Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

Vorbeifahren an stehendem Kfz mit geöffneter Tür, oder: Ausreichender Sicherheitsabstand

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier noch ein landgerichtliches Urteil, und zwar das LG Saarbrücken, Urt. v. 15.02.2024 – 13 S 28/23.

Es geht um die Schadensabwägung nach einem Verkehrsunfall. Die Zeugin pp. hielt mit dem Fahrzeug des Klägers auf einer Straße  am Straßenrand vor einer Sparkassenfiliale an. Die Beklagte zu 2) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug Straße  in gleicher Richtung. Während die Zeugin  auf der Fahrerseite aus dem Fahrzeug ausstieg, kam es zu einer Kollision.

Der Kläger hat behauptet, die Zeugin  habe sich zunächst nach Rückschau in den linken Außenspiegel versichert, dass sich von hinten kein Fahrzeug nähere. Da die Straße frei gewesen sei, sei sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Kollision bereits außerhalb des Fahrzeugs befunden, habe in der halb geöffneten Tür gestanden und sei dabei gewesen, ihre Handtasche aus dem Fahrzeug zu nehmen. Die Beklagte zu 2) sei zu dicht vorbeigefahren und habe dabei die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs beschädigt.

Das AG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen. Die Zeugin  habe gegen die sie treffenden Sorgfaltsanforderungen gemäß § 14 StVO verstoßen. Wenn diese gerade im Moment der Vorbeifahrt der Beklagten zu 2) ihre Fahrzeugtür geöffnet habe, liege ein Verstoß gegen § 14 StVO darin, dass sie den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet habe. Auch unter der Annahme der eigenen Angaben der Zeugin, nach denen sie das Fahrzeug verlassen habe und noch in der geöffneten Fahrzeugtür gestanden habe, um etwas aus dem Auto zu nehmen, sei ein Verstoß gegen § 14 StVO zu bejahen. Der Unfall sei dann in dem Zeitrahmen, in dem die Zeugin noch die besonderen Pflichten nach § 14 StVO getroffen haben, erfolgt. Ein Pflichtverstoß der Beklagten zu 2) nach §§ 1, 3, 4 StVO sei dagegen nicht bewiesen. Es sei insbesondere nicht bewiesen, dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers passiert habe, als die Tür bereits geöffnet und sie deshalb zu besonderer Sorgfalt nach § 1 StVO aufgefordert gewesen sei. Die Beklagte zu 2) habe bestätigt, dass sie das Fahrzeug nicht wahrgenommen habe, und der Sachverständige habe aus technischer Sicht nicht rekonstruieren können, ob die Tür bei der Kollision bereits geöffnet gewesen sei oder deren Öffnung erst währenddessen erfolgt sei. Aufgrund der festgestellten Geschwindigkeit von 40 km/h stehe auch keine Geschwindigkeitsüberschreitung fest. Ebenso sei ein zu geringer Seitenabstand nicht bewiesen. Zwar sei die Beklagte zu 2) nur mit einem Abstand von 69 cm an dem parkenden Fahrzeug vorbeigefahren. Dies genüge jedoch in der vorliegenden Situation. Im Rahmen der Abwägung trete sodann die Betriebsgefahr auf Beklagtenseite zurück.

Dagegen die Berufung des Klägers. Die hatte teilweise Erfolg.

Das LG kommt zu folgenden Leitsätzen:

1. Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.

2. Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist die Haftung des Aussteigenden auf die Betriebsgefahr beschränkt, wenn die Fahrerin des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür zu sehen ist, ohne dass sich die Unfallgegnerin besonders rücksichtslos verhalten hat (siehe zur dieser Abgrenzung das LG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2023 – 13 S 8/23).

Und dann wird wie folgt verteilt:

„5. Mithin ist beiden Seiten ein Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Der der Beklagtenseite anzulastende Verkehrsverstoß überwiegt jedoch bei Abwägung der beiden Ursachenbeiträge, sodass eine Quote von 80% zu deren Lasten angemessen erscheint. Die Zeugin — war aufgrund der gut einsehbaren Straße ohne Weiteres zu erkennen. Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hätte sich auch unproblematisch auf die Situation einstellen können, da der gesamte Aussteigevorgang schon mindestens 10 Sekunden andauerte, wenn sie aufmerksam gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist die Haftung der Klägerseite auf die Betriebsgefahr beschränkt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 29. Mai 2008 – 2 U 19/08 –, juris, Rn. 14).

Unfallschadenregulierung beim E-Auto-Unfall, oder: Merkantiler Minderwert

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Es ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und an dem stelle ich heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.09.2024 – 8 O 4990/23 – zur Bemessung des merkantilen Minderwerts bei E-Autos. Das LG nimmt zu Bemessung wie folgt Stellung:

„b) Ferner hat der Kläger Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts des Fahrzeuges in Höhe von 3.750,00 €.

Das Gericht folgt bei der Bezifferung des merkantilen Minderwerts nicht der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Dieser nahm eine Berechnung des Minderwerts auf Grundlage der gängigen Modelle BVSK, MFM (“Marktrelevanz- und Faktorenmethode“) und Halbgewachs vor und kam so zu einem Betrag von lediglich 2.500,00 € (für November 2023). Die vom Sachverständigen hinzugezogenen Modelle wurden für konventionelle Verbrenner-Fahrzeugen entwickelt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich jedoch um einen VW ID 4, also ein Fahrzeug mit ausschließlich batterieelektrischem Antrieb. Die Brutto-Reparaturkosten dieses sog. Elektroautos (“E-Auto“), welchen der Sachverständige mit einem Händlerverkaufswert von 42.125,00 € bezifferte, lagen bei über 19.000,00 €. Auch wenn „nur“ der Heckbereich des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen wurde, führt ein solch hoher Schaden nach Einschätzung des Gerichts zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potentieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt. Zu sehen ist, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeit von Fahrzeugen mit elektronischen Antriebs- und Steuerungssystemen, die erst seit wenigen Jahren markttauglich sind, geringer ausgeprägt ist, als ein solches in die Reparaturmöglichkeit von konventionellen Verbrenner-Fahrzeugen. Mit anderen Worten: Die Skepsis eines potentiellen Käufers eines E-Autos, dass ein großer Unfallschaden „nicht richtig“ behoben werde kann bzw. konnte, ist (zumindest heute) größer, als diejenige eines potentiellen Käufers eines Verbrenner-Fahrzeuges. Der E-Fahrzeug-Käufer wird sich daher tendenziell eher einem unfallfreien Fahrzeug zuwenden als derjenige eines Verbrenner-Fahrzeuges. Die Wertminderung muss daher höher ausfallen, um den Mangel an Attraktivität auszugleichen.

Das Gericht schätzt mithin gem. § 287 ZPO, dass die Wertminderung eines Elektroautos um etwa 50% höher ist als die vergleichbare Wertminderung eines Verbrenner-Fahrzeuges.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht daher von einem merkantilen Minderwert von 3.750,00 € aus. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, dass der Halter des Fahrzeuges wenige Monate nach dem Unfall gegenüber der V. AG einen deutlich niedrigeren Kaufpreis durchsetzen konnte, obwohl das Fahrzeug zwischenzeitlich in einer Fachwerkstatt repariert worden war.

Entgegen der klägerischen Auffassung kommt es hingegen auf den realisierten Wertverlust nicht an. Dieser hängt unter anderem vom Verhandlungsgeschick des Verkäufers ab. Auch die allgemeine Markt- und Wirtschaftslage und sogar die Jahreszeit können sich auf den Verkaufspreis auswirken.“

Verkehrsrecht II: Rückwärtsfahren mit 0,46 BAK, oder: Fahruntüchtiges oder unvorsichtiges Fahren?

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Als zweite Entscheidung dann der LG Berlin I, Beschl. v. 10.01.2025 – 520 Qs 67/24 – zur Problematik: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen relativer Fahruntüchtigkeit/alkoholbedingter Ausfallerscheinung? Das LG Berlin I hat nein gesagt:

„Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg.

Die für eine vorläufige Entziehung gemäß § 111a StPO erforderlichen dringenden Gründe für die Annahme, dem Beschwerdeführer werde im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen sind derzeit nicht gegeben.

Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB setzt voraus, dass der Täter „infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen“. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,46 %o. Gemäß der Sachverhaltsdarstellung der Polizei sei der Beschuldigte an einer rotabstrahlenden Lichtzeichenanlage rückwärts gefahren, um einen Bekannten am Straßenrand zu grüßen. Hierbei sei er in das etwa 1,5 m hinter ihm stehende Fahrzeug des Zeugen pp. hineingefahren und habe dieses beschädigt. Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z.B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z.B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist. Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Insbesondere konnten solche auch durch die Polizei nicht festgestellt werden, zumal der ärztliche Bericht über die Blutentnahme vom 30.10.2024 ausführt, dass eine Beeinflussung durch Alkohol nicht merkbar sei. Vielmehr handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen nicht alkoholbedingten Fahrfehler durch Außerachtlassung der straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten.“

Verkehrsrecht I: Aufrechterhaltung einer Sperrfrist, oder: Neue einheitliche oder isolierte Sperrfrist?

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In die 11. KW/2025 geht es dann mit zwei verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Die erste kommt vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 18.122024 – 3 StR 462/24. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen BtM-Delikten. Das LG hat den Angeklagten insoweit „unter Einbeziehung der Strafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Leer vom 29. März 2022 (Az. 604 Cs 388/22 (420 Js 33437/21)) . Zudem hat es die Anordnung einer Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Leer vom 29.03.2022 aufrechterhalten und eine weitere isolierte Sperrfrist von drei Jahren verhängt.

Die Revision des Angeklagten hat in der Hauptsache keinen Erfolg. Aber:

„Die Aufrechterhaltung der Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Leer hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Dazu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift das Folgende ausgeführt:

„1. Wurde bereits in der früheren Entscheidung auf Entziehung der Fahrerlaubnis oder – wie vorliegend – auf eine (gegebenenfalls nur isolierte) Sperrfrist erkannt, ist danach zu unterscheiden, ob auch die neu abzuurteilenden Taten die Anordnung einer solchen Maßregel nach §§ 69, 69a StGB gestatten oder nicht. Im letzteren Fall ist die in der einzubeziehenden Entscheidung ausgesprochene Maßregel nach § 55 Abs. 2 StGB aufrechtzuerhalten, sofern sie sich nicht durch die neue Entscheidung oder im Fall der Sperrfrist durch Zeitablauf erledigt hat und damit gegenstandslos geworden ist. Sind hingegen auch bei der neu abzuurteilenden Tat – wie vorliegend auf Grund des jeweils tateinheitlich verwirklichten vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis – die Voraussetzungen der Maßregeln der §§ 69, 69a StGB gegeben, ist der Gesamtstrafenrichter grundsätzlich an die Rechtskraft der früheren Maßregelentscheidung nicht mehr gebunden. Er hat vielmehr eine neue einheitliche Sperre festzusetzen, welche die frühere Sperre im Sinne des § 55 Abs. 2 StGB gegenstandslos werden lässt, weil sie ihrer Wirkung nach in den Rechtsfolgen enthalten ist, die in der neuen Entscheidung angeordnet werden. Jedoch beginnt sie mit der Rechtskraft der früheren Entscheidung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 – 4 StR 1/20, juris Rn. 5; LK/Valerius, StGB, 14. Auflage, § 69a Rn. 78 ff. mwN; MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Auflage 2020, StGB § 55 Rn. 47 mwN). Im vorliegenden Fall besteht indes zusätzlich die Besonderheit, dass die in dem einzubeziehenden Strafbefehl des Amtsgerichts Leer vom 29. März 2022 (rechtskräftig seit dem 29. April 2022) angeordnete Sperre von einem Jahr zum Zeitpunkt des Urteils der Strafkammer (17. Juni 2024) bereits abgelaufen war. Daher musste das Landgericht wegen der neu abzuurteilenden Taten – das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 69, 69a StGB hat es rechtsfehlerfrei bejaht – eine selbstständige Sperre verhängen, wobei die Dauer der bereits verstrichenen und die Dauer der neu festzusetzenden (zeitigen) Sperre zusammen fünf Jahre nicht übersteigen durfte (vgl. hier-zu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. September 1990 – 5 Ss 277/90 – 111/90, NZV 1991, 317; LK/Valerius, StGB, 14. Auflage, § 69a Rn. 78 ff. mwN; MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Aufl. 2020, StGB § 69a Rn. 36).

2. Dies zu Grunde gelegt, geht die Aufrechterhaltung der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Leer vom 29. März 2022 verhängten isolierten Sperrfrist von einem Jahr durch die Strafkammer fehl. Denn zum einen hat sie sich durch Zeitablauf bereits erledigt, zum anderen wäre selbst bei noch laufender Sperrfrist auf Grund des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verhängung einer Maßregel nach §§ 69, 69a StGB auch hinsichtlich der abgeurteilten Taten eine neue einheitliche Sperre festzusetzen gewesen. Der insoweit im Tenor erfolgte Ausspruch über die Aufrechterhaltung hat daher zu entfallen.

3. Zutreffend hat das Landgericht jedoch eine neue isolierte Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) von drei Jahren verhängt. Auf Grund der Formulierung, das Landgericht erachte eine solche von „noch“ drei Jahren für ausreichend und erforderlich, kommt dies hinreichend zum Ausdruck. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer isolierten Sperre hat die Strafkammer angesichts der einschlägigen Vorstrafen und der Umstände des Tatgeschehens rechtsfehlerfrei bejaht (UA S. 47 f.; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. März 2020 – 4 StR 544/19, juris Rn. 18).“

Hier dann also mal der 3. Strafsenat des BGH zur Sperrfrist und nicht der sonst „sonderzuständige“ 4. Strafsenat.

Fahrerlaubnisentziehung II: Betrunkener Radfahrer, oder: Bindung an den Strafbefehl

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Im zweiten Posting geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar nach einer mit einem Strafbefehl geahndete Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung be-antragt (§ 80 Abs. 5 VwGO). Sein Antrag hatte keinen Erfolg.

Der VGH Baden-Württemberg führt im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.2.2025 – 13 S 1513/24 – zunächst aus, dass auch betrunkene Radfahrer ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinn von §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV sein können.  Daher sein die Gutachtenanforderung rechtmäßig gewesen. Denn habe ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalko-holkonzentration von 0,8 ng/l oder mehr geführt, könne die Fahrerlaubnisbehörde das auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad anordnen.

Und dann führt er zu dem Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf den Strafbefehl aus:

„Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 – xx – hat der Antragssteller am 03.10.2023 gegen 22.20 Uhr ein Fahrrad geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig war. Die am 03.10.2023 entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille.

Mit seinem Vorbringen, der im Strafbefehl des Amtsgerichts K. festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu, weil er mit dem Fahrrad nicht gefahren sei, sondern es geschoben habe, jedenfalls könne aber ein Beweis, dass er mit dem Fahrrad alkoholisiert gefahren sei, nicht sicher geführt werden, sodass der Beschluss des Verwaltungsgerichts unter Verletzung von Beweisregeln (Grundsatz „in dubio pro reo“) ergangen sei, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.

Zwar kennt das geltende Fahrerlaubnisrecht eine strikte, sich zu Ungunsten des Betroffenen auswirkende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige straf- bzw. bußgeldrechtliche Entscheidungen lediglich in besonders geregelten, hier nicht einschlägigen Fällen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Im Übrigen entfalten Strafurteile, Strafbefehle und Bußgeldbescheide nach § 3 Abs. 4 StVG Bindungswirkung ausschließlich zu Gunsten des Betroffenen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es einem Fahrerlaubnisinhaber unbenommen bleibt, in fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen, der Sachverhalt sei für ihn vorteilhafter, als dies das Strafgericht oder die Bußgeldbehörde angenommen habe. Dies übersieht der Antragsgegner, wenn er unter Berufung auf § 3 Abs. 4 StVG pauschal meint, es sei ihm nicht möglich, die Rechtmäßigkeit eines abgeschlossenen Strafverfahrens zu prüfen (Schriftsatz vom 20.08.2024 im erstinstanzlichen Verfahren, auf den die Beschwerdeerwiderung vom 25.10.2024 Bezug nimmt). Allerdings muss ein Fahrzeugführer in einem Fahrerlaubnisverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.09.1992 – 11 B 22.92 – juris Rn. 3, Urteil vom 12.03.1985 – 7 C 26.83 – juris Rn. 14; Beschluss des Senats vom 22.02.2023 – 13 S 2569/22 – n. v.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 – 10 S 1491/15 – juris Rn. 6, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 34). Mit diesem grundsätzlichen Vorrang der strafgerichtlichen vor verwaltungsbehördlichen Feststellungen sollen überflüssige, aufwändige und sich widersprechende Doppelprüfungen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis begründet das Vorrangverhältnis eine Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen, substantiierte und gewichtige Hinweise für eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen vorzubringen, wenn er diese im Verwaltungsverfahren nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. Beschluss des Senats vom 22.02.2023 a. a. O; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 a. a. O.; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 19.08.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 13).

Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, substantiierte und gewichtige Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 zu geben.

Vom Ansatz her zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen (S. 13 des Beschlussabdrucks), dass der Vortrag des Antragstellers, es gebe keinen Beweis dafür, dass er entgegen seiner Darstellung mit dem Fahrrad gefahren sei, eine realistische Auseinandersetzung mit dem dargestellten Geschehensablauf im Polizeibericht des Polizeireviers K. vom 03.10.2023 vermissen lasse. Danach ist Anlass der Polizeikontrolle gewesen, dass die Polizei durch einen Taxifahrer (der Zeuge C. K., s. Strafanzeige vom 27.10.2023) verständigt wurde, weil dieser einen betrunkenen Fahrradfahrer gesehen hatte. Der Zeuge gab gegenüber der eingetroffenen Polizeibeamtin (EPHM`in C.) an, er habe beobachtet, wie der Antragsteller die S.straße in Richtung K.straße befahren habe. Der Antragsteller sei dabei auf dem Radweg gefahren, der auf der Höhe des Geldautomaten auf den Gehweg direkt neben dem Geldautomaten führe. Auf dem Gehweg sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert, sodass er zum Stehen gekommen sei und von seinem Fahrrad habe absteigen müssen. Anschließend sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad (schiebender Weise) zu dem Geldautomaten der Volksbank getaumelt, wo er – laut Polizeibericht – durch die hinzukommenden Polizeibeamten einer Kontrolle unterzogen wurde. Zwar wurden die mündlichen Angaben des Zeugen nicht (wörtlich) protokolliert und hat er seine – allerdings nicht in der Fahrerlaubnisakte befindliche – nachgereichte E-Mail trotz entsprechender Aufforderungen nicht weiter präzisiert. Jedoch hat der Antragsteller substantiierte Hinweise darauf, dass der Zeuge durch falsche Informationen einen Polizeieinsatz ausgelöst oder gegenüber der Polizeibeamtin unzutreffende (mündliche) Angaben gemacht haben sollte, nicht vorgebracht. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass der Zeuge aus persönlichen Gründen den Antragsteller zu Unrecht belastet haben könnte. Ebenso wenig ist erkennbar oder dargelegt, dass der Polizeibericht den Inhalt der Befragung des Zeugen unzutreffend wiedergegeben haben könnte. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass es auf Grund der Örtlichkeiten und Sichtverhältnisse nicht möglich gewesen sei, dass der Zeuge ihn an der behaupteten Stelle gesehen haben könne, wird dies nicht weiter nachvollziehbar dargelegt und entspricht auch nicht den aus Google-Street-View zu gewinnenden Erkenntnissen (zur Heranziehung solcher als allgemein bekannt bzw. zugänglich verwertbaren Erkenntnisse im gerichtlichen Verfahren vgl. FG Hamburg, Urteil vom 05.02.2015 – 3 K 45/14 – juris Rn. 33 m. w. N.). Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen, es gebe auf dem ganzen Weg, den er am 03.10.2023 zurückgelegt habe, keinen Pfosten, die Ausführungen im Polizeibericht in Frage stellen möchte, dass er auf dem Gehweg direkt neben den Geldautomaten mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert sei. Der entsprechenden Google-Street-Ansicht lässt sich vielmehr entnehmen, dass in unmittelbarer Nähe des Geldautomaten der Volksbank vier Begrenzungspfosten zwischen Gehweg und dem angrenzenden E.-G.-Platz angebracht sind.

Daneben hält der Senat – ebenso wie das Verwaltungsgericht – das Vorbringen des Antragstellers, warum er das Fahrrad nur geschoben habe, damit aber nicht gefahren sei, für wenig plausibel. Es liegt zunächst fern, dass jemand, der – wie vom Antragsteller geltend gemacht – von seiner Wohnung aufbricht, um an einem Geldautomaten Bargeld abzuholen, den etwa 1 km langen Weg zu Fuß zurücklegt und dabei ohne nachvollziehbaren Grund für das Mitführen des Fahrrads dessen nutzloses Schieben in Kauf nimmt. Der Antragsteller, der zunächst mit Schreiben vom 16.03.2024 gegenüber dem Antragsgegner ohne nähere Begründung ausführte, er habe das Fahrrad geschoben, machte erstmals im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 und dann im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend, er habe bei der Ausfahrt der Tiefgarage seiner Wohnung bemerkt, dass das Licht am Fahrrad nicht gegangen sei, und es deswegen geschoben. Nachdem das Verwaltungsgericht diesbezüglich zutreffend davon ausgegangen ist, dass diese Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers nicht erkläre, weshalb er nach Bemerken des defekten Lichts das Fahrrad nicht zurück in die Tiefgarage gebracht habe und sich von vornherein zu Fuß auf den Weg gemacht habe, macht der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung geltend, dass das Licht „etwas flatterte“, sodass er nicht habe ganz einordnen können, ob die fehlende volle Funktionstauglichkeit des Fahrrads vorübergehender Natur gewesen sei, weswegen er es „in diesem Dilemma“ geschoben habe. Dieses wechselnde und jeweils angepasste Erklärungsverhalten des Antragstellers ist wenig glaubhaft und nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. in Frage zu stellen. Es kommt hinzu, dass es für den Senat wenig nachvollziehbar ist, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen bereit war, mit über zwei Promille Fahrrad zu fahren, hiervon aber wegen des „etwas flatternden“ Lichts abgesehen haben will, weil er sich rechtstreu verhalten wollte.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers bestehen auch deswegen, weil er durchgängig (etwa persönliches Schreiben vom 16.03.2024 und Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht) angegeben hat, er trinke selten Alkohol, weswegen er am Tattag die Wirkung seines Alkoholkonsums unterschätzt habe (persönliches Schreiben vom 16.03.2024) bzw. es für ihn umso ärgerlicher gewesen sei, ausgerechnet mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen zu sein (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht). Denn die bei dem Antragsteller festgestellte (hohe) Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille deutet auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten, eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und eine dauerhafte, ausgeprägte Alkoholproblematik hin (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.03.2021 – 3 C 3.20 – juris Rn. 312 und vom 21.05.2008 – 3 C 32.07 – juris Rn. 14; Beschlüsse des Senats vom 07.02.2024 – 13 S 1495/23 – juris Rn. 7 und vom 06.11.2023 a. a. O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.10.2022 – 1 M 148/22 – juris Rn. 42; BayVGH, Beschluss vom 25.06.2019 – 11 ZB 19.187 – juris Rn. 14; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl., S. 248 ff.), mit denen sich die Angaben des Antragstellers, er trinke selten Alkohol, schwerlich in Einklang bringen lassen.

Der Senat nimmt schließlich in den Blick, dass der Antragsteller gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 keinen Einspruch eingelegt hat. Die hierfür von dem Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren vorgetragene Begründung, er habe „wegen Rechtsirrtum“ keinen Einspruch eingelegt, weil er angenommen habe, dass „sich die Angelegenheit durch die Zahlung erledige“, und er sei nicht davon ausgegangen, dass „seine Fahrerlaubnis durch den rechtskräftigen Strafbefehl gefährdet sein könnte“, vermag – auch vor dem Hintergrund der im Strafbefehl verhängten Gesamtgeldstrafe von 1.000,– EUR – den Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Fall, dass der Antragsteller das Fahrrad tatsächlich nur geschoben, aber nicht gefahren haben sollte, nicht plausibel zu erklären. Wenn die im Strafbefehl getroffenen Feststellungen für den Antragsteller ohne weiteres erkennbar unzutreffend gewesen wären, wäre es – auch wegen des im Strafprozess geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ – naheliegend gewesen, sich gegen einen solchen ungerechtfertigten Vorwurf zu wehren.

In Zusammenschau all der aufgezeigten Umstände enthält das Vorbringen des Antragstellers keine hinreichend gewichtigen und substantiierten Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen im Strafbefehl. Der Antragsgegner konnte damit den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 der Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV zu Grunde legen.