Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

OWi I: Wenn standardisiert nicht standardisiert ist/sein soll, oder: Sachverständigengutachten

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag

In den starte ich mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 26.06.2020 – OLG 24 Ss 418120 (B) – , den mir der Kollege Steinmetz aus Leipzig übersandt hat.

Das AG hat den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt. Das OLG hebt auf wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung:

„Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters; ihm kann nicht vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Schlussfolgerung und Überzeugung kommen darf. Insoweit darf das Rechtsbeschwerdegericht die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht durch seine eigene ersetzen, sondern kann sie nur auf rechtliche Fehler überprüfen (vgl. BGH. Urteil vom 09. Februar 1957, Az.: 2 StR 508/56. BGHSt 10. 208). Fehlerhaft ist die Beweiswürdigung allerdings dann, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist. gegen Denkgesetze und Erfah¬rungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 1986. Az.: 2 StR 115/86. NStZ 1986, 373 Meyer-Goßner. StPO, 61. Aufl.. § 337 Rn. 26 ff.. m.w.Nachw., § 261 Rn. 38).
Hier ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts aufgrund der Urteilsgründe allerdings nicht nachvollziehbar.

Offenbar ging das Amtsgericht davon aus, dass es sich bei dem Messverfahren Traffi¬Phot III nicht um ein standardisiertes Messverfahren handelt, wenn der Abstand nebeneinander liegender Induktionsschleifen unter 1.20 m beträgt. Bereits zu dieser Problematik finden sich allerdings in der Urteilsbegründung keine nachvollziehbaren Ausführun¬gen. Jedenfalls bedarf es in diesem Fall aber des Gutachtens eines Sachverständigen dazu, ob und gegebenenfalls wie sich die Unterschreitung des Mindestabstands auf die Messung auswirkt (OLG Dresden, Beschluss vom 11. April 2019, Az.: OLG 23 Ss 166/19 (B), nicht veröffentlicht). Ein solches Gutachten liegt hier ausweislich der Urteilsgründe nicht vor.

Auch die weiteren Ausführungen des Amtsgerichts tragen zur Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung nicht bei. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher eigener Wahrnehmungen der als Zeuge vernommene Messbedienstete S. sollte festgestellt haben können, dass eine gegenseitige Beeinflussung der Induktionsschleifen nicht möglich sei. Diese Feststellung obliegt einem Sachverständigen. Dass die Angaben des Zeugen S. eventuell als sachverständige Stellungnahme zu werten sein könnten, ist jedenfalls nicht ersichtlich, da das Urteil keine Angaben zu dessen Fachkunde macht.“

Diesen zutreffenden Ausführungen ist mit der Einschränkung zu folgen, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens dann nicht bedarf, wenn die Beweisfrage vom Gericht aus eigener Sachkunde beantwortet werden kann. Dabei kann es sich beispielsweise um Kenntnisse aufgrund von Gutachten handeln, die in (anderen) gerichtlichen Verfahren erstattet worden sind. Die Urteilsgründe müssen aber dann Ausführungen enthalten, aus denen sich die Sachkenntnis des Gerichts ergibt (vgl. BGHSt 12, 18 ff.). Hieran fehlt es. Zwar schließt sich das Amtsgericht der Aussage des Zeugen S. an, wonach die den Mindestabstand unterschreitenden Induktionsschleifen an einen Detektorkanal angeschlossen seien und eine ge¬genseitige Beeinflussung nicht möglich sei. Ob dieser Schluss jedoch auf eigener Sachkunde des Gerichts, welche es etwa aus in anderen Verfahren erstellten Sachverständigengutachten erworben hat, beruht, wird nicht dargelegt. Erörtert wird auch nicht, woraus sich die Kenntnis des Zeugen S. ergeben soll, dass eine gegenseitige Beeinflussung bei Anschluss an einen Detektorkanal ausgeschlossen sei. Dass der Zeuge S. auch als sachverständiger Zeuge gehört worden ist, erschließt sich jedenfalls nicht.“

OWi III: Trunkenheitsfahrt, oder: Wie viel Whisky ist in „Whisky-Cola“?

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Und die dritte Entscheidung stammt dann auch vom OLG Hamm. Den OLG Hamm, Beschl. v.13.08.2020 – 3 RBs 145/20 – hat mir der Kollege Brüntrup aus Minden geschickt.

Das OLG hat in dem Beschluss ein Urteil des AG Minden aufgehoben. Das hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG – Trunkenheitsfahrt – verurteilt. Dem OLG gefällt vor allem die Beweiswürdigung des AG nicht. Die hatte auch schon der GStA nicht gefallen. Deren Ausführungen „rückt das OLG ein“:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 18.05.2020 ausgeführt:

„ …..die Urteilsgründe sind teils lückenhaft und teils widersprüchlich und verstoßen im Übrigen gegen § 17 Abs. 2 OWiG.

Will sich das Gericht dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen anschließen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden. Eine von dem herangezogenen Sachverständigen vorgenommene Rück- beziehungsweise Hochrechnung des maßgeblichen BAK-Wertes muss in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise mitgeteilt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2009 – 5 Ss 71/09).

Vorliegend geben die Urteilsgründe Entnahmezeit und Ergebnis der zweiten Blutprobe nicht an. Soweit entscheidend auf eine Blutprobe mit einer BAK von 1,18 Promille, die um 23.45 Uhr entnommen worden sei, ist nicht angegeben, ob diese die erste oder zweite Blutprobe darstellt, Ob die Berechnungen des Sachverständigen plausibel sind und sich das Gericht diesen zu Recht angeschlossen hat, kann der Senat daher nicht abschließend überprüfen,

Widersprüchlich sind die Urteilsausführungen, soweit das Gericht die Angaben des Betroffenen unverhohlen als Schutzbehauptungen einordnet, aber dennoch seinen Feststellungen einen auf diese Angaben zurückgehenden Sicherheitsabschlag zugrunde legt. Mag man dies noch als unschädlich ansehen, weil sich dieser Umstand zugunsten des Betroffenen auswirkt, so ist dann aber festzustellen, dass das Gericht der Berechnung des Sicherheitsabschlags einen nicht bestehenden Erfahrungssatz bezüglich Whiskey-Mischungen zugrunde legt, Ein Erfahrungssatz, dass man Whiskey-Cola-Gemische allenfalls mit 50 Prozent Whiskey herstellt, weil man sonst „den Whiskey auch gleich pur trinken“ könnte, ist jedenfalls hier nicht bekannt. Die Annahme eines nicht bestehenden Erfahrungssatzes macht die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62 Auflage, § 337 Rn 31).

Die Frage der rigiden Begrenzung auf einen hälftigen Whiskeyanteil ist dabei auch deshalb besonders prekär, weil schon ein minimal höherer Whiskeyanteil zur Unterschreitung der 0,5-Promillegrenze und damit zu einem Freispruch des Betroffenen geführt hätte.

Als widersprüchlich erweist sich zudem, wenn das Gericht von einer denkbar knappen Überschreitung des Grenzwerts von 0,5-Promille um 0,005 Promille ausgeht, jedoch keinen Anlass sieht, diesen Umstand bei der Zumessung der Geldbuße mildernd zu berücksichtigen, sondern stattdessen ausdrücklich angibt, mildernd zu berücksichtigende Umstände seien nicht ersichtlich.

Schließ/ich erweist sich das Urteil als rechtfehlerhaft, soweit das Amtsgericht eine Geldbuße von 1, 700,- € festgesetzt hat. Denn gemäß § 24 a Abs. 4 StVG i. V. m. § 17 Abs. 2 OWiG beträgt die maximale Geldbuße für einen fahrlässigen Verstoß der vorliegenden Art 1.500,- € (zu vgl. auch BeckOK OWiG/Euler, 26. Ed, 1.4.2020 § 24a Rn 12).“

Nichts wesentlich Neues, aber die Diktion des OLG „gefällt“. 🙂

Aussage-gegen-Aussage II: Keine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation bei Vorliegen weiterer Beweismittel

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, stammt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 06.11.2019 – (3) 121 Ss 160/19 (93/19) – das Vorliegen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstelattion verneint. Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen Körperverletzung. Das KG hat keine Einwände:

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.

a) Insbesondere hält die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Nachprüfung stand.

……

Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Dieses hat sich insbesondere sehr detailliert mit der – bereits in sich unschlüssigen – Einlassung des Angeklagten auseinandergesetzt, fand diese jedoch vor dem Hintergrund der Angaben des als Zeugen gehörten Nebenklägers K sowie der Zeugen S, J und S widerlegt. Dabei hat das Gericht insbesondere die Angaben des Nebenklägers einer kritischen Prüfung unterzogen.  Angesichts der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. E gewann die Strafkammer – wie sie in den Urteilsgründen ausführlich begründet – ferner die Überzeugung, dass das Verletzungsbild des Nebenklägers mit dessen Schilderungen des Geschehensablaufes in Einklang steht.

Es ist auch – anders als die Revision meint – kein Fall einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation gegeben. Eine solche liegt vor, wenn die Beweissituation dadurch geprägt ist, dass eine Tatschilderung des Zeugen von jener des Angeklagten abweicht, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsmuster zurückgegriffen werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 7. August 2019 – (3) 121 Ss 99/19 (58/19) -, juris; KG, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – (2) 161 Ss 150/18 (53/18) -, juris; OLG Hamburg NStZ 2015, 105; Sander StV 2000, 45; ders. in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 261 Rn. 83d, Schmandt StraFo 2010, 446). Dies ist hier nicht der Fall, da der Strafkammer in Gestalt der Angaben der Zeugen sowie des festgestellten Verletzungsmusters, zu dem auch der Sachverständige gehört wurde, sachliche Beweismittel zur Verfügung standen, die die Angaben des Geschädigten bestätigten. Die von der Rechtsprechung für Aussage-gegen-Aussage-Konstellation aufgestellten besonderen Anforderungen an die Beweiswürdigung, wonach insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben zu fordern ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2019 – 2 StR 462/18 –, juris m.w.N.), finden daher hier keine Anwendung.“

Aussage-gegen-Aussage I: Würdigung des Glaubwürdigkeitsgutachtens, oder: Handreichungen

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In die 38. KW. starte ich hier mit zwei Entscheidungen zu einer Beweiswürdigungsfrage, und zwar zur Aussage-gegen-Aussage-Problematik.

Den Beginn macht der BGH, Beschl. v. 19.05.2020 – 2 StR 7/20. Der Entscheidudng liegt ein Urteil des LG Gera zugrunde, durch das der Angeklagte u.w. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist. Der BGh hebt auf und beanstandet die Beweiswürdigung:

„Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte seinen im Dezember 2008 geborenen Stiefsohn M. in drei Fällen sexuell. Die Strafkammer stützt dies allein auf die Angaben des Jungen bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung, die dieser später widerrufen hat. Dabei hat sich die Strafkammer hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Tatopfers und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben sachverständig beraten lassen.

2. In Fällen, in denen – wie hier – Aussage gegen Aussage steht, hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15, Rn. 11) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15, Rn. 11 mwN). Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 98/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03, Rn. 8), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, Rn. 9; Urteil vom 7. Februar 2018 – 2 StR 447/17, Rn. 8).

3. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Insbesondere ist die Würdigung des eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachtens widersprüchlich und lückenhaft.

a) Ausweislich der in die Urteilsgründe einkopierten Auszüge aus dem schriftlich abgefassten aussagepsychologischen Gutachten (welches die Sachverständige „entsprechend mündlich inhaltlich referiert“ habe), hat die Sachverständige ausgeführt, dass die Nullhypothese, die Angaben von M. enthielten keine hinreichenden Hinweise auf eine Erlebnisfundiertheit und dementsprechende Glaubwürdigkeit, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurückgewiesen werden könne. Es seien erhebliche Einschränkungen in seinem Bemühen um die Objektivität seiner Angaben erkennbar und er zeige die Bereitschaft zu Falschaussagen. Dies begründe nachhaltige Zweifel an seiner Zeugentauglichkeit.

b) Hierzu führen die Urteilsgründe sodann aus: „Den grundsätzlichen Darlegungen der Sachverständigen nicht zu folgen, hatte die Kammer keine Veranlassung. Wie bereits ausgeführt, geht die Kammer davon aus, dass das geschädigte Kind jedenfalls noch bei seiner ersten Befragung […], da völlig unbeeinflusst und teils spontan mit unerwarteten Details aufwartend sowie unter Schilderung von originellen Details und Interaktionen, von tatsächlich mit dem Angeklagten erlebten sexuellen Erfahrungen berichtet hat.“ Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung missverstanden und folglich unzutreffend in eine Gesamtwürdigung einbezogen hat, oder dass sie sich ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten über dessen Ergebnis hinweggesetzt hat. Beides ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine von einem Sachverständigengutachten abweichende eigene Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Belastungszeugen vornimmt, denn er ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet. Weicht der Tatrichter mit seiner Beurteilung von einem Sachverständigengutachten ab, muss er sich jedoch konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen und seine Auffassung tragfähig sowie nachvollziehbar begründen, um zu belegen, dass er mit Recht das bessere Fachwissen für sich in Anspruch nimmt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. September 2008 – 3 StR 302/08, Rn. 5 mwN). Jedenfalls dies ist im gegebenen Fall nicht in ausreichender Weise geschehen.“

Und dann gleich noch ein paar Handreichungen für das Schreiben von Urteilen, nach dem Motto: So hätten wir es gern.

„a) Eine wörtliche Wiedergabe umfangreicher Vernehmungsprotokolle in den Urteilsgründen allein auf der Grundlage von Vorhalten gegenüber dem jeweiligen Vernehmungsbeamten ist schon für sich genommen rechtlich bedenklich. Mit Blick auf den Inhalt der über mehrere Seiten referierten Angaben des Tatopfers auf entsprechende Fragen des Vernehmungsbeamten (UA 17 bis 19) besteht im vorliegenden Fall ferner Anlass zu dem Hinweis, dass die Wertung des Landgerichts, die Mitteilungen des Geschädigten (gegenüber dem Vernehmungsbeamten) seien „teils überraschend und spontan erfolgt und daher glaubhaft“, näherer Erläuterung bedurft hätte.

b) Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, ein auch im Übrigen den Anforderungen des § 267 StPO genügendes Strafurteil abzufassen (zur gebotenen Klarheit in Sprache und Darstellung vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff., 228 ff.). Insbesondere bei einer umfangreicheren Beweiswürdigung ist darauf Bedacht zu nehmen, diese durch eine erkennbare Struktur – etwa eine Gliederung – klar und nachvollziehbar zu machen; ist eine Beweiswürdigung unstrukturiert, kann allein dies den Bestand eines Urteils gefährden (BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 271/99). Die schriftlichen Urteilsgründe sollen in allgemein verständlicher und sachlicher Form abgefasst sein (Senat, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 435/08, NStZ-RR 2009, 103, 104). Ein klarer sprachlicher Ausdruck dient – wie eine Gliederung – der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 18. April 1994 – 5 StR 160/94, NStZ 1994, 400; vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19, Rn. 4). So finden auch Eigentümlichkeiten in Sprache und Gedankenführung in tatrichterlichen Urteilen (hier z.B. UA 23 mittlerer Absatz) ihre Grenzen in den aus den §§ 261, 267 StPO folgenden gesetzlichen Anforderungen.“

 

StPO I: Vorhalt eines Vernehmungsprotokolls, oder: Beweiswürdigung/Aussagekonstanz

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In die heute beginnende 36. KW. starte ich mit zwei OLG-Entscheidungen zu StPO-Fragen.

Zunächst komme ich noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.07.2020 – 1 Ss 90/20 – zurück, den mir der Kollege Koop aus Lingen geschickt hat. Ich hatte ihn ja bereits wegen der Frage der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung vorgestellt (vgl. hier Beweisantrag III: Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages wegen Prozessverschleppung, oder: Nicht erst im Urteil).

Das OLG hat in dem Beschluss aber auch noch einen weiteren Punkt angesprochen, und zwar einen in der Hauptverhandlung gemachten Vorhalt. Auch insoweit war die Revision erfolgreich:

„2. Darüber hinaus rügt die Revision zu Recht eine Verletzung von § 261 StPO durch die Heranziehung des Ermittlungsberichts des Zeugen pp. im Rahmen der Prüfung der Konstanz seiner Aussage.

a) Die Rüge ist in zulässiger Weise erhoben. Die Revision macht geltend, der Ermittlungsbericht habe allein dann herangezogen werden dürfen, wenn er im Wege der Verlesung gemäß § 249 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt worden wäre. Ein Vorhalt allein reiche nicht aus. indessen habe das Landgericht diesen Urkundenbeweis nicht erhoben. Angesichts dieser Zielrichtung der Rüge ist es unschädlich, dass die Revisionsbegründung nicht mitteilt, ob in der Berufungshauptverhandlung ein Vorhalt aus dem Ermittlungsbericht an den Zeugen pp. erfolgt ist.

b) Auch in der Sache hat die Rüge Erfolg.

Zwar ist es grundsätzlich zulässig, einem Zeugen Protokolle über seine frühere Vernehmung oder von ihm stammende Urkunden vorzuhalten und sie auf diese Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Der Tatrichter darf seiner Beweiswürdigung aber nur das zu Grunde legen, was auf den Vorhalt hin von dem Zeugen bekundet wird (vgl. LR-Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rz. 93).

Ein solcher Vorhalt ist deshalb nicht zulässig, wenn es gerade um die sich aus der Aussagekonstanz ergebende Glaubwürdigkeit des Zeugen geht. Denn anderenfalls würde der Versuch unternommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen mit der Glaubhaftigkeit seiner eigenen Aussage zu stützen, ohne dass eine weitere Vergleichsgröße herangezogen würde. Das aber wäre ein Zirkelschluss. Um die Aussagekonstanz zu begründen, bedarf es einer prozessordnungsgemäßen Einführung, die etwa im Falle eines polizeilichen Protokolls über eine Zeugenaussage durch eine Vernehmung des aufnehmenden Polizeibeamten, unter den Voraussetzungen des § 251 StPO auch durch die Verlesung des Protokolls (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 20.09.2004, 2 Ss 354/04, bei juris), oder durch Verlesung einer wie vorliegend – von der Auskunftsperson selbst stammenden Urkunde nach § 249 StPO vorzunehmen ist.

c) Da sich das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des einzigen Belastungszeugen neben der Tatsache, dass es sich um ein punktuelles und deshalb zuverlässig reproduzierbares Ereignis handelt, auch auf die Aussagekonstanz stützt, kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler ebenfalls nicht ausschließen.“