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Steuer I: Feststellungen im Steuerstrafverfahren, oder: Geeignete Schätzungsmethoden

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Thema Steuer? Ja, aber nicht das Steuer im Auto, sondern Steuerstrafrecht und was damit zu tun hat.

Und die erste Entscheidung ist dann der BGH, Beschl. v. 10.02.2022 – 1 StR 484/21 -, der sich zu  für das Steuerstrafverfahren geeigneten Schätzungsmethoden äußert.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Steuerhinterziehung von Körperschaft- und Gewerbesteuer für die Besteuerungszeiträume 2009 bis 2013 sowie Umsatzsteuer in den Besteuerungszeiträumen 2010 bis 2013) verurteilt. Dabei hatte das LG seine Feststellungen zu den sich nach den Steuererklärungen ergebenden – eingetretenen oder erstrebten – Steuerverkürzungen auf eine Schätzung gestützt, weil Rechnungen über nicht in die Buchhaltung aufgenommene Warenumsätze nicht existent beziehungsweise auffindbar waren. Seiner Schätzung hatte das LG für die einzelnen Besteuerungszeiträume durchgeführte Warenverkehrsrechnungen zugrundegelegt und hierfür den Anfangsbestand und die Einkäufe gemäß Buchhaltung den Verkäufen gemäß Buchhaltung gegenübergestellt.

Der BGH hat aufgehoben, weil eingetretene oder erstrebte Steuerverkürzungen durch die landgerichtliche Schätzung nicht rechtsfehlerfrei belegt waren:

„a) Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 – 1 StR 561/13 Rn. 19; vom 20. Dezember 2016 – 1 StR 505/16 Rn. 14; vom 29. August 2018 – 1 StR 374/18 Rn. 7; vom 5. September 2019 – 1 StR 12/19 Rn. 26 und vom 11. März 2021 – 1 StR 521/20 Rn. 11; jeweils mwN). Bei der Wahl der Schätzungsmethode hat das Tatgericht einen Beurteilungsspielraum; es muss jedoch nachvollziehbar darlegen, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese im konkreten Fall für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen geeignet ist (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4 Rn. 12 ff.; vom 14. Juni 2011 – 1 StR 90/11 Rn. 10; vom 8. August 2019 – 1 StR 87/19 Rn. 7 und vom 5. September 2019 – 1 StR 12/19 Rn. 26 f.; jeweils mwN). Bei seiner Überzeugungsbildung hat das Tatgericht die vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 176/17 Rn. 6). Die Schätzungsgrundlagen sind in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4 Rn. 12; vom 24. Mai 2017 – 1 StR 176/17 Rn. 6 und vom 25. November 2021 – 5 StR 211/20 Rn. 14).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn die der Schätzung zugrunde gelegten Warenverkehrsrechnungen auf Basis der angenommenen Doppelverkürzung auf Einnahmen- und Ausgabenseite sind nicht rechtsfehlerfrei durchgeführt worden.

aa) Eine Warenverkehrsrechnung ist grundsätzlich ebenso wie die Geldverkehrsrechnung eine auch für das Steuerstrafverfahren geeignete Schätzungsmethode (vgl. zur Geldverkehrsrechnung BGH, Beschluss vom 5. September 2019 – 1 StR 12/19 Rn. 27). Voraussetzung für eine belastbare Geld- oder Warenverkehrsrechnung ist aber stets, dass die Rechnung von einem gesicherten Anfangsbestand und einem gesicherten Endbestand ausgeht (st. Rspr.; grundlegend BFH, Urteil vom 21. Februar 1974 – I R 65/72, BFHE 112, 213 Rn. 12 ff., in der Folge u.a. BFH, Urteil vom 2. März 1982 – VIII R 225/80 Rn. 19 ff.; aus neuerer Zeit BFH, Urteil vom 12. Dezember 2017 – VIII R 5/14 Rn. 42; Beschluss vom 23. Februar 2018 – X B 65/17 Rn. 40).

bb) Dies ist hier nicht der Fall. Dass die sich aus den Inventurlisten der B.    GmbH ergebenden Anfangs- und Endbestände den tatsächlichen Warenbeständen zum jeweiligen Stichtag entsprachen, ist nicht rechtsfehlerfrei belegt.

(1) Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen die Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 89/19, BGHSt 64, 252, Rn. 23 mwN).

(2) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht gerecht. Sie erweist sich mit Blick auf die den Warenverkehrsrechnungen jeweils zugrunde gelegten Anfangs- und Endbestände als lückenhaft. Trotz Annahme einer Doppelverkürzung auf Wareneingangs- und Warenausgangsseite hat das Landgericht seinen Warenverkehrsrechnungen die vom Angeklagten beziehungsweise dem Zeugen E.   nach jeweiliger Inventur dokumentierten Anfangs- und Endbestände zugrunde gelegt und ergänzend darauf verwiesen, dass der Angeklagte und der Zeuge E.   angegeben hätten, die Inventurübersichten seien zutreffend. An einer Begründung, warum die Strafkammer die Inventuraufstellungen für zutreffend hält und den diesbezüglichen Angaben des Angeklagten und des Zeugen E.   folgt, obwohl sie sowohl die Aufzeichnungen des Angeklagten und des Zeugen E.   für die Buchhaltung der B.    GmbH für unrichtig hält als auch deren Angaben zur vollständigen Erfassung der Warenumsätze in der Buchhaltung im Übrigen als unglaubhaft erachtet, fehlt es indes (vgl. zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung, wenn das Gericht einer Zeugenaussage nur teilweise glauben will, BGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 – 4 StR 118/21 Rn. 18 mwN). Mit der sich als naheliegend aufdrängenden Möglichkeit, dass die sich aus den Inventuraufstellungen ergebenden Warenanfangs- und Endbestände eines jeden Jahres ebenso wie die Buchhaltung der B.    GmbH im Übrigen unzutreffend sein könnten, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt….“

Vollstreckung I: Absehen wegen Therapieabsicht?, oder: Beurteilungsspielraum

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Am letzten Arbeitstag vor Ostern stelle ich hier drei Entscheidungen aus dem Bereich der Vollstreckung vor. Der kommt ja leider immer etwas kurz.

Zunächst etwas aus Bayern vom BayObLG zu § 35 BtMG, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 31.01.2021 – 204 VA 536/20. Schon etwas älter, aber das BayObLG hat auch spät geschickt 🙂 .

Der Verurteilte ist mit Urteil vom 16.09.2020 wegen des Erschleichens von Leistungen mit Sachbeschädigung mit Diebstahl mit Beleidigung in sechs tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Der Verurteilte verbüßt diese Freiheitsstrafe seit 18.12.2020.  Zwei Drittel der Strafe sind/waren am 17.4.2021 erreicht. Das Strafende ist/war auf den 17.6.2021 notiert.

Mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2020 hat der Verurteilte beantragt die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zugunsten einer von ihm beabsichtigten Therapie zurückzustellen, da die Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden seien. Die Staatsanwaltschaft hat das abgelehnt, da die Tat des Verurteilten nicht oder jedenfalls nicht überwiegend aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sei. Dagegen hat der Verurteilte unter Hinweis auf die im Urteil aufgenommene Vorschrift des § 17 Abs. 2 BZRG Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg. Dagegen dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der ebenfalls beim BayObLG keinen Erfolg hatte. Das BayObLG hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

  1. Der Vollstreckungsbehörde steht hinsichtlich der Feststellung einer Betäubungsmittelabhängigkeit und deren Kausalität für die Tat ein Beurteilungsspielraum zu.

  2. Der Beurteilungsspielraum der Vollstreckungsbehörde ist dann stark eingeschränkt oder im Sinne einer Bindung völlig aufgehoben, wenn sich die Kausalität gemäß § 35 Abs. 1 BtMG „aus den Urteilsgründen“ ergibt, wobei die entsprechenden Feststellungen nur die Bedeutung einer widerleglichen Vermutung haben.

  3. Den Urteilsfeststellungen kommt dann ein hohes Gewicht und ein erheblicher Beweiswert zu, wenn sie sich eingehend mit der Betäubungsmittelabhängigkeit beschäftigen und die entsprechenden Beweise vom Gericht erhoben und gewürdigt werden, insbesondere wenn sie sich auf ein Sachverständigengutachten stützen und das Urteil zur Begründung der richterlichen Überzeugung eine eingehende Darlegung des Vorlebens eines Angeklagten und seiner Drogenkarriere enthält.

  4. Die bloße Nennung von § 17 Abs. 2 BZRG in der Liste der angewendeten Vorschriften ist kein Beleg für die Betäubungsmittelabhängigkeit und deren Kausalität für die abgeurteilte Tat.

StGB I: Gewährung von „Kirchenasyl“ in Dublin-Fällen, oder: Machen sich Pfarrer/Ordensleute strafbar?

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Zur Wochenmitte der „Karwoche“ dann heute drei StGB-Entscheidungen. Dieses Mal nicht vom BGH, sondern aus der „Instanz“.

Zunächst der BayObLG, Beschl. v. 25.02.2022 – 201 StRR 95/21 – zu einer etwas „exotischen“ Fragestellung, nämlich zur zur Strafbarkeit von Pfarrern und Ordensleuten wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt bei Gewährung von „Kirchenasyl“ in den sog. Dublin-Fällen. Hat man sicherlich nicht alle Tage. Das BayObLg nimmt zu den Rechtsfragen eingehend Stellung. Daher stelle ich hier nur die Leitsätze vor. Folgender Sachverhalt/Verfahrensablauf:

Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 05.02.2021 beim AG „den Erlass eines Strafbefehls, in welchem dem Angeklagten, einem Ordensbruder der Abtei B., zur Last gelegt wurde, dem anderweitig Verfolgten A., geboren in Gaza, Staatsangehörigkeit ungeklärt, jedenfalls seit dem 25.08.2020 in den Räumlichkeiten der Abtei sogenanntes „Kirchenasyl“ gewährt zu haben. Obwohl dem Angeklagten bekannt gewesen sei, dass A., der erstmalig am 13.04.2020 in das Bundesgebiet eingereist war und am 22.04.2020 Asylantrag gestellt hatte, nach Ablehnung des Asylantrags mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden BAMF) vom 12.05.2020 seit dem 23.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig war, habe er ihn am 25.08.2020 in das „Kirchenasyl“ aufgenommen und ihm Unterkunft und Verpflegung gewährt. Den Eintritt habe der Angeklagte noch am selben Tage der zuständigen Stelle beim BAMF gemeldet und bis zum 25.09.2020 fristgerecht ein entsprechendes Dossier eingereicht. Das BAMF habe das Selbsteintrittsrecht abgelehnt, eine Frist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ bis zum 15.10.2020 gesetzt und dies dem Angeklagten am 12.10.2020 mitgeteilt. Gleichwohl habe der Angeklagte das „Kirchenasyl“ über den 15.10.2020 hinaus fortgesetzt und durch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung dessen illegalen Aufenthalt unterstützt, sodass dieser sich dem Zugriff der Behörden entziehen konnte.“

Das AG hat den Strafbefehl wegen rechtlicher Bedenken nicht erlassen, sondern stattdessen Termin zur Hauptverhandlung gemäß § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO bestimmt. Es hat den Angeklagten dann aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Nach den Feststellungen des AG „gewährte der Angeklagte, der auch Koordinator der Flüchtlingshilfe in der Abtei B. ist, dem A. in der Zeit vom 25.08.2020 bis Dezember 2020 im Einvernehmen mit den anderen Angehörigen der Abtei B. in den dortigen Räumlichkeiten „Kirchenasyl“ in Form der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung. A., dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt, aber jedenfalls nicht deutsch ist, war erstmalig am 13.04.2020 in das Bundesgebiet eingereist und hatte am 22.04.2020 Asylantrag gestellt. Sein Asylantrag war mit Bescheid des BAMF vom 12.05.2020 im Hinblick auf die sog. „Dublin-III-Verordnung“ abgelehnt worden, da er bereits zuvor in Rumänien als asylsuchend registriert worden war. Damit war er, wie auch der Angeklagte wusste, seit 23.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Den Eintritt des Ausländers in das „Kirchenasyl“ teilte der Angeklagte dem BAMF noch am 25.08.2020 über das katholische Büro Bayern mit. Das BAMF lehnte am 12.10.2020 die Ausübung des Selbsteintrittsrechts ab und setzte eine Frist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ bis zum 15.10.2020, was der Angeklagte noch am selben Tage erfuhr, zeitnah dem A. mitteilte und mit ihm die weiteren Handlungsmöglichkeiten erörterte. Dieser verblieb weiterhin im „Kirchenasyl“. Nach Ablauf der Überstellungsfrist, welche am 12.11.2020 endete, verließ A. im Dezember 2020 das „Kirchenasyl“ und befindet sich seither im deutschen Asylverfahren.“

Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung geltend gemacht, „er habe durch den intensiven Kontakt mit einzelnen Geflüchteten glaubhafte Kenntnis von einer Vielzahl traumatischer Erfahrungen der Geflüchteten in den Transitländern – darunter auch Bulgarien, Rumänien und Ungarn – auf dem Weg nach Deutschland erhalten. Auf der Balkanroute habe es massive körperliche Gewalt gegeben, die Geflüchteten seien unmenschlich behandelt worden. Er sei zu der Erkenntnis gelangt, dass die ihm anvertrauten Flüchtlinge bei Rücküberstellung in diese Länder Gefahr laufen würden, in einer Weise behandelt zu werden, die mit ihrer Menschenwürde unvereinbar sei. Diese Überzeugung habe dazu geführt, dass er in sorgfältig ausgewählten Ausnahmefällen und unter steter Rückendeckung der Abtei Personen, die in die genannten Staaten zurück zu überstellen gewesen wären, den Schutz der Abtei gewährt habe, um eine nochmalige Einzelfallprüfung durch das BAMF nach Art. 17 der Dublin-III-Verordnung herbeizuführen. Nach deren negativem Ausgang habe es zwar Fälle gegeben, in denen aufgenommene Geflüchtete das „Kirchenasyl“ freiwillig verlassen hätten, entweder um Deutschland zu verlassen oder aber um hier unterzutauchen und auf eigene Faust zu versuchen, den Ablauf der Rücküberstellungsfrist abzuwarten. Wenn ein Geflüchteter jedoch bleiben wolle, sehe er sich – unbeschadet auch einer ihm etwa drohenden Freiheitsstrafe – aufgrund seiner von der christlichen Grundüberzeugung getragenen Wertvorstellungen nicht imstande, einen zum Bleiben entschlossenen Geflüchteten den Schutz der Abtei zu versagen und das Verlassen des Abteigeländes zu erzwingen, ohne die eigenen Wertvorstellungen vollständig in Frage zu stellen.“

Dagegen dann die Sprungrevision der Staatsanwaltschaf, die keinen Erfolg hatte. Hier dann die Leitsätze des BayObLG:

  1. Die Gewährung von „Kirchenasyl“ entfaltet für sich genommen keine aufenthaltsrechtlichen Wirkungen. Jedoch begründet der Eintritt in das mehrstufige Prüfungsverfahren entsprechend der Vereinbarung vom 24.02.2015 zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Bevollmächtigten der evangelischen und katholischen Kirche zur Kirchenasylgewährung in den sog. Dublin-Fällen einen Anspruch des aufgenommenen Asylsuchenden auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen Vorliegens eines rechtlichen.

  2. Werden die Vorgaben der Vereinbarung eingehalten, so scheidet jedenfalls bis zur Mitteilung des BAMF über den negativen Ausgang der erneuten Einzelfallprüfung sowie dem fruchtlosen Ablauf der dem Asylsuchenden gesetzten Dreitagesfrist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ eine Strafbarkeit des kirchlichen Entscheidungsträgers wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mangels vorsätzlich begangener, rechtswidriger Haupttat des aufgenommenen Asylsuchenden aus.

  3. Wird das „Kirchenasyl“ nach der Negativmitteilung des BAMF und dem Ablauf der Dreitagesfrist durch den kirchlichen Entscheidungsträger fortgeführt und beschränkt sich die Hilfeleistung auf die bloße Fortsetzung der Beherbergung und Verpflegung des vollziehbar ausreisepflichtigen Asylsuchenden, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem aktiven Tun, sondern in einem Unterlassen, das jedoch mangels Garantenpflicht des kirchlichen Entscheidungsträgers zur Beendigung des „Kirchenasyls“ nicht als strafbare Hilfeleistung zum unerlaubten Aufenthalt des Asylsuchenden zu qualifizieren ist.

BtM III: Besitz in geringer Menge zum Eigenverbrauch, oder: Absehen von Strafe erörtert?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 02.03.2022 – 205 StRR 53/21 – zu einer Strafzumessungsfrage.

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und weist ihn an, eine Geldbuße von 1000,00 EUR an einen gemeinnützigen Verein zu bezahlen sowie für die Dauer von einem Jahr keine illegalen Drogen zu konsumieren und sich zwei Drogenscreenings zu unterziehen. Den Urteilsfeststellungen zufolge befand sich der Angeklagte, der über keine für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte, am 29.07.2020 im Besitz von 0,4 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % Tetrahydrocannabinol. Die Möglichkeit eines Absehens von Strafe wird im Urteil nicht erwähnt.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hat:

„2. Die Revision des Angeklagten hat aber in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch der Entscheidung kann keinen Bestand haben, da das angefochtene Urteil nicht erkennen lässt, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG keinen Gebrauch gemacht hat. Zwar hat der Angeklagte keinen Anspruch auf Absehen von Strafe. Die Prüfung muss allerdings unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls erfolgen und unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Dabei ist insbesondere den Grund-sätzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 (NJW 1994, 1577 ff) zum Übermaßverbot bei der Strafverfolgung von gelegentlichen Eigenverbrauchstätern aufgestellt hat, Rechnung zu tragen. Da das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht nur für den Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch für die Gerichte gilt, richtet sich diese verfassungsrechtliche Anweisung auch an die Richter. Das bedeutet, dass das Gericht in einem Fall des gelegentlichen Eigenverbrauchs bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtmG dessen Anwendung besonders intensiv und sorgfältig zu erwägen hat. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht sich dieser Möglichkeit und seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, davon im Regelfall Gebrauch zu machen, bewusst war und es muss die Gründe, die es veranlasst haben, im konkreten Einzelfall von dieser grundsätzlichen Verpflichtung abzuweichen, eingehend und in der Form, die auch sonst für die Urteilsbegründung gilt, darlegen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2005 – 1 Ss 271/05 – juris Rdn. 4 ff; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 9. Aufl. § 29 Teil 29 Rdn. 69). Kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht, wenn der Angeklagte weder Probierer noch Gelegenheitskonsument ist oder eine Vielzahl von Vorstrafen entgegenstehen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, a.a.O.).

Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil war der letzte Drogenkonsum des Angeklagten im August 2020. Im Übrigen rauche er nur gelegentlich (UA S. 3). Wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist er mit einem Jugendarrest und einer richterlichen Weisung vorgeahndet (UA S. 3/4). Anhaltspunkte, dass das Gericht sich mit der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG befasst hat, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht er-sichtlich. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Vorahndung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (über vier Jahre, UA S. 3/4) und den bisherigen Feststellungen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Drogenkonsum des Angeklagten liegt vorliegend allerdings kein Fall vor, wo von vornherein kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht. Da das Amtsgericht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 29 Abs. 5 BtmG nicht erörtert hat, ist dem Senat die Prüfung nicht möglich, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe keinen Gebrauch gemacht hat. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Laufen zurückzuverweisen.“

BtM II: LG verurteilt wegen „Abgabe“ an Minderjährige, oder: BGH macht daraus „Verbrauchsüberlassung“

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Bei der zweiten „BtM-Entscheidung“ des Tages handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 StR 458/21.

Das LG hat den Angeklagten wegen der „unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige“ in drei Fällen sowie wegen „Bestimmens Minderjähriger zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ in 14 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die zu einer Korrektur des Schuldspruchs führt:

„2. Der Schuldspruch bedarf der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Korrektur.

a) Der Angeklagte hat sich im Fall II. 4. der Urteilsgründe (Tat 3) nicht wegen Abgabe, sondern wegen Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG strafbar gemacht.

aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen übergab der 32-jährige Angeklagte einem 15 Jahre alten Schüler in Kenntnis dessen Alters bei einem Zusammentreffen in einem Park von ihm selbst gebackene Muffins und Kekse zum sofortigen Konsum vor Ort. Dabei verschwieg er dem Jugendlichen, dass er bei der Herstellung dem Teig Cannabis beigefügt hatte. Dieser verzehrte die Backwaren direkt nach deren Erhalt in Unkenntnis des Umstandes, dass sie Betäubungsmittel enthielten. Kurze Zeit später geriet er in einen massiven Rauschzustand, der zu seiner Einlieferung in ein Krankenhaus führte.

bb) Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An einer solchen fehlt es, wenn Betäubungsmittel – wie im Fall II. 4. der Urteilsgründe – zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben werden; in dieser Konstellation liegt vielmehr die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch vor (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 19/21 , juris Rn. 8; Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 , juris Rn. 23; Beschlüsse vom 14. April 2015 – 5 StR 109/15 , NStZ-RR 2015, 218; vom 8. Juli 1998 – 3 StR 241/98 , NStZ-RR 1998, 347; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 830, 1205; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 29a Rn. 5.2; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 19; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1542 f.).

Dies gilt auch dann, wenn der Täter – wie hier – dem Minderjährigen ein Lebensmittel zum sofortigen Verzehr übergibt, dabei verschweigt, dass dieses Betäubungsmittel enthält und der Empfänger das Rauschgift daher unwissentlich konsumiert. In einer solchen Fallkonstellation ist kein Verabreichen von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG gegeben.

Die Abgrenzung der Tatbestandsvariante des Verabreichens von derjenigen der Verbrauchsüberlassung bestimmt sich allein nach dem äußeren Geschehensablauf. Ein Verabreichen ist gegeben, wenn der Täter dem Empfänger das Betäubungsmittel ohne dessen aktive Mitwirkung zuführt, etwa durch Injizieren, Einreiben oder Einflößen (Fremdapplikation; vgl. BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 584; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1198; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Übergibt der Täter dagegen einer anderen Person Betäubungsmittel und führt diese sie sich eigenständig zu (Eigenapplikation), unterfällt die Tat der Variante der Verbrauchsüberlassung (BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 588; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1206; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1544). Darauf, ob der Empfänger Kenntnis davon hat, dass er ein Betäubungsmittel konsumiert, kommt es demgegenüber nicht an (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1207; s. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08 , BGHSt 53, 288 Rn. 4; aA MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 Rn. 1225 f.; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 30 Rn. 75; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Schon begrifflich liegt es nahe, die Tatbestandsvariante des Verabreichens auf Fälle der Beibringung ohne aktive Mitwirkung des Empfängers zu beschränken und Taten, bei denen der Empfänger ein ihm vom Täter übergebenes Betäubungsmittel sich selbst zuführt, als Überlassung von Betäubungsmitteln zum Verbrauch zu erfassen.“

Aber:

„cc) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab ( § 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Es ist angesichts des unveränderten Strafrahmens und der weiteren Umstände auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung im Fall II. 4. der Urteilsgründe eine geringere Einzelstrafe festgesetzt hätte.“