Das LG hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die in beiden Fällen eine tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung erstrebt. Die Revison hatte Erfolg:
„Die Revision der Staatanwaltschaft hat Erfolg.
1. Zu Recht rügt sie, dass die Jugendkammer jeweils die Anwendung von Gewalt als Nötigungsmittel im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF verneint hat.
a) Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF ist gegeben, wenn der Täter durch eigene Kraftentfaltung das Opfer einem körperlich wirksamen Zwang aussetzt, um damit geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. April 2009 – 4 StR 88/09, NStZ-RR 2009, 202; vom 31. Juli 2013 – 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Es kommt mithin nicht darauf an, ob das Opfer des Übergriffs tatsächlich Widerstand leistet; es genügt, wenn die körperliche Zwangseinwirkung der Verhinderung von erwarteter Gegenwehr dient (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 1988 – 4 StR 201/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 2; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 177 Rn. 69; insoweit missverständlich BGH vom 31. Juli 2013 – 2 StR 318/13, aaO; vgl. zur Fortgeltung dieser Maßstäbe im geltenden Recht BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – 6 StR 7/20, NStZ-RR 2020, 312; Beschluss vom 12. Dezember 2018 – 5 StR 451/18, BGHR StGB § 177 nF Abs. 5 Gewalt 1).
b) Gemessen daran hält die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe keine Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF ausgeübt, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar hat es seiner rechtlichen Würdigung die zutreffenden rechtlichen Maßstäbe vorangestellt, sie aber bei der konkreten Subsumtion unvollständig und zu eng gehandhabt.
aa) Die Jugendkammer hat ihre Auffassung wie folgt begründet: Nach ihren Feststellungen, die sie aufgrund der glaubhaften Schilderungen der geschädigten Mädchen getroffen hat, habe keine „gegen sie gerichtete Kraftentfaltung“ vorgelegen, die von ihnen als körperlicher Zwang „empfunden“ worden sei. Zudem habe sie keine Abwehrhandlungen festzustellen vermocht, „aus denen der Angeklagte auf einen etwaigen Widerstand hätte schließen können“.
bb) Dies erweist sich unter zwei Gesichtspunkten als rechtsfehlerhaft.
(1) Das Landgericht ist von einem zu engen Gewaltbegriff ausgegangen. Nach den Feststellungen im Fall 1 der Urteilsgründe fasste der Angeklagte die elfjährige, auf einer Couch sitzende Geschädigte R. am Oberschenkel an, hielt sie am Arm fest, entkleidete ihren Unterkörper und führte unter anderem den Geschlechtsverkehr an dem nun auf dem Rücken liegenden Mädchen aus. Im Fall 2 der Urteilsgründe hat die Jugendkammer festgestellt, dass der Angeklagte die zwölfjährige Geschädigte S. auf eine am Boden des Fabrikgebäudes liegende Tür legte, ihre Beine spreizte, sich auf sie legte und dann mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang. Handlungen wie das Festhalten eines Armes des Opfers unmittelbar vor dem sexuellen Übergriff, das Auseinanderdrücken der Beine oder der Einsatz überlegener Körperkraft (etwa durch das Legen des Opfers auf den Rücken) können im Einzelfall Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF darstellen; das Gleiche gilt, wenn der Täter sich mit seinem Körpergewicht auf das Opfer legt (vgl. BGH, Urteile vom 10. Februar 2011 – 4 StR 566/10, NStZ 2011, 456, 457; vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; vom 15. Juli 2020 – 6 StR 7/20, NStZ-RR 2020, 312). Soweit das Landgericht in der rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, die geschädigten Mädchen hätten die Handlungen des Angeklagten nicht als körperlichen Zwang „empfunden“, handelt es sich um eine Wertung, für die es an einer ausreichenden Feststellungsgrundlage fehlt. Mangels einer genaueren Schilderung des Verhaltens sowohl des Angeklagten als auch der Geschädigten ist dem Senat eine Überprüfung verwehrt, ob die Jugendkammer im Ergebnis zu Recht eine von den Handlungen des Angeklagten ausgehende Zwangseinwirkung auf die Opfer verneint hat.
(2) Die Ausführungen des Landgerichts lassen außer Betracht, dass es genügen kann, wenn der Täter die Gewalthandlungen im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF vornimmt, um von ihm erwarteten Widerstand des Opfers zu begegnen, wenn die körperliche Zwangseinwirkung dazu dient, eine mögliche Gegenwehr (vorbeugend) zu verhindern. Die Jugendkammer hat ihre Auffassung damit begründet, dass sich die Geschädigten weder gegen den sexuellen Übergriff gewehrt noch sich währenddessen geäußert haben. Mit der Möglichkeit, dass der Angeklagte mit seiner Kraftentfaltung gegen die Geschädigten einen von ihm erwarteten Widerstand vorbeugend unterbinden wollte, hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt. Mangels näherer Schilderung des Verhaltens des Angeklagten und der Geschädigten kann der Senat nicht nachprüfen, ob der Angeklagte mit dieser Intention handelte. Eine genauere Erörterung dieser Frage wäre umso mehr angezeigt gewesen, als der Angeklagte vor der ersten Tat seinen Bruder aus dem Zimmer schickte, die Geschädigte R. angegeben hat, sie habe sich wehren und den Angeklagten wegdrücken wollen, und die Geschädigte S. neben Schmerzen auch bekundet hat, dass sie „wie gelähmt“ und „ihre Muskeln … wie eingefroren“ gewesen seien, sie wie „in Schockstarre verfallen gewesen“ sei.“