Im zweiten Posting geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar nach einer mit einem Strafbefehl geahndete Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung be-antragt (§ 80 Abs. 5 VwGO). Sein Antrag hatte keinen Erfolg.
Und dann führt er zu dem Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf den Strafbefehl aus:
„Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 – xx – hat der Antragssteller am 03.10.2023 gegen 22.20 Uhr ein Fahrrad geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig war. Die am 03.10.2023 entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille.
Mit seinem Vorbringen, der im Strafbefehl des Amtsgerichts K. festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu, weil er mit dem Fahrrad nicht gefahren sei, sondern es geschoben habe, jedenfalls könne aber ein Beweis, dass er mit dem Fahrrad alkoholisiert gefahren sei, nicht sicher geführt werden, sodass der Beschluss des Verwaltungsgerichts unter Verletzung von Beweisregeln (Grundsatz „in dubio pro reo“) ergangen sei, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.
Zwar kennt das geltende Fahrerlaubnisrecht eine strikte, sich zu Ungunsten des Betroffenen auswirkende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige straf- bzw. bußgeldrechtliche Entscheidungen lediglich in besonders geregelten, hier nicht einschlägigen Fällen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Im Übrigen entfalten Strafurteile, Strafbefehle und Bußgeldbescheide nach § 3 Abs. 4 StVG Bindungswirkung ausschließlich zu Gunsten des Betroffenen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es einem Fahrerlaubnisinhaber unbenommen bleibt, in fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen, der Sachverhalt sei für ihn vorteilhafter, als dies das Strafgericht oder die Bußgeldbehörde angenommen habe. Dies übersieht der Antragsgegner, wenn er unter Berufung auf § 3 Abs. 4 StVG pauschal meint, es sei ihm nicht möglich, die Rechtmäßigkeit eines abgeschlossenen Strafverfahrens zu prüfen (Schriftsatz vom 20.08.2024 im erstinstanzlichen Verfahren, auf den die Beschwerdeerwiderung vom 25.10.2024 Bezug nimmt). Allerdings muss ein Fahrzeugführer in einem Fahrerlaubnisverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.09.1992 – 11 B 22.92 – juris Rn. 3, Urteil vom 12.03.1985 – 7 C 26.83 – juris Rn. 14; Beschluss des Senats vom 22.02.2023 – 13 S 2569/22 – n. v.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 – 10 S 1491/15 – juris Rn. 6, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 34). Mit diesem grundsätzlichen Vorrang der strafgerichtlichen vor verwaltungsbehördlichen Feststellungen sollen überflüssige, aufwändige und sich widersprechende Doppelprüfungen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis begründet das Vorrangverhältnis eine Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen, substantiierte und gewichtige Hinweise für eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen vorzubringen, wenn er diese im Verwaltungsverfahren nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. Beschluss des Senats vom 22.02.2023 a. a. O; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 a. a. O.; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 19.08.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 13).
Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, substantiierte und gewichtige Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 zu geben.
Vom Ansatz her zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen (S. 13 des Beschlussabdrucks), dass der Vortrag des Antragstellers, es gebe keinen Beweis dafür, dass er entgegen seiner Darstellung mit dem Fahrrad gefahren sei, eine realistische Auseinandersetzung mit dem dargestellten Geschehensablauf im Polizeibericht des Polizeireviers K. vom 03.10.2023 vermissen lasse. Danach ist Anlass der Polizeikontrolle gewesen, dass die Polizei durch einen Taxifahrer (der Zeuge C. K., s. Strafanzeige vom 27.10.2023) verständigt wurde, weil dieser einen betrunkenen Fahrradfahrer gesehen hatte. Der Zeuge gab gegenüber der eingetroffenen Polizeibeamtin (EPHM`in C.) an, er habe beobachtet, wie der Antragsteller die S.straße in Richtung K.straße befahren habe. Der Antragsteller sei dabei auf dem Radweg gefahren, der auf der Höhe des Geldautomaten auf den Gehweg direkt neben dem Geldautomaten führe. Auf dem Gehweg sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert, sodass er zum Stehen gekommen sei und von seinem Fahrrad habe absteigen müssen. Anschließend sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad (schiebender Weise) zu dem Geldautomaten der Volksbank getaumelt, wo er – laut Polizeibericht – durch die hinzukommenden Polizeibeamten einer Kontrolle unterzogen wurde. Zwar wurden die mündlichen Angaben des Zeugen nicht (wörtlich) protokolliert und hat er seine – allerdings nicht in der Fahrerlaubnisakte befindliche – nachgereichte E-Mail trotz entsprechender Aufforderungen nicht weiter präzisiert. Jedoch hat der Antragsteller substantiierte Hinweise darauf, dass der Zeuge durch falsche Informationen einen Polizeieinsatz ausgelöst oder gegenüber der Polizeibeamtin unzutreffende (mündliche) Angaben gemacht haben sollte, nicht vorgebracht. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass der Zeuge aus persönlichen Gründen den Antragsteller zu Unrecht belastet haben könnte. Ebenso wenig ist erkennbar oder dargelegt, dass der Polizeibericht den Inhalt der Befragung des Zeugen unzutreffend wiedergegeben haben könnte. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass es auf Grund der Örtlichkeiten und Sichtverhältnisse nicht möglich gewesen sei, dass der Zeuge ihn an der behaupteten Stelle gesehen haben könne, wird dies nicht weiter nachvollziehbar dargelegt und entspricht auch nicht den aus Google-Street-View zu gewinnenden Erkenntnissen (zur Heranziehung solcher als allgemein bekannt bzw. zugänglich verwertbaren Erkenntnisse im gerichtlichen Verfahren vgl. FG Hamburg, Urteil vom 05.02.2015 – 3 K 45/14 – juris Rn. 33 m. w. N.). Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen, es gebe auf dem ganzen Weg, den er am 03.10.2023 zurückgelegt habe, keinen Pfosten, die Ausführungen im Polizeibericht in Frage stellen möchte, dass er auf dem Gehweg direkt neben den Geldautomaten mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert sei. Der entsprechenden Google-Street-Ansicht lässt sich vielmehr entnehmen, dass in unmittelbarer Nähe des Geldautomaten der Volksbank vier Begrenzungspfosten zwischen Gehweg und dem angrenzenden E.-G.-Platz angebracht sind.
Daneben hält der Senat – ebenso wie das Verwaltungsgericht – das Vorbringen des Antragstellers, warum er das Fahrrad nur geschoben habe, damit aber nicht gefahren sei, für wenig plausibel. Es liegt zunächst fern, dass jemand, der – wie vom Antragsteller geltend gemacht – von seiner Wohnung aufbricht, um an einem Geldautomaten Bargeld abzuholen, den etwa 1 km langen Weg zu Fuß zurücklegt und dabei ohne nachvollziehbaren Grund für das Mitführen des Fahrrads dessen nutzloses Schieben in Kauf nimmt. Der Antragsteller, der zunächst mit Schreiben vom 16.03.2024 gegenüber dem Antragsgegner ohne nähere Begründung ausführte, er habe das Fahrrad geschoben, machte erstmals im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 und dann im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend, er habe bei der Ausfahrt der Tiefgarage seiner Wohnung bemerkt, dass das Licht am Fahrrad nicht gegangen sei, und es deswegen geschoben. Nachdem das Verwaltungsgericht diesbezüglich zutreffend davon ausgegangen ist, dass diese Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers nicht erkläre, weshalb er nach Bemerken des defekten Lichts das Fahrrad nicht zurück in die Tiefgarage gebracht habe und sich von vornherein zu Fuß auf den Weg gemacht habe, macht der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung geltend, dass das Licht „etwas flatterte“, sodass er nicht habe ganz einordnen können, ob die fehlende volle Funktionstauglichkeit des Fahrrads vorübergehender Natur gewesen sei, weswegen er es „in diesem Dilemma“ geschoben habe. Dieses wechselnde und jeweils angepasste Erklärungsverhalten des Antragstellers ist wenig glaubhaft und nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. in Frage zu stellen. Es kommt hinzu, dass es für den Senat wenig nachvollziehbar ist, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen bereit war, mit über zwei Promille Fahrrad zu fahren, hiervon aber wegen des „etwas flatternden“ Lichts abgesehen haben will, weil er sich rechtstreu verhalten wollte.
Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers bestehen auch deswegen, weil er durchgängig (etwa persönliches Schreiben vom 16.03.2024 und Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht) angegeben hat, er trinke selten Alkohol, weswegen er am Tattag die Wirkung seines Alkoholkonsums unterschätzt habe (persönliches Schreiben vom 16.03.2024) bzw. es für ihn umso ärgerlicher gewesen sei, ausgerechnet mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen zu sein (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht). Denn die bei dem Antragsteller festgestellte (hohe) Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille deutet auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten, eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und eine dauerhafte, ausgeprägte Alkoholproblematik hin (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.03.2021 – 3 C 3.20 – juris Rn. 312 und vom 21.05.2008 – 3 C 32.07 – juris Rn. 14; Beschlüsse des Senats vom 07.02.2024 – 13 S 1495/23 – juris Rn. 7 und vom 06.11.2023 a. a. O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.10.2022 – 1 M 148/22 – juris Rn. 42; BayVGH, Beschluss vom 25.06.2019 – 11 ZB 19.187 – juris Rn. 14; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl., S. 248 ff.), mit denen sich die Angaben des Antragstellers, er trinke selten Alkohol, schwerlich in Einklang bringen lassen.
Der Senat nimmt schließlich in den Blick, dass der Antragsteller gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 keinen Einspruch eingelegt hat. Die hierfür von dem Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren vorgetragene Begründung, er habe „wegen Rechtsirrtum“ keinen Einspruch eingelegt, weil er angenommen habe, dass „sich die Angelegenheit durch die Zahlung erledige“, und er sei nicht davon ausgegangen, dass „seine Fahrerlaubnis durch den rechtskräftigen Strafbefehl gefährdet sein könnte“, vermag – auch vor dem Hintergrund der im Strafbefehl verhängten Gesamtgeldstrafe von 1.000,– EUR – den Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Fall, dass der Antragsteller das Fahrrad tatsächlich nur geschoben, aber nicht gefahren haben sollte, nicht plausibel zu erklären. Wenn die im Strafbefehl getroffenen Feststellungen für den Antragsteller ohne weiteres erkennbar unzutreffend gewesen wären, wäre es – auch wegen des im Strafprozess geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ – naheliegend gewesen, sich gegen einen solchen ungerechtfertigten Vorwurf zu wehren.
In Zusammenschau all der aufgezeigten Umstände enthält das Vorbringen des Antragstellers keine hinreichend gewichtigen und substantiierten Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen im Strafbefehl. Der Antragsgegner konnte damit den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 der Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV zu Grunde legen.