nur mit „Leitsätzen“. Den Rest bitte selbst nachlesen. Hier kommen dann:

Auch im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 StGB muss die Strafe einen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht nach Maßgabe der Schwere der Tat und des Grads der persönlichen Schuld des Täters darstellen muss. Deshalb legen ggf. die bisherige Unbestraftheit der Angeklagten, das Gewicht ihrer Tathandlung sowie – bei einem BtM-Delikt – die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge des Wirkstoffgehalts THC (allein) um das 1,6-fache eine vertiefte Erörterung nahe, weshalb eine Geldstrafe (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 StGB) das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts ernsthaft beeinträchtigen würde.

Wird ein Urteil auf ein Rechtsmittel zugunsten eines Angeklagten im Strafausspruch aufgehoben und vermag der neue Tatrichter Feststellungen nicht zu treffen, die im ersten Rechtszug als bestimmende Zumessungstatsachen strafschärfend herangezogen worden waren, hält er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich, so hat er nach ständiger Rechtsprechung seine Entscheidung eingehend zu begründen. Die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung sind zwar kein Maßstab für die neue Bemessung der Strafe, jedoch hat der Angeklagte einen Anspruch darauf zu erfahren, warum sie trotz des Wegfalls eines Strafschärfungsgrundes nun gleich hoch bestraft wird.

Allein eine polizeiliche Überwachung stellt keinen Strafmilderungsgrund dart, auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Straftat hätte verhindert werden können; ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern. Es kann indes einen über die Sicherstellung hinausgehenden Strafmilderungsgrund darstellen, wenn die polizeiliche Überwachung der Tat mit dem Wegfall einer Gefahr für Rechtsgüter des Tatopfers verbunden ist. Dieses Gewicht resultiert aus dem Gewinn an Sicherheit, den eine derartige Überwachung schon während der Tatbegehung bewirkt, indem sie bereits von Beginn an die Möglichkeit für eine spätere Sicherstellung schafft und so eine tatsächliche Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter ausschließt; insoweit reduziert sie das Handlungsunrecht zusätzlich gegenüber Fällen, in denen eine Sicherstellung trotz fehlender Überwachung letztlich gelingt.

Die erfolgte Sicherstellung der zum Eigenkonsum bestimmten Betäubungsmittel stellt einen bestimmenden Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten dar. Entfällt durch die Sicherstellung die auch beim Besitz von Betäubungsmitteln stets bestehende abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit durch eine Weitergabe, ist dies ebenso wie beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln regelmäßig zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.

Das Vorliegen insbesondere einschlägiger Vorstrafen stellt einen Strafschärfungsgrund dar. Umgekehrt vermag das Fehlen von Strafschärfungsgründen regelmäßig eine Strafmilderung nicht zu begründen.

Corona II: Ist ein Coronatestzertifikat eine Urkunde?, oder: Urkundenfälschung

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Die zweite Entscheidung zu Corona kommt dann heute aus dem strafrechtlichen Bereich. Das OLG Hamm hat im OLG Hamm, Beschl. v. 23.01.2024 – 4 ORs 162/23 – zur Urkundeneigenschaft eines Coronatestzertifikats Stellung genommen.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen: Die Angeklagte erstellte „ein Coronatestzertifikat, das auf den 02.02.2021 datiert wurde und bestätigte, dass der Zeuge R am 01.02.2021 um 17:41 einen negativen Sars-CoV-2 RnA-Test vorgenommen habe. Tatsächlich nahm die Angeklagte aber keine Testung des Zeugen R vor. Zu der Ausstellung des vorgenannten Testzertifikats, das als Aussteller die Institutsambulanz Fachbereich B der LWL  Klinik in L ausweist, war die Angeklagte, wie sie wusste, nicht berechtigt. Ihr war bewusst, dass der Zeuge R. das unrichtige Testzertifikat bei der Firma pp. vorlegen würde, um die IHK-Prüfung ablegen zu können. Das vorgenannte Zertifikat stellte sie dem Zeugen R zur Verfügung, dieser reichte es am 02.02.2021 per Mail bei der Firma pp. ein und erhielt auf diesem Weg Zugang zur IHK-Abschlussprüfung.“

Auf dier Grundlage hat das LG Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB angenomme. Die Angeklagte habe im Namen der Institutsambulanz der LWL-Klinik L ein Zertifikat über einen erfolgten Coronatest betreffend den Zeugen R erstellt. Dazu sei sie nicht berechtigt gewesen. Aus dem Testzertifikat sei die Institutsambulanz als Aussteller erkennbar. Dieses Testzertifikat solle Beweis über eine stattgefundene Coronatestung erbringen und nachweisen, dass der Test negativ ausgefallen sei.

Dagegen die Revision. Das OLG Hamm hat aufgehoben und frei gesprochen:

„Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten ist zulässig und hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist belastende Rechtsfehler auf und hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand……

2. Das Landgericht hat danach zu Unrecht eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) bejaht.

Das im Urteil wiedergegebene Testzertifikat ist keine Urkunde im Sinne des Gesetzes, so dass ihre Herstellung durch die Angeklagte nicht den Tatbestand des Herstellens einer unechten Urkunde oder der Verfälschung einer echten Urkunde erfüllen kann.

Eine Urkunde ist die Verkörperung einer allgemein oder für Eingeweihte verständlichen Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Aus der Urkunde muss danach der geistige Urheber erkennbar sein, also die Person, welche die Gedankenerklärung abgibt. Erkennbarkeit bedeutet, dass derjenige, der (wirklich oder scheinbar) hinter der Urkunde steht, aus ihr als Person bestimmbar ist, wobei es sich nicht um eine Einzelperson handeln muss. Die Identität muss sich zumindest für Beteiligte oder Eingeweihte aus der Urkunde selbst erschließen. Es reicht nicht aus, wenn die Feststellung nur anhand von Umständen möglich ist; die außerhalb der Urkunde liegen (vgl. BGH, Beschluss v. 23.03.2010 — 5 StR 7/10, juris Rn. 4; Fischer StGB 69. Aufl. § 267 Rn. 11 m.w.N.). Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht (vgl. BGH, Beschluss v. 21.03.1985 — 1 StR 520/84, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben mangelt es vorliegend dem nach den Urteilsfeststellungen von der Angeklagten erstellten Testzertifikat an der Garantiefunktion, da es keinen Aussteller erkennen lässt. Soweit darin als Aussteller eine „Station: Institutsambulanz, Fachb.: B“ angegeben ist, fehlt jeglicher Bezug zur LWL-Klinik L, zumal auch ein derartiges Zertifikat nach den  Bekundungen des Zeugen K von der Klinik nicht benutzt wird, so dass sich auch aufgrund des optischen Eindrucks kein Rückschluss auf die LWL-Klinik L als Aussteller ziehen lässt.

Die auf dem Testzertifikat enthaltenen Angaben, die ggf. auf einen Aussteller hindeuten könnten, reichen schließlich auch nicht aus, um in hinreichender Form auf einen – konkreten – fiktiven Aussteller zu schließen. Die tatsächliche Existenz des scheinbaren Ausstellers ist weder für die Frage der Ausstellererkennbarkeit noch für die Frage der Täuschung über die Ausstelleridentität Voraussetzung (vgl. OLG Gelle, Beschluss v. 19.10.2007 — 32 Ss90/07, juris Rn. 37; BGH, Urteil v. 27.09.2002 — 5 StR 97/02, juris Rn. 15). Es handelt sich vorliegend aber bei den Ausstellerangaben insgesamt um Allerweltsbezeichnungen mit erkennbar fehlender Individualisierung. Es wird dabei gerade nicht auf einen bestimmten Aussteller verwiesen.

3. Die Angeklagte hat sich auch nicht nach §§ 277, 278 StGB a.F. strafbar gemacht, da das als Gesundheitszeugnis anzusehende Testzertifikat nach den Feststellungen nicht zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft ausgestellt worden ist, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

4. Das angefochtene Urteil kann daher aus Rechtsgründen keinen Bestand haben und war gemäß § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben.

Es ist aufgrund der erfolgten Inaugenscheinnahme des Testzertifikats seitens des Senats sicher auszuschließen, dass sich die Feststellung, dass das Testzertifikat die LWL-Klinik Lals Aussteller ausweist, anderweitig treffen lässt. Darüber hinaus kann der Senat auch sicher ausschließen, dass eine Urkundeneigenschaft des Testzertifikats aufgrund eines fiktiven Ausstellers angenommen wird.

Da somit auszuschließen ist, dass weitere erhebliche Feststellungen nach einer Zurückverweisung möglich sind und die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO) und die Angeklagte aus sachlich-rechtlichen Gründen freisprechen.“

Alkohol III: Nachtrunkbehauptung im Verkehrsrecht, oder: Wenn Eheleute sich streiten

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Und dann noch aus dem Verkehrecht der LG Itzehoe, Beschl. v. 19.02.2024 – 14 Qs 9/24. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen Verdachts der Trunkenheit im Verkehr im Verfahren wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Zugrunde liegt eine in der Praxis ja nicht seltene Konstellation. Eheleute trinken gemeinsam Alkohol, man streitet sich, die Ehefrau nimmt die Kinder und fährt zu einer Freundin. Der Ehemann ruft die Polizei an und teilt mir, dass seine Ehefrau alkoholisiert unterwegs ist/war. Die Polizei trifft die Ehefrau bei der Freundin an und es wird eine Blutentnahme angeordnet. Das Ergebnis  der Blutprobe würde dann „reichen“. Aber es kommt die Einlassung: Bei der Freundin ist es zu einem Nachtrunk gekommen. Und die hatte hier zumindest vorläufig Erfolg. Denn das LG hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Vorliegend kann nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen zwar angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin am 12.11.2023 gegen 21:14 Uhr in Lutzhorn das Kraftfahrzeug Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen pp. nach dem vorherigen Genuss alkoholischer Getränke geführt hat – es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen indes nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie zum Zeitpunkt der Fahrt auch eine Butalkoholkonzentration von mindestens 1,1 °/00 aufwies.

Der dahingehende Tatverdacht beruht derzeit ausschließlich auf der Aussage des Ehemannes der Beschuldigten gegenüber der Polizei, welcher am Tattag um 21:05 Uhr die Dienststelle in Elmshorn kontaktierte und angab, seine Ehefrau habe sich nach einem Streit stark alkoholisiert und schwankend mit dem Fahrzeug entfernt, sowie den damit korrespondierenden Angaben der Zeugen PK pp. und POM pp., welche die Beschuldigte am Tattag um 22:34 Uhr an der antrafen und einen Atemalkoholgeruch feststellten sowie den Analyseergebnissen der um 23:42 Uhr und 00:12 Uhr bei der Beschwerdeführerin entnommenen Blutproben, die einen BAK-Wert von 1,85 und 1,72 °/00 aufwiesen.

Diese Beweismittel sind jedoch nicht ohne weiteres geeignet, den dringenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gern. § 316 Abs. 1, 2 StGB zu begründen, denn der unmittelbare Schluss, dass die Beschwerdeführerin bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Autofahrt eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 °/00 aufwies, kann daraus nicht gezogen werden.

a) Die Beschwerdeführerin selbst hat den Tatvorwurf bestritten und sich gegenüber den Polizei-beamten zuletzt dahingehend eingelassen, sie habe vor Fahrtantritt zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr in einem Restaurant 0,5 I Bier und drei bis vier 2 cl Gläser Ouzo getrunken – größere Mengen Alkohol, nämlich 0,33 I Bier und etwa 15 cl Ouzo, habe sie hingegen erst nach Fahrtende bei ihrer Freundin, der Zeugin pp. konsumiert. Diese Einlassung, nach der sich die Beschwerdeführerin während der Autofahrt allenfalls im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit befunden hat, wird sich nicht ohne Weiteres widerlegen lassen.

Der Ehemann der Beschuldigten, der bisher keine Angaben zur Trinkmenge der Beschuldigten gemacht hat, gibt nunmehr an, diese habe vor Fahrtantritt in einem Restaurant zwei Bier und drei bis vier Ouzo getrunken, er habe die Polizei lediglich aus Verärgerung und Wut nach der Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gerufen. Die Zeugin pp. hat darüber hinaus an Eides statt versichert, die Beschwerdeführerin habe nach ihrer Ankunft bei ihr gegen 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr ein Bier getrunken und den Großteil einer Ouzo-Flasche geleert. Diese Aussagen stützen die Einlassung der Beschwerdeführerin und sind nicht geeignet, den gegen sie erhobenen Vorwurf der Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit zu begründen.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das Aussageverhalten der Zeugen und die Einlassung der Beschuldigten inkonsistent sind und es sich auch um nachträglich abgesprochene Aussage handeln kann. So gab die Beschuldigte selbst zunächst an, sie habe nach der Fahrt in ihrem Fahrzeug Alkohol konsumiert, wenig später korrigierte sie die Aussage dahingehend, sie habe nach Fahrtende mit ihrer Freundin drei bis vier Bier getrunken und nach Durchführung des Atemalkoholtests gab sie schließlich an, gegen 17:30 Uhr zwei Weißweinschorlen und einen Ouzo und gegen 21:15 Uhr bei Frau pp. zwei bis drei Bier getrunken zu haben. Auch wirft es jedenfalls Fragen auf, dass die Zeugin pp.  gegenüber der Polizei zunächst angegeben haben soll, dass beide Frauen bei ihr keinen Alkohol konsumiert hätten. Sofern sie nunmehr behauptet, sie habe die Frage nach etwaigem Alkoholkonsum lediglich auf sich bezogen beantwortet, da es darum gegangen sei, die Beschwerdeführerin im Verlaufe der Nacht mit dem Fahrzeug von der Wache abzuholen, muss der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ggf. nach Anhörung der Vernehmungsbeamten ermittelt werden. Die Kammer hält die Frage nach einer (ausschließlichen) Alkoholisierung der Zeugin im Rahmen der gegen die Beschwerdeführerin geführten Ermittlungen wegen einer Trunkenheitsfahrt für wenig wahrscheinlich; es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Niederschrift der Aussage der Zeugin pp. nicht von den vernehmenden Beamten (PKW POM pp. ) selbst, sondern von dem Zeugen POMA pp. gefertigt worden ist.

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass der Ehemann der Beschuldigten die erste Aussage gegenüber der Polizei im Streit mit der Beschwerdeführerin getätigt hat, was eine kritische Würdigung der Aussage erfordert, da eine Belastungstendenz und eine etwaige Dramatisierung der Umstände jedenfalls nicht fernliegend erscheint. Für letzteres würde auch sprechen, dass er gegenüber der Polizei zunächst angab, die Beschwerdeführerin habe einen schwankenden Gang aufgewiesen, wohingegen die Polizeibeamten PK pp. und POM pp. bei der Beschwerdeführerin keinerlei Ausfallerscheinungen feststellen konnten.

Letztlich sind die Unstimmigkeiten innerhalb der Aussagen allenfalls geeignet einen hinreichenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gem. § 203 StPO zu begründen, es kann indes nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin diese Tat auch begangen hat.

b) Auch die Ergebnisse der doppelten Blutprobenentnahme sind nicht geeignet, die Nachtrunkbehauptung der Beschwerdeführerin zu widerlegen.

Ein Rückschluss von einer gemessenen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt ist grundsätzlich dann möglich, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann; Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 155/22 m.w.N.). In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden. Dem liegt zugrunde, dass die Zeitspanne während welcher die Blutalkoholkonzentration nach dem letzten Alkoholkonsum bis zur Erreichung ihres Maximums steigt – die sog. Anflutungsphase – im Regelfall etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden beträgt, wenngleich sie im Einzelfall von Person zu Person variiert (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 14 Qs 9/24 m.w.N.). In dieser Phase ist mithin mit steigenden Blutalkoholkonzentrationswerten zu rechnen, sodass in Fällen, in denen die Analysen einer ersten, in zeitlich engem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen entnommenen Blutprobe, und einer zweiten, im Abstand von 30 Minuten entnommenen Blutprobe, eine sinkende Blutalkoholkonzentration ergibt, die Nachtrunkbehauptung in der Regel als widerlegt angesehen werden kann (vgl. a.a.O.). Für einen solchen Rückschluss muss die Entnahme der ersten Blutprobe allerdings spätestens 45 Minuten nach Trinkende erfolgen (zu den weiteren Voraussetzungen vgl. ausführlich a.a.O. m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, denn das Blut für die erste Blutprobe zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration wurde der Beschwerdeführerin erst um 23:42 Uhr entnommen – und mithin knapp 1,5 Stunden nach dem behaupteten Trinkende um 22:15 Uhr. In diesem Fall verbietet sich der Rückschluss, dass die sinkenden Werte belegen, dass die Nachtrunkbehauptung unwahr ist, da auch im Falle des Nachtrunks die Anflutungsphase zum Zeitpunkt der zweiten Blutprobenentnahme bereits beendet wäre und die „Abbauphase“ begonnen hätte.

Der Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrt lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit führen.“

Schon erstaunlich, dass das LG die verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Aussagen nicht einfach mit „unglaubhaft“ abgetan hat. Man darf gespannt sein, wie das AG damit umgeht.

Und: die erwähnte Entscheidung des LG Oldenburg hatte ich hier übrigens auch vorgestellt, und zwar hier.

Alkohol II: Umrechnung von Atemalkohol in eine BAK?, oder: Konvertierung wissenschaftlich nicht gesichert

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Und als zweite Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 06.09.2023 – 2 ORs 29/23. Das ist eine der „Alle Jahre wieder-Entscheidungen“, was bedeutet. Die behandelte Problematik ist an sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden, aber – alle Jahre wieder – muss dennoch ein Obergericht dazu Stellung nehmen. Es geht um die Darstellung des Messergebnisses der Atemalkoholkonzentration und um die Umrechnung von Atemalkohol in Blutalkohol.

In dem Verfahren ist der Angeklagte vom AG wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG hat die Berufung als unbegründet verworfen. Die Revision hatte dann beim KG Erfolg:

„1. Das Urteil des Landgerichts, das lediglich Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch (und zur Schuldfähigkeit) enthält, war schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgegangen ist und dementsprechend keine eigenen Feststellungen zur Tat getroffen hat.

a) Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen – unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts – zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist (vgl. BGHSt 27, 70; KG, Beschluss vom 7. Februar 2017 – [5] 121 Ss 4/17 [3/17] -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4).

b) Grundsätzlich gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (vgl. KG, Urteil vom 22. September 2014 – [4] 161 Ss 148/14 [203/14] –). Somit führt nicht jeder Mangel des infolge der Beschränkung grundsätzlich in Rechtskraft erwachsenen Teils des Urteils, insbesondere auch nicht jede Lücke in den Schuldfeststellungen, zur Unwirksamkeit der Beschränkung (vgl. KG aaO).

Die wirksame Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt jedoch voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht. Dies ist namentlich dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGHSt 33, 59; KG aaO und Beschluss vom 30. März 2012 – [2] 161 Ss 28/12 [7/12] – mwN). Die Beschränkung ist ferner insbesondere dann unwirksam, wenn auf der Grundlage der Feststellungen zum Schuldspruch überhaupt keine Strafe verhängt werden könnte (vgl. BGH NStZ 1996, 352; Senat, Beschluss vom 30. März 2012 – [2] 161 Ss 28/12 [7/12] – mwN).

c) Nach diesen Grundsätzen ist die von dem Angeklagten erklärte Beschränkung der Berufung unwirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind so unzureichend, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können. Sie tragen nicht die Annahme eines schuldhaft begangenen Diebstahls (§ 242 StGB).

2. Die vom Amtsgericht zur Tat getroffenen Feststellungen lauten wie folgt:

„Am 19. September 2022 gegen 14:15 Uhr riss der Angeklagte bei ‚Sat ‘, x, x Berlin, das Mobiltelefon der Marke ‚Sam G S 22 U ‘ für 1299 Euro aus der Befestigung, steckte es in seine rechte Jackentasche und verließ das Geschäft ohne die Ware zu bezahlen, um es für sich zu verwenden.

Die Tat wurde beobachtet und der Angeklagte wurde ergriffen. Das erbeutete Telefon wurde zurückgeführt. Der Angeklagte hatte zuvor Alkohol konsumiert. Eine um 14:58 Uhr genommene Atemalkoholmessung ergab einen Wert von 2,46 Promille.“

a) Rechtsfehlerhaft ist es, dass das Amtsgericht ohne nähere Erläuterung festgestellt hat, der Angeklagte habe eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration aufgewiesen. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung die in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 449/22 –, juris und vom 18. September 2019 – 2 StR 187/19 –, juris). Das Gericht hat also entweder nicht das konkrete Messergebnis (zur Frage einer direkten Konvertierbarkeit von AAK- in BAK-Werte vgl. auch BGHSt 46, 358, 362 ff.) oder aber irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und seiner (impliziten) Beurteilung der Schuldfähigkeit damit nicht ausschließbar einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt. Denn wenngleich eine Atemalkoholkonzentration von 0,25mg/l normativ einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ entspricht (§ 24a StVG), ist eine Umrechnung von Atemalkohol in Blutalkohol wissenschaftlich nicht gesichert und daher erst recht keine exakte Konvertierung möglich (vgl. dazu KG, Beschluss vom 3. März 2016 – (3) Ws (B) 106/16 – mwN, juris).

Mit Rücksicht darauf kommt es nicht infrage, die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit aufgrund von Messungen mithilfe von Atemalkoholtestgeräten festzustellen; vielmehr können deren Ergebnisse insoweit nur als Indiz herangezogen und ausschließlich  zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden, wenn andere verwertbare Ausgangsdaten zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit nicht zur Verfügung stehen, während eine Berücksichtigung zum Nachteil des Angeklagten ausscheidet (vgl. KG, Beschluss vom 24. September 2015 – (1) 121 Ss 157/15 (15/15) – mwN, juris). Letzteres ist hier zu besorgen, weil eine am Tattag um 14:58 Uhr entnommene Blutprobe möglicherweise einen noch höheren Wert ergeben hätte als die seinerzeit durchgeführte Atemalkoholmessung.

b) Das daneben vom Amtsgericht festgestellte „Leistungsverhalten“ des Angeklagten, das grundsätzlich zur Beurteilung der Schuldfähigkeit durch den Tatrichter herangezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 449/22 –, juris), beschränkt sich hier auf die Beschreibung des Tatgeschehens und erlaubt für sich keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Andernfalls geriete die Beweiswürdigung in die Gefahr des Zirkelschlusses, dass der zur Tat fähige Täter automatisch auch schuldfähig gewesen ist.“