Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

KCanG III: Regelmäßiger Konsum – altes/neues Recht, oder: Sofortige Vollziehung der Entziehung der FE?

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Im dritten Posting des Tages habe ich dann noch eine Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht. Normalerweise kommen Entscheidungen aus dem Bereich ja am Samstag, aber der VG Magdeburg, Beschl. v. 21.06.2024 – 1 B 95/24 MD – passt thematisch auch heute.

Es geht um die Auswirkungen der neuen Rechtslage bei Cannabis auf die Fahrerlaubnisentziehung. Dazu hatte ich ja bereits auch den OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.09.2024 – 12 PA 27/24 – vorgestellt, das zu den Auswirkungen ja bereits Stellung genommen hat (vgl. Änderungen der FeVO durch das CanG und KCanG, oder: Auswirkungen auf Entziehungsverfahren?).

Nun also auch das VG Magdeburg. Gestritten wird in dem Verfahren um die Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung. Dem Antragsteller war von der Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis entzogen worden. Er war mit einem Joint und Cannabis in Form einer Blüte angetroffen worden. Gegenüber dem kontrollierenden Beamten hatte er angegeben, dass er regelmäßig Cannabis konsumiere, um seine Psyche zu beruhigen. Er verwende es wie ein Feierabendbier. Deshalb hatte man an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs gezweifelt und die Fahrerlaubnis entzogen.

Der u.a. dagegen gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gegen den (auch) angeordneten Sofortvollzug hatte beim VG Erfolg:

„…..

c) Die Interessenabwägung fällt jedoch zuungunsten der Antragsgegnerin aus, da das im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch das Gericht zu prüfende überwiegende, besondere Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht gegeben ist.

Ein solches, materielles Interesse am Vollzug vor Eintritt der Bestandskraft eines Veraltungsaktes muss stets vorliegen, da eine sofortige Vollziehung auf Basis einer behördlichen Anordnung eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel darstellt, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat und daher das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit grundsätzlich überwiegt. Es ist gesondert zu prüfen, ob das vorläufige Vollzugsinteresse der Allgemeinheit die Interessen des Betroffenen überwiegen. Dabei kommt es nicht alleine auf die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens an, sondern diese stellt lediglich einen Gesichtspunkt in der von dem Gericht vorzunehmenden Abwägung dar (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, NVwZ 1992, 687; VGH München, Beschluss vom 12. März 1996 – 14 CS 95.3873 –, NVwZ-RR 1997, 445; BVerfG, Beschluss vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 –, NVwZ 1996, 58; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21. März 2014 – 8 ME 24/14 –, BeckRS 2014, 49116; VG München, Beschluss vom 11. Juni 2021 – M 7 S 21.1849, BeckRS 2021, 55414 Rn. 45; vgl. ebenfalls zum Maßstab: Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 156 ff.). Hiernach überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der Entziehung der Fahrerlaubnis. Dies ergibt sich maßgeblich aus der gesetzgeberischen Neubewertung und Neugewichtung des Gefährdungspotentials des Cannabiskonsums, nach der der dem Antragsteller zur Last gelegte Sachverhalt keine Eignungszweifel mehr begründen kann.

Mit dem zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 hat der Gesetzgeber in Artikel 14 dieses Gesetzes in Bezug auf die Beeinträchtigung der Fahreignung durch den Konsum von THC-haltigen Cannabis eine Neubewertung vorgenommen. Nach dieser neuen Bewertung ist eine Fahreignung bei Cannabiskonsum nur noch dann im Regelfall nicht gegeben, wenn Missbrauch (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) vorliegt, oder eine Abhängigkeit (Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV) festgestellt ist. Ob für die Bestimmung der Abhängigkeit auf die Maßstäbe der ICD-10F 12.2 (Psychische und Verhaltensstörung durch Konsum von Cannabinoiden Abhängigkeitssyndrom) abzustellen ist, oder ob andere Grundsätze gelten, kann dahinstehen. Denn in jedem Fall setzt eine Abhängigkeit auch im Vergleich zum Missbrauch eine quantitative Konsumsteigerung voraus (vgl. zur Alkoholproblematik: Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 13 FeV (Stand: 6. Juni 2024) Rn. 26). Vorliegend sind indes selbst die Voraussetzungen eines Missbrauchs nicht feststellbar. Missbrauch ist nach der in der Nr. 9.2.1 enthaltenen Legaldefinition dann gegeben, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Mithin hat der Gesetzgeber auf Grund einer neuerlichen Gefährdungsbeurteilung des Cannabiskonsums diesen den in der Nr. 8 der Anlage 4 FeV enthaltenen Regelungen zur (regelmäßig fehlenden) Fahreignung bei Alkoholkonsum gleichgestellt. Anhaltspunkte für einen Missbrauch durch den Antragsteller sind nicht erkennbar. Es ist nicht durch die Antragsgegnerin ermittelt oder sonst feststellbar, dass der Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht zwischen seinem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennt. Hierfür bedürfte es Anhaltspunkte für einen fehlenden zeitlichen Abstand zwischen beiden oder für eine zeitliche Überlagerung von beiden Handlungen, wofür vorliegend jedoch nichts spricht. Auch aus der Aussage des Antragstellers, er konsumiere Cannabis wie ein „Feierabendbier“ folgt nicht, dass der Konsum des Antragstellers ein missbräuchlicher ist. Hierfür bedürfte es weiterer Anhaltspunkte, dass der Konsum quantitativ im Übermaß stattfindet oder der Antragsteller keine hinreichende Zeit nach dem Konsumakt verstreichen lässt, um erneut ein Fahrzeug zu führen. Aus dieser Neugewichtung durch den Gesetzgeber folgt, dass, wenn ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit von Cannabis nicht feststellbar ist, keine Eignungszweifel bestehen. Mithin überwiegt in einem solchen Fall das Mobilitätsinteresse des Betroffenen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Auf Grund der gesetzgeberischen Neubewertung ist in Fällen, in denen ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit nicht gegeben ist, das Gefährdungspotential für die Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 GG) der anderen Verkehrsteilnehmer als nicht hinreichend groß anzusehen, um dem Betroffenen die Teilnahme am Straßenverkehr zu versagen. Dass der Antragsteller im Klageverfahren voraussichtlich unterliegen wird, ändert hieran – wie dargestellt – nichts.“

Im Zweifel wird der Antragsteller im Hauptsachverfahren keinen Erfolg haben. Denn Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist, anders als in Bußgeldverfahren, wo nach § 4 Abs. 3 OWiG das mildeste Gesetz Anwendung findet, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist: Das ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (siehe dazu OVG Lüneburg, a.a.O.).

Eine andere Frage ist, ob dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auf Antrag nicht sofort wieder erteilt werden muss/müsste, da insoweit die neue Rechtslage Anwendung findet. Es ist also zu überlegen, ob man nicht den Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtskräftig werden lässt und sogleich einen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt.

Verkehrsunfall mit Rettungswagen auf Blaulichtfahrt, oder: Einfahren in Kreuzung bei Rot versus Bremsen

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Im zweiten Posting zum Verkehrszivilrecht stelle ich dann den OLG Schleswig, Beschl. v. 18.11.2024 – 7 U 66/24 – vor. Er befasst sich u.a. mit der Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rettungswagen auf „Blaulichtfahrt“, der bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt, und einem PKW, der vor dem Rettungswagen abbiegt und dann abrupt abgebremst wird.

Der Unfall ereignete sich gegen 16:55 Uhr bei Dunkelheit im Bereich der Kreuzung X-Straße und B in X. Beteiligt waren der im Notfalleinsatz befindliche Rettungswagen der Klägerin, der vom Zeugen M geführt wurde (RTW), und der von der Beklagten zu 1) geführte bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte PKW, deren Halterin ebenfalls die Beklagte zu 1) ist.

Der Unfall ereignete sich wie folgt: Die Beklagte zu 1) befuhr die X-Straße aus Süden kommend und beabsichtigte nach links auf die B abzubiegen. Sie fuhr bei grüner Ampel auf der Linksabbiegerspur in die Kreuzung ein und verzögerte ihr Fahrzeug sodann wieder. Unklar ist, weshalb sie abbremste und ob sie ihr Fahrzeug in dieser Situation zum Stillstand brachte. Von rechts näherte sich auf der B aus östlicher Richtung der RTW, der mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn unter Befahren der dortigen Linksabbiegerspur mit ca. 30-35 km/h in die Kreuzung einfuhr. Der Zeuge M wollte zunächst rechts am PKW der Beklagten zu 1) vorbeifahren. Die Beklagte zu 1) setzte allerdings ihren Abbiegevorgang auf die B in fort, als der RTW allenfalls noch 10 m entfernt war. Die Fahrzeuge befanden sich nun hintereinander in gleicher Fahrtrichtung. Einige Meter weiter, im äußerst westlichen Kreuzungsbereich, bremste die Beklagte zu 1) ihr Fahrzeug plötzlich bis zum Stillstand ab und der RTW fuhr leicht nach rechts versetzt von hinten auf.

Das LG ist von einer Mithaftungsquote der Beklagten von 70 % ausgegangen. Der Unfall sei für beide Seiten nicht unvermeidbar gewesen. Nach den getroffenen Feststellungen hätte die Beklagte zu 1) das seit mindestens 10 Sekunden vor Einfahrt des RTW in die Kreuzung eingeschaltete Martinshorn hören müssen. Der RTW sei mit 30-35 km/h gefahren. Ob die Beklagte zu 1) ihren PKW im Kreuzungsbereich bis zum Stillstand abgebremst habe, stehe nicht sicher fest. Die Beklagte sei sodann allenfalls 10 m vor dem RTW abgebogen und habe anschließend plötzlich abgebremst. Die Beklagte zu 1) habe gegen § 38 Abs. 1 S. 2 sowie § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen. Der Klägerin sei ein Verstoß des Zeugen M gegen § 35 Abs. 8 StVO anzulasten, wonach die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürften. Aufgrund des Fahrverhaltens der Beklagten zu 1), die zunächst entgegen § 38 Abs. Abs. 1 S. 2 StVO in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, dort kurz verzögert und sodann ihren Abbiegevorgang unmittelbar vor dem RTW fortgesetzt habe, habe eine unklare Verkehrslage bestanden, in der er seine Geschwindigkeit auf Schrittgeschwindigkeit hätte reduzieren müssen. In Anwendung des § 17 Abs. 2 StVG hafteten die Beklagten deshalb zu 70 % und die Klägerin zu 30 %; der Unfall sei überwiegend auf die Verstöße des Beklagten zu 1) zurückzuführen, wobei zulasten der Klägerin auch die erhöhte Betriebsgefahr durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten zu berücksichtigen sei. Hiergegen wenden sich die Klägerin mit ihrer Berufung und die Beklagten mit ihrer Anschlussberufung.

Das OLG hat die Parteien in seinem Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung keinen Erfolg habe. Es führt zur Abwägung des LG aus:

„2. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG ist ebenfalls nicht zu beanstanden und findet jedenfalls im Ergebnis die Billigung des Senats. Dabei ist zu differenzieren zwischen dem Einfahren der Beklagten zu 1) in die Kreuzung, ihrem Abbremsen auf der Kreuzung und schließlich ihrem erneuten abrupten Abbremsen unmittelbar nach dem Abbiegen.

a) Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei eine Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 10/11, Juris Rn. 6; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.03.2020, 13 U 226/15, Juris Rn. 43). Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeuge ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 21.11.2006, VI ZR 115/05, NJW 2007, 506; Urteil vom 27.06.2000, VI ZR 126/99, NJW 2000, 3069; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.07.2018, 1 U 117/17, Juris Rn. 5). Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt demjenigen, welcher sich auf einen in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt beruft (BGH, Urteil vom 13.02.1996, VI ZR 126/95, NZV 1996, 231, 232; OLG Dresden, Urteil vom 25.02.2020, 4 U 1914/19, Juris Rn. 4 m.w.N.).

b) Zu Recht hat das Landgericht einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO dadurch angenommen, dass sie überhaupt in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, anstatt „sofort freie Bahn“ zu schaffen und stehenzubleiben. Denn sie hätte den RTW, der nach den getroffenen Feststellungen durchgehend das Blaulicht und mehr als 10 Sekunden lang das Einsatzhorn aktiviert hatte, wahrnehmen müssen. Es ist nach den Umständen nicht nachvollziehbar, wie sie das Einsatzfahrzeug nicht rechtzeitig wahrgenommen haben will. Akustische oder visuelle Einschränkungen bestanden offenbar nicht. Der Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO perpetuiert sich im Fortsetzen des Abbiegemanövers nach einer kurzen Verzögerung (ggf. bis zum Stillstand). Bis zu dieser Fortsetzung des Abbiegemanövers der Beklagten zu 1) stellt es auch keinen Verstoß des Zeugen M gegen § 35 Abs. 8 StVO dar, dass er die Geschwindigkeit des RTW von 30-35 km/h nicht auf Schrittgeschwindigkeit reduziert hat. Denn bis hierhin lag keine unübersichtliche Situation vor. Die erkennbare Verzögerung des PKW in der Mitte der Kreuzung konnte er als Zeichen werten, dass die Beklagte zu 1) den RTW wahrgenommen hat und ihn passieren lassen würde. Bei fehlendem Verkehr von rechts (aus Sicht der Beklagten zu 1) also Gegenverkehr) – was unstreitig ist -, war die Verzögerung des PKW nicht aus Rücksicht hierauf zu verstehen. Und auch der vom Zeugen M angegebene Fußgänger auf der anderen Seite der B war kein Grund, die Geschwindigkeit des RTW erheblich zu reduzieren, denn der Zeuge M durfte annehmen, dass der Fußgänger angesichts des unübersehbaren Einsatzfahrzeugs ohnehin stehen bleiben würde, so dass auch der PKW keinen Anlass hatte, allein deshalb zu warten. Zumal die Beklagte zu 1) den Fußgänger nach eigenem Bekunden nicht wahrgenommen hatte.

c) Die Situation änderte sich allerdings grundlegend, nachdem die Beklagte zu 1) mit ihrem PKW unter (fortgesetztem) Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVG ihre Fahrt nebst Abbiegevorgang fortsetzte und hierbei sich nur einige Meter – nach den Feststellungen des Landgerichts allenfalls 10 m – vor den RTW fuhr. Dadurch musste dem Zeugen M klar werden, dass die Beklagte zu 1) den RTW trotz aller Licht- und Schallsignale und entgegen ihrem zuvor gesetzten Anschein durch die Verzögerung ihres Fahrzeugs auf der Kreuzung offenbar noch nicht wahrgenommen hatte. Spätestens in dieser Situation wäre es nach § 35 Abs. 8 StVO geboten gewesen, die Geschwindigkeit erheblich herabzusetzen (Anpassung gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StVO), einen ausreichenden Abstand einzuhalten bzw. herzustellen (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO) und ggf. i. S. v. § 1 Abs. 1, 2 StVO vorsichtig abzuwarten, wie sich das weitere Fahrverhalten des PKW darstellen würde. Mit weiteren Fehlleistungen der Beklagten zu 1) war zu rechnen, auch mit einer etwaigen Schreckreaktion bei überraschender Wahrnehmung des nunmehr unmittelbar hinter ihr befindlichen RTW. Hinzu kommt Folgendes: Der Zeuge M hätte nach eigenen Angaben mit dem RTW den PKW im Bereich auf und unmittelbar hinter der Kreuzung gar nicht überholen können, sondern hätte ohnehin abwarten müssen, bis der PKW an geeigneter Stelle Platz machen oder anhalten würde. Auch deshalb war er gehalten, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden PKW einzuhalten.

d) Mit ihrem plötzlichen und abrupten Abbremsen nach Abschluss des Abbiegemanövers verstieß die Beklagte zu 1) gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, wonach ein Vorausfahrender nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen darf. Ein zwingender Grund bestand nicht, insbesondere nicht in der Befolgung der Anordnung des § 38 Abs. 1 S. 2 StVO. Denn „sofort freie Bahn“ zu schaffen ist nicht gleichzusetzen mit dem sofortigen Stehenbleiben. Es kommt vielmehr auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an. Vorliegend wäre es geboten gewesen, bis zu einer geeigneten Stelle zum (geordneten) Stehenbleiben weiter zu fahren und den RTW sodann passieren zu lassen. Jedenfalls verbot sich ein unvermitteltes plötzliches Stehenbleiben noch im Kreuzungsbereich bei ohnehin (zu) geringem Abstand.

e) In der Abwägung ist der (erste) Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO nur in dem Sinne zu berücksichtigen, dass er die Gefahr für das nachfolgende Unfallgeschehen erhöht hat. Das Einfahren in die Kreuzung, die Verzögerung auf der Kreuzung und das Weiterfahren und Abbiegen haben jedoch nicht unmittelbar zu der Kollision geführt, so dass es in dieser Situation auch nicht auf die Geschwindigkeit des RTW ankommt. Für die Bewertung dieser Situation macht es keinen Unterschied, ob die Beklagte zu 1) nur leicht verzögert oder auch angehalten hat.

Die wesentliche Unfallursache war sodann vielmehr das grundlose, plötzliche und abrupte Abbremsen des PKW bis zum Stillstand durch die Beklagte zu 1), auf das der Zeuge M im RTW aufgrund des zu geringen Abstandes nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Die Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge führt auch unter Berücksichtigung der aufgrund der Einsatzfahrt (u.a. mit Rotlicht-„Verstoß“) erhöhten Betriebsgefahr des RTW zu einer überwiegenden Haftung der Beklagten, wobei jedoch eine gewisse Mithaftung der Klägerin im Umfang von (zumindest) 30 % verbleibt.

f) Ob der Haftungsanteil der Klägerin ggf. noch höher als 30 % anzusetzen wäre, ist Gegenstand der Anschlussberufung. Dieser Frage bedarf zum gegenwärtigen Zeitpunkt keiner weiteren Vertiefung, weil die Anschlussberufung im Falle der beabsichtigten Zurückweisung der klägerischen Berufung durch Beschluss ihre Wirkung verlieren würde (§ 524 Abs. 4 ZPO).“

Verkehrsunfall PkW und alkoholisierter Fußgänger, oder: Hinterbliebengeld beim Tod eines Erwachsenen

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei (zivilrechtliche) Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Urt. v. 18.12.2024 – 14 U 119/24. Es nimmt zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Fahrzeug und einem alkoholisiertem Fußgänger sowie zur Bemessung des Hinterbliebenengeldes beim Tod eines erwachsenen Kindes Stellung.

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:  Die Klägerin verlangt von den Beklagten ein weiteres Hinterbliebenengeld und weitere anteilige Beerdigungskosten aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 11.07.2021. An dem Tag befand sich der Sohn der Klägerin, der Geschädigte B. B., gegen 4:33 Uhr mit einer BAK von über 2,0 Promille auf der Landesstraße außerhalb geschlossener Ortschaften zwischen zweiten Orten. Er kollidierte mit dem vom Beklagten zu 1. geführten Fahrzeug, welches bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist. Der Sohn der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Das gegen den Beklagten zu 1 geführte Strafverfahren wurde gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.200 EUR eingestellt. In diesem Strafverfahren wurde zuvor ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.

Die Klägerin verlangt ein Hinterbliebenengeld von 12.000 EUR  sowie 75% der Beerdigungskosten in Höhe von 7.226,16 EUR, mithin 5.419,62 EUR .

Die Klägerin ist der Auffassung, den Beklagten zu 1 treffe ein Verschulden an dem Unfall. Zum Unfallzeitpunkt sei es insbesondere schon so hell gewesen, dass der Beklagte zu 1 ihren Sohn hätte sehen können bzw. müssen. Der Unfallort sei zudem durch eine Laterne beschienen, die zur früheren Erkennbarkeit ihres Sohnes beigetragen habe.

Die Beklagten meinen, infolge des groben Verschuldens des Geschädigten hafteten sie nicht. Die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1 gefahrenen Fahrzeugs trete hinter dem Verschulden des Geschädigten zurück.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Klage in Höhe von 5.742,05 EUR für begründet gehalten, nachdem es u.a. Beweis erhoben hat über den Unfallhergang durch Verwertung gem. § 411a ZPO des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Das LG hat der Klägerin von ihren geltend gemachten Ansprüchen 1/3 aufgrund des der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldens des Geschädigten zugesprochen, wobei es ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 EUR, anstatt der begehrten 12.000 EUR, angesetzt hat.

Es hat dabei dem Beklagten zu 1 den Verschuldensvorwurf gemacht, dass er in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit nicht reduziert habe. Der Bremsvorgang bei Fußgängern, welche – wie hier – unvorhergesehen die Straße überqueren, sei daher zu lang gewesen. Hauptsächlich habe der Geschädigte den Unfall aber selbst verschuldet, weil er die Straße überquert habe, ohne auf das bevorrechtigte Fahrzeug der Beklagten zu achten.

Die Klägerin wendet sich gegen das landgerichtliche Urteil und meint, die Kammer habe es fehlerhaft unterlassen, eine lichttechnische Untersuchung einzuholen. Die Unfallstelle sei durch eine Laterne beleuchtet gewesen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten, der zudem ein weißes Oberhemd unter seinem Jackett und weiße Turnschuhe getragen habe, früher erkennen müssen. Der Beklagte zu 1 hätte den Geschädigten lange vor der Kollision sehen und abbremsen müssen. Er hätte den Unfall verhindern können.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie berufen sich auf das Sachverständigengutachten, in dem festgestellt worden sei, dass der Sohn der Klägerin frühestens innerhalb des Lichtkegels des Abblendlichtes für den Beklagten zu 1 erkennbar gewesen sei. Das schließe eine noch frühere Erkennbarkeit aus. Damit sei es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten zu 1 eine verspätete Abwehrreaktion anzulasten.

Das OLG hat den Sachverständigen dann in der mündlichen Verhandlung noch einmal vernommen. Es hat die Berufung dann zurückgewiesen.

Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein, und zwar.

1. Das Überschreiten einer Fahrbahn erfordert von einem Fußgänger erhöhte Sorgfalt. Da eine Fahrbahn in erster Linie dem Fahrzeugverkehr dient, hat der Fahrzeugführer grundsätzlich Vorrang.

2. Ein Fahrzeugführer muss nicht allein in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußweges seine Geschwindigkeit reduzieren.

3. Bei der Festsetzung der Hinterbliebenenentschädigung darf nicht lediglich eine schematische Bemessung vorgenommen werden. Es ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23. Mai 2023 – VI ZR 161/22).

4. Die Bemessung des Schmerzensgeldes in den sog. Schockschadensfällen ist dagegen nur eingeschränkt als Vergleichsgröße heranziehbar, weil der Anspruch auf Hinterbliebenengeld (im Unterschied zum Schmerzensgeld) gerade keine Rechtsgutsverletzung voraussetzt (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

Bekifft mit Fahrrad oder E-Scooter gefahren …. , oder: Untersagung des Führens von Fahrrädern/E-Scootern

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Im letzten „Kessel Buntes“ des (noch) laufenden Jahres gibt es dann noch einmal (Verkehrs)Verwaltungsrecht.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen des OVG Münster, und zwar mit dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23 – und dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 1300/23. Beiden Entscheidungen liegen Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden zugrunde, mit denen zwei Männern nach einer Drogenfahrt mit einem Fahrrad bzw. einem E-Scooter das Fahren nach § 3 FEV untersagt worden war. Das OVG sagt in beiden Fällen: Geht nicht. Hier die Begründung aus OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23:

„Vorliegend ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (auch von Fahrrädern) Erfolg haben wird, weil die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2022 rechtswidrig ist.

Der Senat geht davon aus, dass diese Untersagung ihre Rechtsgrundlage nicht in § 3 FeV findet, weil diese Vorschrift nicht hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ist. Er schließt sich damit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz an.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 30 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 27 ff.; ebenso: VG Schwerin, Beschluss vom 27. Juli 2023 – 6 B 1855/22 SN -, juris, Rn. 22 ff.; Begemann, in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, Stand: 27. September 2024, § 3 FeV Rn. 21.1; Müller/Rebler, Keine Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?!, DAR 2023, 437 (440); a. A.: Nds. OVG, Beschluss vom 23. August 2023 – 12 ME 93/23 -, juris, Rn. 8 ff. (jedenfalls für die Fälle einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad mit mehr als 1,6 ‰ BAK); VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 23. September 2021 – 7 L 901/21 -, juris, Rn. 55 ff., und vom 16. November 2023 – 7 L 1617/23 -, juris, Rn. 54 ff.; VG Köln, Urteil vom 24. Juli 2024 – 23 K 6615/23 -, juris, Rn. 66 ff.; offenlassend: BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2020 – 3 C 5.20 -, juris, Rn. 38.

Angesichts der grundrechtsrelevanten Bedeutung der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge für die Fortbewegungsmöglichkeiten der Betroffenen,

vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 32; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 33 ff.,

teilt der Senat die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des im Vergleich zu Kraftfahrzeugen in der Regel geringeren Gefährdungspotentials insbesondere nicht hinreichend klar geregelt ist, in welchen Fällen von einer Ungeeignetheit bzw. von bedingter Eignung von Führern fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bzw. Eignungszweifeln auszugehen ist. Insofern ist es auch nicht ausreichend, dass nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung finden. Selbst wenn diese Vorschriften nur dann entsprechend anzuwenden sind, wenn sie ihrem Inhalt nach nicht das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge voraussetzen, fehlt es doch überwiegend an Anhaltspunkten dafür, wann die Schwelle zur Annahme von Eignungszweifeln bzw. fehlender oder bedingter Eignung bezüglich des Führens weniger gefahrenträchtiger Fahrzeuge überschritten ist.

Vgl. dazu ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 33 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 76 ff.

Sonstige Ermächtigungsgrundlagen für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sind nicht ersichtlich.

Erweist sich die mit Bescheid der Antragsgegnerin erfolgte Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge daher als rechtswidrig, gilt dies auch für die in diesem Bescheid erlassene Aufforderung zur Abgabe der Mofa-Prüfbescheinigung. Insoweit ist ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.“

Deliktische Vorteilsausgleichung bei Wohnmobilen, oder: Schätzung von Nutzungsvorteilen

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Entscheidungen des VIa-Zivilsenats des BGH schaue ich mir in der Regel nicht näher an, das es sich dabei meist um Entscheidungen zum Abgasskandal handelt, die nichts Neues mehr bringen. Aber man soll ja nie, nie sagen. Und so bin ich – aber auch nur weil ein Leitsatz angezeigt wurde – auf den BGH, Beschl. v. 29.10.2024 – VIa ZR 1090/23 – gestoßen. Der äußert sich zur Schätzung von Nutzungsvorteilen bei Wohnmobilen im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung:

„Ebenso wenig stellen sich zulassungsrelevante Rechtsfragen im Hinblick auf die Schätzung der anzurechnenden Nutzungsvorteile anhand der vom Berufungsgericht in Bezug auf das von der Klägerin erworbene und genutzte Wohnmobil sinngemäß angewandten Berechnungsformel

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruchs – und damit des auf den Schaden anzurechnenden Vorteils – in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Hingegen ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (BGH, Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 137/22, NJW 2023, 1718 Rn. 50; Urteil vom 24. Juli 2023 – VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 12, jeweils mwN). Es entspricht zudem ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Wert von Vorteilen bei der Eigennutzung beweglicher Sachen grundsätzlich nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet wird, also nach einem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des vereinbarten Kaufpreises (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 – VIII ZR 198/90, BGHZ 115, 47, 54 f.; Urteil vom 31. März 2006 – V ZR 51/05, BGHZ 167, 108 Rn. 12 f.; Urteil vom 8. September 2016 – IX ZR 52/15, NJW 2016, 3783 Rn. 13, jeweils mwN). Soweit es um Kraftfahrzeuge geht, kann der Tatrichter sich dabei an den gefahrenen Kilometern und der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung orientieren (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2016, aaO; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 80 ff.; Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, BGHZ 231, 149 Rn. 53 ff.).

Bei Wohnmobilen tritt neben die Nutzung im Straßenverkehr die bestimmungsgemäße Nutzung zu Wohnzwecken, die sich auch in der Bauart niederschlägt. Bereits deshalb begegnet es im Grundsatz keinen Bedenken, wenn der Tatrichter in Ausübung des ihm nach § 287 ZPO zustehenden Ermessens bei der Ermittlung der zeitanteiligen linearen Wertminderung der Sache auf die Laufleistung und/oder – wie nach der vorstehend wiedergegebenen Formel – auf eine etwa in Monaten bemessene Nutzungszeit abstellt. Dass sich diese tatrichterliche Entscheidung auf die Höhe des anzurechnenden Vorteils auswirken kann, ändert daran nichts; mit der Schätzung nach § 287 ZPO zwangsläufig einhergehende Unschärfen sind hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 Rn. 23 f.; Urteil vom 23. September 2014 – XI ZR 215/13, BKR 2015, 339 Rn. 39; Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, BGHZ 231, 149 Rn. 56 ff.; Urteil vom 24. Juli 2023 – VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 12).“