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OWi I: Abstandsverstoß des Honorarkonsuls, oder: Greift die Immunität?

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Nach dem gestrigen „Doppelwumms“ 🙂 geht es hier ohne „Wumms“ weiter – as usual. Heute kommen OWi-Entscheidungen.

Hier zunächst der BayObLG, Beschl. v. 01.07.2024 – 201 ObOWi 405/24 – zur Reichweite der Immunität von Honorarkonsuln bei Verstößen im Straßenverkehr.

Das AG hat den Betroffenen wegen eines Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er macht insbesondere geltend, das Urteil sei wegen des Verfahrenshindernisses nach § 19 Abs. 1 GVG i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Deutschland beruft sich darauf, Honorarkonsul der Republik X zu sein, und die Fahrt in Wahrnehmung seiner konsularischen Aufgaben durchgeführt zu haben. Deshalb bestehe das Verfahrenshindernis der fehlenden deutschen Gerichtsbarkeit (Immunität).

Das hat das BayObLG anders gesehen:

„1. Ein Verfahrenshindernis wegen Immunität besteht hier nicht. Zwar ist aufgrund der vom Betroffenen vorgelegten Ablichtungen davon auszugehen, dass der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und ständiger Ansässigkeit im Bundesgebiet als Honorarkonsul für die Republik X mit dem Konsularbezirk des Landes Y ernannt wurde und als solcher vom Wiener Übereinkommen vom 24.04.1963 über konsularische Beziehungen (BGBl 1969 II, S. 1585 – kurz: WÜK) erfasst ist, das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 07.10.1971 (BGBl 1971 II, S. 1285) und für die Republik X seit […] deshalb als geltendes Recht unmittelbar anzuwenden ist (LR/Berg StPO 27. Aufl. § 19 GVG Rn 1). Damit ist eine Befreiung des Betroffenen von der deutschen Gerichtsbarkeit in Betracht zu ziehen. Davon ist auch das Amtsgericht zutreffend ausgegangen. Immunität führt zu fehlender Gerichtsunterworfenheit und begründet ein persönliches Strafverfahrenshindernis. Ob Immunität im Sinne der §§ 18-20 GVG besteht, haben die Gerichte ohne Bindung an behördliche Auffassungen zu prüfen (BGHSt 32, 275).

a) Honorarkonsularbeamte, die wie der Betroffene Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig, sind anders als die Berufskonsuln (Art. 43 Abs. 1 WÜK) zu behandeln. Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, genießen nach den Regelungen der Art. 1 Abs. 3, 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen. Somit gilt für die Honorarkonsuln lediglich die sogenannte Amtshandlungsimmunität nach Art. 71 Abs. 1 WÜK, denn die überwiegende Mehrheit der in Deutschland zugelassenen Honorarkonsuln sind deutsche Staatsangehörige oder dort ständig ansässig. In Deutschland gilt die Vorschrift über § 19 GVG. Diese sogenannte Amtshandlungsimmunität ist enger als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität. Da Honorarkonsulinnen und -konsuln häufig Angehörige des Empfangsstaats sind und sie ihr Amt lediglich als Nebentätigkeit ausüben, bleibt der für sie vorgesehene Privilegienrahmen hinter dem der Berufskonsularbeamten zurück (BT-Drs. 20/4411 S. 7).

b) Die Generalstaatsanwaltschaft München führt in diesem Zusammenhang aus:

„Soweit die Rechtsbeschwerde die beschriebene Unterscheidung in Zweifel zieht, entfernt sie sich von dem Wortlaut des Übereinkommens, das in der u.a. maßgeblichen englischen und französischen Fassung zwischen der Immunität ‚in respect of acts performed in the exercise of consular functions‘ bzw. ‚pour les actes accomplis dans l´exercice des fonctions consulaires‘ (Art. 43 Abs. 1 WÜK) und der Befreiung von der Gerichtsbarkeit und persönlicher Unverletzlichkeit ‚in respect of official acts performed in the exercise of their functions‘ bzw. ‚pour les actes officiels accomplis dans l´exercice des leurs fonctions‘ (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK) unterscheidet, sowie in systematischer Hinsicht von dem ‚Konzept abgestufter Immunitäten‘, das dem gesamten WÜK zugrunde liegt (vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 WÜK). Der Begriff der ‚Amtshandlung‘ ist nach seinem maßgeblichen Wortsinn enger als ‚Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden‘, wobei es nicht auf die deutsche Übersetzung, sondern auf den verbindlichen fremdsprachigen Wortlaut ankommt (Art. 79 WÜK), der in Art. 71 Abs. 1 WÜK den Zusatz ‚official‘ bzw. ‚officiel‘ enthält. Hinzu kommt, dass Art. 71 Abs. 1 WÜK, anders als Art. 58 Abs. 2 WÜK, vorbehaltlos nur auf die Benachrichtigungspflichten im Fall der Festnahme oder Strafverfolgung aus Art. 42 WÜK und die Beschränkung der Zeugnispflicht in Art. 44 Abs. 3 WÜK verweist (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 a.E., Abs. 1 Satz 2 WÜK), nicht aber auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, sodass auch die Regelungstechnik der Norm dafür spricht, dass dauerhaft gebietsansässigen Konsularbeamten gerade keine Immunität in demselben Umfang wie Konsularbeamten im Sinne von Art. 1 Abs 2 WÜK zugebilligt werden soll.“

Dem tritt der Senat bei.

c) Die Amtshandlungsimmunität umfasst nur die unmittelbare, echte Amtshandlung in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und nicht etwa auch Vorgänge, die damit nur in einem engen funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.06.2013 – Az. 1 SsBs 15/13 bei juris; BeckOK/Valerius GVG 23. Ed. 15.05.2024 § 19 Rn. 9). Eine Dienstfahrt zum Ort der Amtshandlung ist daher von der Amtshandlungsimmunität nicht erfasst (KK/Barthe/Gericke StPO 9. Aufl. GVG § 18 Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland Teil 1. B. 2.13.2; Kreicker, in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 136. Lieferung 6/2024, Ziff. 8.3), ebenso wenig Fahrten zum täglichen Dienst, nach Hause oder der Weg von der eigenen Wohnung zu einem offiziellen Empfang. Dies wird zudem im Rundschreiben des Auswärtigen Amts vom 15.09.2015 (Rundschreiben des Auswärtigen Amtes zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland v. 15.09.2015, Gz. 503-90-507.00, GMBl. 2015 Nr. 62/63 S. 1206 Teil I B. Ziff. 2.13.2) dahingehend näher erläutert, dass diese sog. Amtshandlungsimmunität enger ist als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität und nur die Amtshandlung selbst umfasst, nicht aber andere – von der Amtsimmunität noch erfasste – Handlungen, die mit der eigentlichen Amtshandlung lediglich in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen.

Auch das OLG Karlsruhe hat klargestellt, dass sich Honorarkonsuln nur dann auf Immunität berufen können, wenn die Handlung selbst ein wesentlicher Bestandteil der konsularischen Tätigkeit ist (OLG Karlsruhe NStZ 2005, 120). Die von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts BayObLGSt 1973, 191 bezog sich auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, auf den Art. 71 Abs. 1 WÜK für Honorarkonsuln gerade nicht verweist.

2. Gemessen an diesen Maßstäben genießt der Betroffene hier keine Amtshandlungsimmunität. Die Durchführung von Fahrten mit einem Kraftfahrzeug stellt keine spezifische konsularische Aufgabe dar (OLG Düsseldorf NZV 1997, 92f.). Die Fahrt des Betroffenen diente nach seinen Angaben der Abholung eines Staatsangehörigen der Republik X. Nachdem sich der betreffende Staatsangehörige während der Tat noch nicht im Fahrzeug befand, diente die Fahrt somit der Vorbereitung der konsularischen Handlung und hatte damit eine bloße Hilfsfunktion, stellte aber noch nicht die unmittelbare echte Amtshandlung dar, die darin bestand, den […] aufzunehmen. Die Mitnahme der Ehefrau des Betroffenen als Dolmetscherin zur Kommunikation mit dem abzuholenden Staatsangehörigen der Republik X diente auch lediglich der Vorbereitung. Soweit in der Rechtsbeschwerde erstmals vorgetragen wird, der Betroffene habe „während der gesamten Fahrt u.a. im telefonischen Kontakt mit dem […] sowie weiteren Beteiligten gestanden“, zeigt dies nicht konkret ein Telefonat des Betroffenen in Amtsausführung genau zur Tatzeit auf, zumal dies früher gar nicht vorgebracht wurde. Vielmehr wird ausgeführt, der Betroffene habe bei Beginn der Fahrt telefoniert. Anhaltspunkte für ein Telefonat zur Tatzeit ergeben sich auch nicht aus den Feststellungen des Amtsgerichts. Das Mitführen von „erforderlichen Unterlagen“, das ebenfalls erstmals in der Rechtsbeschwerde vorgebracht wurde, diente nur der Vorbereitung der eigentlichen Amtshandlung, nämlich der Abholung des […]. Die Rechtsbeschwerde führt selbst aus, es habe sich um „Vorkehrungen“ gehandelt, zu Beginn der Fahrt seien „Unterlagen“ vorbereitet und mitgeführt worden. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, wie der Betroffene als Fahrer während der Fahrt Unterlagen vorbereiten kann. Soweit in der Gegenerklärung dargelegt wird, die Amtshandlung des Betroffenen habe nicht in der Abholung gelegen, sondern in Hilfe- und Beistandsleistung auch schon vor der Fahrt, steht dies nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fahrt und dem Tatzeitpunkt am 26.12.2022 um 9.58 Uhr. Bei der Amtshandlungsimmunität genügt der bloße sachliche Zusammenhang eben gerade nicht. […]“

Wiedereinsetzung II: Ausbleiben des Betroffenen, oder: Darf der Betroffene seinem Verteidiger vertrauen?

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Die zweite Entscheidung stammt aus einem OWi-Verfahren. Es ist (fast) ein Klassiker. Es geht nämlich um die Frage, ob ein Mandant auf die Auskunft seines Verteidigers, ein Termin werde nicht stattfinden, vertrauen darf.

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid ergangen. Der Verteidiger legte dagegen form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Amtsgericht bestimmte darauf am Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.06.2024, wobei das persönliche Erscheinen der Betroffenen angeordnet wurde.  Am 04.06.2024 beantragte der Verteidiger, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, da er wegen einer Lendenwirbelfraktur, die am 21. beziehungsweise am 24.05.2024 festgestellt worden sei, nicht reisefähig sei. Ab Mitte Juli d. J. könne er wieder Hauptverhandlungstermine wahrnehmen. Das AG forderte vom Verteidiger ein ärztliches Attest an (sic!).

Am 05. Juni 2024 lehnte das AG dann den Verlegungsantrag ab, da eine Arbeits- und/oder Reiseunfähigkeit (des Verteidigers) nicht ärztlich attestiert worden sei. Das AG verwarf in der Hauptverhandlung vom 06.06.2024 den Einspruch, da weder die Betroffene noch der Verteidiger erschienen waren.

Dagegen beantragte der Verteidiger die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG hat den Wiedereinsetzungsantrag verworfen.Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte beim LG Stuttgart mit dem LG Stuttgart, Beschl. v. 20.9.2024 – 17 Qs 46/24 – Erfolg:

„2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

a) Soweit der Verteidiger den Wiedereinsetzungsantrag mit seiner eigenen Erkrankung be-gründet, kommt es darauf nicht an. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut (§ 74 Abs. 2 OWIG) ist allein maßgeblich, ob der Betroffene – nicht sein Verteidiger – genügend entschuldigt war. Eine Erkrankung des Verteidigers vermag einen solchen Entschuldigungsgrund mithin grundsätzlich nicht darzustellen. Ob das Amtsgericht dem Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen beziehungsweise ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs unter diesen Umständen vorgelegen haben, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsmittels.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag war jedoch begründet, weil der Verteidiger schlüssig dargelegt und durch seine anwaltliche Versicherung glaubhaftgemacht hat, dass er der Betroffenen – über ihren Ehemann – mitgeteilt habe, dass „der Termin deshalb [wegen seiner Verhinderung] nicht stattfinden könne“.

Die Auskunft eines Verteidigers an einen Betroffenen, der Termin könne nicht stattfinden, ist – soweit keine besonderen Umstände vorliegen – geeignet, bei dem Betroffenen ein Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft zu begründen und schließt eine schuldhafte Säumnis im Termin aus (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage, § 74 Rn. 33).

Anhaltspunkte, dass seitens der Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft ihres Verteidigers angebracht waren (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 3 Ws 260/12, Beck LSK 2012, 360619), sind dabei nicht ersichtlich. Liegen – aus Laiensicht – keine Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit oder einen Irrtum des Verteidigers vor, darf er den Worten seines Verteidigers vertrauen, ohne dies hinterfragen zu müssen.

Soweit das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27. September 2022 – 1 OLG 53 Ss-Owi 378/22) im Falle einer falschen Anweisung durch den Verteidiger, einem Termin fernzubleiben, mangels Entscheidungskompetenz des Verteidigers keine entschuldigende Wirkung zumisst, kommt es hierauf im hiesigen Fall nicht an, da sich der Verteidiger keine solche Entscheidungskompetenz zugesprochen hat, sondern bei lebensnaher Betrachtung für einen Laien den Anschein erweckt hat, der Termin sei oder werde (sicher) durch das Gericht aufgehoben.

Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, der Verteidiger habe nicht dargelegt, die Betroffene auf eine bereits erfolgte Terminsaufhebung hingewiesen zu haben, ist solcher Vortrag nicht zwingend notwendig. Tatsächlich impliziert die Aussage des Verteidigers „der Termin könne nicht stattfinden“, dass die Terminsaufhebung durch das Gericht unvermeidlich sei beziehungsweise sicher erfolgen werde.

Im übrigen sind die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu überspannen, wenn es – wie hier – um einen erstmaligen Zugang zu Gericht geht.“

OWi III: Alter Wein in neuen (Anwalts)Schläuchen, oder: OLG Brandenburg zu alter AG-Rechtsprechung

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Und dann habe ich hier noch eine Entscheidung des OLG Brandenburg, die mich etwas verwundert. Allerdings dieses Mal nicht wegen der Auffassung des OLG sondern wegen des Inhalts des Anwaltsvortrags, mit dem sich das OLG befasst. Ich weiß zwar nicht, was genau der Verteidiger vorgetragen hat, aber besonders aktuell kann es nicht gewesen sein.

Das OLG führt in dem OLG Brandenburg. Beschl. v. 23.09.2024 – 1 ORbs 242/24 – nämlich aus:

„Auf den Anwaltsschriftsatz vom 13. September 2024 ist ergänzend anzumerken, dass das Tatgericht die Ausführungen des Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 26. Juni 2024 sehr wohl zur Kenntnis genommen und es sich in den Urteilsgründen auch mit maßgeblichen Aspekten der Verteidigungsschrift auseinander gesetzt hat (S. 5 ff. UA).

Entgegen der Auffassung des Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 26. Juni 2024 musste sich dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der pfälzischen Amtsgerichte, insbesondere der des Amtsgerichts Landstuhl vom 3. Mai 2012 (vgl. S. 2 Anwaltsschriftsatz), der die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2012 (6270 Js 9741/11.1 OWi, abgedruckt in: ZfSchR 2012, 407 f.) voraufgegangen ist, nicht aufdrängen, da diese Gerichte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht tragen. Das gilt umso mehr als die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2012 (6270 Js 9741/11.1 OWi, abgedruckt in: ZfSchR 2012, 407 f., dem sich das Amtsgericht Landstuhl angeschlossen hatte, vgl. Urteil vom 3. Mai 2012, 4286 Js 12300/10 OWi) durch das pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken mit Beschluss vom 19. Oktober 2012 (1 Ss Bs 12/12) längst aufgehoben worden ist, und zwar hinsichtlich des Aspektes, den die Verteidigung nun geltend zu machen sucht.

Hinsichtlich der in der Rechtsbeschwerdebegründung zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 29. Mai 2015 (13 OWi 703 Js 21114/14, abgedr. bei juris) ist anzumerken, dass diese fehlerhaft ist. Die dort vertretene Auffassung, dass das Messverfahren eine zu geringe Anzahl an Messwerten generiere, um ein charakteristisches Helligkeitsprofil zu erstellen, beruht auf einem gravierenden Missverständnis bezüglich der Funktionsweise und Messwertbildung im genannten Verfahren. Nach der Stellungnahme der PTB vom 12. Januar 2016 geht das Amtsgericht Meißen fehlerhaft von der Annahme aus, die Sensoren würden ihren Erfassungsbereich nur etwa alle 10 Millisekunden abtasten. Tatsächlich bestehe – wie aufgrund der detaillierten Analysen der Funktionsweise der Messwertbildung worden war – ein zeitlicher Abstand zwischen den Abtastwerten von 10 Mikrosekunden. Daraus resultiere eine um den Faktor 1000 höhere Anzahl an Abtastwerten, die der Geschwindigkeitsmessung zugrunde liege, als in der Urteilsbegründung ausgeführt ist. Bezogen auf eine Strecke von 3,00 m ergäben sich damit nicht – wie vom Amtsgericht Meißen angenommen – 10 Abtastwerte, sondern vielmehr eine Anzahl von 10.800 Abtastwerten. Die Feststellung des Amtsgerichts Meißen, dass für die Ermittlung eines charakteristischen Helligkeitsprofils durch das streitgegenständliche Gerät zu wenige Abtastwerte ermittelt würden, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar. Damit ist dem tragenden Argument der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen die Grundlage entzogen (vgl. dazu ausführlich OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. April 2016, 2 Ss (OWi) 57/16, zit. n. juris, dort Rdnr. 14 ff.). Soweit mit Anwaltsschriftsatz vom 4. August 2024 die PTB-Stellungnahme bestritten wird, ist anzumerken, dass es sich um eine Ergänzung des antizipierten Sachverständigengutachtens der Bauartzulassung des Geschwindigkeitsmessgerätes handelt. Die Stellungnahme der VUT-Verkehr GmbH & Co. KG vom 26. Januar 2016 hat die PTB-Stellungnahme vom 12. Januar 2016 „vom reinen Zahlenwert her [als] zutreffend“ (dort S. 4) bestätigt, was der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen die Grundlage entzieht (OLG Oldenburg a.a.O., Rdnr. 19 ff.).“

 

OWi II: Einsicht des Verteidigers in die Messreihe, oder: Fortbildung für die Verwaltungsbehörde durch das AG

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Als zweite Entscheidung hier der AG Köln, Beschl. v. 02.10.2024 – 815 OWi 103/24 (b). Er behandelt noch einmal das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Bußgeldverfahren. Der ein oder andere wird sich dazu fragen: Was gibt es denn da Neues? Richtig, nichts. Auch hier „Alter Wein…“. Ich stelle den Beschluss aber trotzdem vor, und zwar weil er mal wieder zeigt, dass viele Ordnungsbehörden offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass der Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht hat. Und das muss dann immer – was ja nun wirklich unnötig ist – vom AG bestätigt werden. So eben auch hier:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet, soweit die Herausgabe der gesamten Messreihe begehrt wird.

Dem Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Wird ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt, muss der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt in diesem Sinne eine Beweislastumkehr, da der Betroffene konkret die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann, was wiederum voraussetzt, dass ihm alle vorhandenen Daten, insbesondere die gesamte Messreihe, zugänglich gemacht werden. Auch ist eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, bspw. auf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, nicht statthaft. Der Betroffene muss selbst die Messreihe sichten können, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte um die Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht, indem dem Betroffenen nur eine bestimmte Anzahl anderer Messungen oder nur Messungen an bestimmten Positionen der Messreihe zugänglich gemacht werden, würden eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten darstellen, da andere Messungen, ohne dass diese hätten geprüft werden können, von vorne herein aus der möglichen Beweisführung ausgenommen werden.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020 ändert hieran nach Auffassung des Gerichts nichts. Soweit die PTB anführt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, stellt dies keinen Grund gegen die Herausgabe dar. Die Auswertung, auch wenn sie ggf. lange dauert oder umfangreich ist, ist die Entscheidung des Betroffenen. Hinsichtlich der weiteren dort aufgeführten Punkte haben gerichtliche Sachverständige in der Vergangenheit die gesamte Messreihe untersucht und vorgetragen, diese zur Auswertung zu benötigen. Diese sachverständige Auskunft kann das Gericht mangels technischer Kenntnisse nicht überprüfen. Sie erscheint aber auch nicht von vorneherein unplausibel.

Gründe des Datenschutzes sprechen nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Messreihe zu anonymisieren. Die Daten werden zudem nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis (Rechtsanwalt und Sachverständiger) zur Verfügung gestellt. Letztlich handelt es sich um Daten, die durch die freiwillige Teilnahme am Straßenverkehr entstanden sind.

Diese Rechtsauffassung wird auch vom OLG Köln geteilt, Beschluss vom 30.05.2023, Az.: 111-1 RBs 288/22.“

OWi I: Dysfunktionales Absehen vom Fahrverbot, oder: Fahrverbot wegen Beharrlichkeit

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Heute dann ein paar OWi-Entscheidungen. Es ist nichts Besonderes, sondern dient der Vollständigkeit 🙂 .

Zunächst will ich hier zwei KG-Entscheidungen zum Fahrverbot vorstellen, und zwar.

Im KG, Beschl. v. KG 26.6.24, 3 ORbs 93/24 – hat das KG noch einmal zur Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers Stellung genommen. Und zwar:

1. Sind die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen der Vorahndungslage in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV einzuwirken.

2. Daher bedarf es in den Urteilsgründen nähere Darlegung zum Zeitmoment (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV), zur Anzahl, zur Tatschwere und zu den Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße und deren Vergleichbarkeit mit der verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung.

Im KG, Beschl. v. 11.09.2424 – 3 ORbs 165/24 – 122 SsBs 25/24 – hat das KG sich dann zum sog. dysfunktionalem Absehen vom Fahrverbot geäußert. Die Entscheidung beweist mal wieder, dass das Absehen vom Fahrverbot dem Amtsrichter nicht leicht gemacht wird. Das KG hat seinem Beschluss folgende Leitsätze gegeben:

1. Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, so muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass er sich der gesetzlichen Indizwirkung der BKatV bewusst war.

2. Zur Bewertung einer Einlassung, der Betroffene habe sein Fahrzeug aus technischen Gründen beschleunigen müssen, um dessen Liegenbleiben zu verhindern

3. Aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 1 BKatV ist es grundsätzlich fehlerhaft, die Herabsetzung der Regelgeldbuße damit zu begründen, der Betroffene habe keine Voreintragung im Fahrerlaubnisregister.

4. Dass der Betroffene seit 26 Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis ist, gibt nicht ohne Weiteres Anlass, die Regelgeldbuße herabzusetzen.

5. Die tatrichterliche Bewertung, durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung (hier: innerorts um 42 km/h) werde die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt, ist nicht nachvollziehbar.

6. Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, weil dieses den Betroffenen aus familiären und beruflichen Gründen besonders hart treffe, so ist diese Bewertung mit Tatsachen zu belegen. Gehen diese auf die Einlassung des Betroffenen zurück, bedarf es einer kritischen Würdigung und gegebenenfalls Überprüfung.

7. Andeutungen, die Prozessökonomie hätte Anlass gegeben, die Regelgeldbuße herabzusetzen (hier von 800 auf 55 Euro) und vom Fahrverbot abzusehen, stellen keine tragfähige Grundlage für eine entsprechende Rechtsfolgenentscheidung dar.