Archiv der Kategorie: Strafrecht

StGB I: Erschlichene Beschäftigung als (Nicht)Arzt, oder: Vermögensschaden. ja oder nein?

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Und heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar dreimal vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 – zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die erschlichene Beschäftigung als Arzt einen Vermögenschaden i.S. Sinn des § 263 StGB darstellen kann.

Das LG hat den Angeklagten u.a. (nur) wegen Urkundenfälschung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG, hatte sich der Angeklagte, der nie Medizin studiert hat, erfolgreich auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes beworben, wobei er eine gefälschte Stu­dienbescheinigung vorlegte. Der DRK-Kreisverband schloss mit der Stadt später einen zuvor von dem Angeklagten auf Seiten des DRK ausgehandelten Vertrag über die Durchführung von COVID-19-Tests, zur Bereitstellung von zwei Personen (Arzt/Ärztin und geeignetes medizinisches Fachpersonal), zur Einsatz­planung und Durchführung der Testungen usw. Für die dadurch entstehenden Personal- und Materialkosten zahlte die Stadt dem DRK eine pauschale Vergütung von zuletzt 210 EUR pro Stunde. Zur Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen beauftragte das DRK den Angeklagten. Der Angeklagte organisierte in der Folgezeit die Durchführung der Testun­gen und verpflichtete die hierzu erforderlichen Mitarbeiter. Nur in Einzelfällen nahm der Angeklagte auch selbst Abstriche vor. Seine gleichwohl als „Arzt­leistungen“ bezeichneten Aufwände rechnete der Angeklagte gegenüber dem DRK-Kreisverband ab, der insgesamt mindestens 500.000 EUR an den An­geklagten überwies. Später wurde eine weitere Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen. Danach verpflichtete sich das DRK, der Stadt einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Ar­beitszeit von 39 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug ver­pflichtete sich die Stadt, dem DRK für die Gestellung des Arztes eine mo­natliche Pauschale von 6.300 EUR zu zahlen, die neben die bisherigen Zahlungen treten sollte. Als Arzt wurde der Angeklagte eingesetzt.

Die StA hat Revision eingelegt, mit der sie die nicht erfolgte Verurteilung wegen Betruges gerügt hat. Die Revision war erfolgreich:

„Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, weil es am Eintritt eines Vermögensschadens fehle, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 ? 4 StR 396/21, wistra 2022, 471; Beschluss vom 29. Januar 2013 – 2 StR 422/12, NStZ 2013, 711, 712; Beschluss vom 23. Februar 1982 – 5 StR 685/81, BGHSt 30, 388, 389; Beschluss vom 18. Juli 1961 – 1 StR 606/60, BGHSt 16, 220, 222; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 263 Rn. 111 mwN). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – 3 StR 221/18, NStZ 2020, 291, 293 Rn. 29; Urteil vom 12. März 1996 ? 1 StR 702/95, BGHSt 45, 1, 13; Urteil vom 4. Mai 1962 – 4 StR 71/62, BGHSt 17, 254, 255).

b) Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Wertung, es sei weder dem von dem Angeklagten über seine Arzteigenschaft getäuschten DRK, noch der insoweit durch den Angeklagten getäuschten Stadt H.    ein Vermögensschaden entstanden, auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht nachvollziehbar; dies gilt jedenfalls, soweit es die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 betrifft.

aa) Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt H.    ausdrücklich dazu, ihr einen Arzt zu stellen, ohne entsprechend objektiv leistungsfähig zu sein, weil der dafür vorgesehene Angeklagte kein Arzt war. Als Gegenleistung sollte ein Betrag in Höhe von monatlich 6.300 € entrichtet werden. In Umsetzung dieser Vereinbarung verpflichtete sich der Angeklagte gegenüber dem DRK, als Arzt bei der Stadt H.    tätig zu werden, ohne über die hierzu erforderliche und – soweit ersichtlich – vertraglich geschuldete berufliche Qualifikation zu verfügen. Bei dieser Sachlage liegt die Annahme eines Negativsaldos sowohl zum Nachteil des DRK wie auch der Stadt H.    nahe. Abweichendes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine bestimmte Eingrenzung der auf dieser Vertragsgrundlage geschuldeten Tätigkeiten ist den Urteilsfeststellungen, die den Vereinbarungsinhalt nur auszugsweise wiedergeben, nicht zu entnehmen. Vielmehr deutet der in den Urteilsgründen wiedergegebene Vereinbarungstext darauf hin, dass das vom Angeklagten zu erfüllende Leistungsspektrum offen gestaltet war und daher auch Tätigkeiten erfasste, die nur von einem Arzt ausgeübt werden konnten. Zweck der Vereinbarung war es aus Sicht der Stadt H.   , durch die Mitarbeit des Angeklagten die (einzige) Ärztin des Gesundheitsamtes im Bereich des Infektionsschutzes zu entlasten. Die dem DRK von der Stadt H.    zugesagte Vergütung orientierte sich dabei ausdrücklich an den für die Anstellung eines Arztes anfallenden Kosten. Dafür, dass vom Vertragsinhalt wenigstens auch ärztliche Leistungen erfasst waren, spricht zudem die von der Strafkammer festgestellte Vertragspraxis, soweit sie zwischen den Parteien in Vollzug der Vereinbarung vom 30. September 2020 „gelebt“ wurde. Danach erbrachte der Angeklagte jedenfalls auf einem Teilgebiet auch Leistungen, die einem Arzt vorbehalten waren, nämlich die von ihm verfasste fachärztliche Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin. Soweit das Landgericht dieser Tätigkeit jeden Indizwert für die vertraglich geschuldeten Leistungen abspricht, ist dies nicht nachvollziehbar.

Gleiches gilt für die tatgerichtliche Feststellung, allen Beteiligten sei bei Abschluss der Ergänzungsvereinbarung „klar“ gewesen, dass der Angeklagte von der Stadt „weiterhin ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung und nicht für medizinische Leistungen“ habe eingesetzt werden sollen. Insoweit kann nicht nachvollzogen werden, dass und auf welche Weise diese – in einem auf die Gestellung eines Arztes gerichteten Vertrag objektiv nicht naheliegende – Beschränkung auf nicht medizinische Leistungen Eingang in die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 gefunden haben könnte. Die Annahme, dass der Angeklagte allein das bisher von ihm erbrachte Leistungsspektrum fortführen sollte, stünde im Übrigen in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass diese Ergänzungsvereinbarung vor dem Hintergrund eines bei der Stadt bestehenden Bedarfs an zusätzlichem medizinischen Sachverstand geschlossen wurde und noch während der Laufzeit der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem DRK und der Stadt vom 14. Juli 2020 wirksam werden sollte.

bb) Darauf, ob bei der tatsächlichen Ausführung der Verträge von dem Angeklagten auch auf der Grundlage der Ergänzungsvereinbarung ab dem 1. Oktober 2020 weiterhin nur solche Leistungen abgefordert worden sein mögen, für die es keiner Approbation als Arzt bedurfte, kommt es für die Frage des Eingehungsbetruges nicht an. Ebenfalls rechtlich ohne Belang ist eine etwaige Anfechtbarkeit der zwischen dem DRK und der Stadt H.    abgeschlossenen, zuvor durch den Angeklagten ausgehandelten Ergänzungsvereinbarung nach § 123 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 160; Beschluss vom 16. Juli 1970 – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300, 302 mwN). Denn die Anfechtungsmöglichkeit setzte die Kenntnis von der fehlenden Approbation des Angeklagten voraus. Diese Kenntnis sollte sowohl der Stadt H.    als auch dem DRK gerade verborgen bleiben und die Feststellungen legen ? obschon sie sich nicht dazu verhalten, ob die Vergütungen im Voraus oder erst am Monatsende zu zahlen waren ? nahe, dass bei Vertragsschluss jedenfalls ungewiss war, ob die getäuschten Vergütungspflichtigen (DRK und Stadt) sie vor Erbringung ihrer Gegenleistungen erlangen würden.

cc) Schließlich kann den Urteilsgründen – auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs – kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Angeklagte eine vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht hätte, die die nach den Urteilsfeststellungen zusätzlich, neben der Vergütung der für den Aufbau und Durchführung des Testzentrums sowie der Durchführung der Corona-Tests geschuldete Pauschale von 6.300 bzw. 6.000 € gerechtfertigt hätte. Vielmehr führte der Angeklagte „weiterhin“ die bereits zuvor von ihm erbrachten Tätigkeiten (Testabstriche, Organisation und Vornahme von Reihentestungen, Kontaktnachverfolgung) aus.

dd) Die tatgerichtliche Annahme, dass auch nach Abschluss der Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 ein Vermögensschaden weder beim DRK noch bei der Stadt H.    eingetreten ist, liegt danach fern und hätte einer ins Einzelnen gehenden Erörterung bedurft, an der es fehlt. Angesichts der insgesamt unzureichenden Feststellungen zu den Vertragsgestaltungen im Einzelnen sowie der lückenhaften Beweiserwägungen zu dem ? objektiven ? Wert der vom Angeklagten erbrachten Leistungen vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“

Fahrerlaubnis II: Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis droht

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Die zweite Entscheidung, der LG Lüneburg, Beschl. v. 27.06.2023 – 111 Qs 42/23 -, behandelt noch einmal die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter.

Dem Beschuldigten wird eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter am 16.04.2023 um 01.36 Uhr zur Last gelegt. Eine ihm um 02:00 Uhr entnommene Blutprobe habe einen Blutalkoholgehalt von 1,49 Promille ergeben. Der Führerschein wurde noch in der Vorfallsnacht am 16.04.2023 sichergestellt. Der Beschuldigte hat Beschwerde gegen die vorläufige Erziehung der Fahrerlaubnis eingelegt. Die hatte keinen Erfolg.

„Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Nach Aktenlage liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass dem Beschuldigten in einem Strafbefehl oder einer Hauptverhandlung die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB für alle Arten von Kraftfahrzeugen entzogen werden wird.

Der von dem Beschuldigten benutzte E-Scooter ist ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung und als solcher ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG. Bei der Bewertung einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter gemäß § 316 StGB ist die Promillegrenze für die absolute Fahruntüchtigkeit wie bei allen Kraftfahrzeugen bei 1,1 o/oo anzusetzen. Auch wenn eine Vergleichbarkeit eines auf eine Geschwindigkeit jedenfalls bis 25 km/h begrenzten E-Scooters mit einem Pedelec diskutiert werden kann, ist dieser – anders als in § 1 Abs. 3 StVG für Pedelecs normiert – gesetzlich nicht als Fahrrad eingestuft. Dies ist auch für den rechtlichen Laien erkennbar, weil für einen E-Scooter eine Haftpflichtversicherung zwingend ist, weshalb für E-Scooter ein Kennzeichen ausgegeben wird, was ihn einem gering motorisierten Mofa, nicht aber einem Pedelec, gleichstellt.

Vorliegend ist der Beschuldigte nach dem um 02:00 Uhr gemessenen Blutalkoholwert von 1,49 o/oo jedenfalls einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 Abs. 2 StGB dringend verdächtig und damit der Anwendungsbereich des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB, der bei einer Trunkenheitsfahrt in der Regel eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich zieht, eröffnet. Aber auch bei einem erfüllten Regelbeispiel nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist der Fahrerlaubnisentzug nicht zwingend, sondern unterliegt einer Ermessensentscheidung des Gerichts. Wegen des geringeren abstrakten Gefährdungspotentials für den öffentlichen Straßenverkehr im Vergleich zu einem „klassischen“ Kraftfahrzeug ist bei einer Trunkenheitsfahrt unter Benutzung eines E- Scooters das Vorliegen eines Ausnahmefalls eingehend zu prüfen. Die Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls ergeben bei vorläufiger Würdigung aber keine Bagatellfahrt, die die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Der Beschuldigte wurde nach Aktenlage um 01.26 Uhr auf dem Radweg der H. H.-straße in C. in Höhe der Hausnummer 29 von einer Polizeistreife angetroffen. Er fuhr nach dem Bericht der PK`in S. mit leichten Schlenkbewegungen auf dem parallel zur Fahrbahn verlaufenden Radweg, allerdings auf der falschen Straßenseite, obwohl laut der Satellitenansicht in google maps ein gegenüberliegender Radweg vorhanden ist. Die H. H.-straße ist als Teil der B 3 eine Hauptverkehrsstraße, weshalb auch um 01.26 Uhr, zumal am Wochenende in einer Nacht von Samstag auf Sonntag, innerorts noch mit Verkehr zu rechnen ist. Zudem beabsichtigte der Beschuldigte nach seiner Einlassung, nicht nur eine kurze Strecke zu fahren. Denn er wollte mit dem E-Scooter zu seiner Wohnanschrift in der G.-H.-Straße fahren, die im Ortsteil S. etwa 6 km von dem Ort seines Antreffens entfernt liegt.“

Fahrerlaubnis : Länge der Fahrerlaubnissperre, oder: Wenn die Sperrfrist falsch berechnet wird….

Und dann Wochenstart. Ich beginne die 34. KW. mit zwei Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69a StGB.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 11.04.2023 – 4 StR 47/23. Nichts Dolles, aber immerhin mal wieder der BGH. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Fahrerlaubnissperre von vier Jahren verhängt.

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat hinsichtlich der Fahrerlaubnissperre aufgehoben.

1. Die Anordnung einer Fahrerlaubnissperre für die Dauer von vier Jahren (§ 69a Abs. 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Dauer der Sperre hat das Landgericht ? worauf es in den schriftlichen Urteilsgründen ausdrücklich hingewiesen hat ? unter Berücksichtigung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse T (vgl. § 111a StPO), die seit dem 2. Mai 2019 angeordnet worden ist, bemessen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Dauer der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung auf die verhängte und mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils beginnende Sperre voll eingerechnet wird und hat nicht bedacht, dass gemäß § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB nur die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis eingerechnet wird, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist. Das Landgericht hat die Sperre deshalb zu lange bemessen, so dass die Anordnung schon deshalb der Aufhebung unterliegt.

2. Der Senat hebt ? dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend ? auch die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 1 StGB) auf. Zwar ist die Maßregelanordnung rechtsfehlerfrei begründet. Angesichts des Zeitablaufs erscheint es jedoch nicht ausgeschlossen, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht die Frage der charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Fahrzeugen der Klasse T abweichend bewerten könnte.

3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

Sollte das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht erneut die Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen, wird es eine Entscheidung über die Einziehung des Führerscheins des Angeklagten zu treffen haben (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB). Dies kann noch im zweiten Rechtsgang geschehen. Das Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 StPO) stünde einer Nachholung dieses Maßnahmenausspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2019 ? 4 StR 390/19 Rn. 22; Beschluss vom 8. Oktober 2014 ? 4 StR 262/14; Urteil vom 5. November 1953 ? 3 StR 504/53, BGHSt 5, 168, 178 f.).“

Der § 69a Abs. 5 StGB wird häufig übersehen….

StPO II: Einziehung einer Photovoltaikanlage, oder: Zubehör ist rechtlich selbständig

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Und als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22.

Das LG hat den Angeklagten F.   wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Einziehung teilweise Erfolg hatte:

„1. Nach den Feststellungen betrieben die bereits verurteilten D.Y., T., O.Y. sowie weitere Personen in der leerstehenden Tennishalle des Angeklagten F. eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte F. den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

……

3. Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

Verkehrsrecht III: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Drucksituation widerlegt Regelvermutung

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Und dann lege ich gleich noch einmal nach bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar mit dem LG Itzehoe, Beschl. v. 11.07.2023 – 14 Qs 86/23 . Der Beschluss ist ebenfalls in einem Verfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ergangen.

Das AG hat die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen (§ 111a StPO), das LG hebt auf die Beschwerde hin aus, weil nach seiner Auffassung die Regelvermutung widerlegt ist:

„1. Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO liegen nicht vor. Nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO kann einem Beschuldigten in einem Strafverfahren die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Fahrerlaubnis mit einem späteren Urteil entzogen werden wird, § 69 StGB. Dies ist auf-grund des derzeitigen Sachstands jedoch nicht der Fall.

So sind vorliegend dringende Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach Durchführung der Hauptverhandlung entzogen werden wird, derzeit nicht ersichtlich, da es vorliegend an dem erforderlichen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit fehlt, dass das Tatgericht den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen wird.

Zwar sind vorliegend – nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen – die Voraussetzungen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt. Die Regelvermutung ist aufgrund der bestehenden Umstände des vorliegenden Einzelfalls jedoch derzeit als widerlegt anzusehen.

Eine Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB ist gegeben, wenn besondere Um-stände vorliegen, welche die Vermutung der fehlenden Eignung entkräften, weil sie die Tat als weniger schwerwiegend erscheinen lassen als den Regelfall (Böse/Bartsch in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Auflage 2023, § 69 StGB Rn. 14; Heuchemer in: BeckOK StGB, 57. Edition, Stand: 01.05.2023, § 69 StGB, Rn. 43). Dies ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die Tat angesichts besonderer Umstände in der Person des Täters persönlichkeitsfremd erscheint, in einer Ausnahmesituation begangen wurde und eine Gesamt-würdigung ergibt, dass mit einer Wiederholung der Tat nicht zu rechnen ist (Heuchemer in: BeckOK StGB, 57. Edition, Stand: 01.05.2023, § 69 StGB, Rn. 45). Dies ist nach dem derzeitigen Sachstand vorliegend der Fall.

So ist die Tat bei einer Gesamtschau aller derzeit aktenkundigen Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung der Einlassung des Beschuldigten – welche nach Auffassung der Kammer jedenfalls plausibel und derzeit nicht durch sonstige aktenkundige Umstände widerlegt ist und daher zugunsten des Beschuldigten zugrunde zu legen ist – als ein, in einer Drucksituation aufgetretenes, Augenblickversagen anzusehen, mit dessen Wiederholung nach der Auffassung der Kammer derzeit nicht zu rechnen ist.

Der Beschuldigte hat sich vorliegend – nach seiner plausiblen Einlassung – allein deshalb für das Verlassen des Unfallortes entschieden, weil er zum Zeitpunkt des Unfalls als Verkaufsfahrer des Lebensmittellieferanten Bofrost mit seiner Lieferung an einen Kunden 1,5 Stunden in Verzug war und dieser Kunde sich bei dem Beschuldigten telefonisch gemeldet und mitgeteilt hatte, dass die-ser zeitnah das Haus verlassen würde. Allein aufgrund dieser beruflichen Drucksituation hat sich der Beschuldigte – wie sowohl in der Beschwerdebegründung seines Rechtsanwaltes vom 05.06.2023 (Blatt 69 ff. der Akten), als auch von dem Beschuldigten persönlich in seinen Angaben anlässlich der Anhörung vom 29.12.2022 (Blatt 15 der Akten) angegeben – fälschlicherweise dazu entschieden, zunächst die Lieferung an den besagten Kunden in unmittelbarer Nähe zum Unfallort durchzuführen und erst danach an den Unfallort zurückzukehren, um die Polizei zu informieren. Ob die Rückkehr an den Unfallort von dem Beschuldigten tatsächlich beabsichtigt war, ist durch das Tatgericht aufzuklären, muss durch das hiesige Beschwerdegericht – angesichts der Plausibilität der Einlassung und mangels dies widerlegender Anhaltspunkte in den Akten – zugunsten des Beschuldigten jedoch angenommen werden. Zudem ist der Beschuldigte – trotz seiner Eigenschaft als Berufskraftfahrer und dem damit einhergehenden überdurchschnittlichen Fahraufkommen – seit 32 Jahren, ausweislich des Auszuges aus dem Bundeszentralregister vom 23.01.2023 und dem Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 21.03.2023, weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.

Auch wenn das Verhalten des Beschuldigten trotz seiner Absicht zur Rückkehr an den Unfallort den Tatbestand des § 142 StGB erfüllt, so stellt sich die vorliegende Tat jedoch angesichts der oben genannten Umstände derzeit als eine solche dar, die vom Regelfall des § 142 Abs. 1 StGB in positiver Hinsicht deutlich abweicht.

Auch unabhängig von der Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist eine Ungeeignetheit des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen auf der Grundlage einer tatbezogenen Eignungsprüfung des Beschuldigten derzeit nicht ersichtlich. Eine solche besteht nur dann, wenn die Anlasstat die tragfähigen Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen (BGH, Urteil v. 27.04.2005 – GSSt 2/04 = NJW 2005, 1957, 1959). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Diesbezügliche Anhaltspunkte sind für die Kammer derzeit nicht ersichtlich.“

Na ja. Darüber kann man m.E. diskutieren 🙂 .