Und dann heute zum Wochenstart zwei Entscheidungen aus dem Bereich der „Klimablockaden“.
Ich beginne mit dem LG Freiburg. Urt. v. 08.12.2023 – 64/23 17 NBs 450 Js 23772/22. Das AG Freiburg hat die Angeklagte wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Berufung an das LG, das zur Tat folgende Feststellungen getroffen hat:
„Am 07.02.2022 gegen 08:20 Uhr blockierte die Angeklagte mit etwa 13 weiteren Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die pp. auf Höhe der pp. sowie die Abfahrtspur zur pp.straße in pp. Dazu betraten sie, während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel auf den fünf Spuren einschließlich des Abbiegeastes in die pp.straße warteten, den jeweiligen Fußgängerüberweg, setzten sich auf die Fahrbahn und gaben den Weg auch nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Grün für den Verkehr auf der pp. nicht frei.
Aufgrund der Sitzblockade wurden die fünf Spuren der pp. blockiert (drei Mittelspuren, jeweils eine kurze Links- und Rechtsabbiegerspur, letztere zweigt vor der Verkehrsinsel mit Lichtzeichenanlage rechts ab). Zwischen der zweiten und dritten Mittelspur von rechts bildete sich bei den letzten fünf Fahrzeugen nur ansatzweise, ansonsten aber eine befahrbare Rettungsgasse, durch die ein Polizei-PKW gegen 8:40 Uhr auf der pp. bis etwa 20 m vor die Blockade fahren konnte. Jedenfalls die Fahrzeuge auf den Abbiegespuren und auf der ersten Mittelspur waren ab der zweiten Reihe durch die voraus- und nebenstehenden Fahrzeuge physische an einer relevanten örtlichen Veränderung gehindert. Die Staulänge betrug mindestens 2,66 km. Um 9:18 Uhr konnte eine Spur für den Verkehr wieder geöffnet werden. Ab 10:10 Uhr wurde die gesamte Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr freigegeben.
Die Angeklagte demonstrierte mit den übrigen Beteiligten der Blockade unter dem Motto „Essen retten Leben retten“. Damit wollte sie auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen, die auch erhebliche Auswirkungen auf den CO? Ausstoß hat. Zu Beginn der Blockade nahm die Angeklagte entsprechend Kontakt zu den Insassen der blockierten Fahrzeuge auf und machten auf das Ziel der Aktion aufmerksam. Diese Kontaktaufnahme war bis gegen 8:50 Uhr abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt gaben einzelne Beteiligte an der Blockade noch Interviews, die dann kurze Zeit später endeten. Die im Vorfeld informierten Medien waren vor Ort und berichteten in der Folge über die Blockade.
Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Die Rettungsleitstelle wurde jedoch kurze Zeit vor der Blockade informiert. Ein Versammlungsleiter gab sich während der Blockade nicht zu erkennen. Den Demonstranten wurde von der Polizei durch Lautsprecherdurchsage eine alternative Versammlungsfläche zugewiesen, die jedoch nicht in Anspruch genommen und die Blockade fortgeführt wurde. Nach drei Durchsagen (um 9:08 Uhr, 9:09 Uhr und 9:12 Uhr) wurde die Versammlung von der Polizei ausdrücklich aufgelöst.
Die Demonstranten wurde sodann von der Polizei nach erfolgloser Androhung unmittelbaren Zwangs nach und nach von der Straße entfernt. Die (nicht angeklebte) Angeklagte stand im Verlauf der Aktion auf und verließ die Straße, kehrte aber später zurück und setzte sich erneut auf die Fahrbahn. Da sich drei Beteiligte der Blockade mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt hatten und zunächst von einem Notarzt abgelöst werden mussten, verzögerte sich die Räumung der Kreuzung nicht unerheblich. Die Angeklagte wurde schließlich gegen 09:50 Uhr von Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen. Den sodann ausgesprochenen Platzverweis befolgte sie.
Die Angeklagte hatte mit den weiteren Teilnehmern der Blockade den Ablauf der Aktion im Vorfeld besprochen und im Wesentlichen so antizipiert, wie sie dann auch stattgefunden hat. Der Angeklagten war insbesondere klar, dass es zu einer Blockade der Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum kommt und hat dies zur Erreichung ihres Zieles, dem Erzeugen öffentlicher Aufmerksamkeit und dem Werben für wirksame politische Maßnahmen gegen die sich verschärfende Klimakrise, zumindest billigend in Kauf genommen.“
Dem LG hatte die Berufung der Angeklagten nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Das hat eine Geldstrafe nur vorbehalten (§ 59 StGB).
Das LG geht aber, ebenso wie das AG von einer rechtswidrigen Nötigung (§ 240 StGB) aus. Wegen des Umfangs der rechtlichen Ausführungen des LG stelle ich hier keine Auszüge aus dem Urteil ein, sondern verweise auf den Volltext. Das Urteil verhält sich insbesondere zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung und zum Prüfungsmaßstab bei Blockadeaktionen.
Das Urteil hat folgende (amtliche) Leitsätze:
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- Soweit eine Rettungsgasse gebildet wurde und von Kraftfahrzeugen faktisch hätte genutzt werden können, liegt schon keine physische Zwangswirkung vor, so dass eine Nötigung mittels Gewalt ausscheidet. Dass die Nutzung der Rettungsgasse ordnungswidrig wäre, spielt auf der Ebene des Gewaltbegriffs keine Rolle.
- Ausgangspunkt der Abwägung im Hinblick auf Art. 8 GG ist zunächst das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung. Die Gerichte haben nur zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.
- Die Blockade einer Straße zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit ist nicht per se rechtswidrig. Zwar sind die Fälle, in denen durch eine gezielte Behinderung des Straßenverkehrs die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam gemacht werden soll und die Blockade nur als Kundgabemittel eingesetzt wird, problematisch. In diesen Fällen ist aber mit einer zeitlichen Beschränkung der Versammlung grundsätzlich ein Ausgleich der Interessen möglich, da eine kurzfristige Behinderung des Straßenverkehrs von Autofahrern immer zumutbarerweise hingenommen werden kann. Einem vernünftigen und besonnenen Staatsbürger, der die Grundrechtsausübung seiner Mitbürger und ihre Beteiligung am politischen Diskurs als Beitrag zu einer lebendigen Demokratie schätzt, ist eine Wartezeit von etwa 30 min – je nach Einzelfall – zumutbar. Dies umso mehr, als die Fortbewegungsfreiheit mit Kraftfahrzeugen aufgrund der allgemein bekannten Behinderung durch Staubildung nur selten frei gewährleistet ist.
- Eine Versammlung muss ein Mindestmaß an Teilhabechancen am Prozess demokratischer Willensbildung eröffnen. Damit geht in der Regel ein Mindestmaß an Störungen einher. So wäre etwa das Ansinnen einer störungsfreien Demonstration durch weitgehend unbewohnte Stadtteile rechtswidrig.
- Auch darf eine Strafandrohung kein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirken, insbesondere bei – hier nicht einschlägigen – Eil- und Spontanversammlungen.
- Ein weiterer Gesichtspunkt ist außerdem die Anzahl der das Versammlungsrecht wahrnehmenden Grundrechtsträger. Eine Demonstration mit mehreren Hundert oder Tausend Teilnehmenden hat ein höheres Gewicht und rechtfertigt stärkere Einschränkungen anderer als eine Demonstration weniger Teilnehmenden, die ganz erhebliche Auswirkungen auf Dritte hat.
- Wichtige Abwägungselemente sind außerdem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist.
- Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands liegen nicht vor, weil es jedenfalls an der Angemessenheit der Tat für die Abwehr der Gefahren durch den Klimawandel fehlt.
- Hier: Bei einer zweistündigen Blockade einer im Kreuzungsbereich fünfspurigen Straße mit nur teilweise und nur für zwei Spuren funktionierender Rettungsgasse, einer Staulänge von ca. 2,6 km, einer Gruppe von 15 Demonstrierenden und einer Blockade ohne konkreten Sachbezug, ist für die Insassen der Kraftfahrzeuge eine Wartezeit von maximal 30 min zumutbar, so dass im konkreten Fall eine strafbare Nötigung vorliegt.
Und dann noch ein Hinweis: Beim OLG Karlsruhe findet am 20.02.2024 eine Revisionshauptverhandlung gegen einfreisprechendes Urteil des AG Freiburg in einem „Klimakleber“-Fall statt. Wegen der Einzelheiten der amtsgerichtlichen Entscheidung hier. Und bevor jetzt Mußmaßungen kommen, die sich darauf gründen, dass das OLG eine Hauptverhandlung macht. Das OLG hat bei einer zu Lasten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft gar keine andere Möglichkeit. Blick in § 349 StPO und so….