Archiv der Kategorie: Klimaaktivisten

Klima I: Straßenblockade durch Klimaaktivisten I, oder: Bei mehr als 30 Minuten Wartezeit Nötigung

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Und dann heute zum Wochenstart zwei Entscheidungen aus dem Bereich der „Klimablockaden“.

Ich beginne mit dem LG Freiburg. Urt. v. 08.12.2023 – 64/23 17 NBs 450 Js 23772/22. Das AG Freiburg hat die Angeklagte wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Berufung an das LG, das zur Tat folgende Feststellungen getroffen hat:

Am 07.02.2022 gegen 08:20 Uhr blockierte die Angeklagte mit etwa 13 weiteren Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die pp. auf Höhe der pp. sowie die Abfahrtspur zur pp.straße in pp. Dazu betraten sie, während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel auf den fünf Spuren einschließlich des Abbiegeastes in die pp.straße warteten, den jeweiligen Fußgängerüberweg, setzten sich auf die Fahrbahn und gaben den Weg auch nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Grün für den Verkehr auf der pp. nicht frei.

Aufgrund der Sitzblockade wurden die fünf Spuren der pp. blockiert (drei Mittelspuren, jeweils eine kurze Links- und Rechtsabbiegerspur, letztere zweigt vor der Verkehrsinsel mit Lichtzeichenanlage rechts ab). Zwischen der zweiten und dritten Mittelspur von rechts bildete sich bei den letzten fünf Fahrzeugen nur ansatzweise, ansonsten aber eine befahrbare Rettungsgasse, durch die ein Polizei-PKW gegen 8:40 Uhr auf der pp. bis etwa 20 m vor die Blockade fahren konnte. Jedenfalls die Fahrzeuge auf den Abbiegespuren und auf der ersten Mittelspur waren ab der zweiten Reihe durch die voraus- und nebenstehenden Fahrzeuge physische an einer relevanten örtlichen Veränderung gehindert. Die Staulänge betrug mindestens 2,66 km. Um 9:18 Uhr konnte eine Spur für den Verkehr wieder geöffnet werden. Ab 10:10 Uhr wurde die gesamte Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr freigegeben.

Die Angeklagte demonstrierte mit den übrigen Beteiligten der Blockade unter dem Motto „Essen retten Leben retten“. Damit wollte sie auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen, die auch erhebliche Auswirkungen auf den CO? Ausstoß hat. Zu Beginn der Blockade nahm die Angeklagte entsprechend Kontakt zu den Insassen der blockierten Fahrzeuge auf und machten auf das Ziel der Aktion aufmerksam. Diese Kontaktaufnahme war bis gegen 8:50 Uhr abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt gaben einzelne Beteiligte an der Blockade noch Interviews, die dann kurze Zeit später endeten. Die im Vorfeld informierten Medien waren vor Ort und berichteten in der Folge über die Blockade.

Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Die Rettungsleitstelle wurde jedoch kurze Zeit vor der Blockade informiert. Ein Versammlungsleiter gab sich während der Blockade nicht zu erkennen. Den Demonstranten wurde von der Polizei durch Lautsprecherdurchsage eine alternative Versammlungsfläche zugewiesen, die jedoch nicht in Anspruch genommen und die Blockade fortgeführt wurde. Nach drei Durchsagen (um 9:08 Uhr, 9:09 Uhr und 9:12 Uhr) wurde die Versammlung von der Polizei ausdrücklich aufgelöst.

Die Demonstranten wurde sodann von der Polizei nach erfolgloser Androhung unmittelbaren Zwangs nach und nach von der Straße entfernt. Die (nicht angeklebte) Angeklagte stand im Verlauf der Aktion auf und verließ die Straße, kehrte aber später zurück und setzte sich erneut auf die Fahrbahn. Da sich drei Beteiligte der Blockade mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt hatten und zunächst von einem Notarzt abgelöst werden mussten, verzögerte sich die Räumung der Kreuzung nicht unerheblich. Die Angeklagte wurde schließlich gegen 09:50 Uhr von Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen. Den sodann ausgesprochenen Platzverweis befolgte sie.

Die Angeklagte hatte mit den weiteren Teilnehmern der Blockade den Ablauf der Aktion im Vorfeld besprochen und im Wesentlichen so antizipiert, wie sie dann auch stattgefunden hat. Der Angeklagten war insbesondere klar, dass es zu einer Blockade der Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum kommt und hat dies zur Erreichung ihres Zieles, dem Erzeugen öffentlicher Aufmerksamkeit und dem Werben für wirksame politische Maßnahmen gegen die sich verschärfende Klimakrise, zumindest billigend in Kauf genommen.“

Dem LG hatte die Berufung der Angeklagten nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Das hat eine Geldstrafe nur vorbehalten (§ 59 StGB).

Das LG geht aber, ebenso wie das AG von einer rechtswidrigen Nötigung (§ 240 StGB) aus. Wegen des Umfangs der rechtlichen Ausführungen des LG stelle ich hier keine Auszüge aus dem Urteil ein, sondern verweise auf den Volltext. Das Urteil verhält sich insbesondere zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung und zum Prüfungsmaßstab bei Blockadeaktionen.

Das Urteil hat folgende (amtliche) Leitsätze:

    1. Soweit eine Rettungsgasse gebildet wurde und von Kraftfahrzeugen faktisch hätte genutzt werden können, liegt schon keine physische Zwangswirkung vor, so dass eine Nötigung mittels Gewalt ausscheidet. Dass die Nutzung der Rettungsgasse ordnungswidrig wäre, spielt auf der Ebene des Gewaltbegriffs keine Rolle.
    2. Ausgangspunkt der Abwägung im Hinblick auf Art. 8  GG ist zunächst das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung. Die Gerichte haben nur zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.
    3. Die Blockade einer Straße zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit ist nicht per se rechtswidrig. Zwar sind die Fälle, in denen durch eine gezielte Behinderung des Straßenverkehrs die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam gemacht werden soll und die Blockade nur als Kundgabemittel eingesetzt wird, problematisch. In diesen Fällen ist aber mit einer zeitlichen Beschränkung der Versammlung grundsätzlich ein Ausgleich der Interessen möglich, da eine kurzfristige Behinderung des Straßenverkehrs von Autofahrern immer zumutbarerweise hingenommen werden kann. Einem vernünftigen und besonnenen Staatsbürger, der die Grundrechtsausübung seiner Mitbürger und ihre Beteiligung am politischen Diskurs als Beitrag zu einer lebendigen Demokratie schätzt, ist eine Wartezeit von etwa 30 min – je nach Einzelfall – zumutbar. Dies umso mehr, als die Fortbewegungsfreiheit mit Kraftfahrzeugen aufgrund der allgemein bekannten Behinderung durch Staubildung nur selten frei gewährleistet ist.
    4. Eine Versammlung muss ein Mindestmaß an Teilhabechancen am Prozess demokratischer Willensbildung eröffnen. Damit geht in der Regel ein Mindestmaß an Störungen einher. So wäre etwa das Ansinnen einer störungsfreien Demonstration durch weitgehend unbewohnte Stadtteile rechtswidrig.
    5. Auch darf eine Strafandrohung kein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirken, insbesondere bei – hier nicht einschlägigen – Eil- und Spontanversammlungen.
    6. Ein weiterer Gesichtspunkt ist außerdem die Anzahl der das Versammlungsrecht wahrnehmenden Grundrechtsträger. Eine Demonstration mit mehreren Hundert oder Tausend Teilnehmenden hat ein höheres Gewicht und rechtfertigt stärkere Einschränkungen anderer als eine Demonstration weniger Teilnehmenden, die ganz erhebliche Auswirkungen auf Dritte hat.
    7. Wichtige Abwägungselemente sind außerdem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist.
    8. Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands liegen nicht vor, weil es jedenfalls an der Angemessenheit der Tat für die Abwehr der Gefahren durch den Klimawandel fehlt.
    9. Hier: Bei einer zweistündigen Blockade einer im Kreuzungsbereich fünfspurigen Straße mit nur teilweise und nur für zwei Spuren funktionierender Rettungsgasse, einer Staulänge von ca. 2,6 km, einer Gruppe von 15 Demonstrierenden und einer Blockade ohne konkreten Sachbezug, ist für die Insassen der Kraftfahrzeuge eine Wartezeit von maximal 30 min zumutbar, so dass im konkreten Fall eine strafbare Nötigung vorliegt.

Und dann noch ein Hinweis: Beim OLG Karlsruhe findet am 20.02.2024 eine Revisionshauptverhandlung gegen einfreisprechendes Urteil des AG Freiburg in einem „Klimakleber“-Fall statt. Wegen der Einzelheiten der amtsgerichtlichen Entscheidung hier. Und bevor jetzt Mußmaßungen kommen, die sich darauf gründen, dass das OLG eine Hauptverhandlung macht. Das OLG hat bei einer zu Lasten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft gar keine andere Möglichkeit. Blick in § 349 StPO und so….

Klima II: Lösen eines Klimaklebers von der Straße, oder: Gebührenbescheid der Polizei

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Und als zweite „Klima-Kleber-Entscheidung“ habe ich hier den OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – OVG 1 S 81/23 -, der sich mit der „Nachbereitung“ befasst

Und zwar hat die Polizei Berlin einen Gebührenbescheid in Höhe von 241,- EUR erlassen, mit dem die Kosten für das Lösen eines Klimaaklebers von der Straße geltend gemacht worden sind. Dagegen das Rechtsmittel zum VG, das Erfolg hatte. Und dagegen dann die Beschwerde zum OVG, die keinen Erfolg hatte. Das OVG folgt dem VG, dass davon ausgegangen ist, dass der Gebührenbescheid nicht in rechtmäßiger Weise auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) gestützt werden könne:

„Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Ablösen der Hand des Antragstellers von der Fahrbahnoberfläche und das anschließende Wegtragen sei schon deshalb nicht als Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG zu qualifizieren, da es sich dabei um eine nicht vertretbare Handlung gehandelt habe, die der Ersatzvornahme nicht zugänglich sei.

Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den polizeilichen Maßnahmen um eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG – und nicht um einen Sofortvollzug i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG – gehandelt habe, führt dies nicht zu der Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiege das private Interesse, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben.

Das Verwaltungsgericht hat in zutreffender Weise die Regelungen des §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) als maßgebliche Rechtsgrundlage für den Gebührenbescheid erachtet. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Danach kann für eine unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere gemäß den §§ 14, 15 und 36 des ASOG, insbesondere Sicherung von Gefahrenstellen auf öffentlichem Straßenland oder Baustellensicherungen, für Personen und Tiere in Notlagen eine Gebühr zuzüglich der durch die Ersatzvornahme entstandenen Auslagen erhoben werden, sofern nicht eine speziellere Tarifstelle einschlägig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst für die hier vorliegende Sachlage – von der Beschwerde insoweit unbeanstandet – angenommen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG nicht vorliegen und im Folgenden die Frage beantwortet, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann, hat dies jedoch verneint. Soweit die Beschwerde dagegen einwendet, die Abgrenzung zwischen der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG und einem Sofortvollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG könne nicht dahingehend erfolgen, ob die Maßnahme im (mutmaßlichen) Willen des Verantwortlichen erfolgt – dann unmittelbare Ausführung – oder der entgegenstehende Wille des Verantwortlichen überwunden werden muss – dann Sofortvollzug –, denn eine Abgrenzung nach der Zwangsqualität würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, die nicht über beide Institute verfügen, führt dies für das vorliegende Verfahren nicht weiter, denn im Land Berlin sind beide Institute gesetzlich geregelt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, den Streit um die Abgrenzung beider Institute habe der Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) dahingehend entschieden, dass die unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang zu qualifizieren sei, steht der Senat dieser Sichtweise skeptisch gegenüber. § 23 MobG BE eröffnet den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Möglichkeit, Fahrzeuge auf Bussonderspuren, in Haltestellenbereichen und auf Wendeanlagen eigenständig umzusetzen. Zur Realisierung dürfen besonders ausgebildete Beschäftigte der BVG bestimmte Befugnisse, wie z.B. die unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 lit. a MobG BE), die Ersatzvornahme gem. § 10 VwVG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. a MobG BE) und den unmittelbaren Zwang gegenüber Sachen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. b MobG BE) ausüben. Daraus nun aber ableiten zu wollen, der Landesgesetzgeber habe die unmittelbare Ausführung nunmehr (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert mit der Folge, dass eine Abgrenzung beider Institute nur noch danach erfolgen könne, ob die Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) tätig wird, erscheint keineswegs zwingend. Denn genauso gut könnte der Landesgesetzgeber im Rahmen des § 23 MobG BE nur die einzelnen Befugnisse der BVG übertragen haben, die für die Beseitigung der den Busverkehr behindernden Fahrzeuge notwendig und erforderlich sind, ohne damit eine Entscheidung über die hier aufgeworfene Frage zu treffen. Ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers lässt sich der Begründung jedenfalls nicht entnehmen, denn die Regelung des § 23 MobG BE hat erst auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Kilmaschutz vom 7. Juni 2018 (Drs. 18/1177) während des laufenden Gesetzgebungsprozesses Eingang in das Gesetz gefunden und wird daher von der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 27. Februar 2018 (Drs. 18/0878) nicht erfasst.

Unabhängig von den von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob hier von einer konkreten Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere ausgegangen werden kann und ob eine Gebührenpflichtigkeit auch dann besteht, wenn sich die unmittelbare Ausführung gegen den Verhaltensstörer richtet, obwohl § 13 ASOG nicht unmittelbar in der Tarifstelle 8 PolBenGebO genannt wird, kann die Beschwerde bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht darlegt, dass der Zweck der Maßnahme durch eine Inanspruchnahme des Verhaltensstörers nicht oder nicht rechtzeitig hätte erreicht werden können. Im Grundsatz müssen die durch einen polizeirechtlich Verantwortlichen hervorgerufenen Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diesem gegenüber untersagt und ggfs. mit den Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Nur dann, wenn der Zweck der Maßnahme auf diesem Wege nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist der Anwendungsbereich der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG eröffnet (vgl. hierzu: Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2022, § 15 Rn. 5; Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Abschnitt E Rn. 296; Knape/Schönrock, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15, 23). Bezogen auf den hier vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber nicht dargelegt, warum der Zweck der Maßnahme – das Freimachen der Straße für den Straßenverkehr – nicht bzw. nicht rechtzeitig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Vollstreckungsrechts zu erreichen gewesen wäre. Denn es erschließt sich dem Senat nicht, warum im vorliegenden Fall der solchermaßen definierte Zweck nicht nach Auflösung der Versammlung durch Vollstreckung im Wege des unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG der gegenüber dem anwesenden Antragsteller unstreitig ausgesprochenen Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen (Platzverweis), erreichbar gewesen sein soll. Gegensätzliches wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. Der Senat geht zwar entgegen den Ausführungen des Antragstellers nicht davon aus, dass die Verbindung seiner Hand mit der Straßenoberfläche mittels Sekundenklebers durch „wiederholtes Bewegen und Anspannen der Hand“ durch den Antragsteller selbst hätte gelöst werden können. Allerdings erscheint eine Durchsetzung der Anordnung mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts – Anordnung der sofortigen Vollziehung mit verbundener Androhung des unmittelbaren Zwangs unter sofortiger Fristsetzung – durchaus möglich.“

Klima II: Entfernen einer Gehwegplatte als Protest, oder: Welcher Herstellungsaufwand ist erforderlich?

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Und als zweite Entscheidung aus dem „Klimakomplex“ dann der KG, Beschl. v. 03.11.2023 – 3 ORs 72/23 – 161 Ss 167/23 – und zwar zur Frage der erforderlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen einer gemeinschädlichen Sachbeschädigung.

Das AG hat die Angeklagte  wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das LG verworfen.

Nach den – vom LG – getroffenen Feststellungen entfernte die Angeklagte als Mitglied der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ am 22.06.2022 zusammen mit weiteren Mittätern vor dem Bundeskanzleramt eine dort verlegte Gehwegplatte und legte sie auf einem Rasenstück neben der ursprünglichen Verlegeposition ab. Dabei machte sich die Angeklagte keine Vorstellungen darüber, welcher Aufwand mit dem Wiedereinsetzen der Gehwegplatte verbunden sein würde. Den Tatvorsatz hat das Landgericht mit folgenden Erwägungen begründet:

„Die Angeklagte beging die Sachbeschädigung zumindest mit Eventualvorsatz, auch wenn sie sich keine Vorstellungen zum Aufwand der Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gehwegs gemacht hatte; denn sie hat, da der Zustand des Gehwegs, egal mit welchem Aufwand, wieder herstellbar war und sie daran die Aktion mit dem ihr am Herzen liegenden Ziel eines Aufrüttelns der Öffentlichkeit nicht scheitern lassen wollte, billigend in Kauf genommen, dass die Platte auch bei einem nicht nur wesentlichen Wiederherstellungsaufwand entfernt wird.“

Dagegen die Revision der Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hatte, weil die Feststellungen zur inneren Tatseite nicht die Verurteilung wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung tragen:

„a) Ein Täter handelt mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Eintritt eines zum Tatbestand gehörenden Erfolges als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannt hat (Wissenselement) und dies billigt oder sich mit dem Eintritt des Erfolges abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder unerwünscht sein (vgl. statt aller nur BGH StV 2023, 332; 2022, 72; NStZ 2019, 208; Senat NZV 2016, 392; Fischer, StGB 70. Aufl., § 15 Rdn. 11 ff.; alle m.w.N.). Fehlt dem Täter das Bewusstsein, dass seine Handlung ein Tatbestandsmerkmal erfüllen kann, handelt er nicht vorsätzlich, was auch dann der Fall ist, wenn er sich über die Tatbestandsverwirklichung keinerlei Gedanken gemacht hat (vgl. BGH NStZ 2004, 201; Bülte in Leipziger Kommentar zum StGB 13. Aufl., § 15 Rdn. 105; Lackner/Kühl/Heger, StGB 30. Aufl. ,Rdn. 9: potentieller Vorsatz genügt nicht).

b) Eine Sachbeschädigung scheidet aus, wenn die Beseitigung der Substanzverletzung oder Funktionseinbuße (vgl. Goeckenjan in Leipziger Kommentar a.a.O., § 303 Rdn. 23 f. m.w.N.) mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand verbunden ist (vgl. BGHSt 13, 207; NStZ 1982, 508; Heger in Lackner/Kühl/Heger a.a.O., § 303 Rdn. 5; Goeckenjan a.a.O. Rdn. 32 m.w.N.). In der Folge muss der Täter es zumindest für möglich gehalten haben, dass die Beseitigung der Substanzverletzung bzw. der Funktionseinbuße einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Da demjenigen, der sich bei Begehung der Tat (§ 16 StGB) über den Beseitigungsaufwand keinerlei Gedanken gemacht hat, das zur Bejahung des Vorsatzes erforderliche Wissenselement fehlt, muss das Urteil Feststellungen dazu enthalten, dass der Täter einen nicht unerheblichen Beseitigungsaufwand für zumindest möglich gehalten hat. Etwas anderes gilt nur, wenn dies angesichts des Umfangs der Substanzverletzung oder der Funktionsbeeinträchtigung auf der Hand liegt.

c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weil sich die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen keine Vorstellungen über den Beseitigungsaufwand gemacht hat, entfällt aus den dargelegten Gründen das für die Vorsatzbildung erforderliche Wissenselement. Dass die Angeklagte davon ausging, der Gehweg lasse sich überhaupt – egal mit welchem Aufwand – wiederherstellen, und dass sie das Ziel ihrer Aktion nicht scheitern lassen wollte, besagt – anders als das Landgericht anscheinend meint – noch nichts über ihre Vorstellung, mit welchem Aufwand das Neuverlegen der Gehwegplatte tatsächlich verbunden sein könnte. Feststellungen dazu waren auch nicht entbehrlich, weil sich angesichts der vergleichsweise geringen Einwirkung auf die Sachsubstanz nicht von selbst versteht, dass die Angeklagte einen erheblichen Aufwand für die Wiederherstellung des Gehwegs für möglich gehalten hat.“

Klima I: Rechtswidrige Straßenblockade durch Kleber, oder: Wenn man mehr als 3 Stunden festklebt

Und dann auf in die 51. KW, an deren Ende wir dann Weihnachten „feiern“ können. Es ist also eine ganz normale Woche, die ich heute mit noch einmal mit zwei „Klima-Entscheidungen“ beginne. Die Fragen haben in 2023 an Bedeutung zugenommen, ich habe ja zu Entscheidungen in der Frage auch einige Male berichtet. Bei den Entscheidungen gibt es zu der Thematik auf meiner Homepage eine eigene Rubrik, dort stehen inzwischen 19 Beschlüsse/Urteile, die sich mit der Problematik – meist „Straßenkleberfälle“ befassen. Heute kommen dann noch zwei dazu.

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Hier kommt zunächst das AG Flensburg, Urt. v. 06.07.2023 – 430 Cs 107 Js 4027/23. Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Verurteilung hat es folgende Feststellungen zur Tat zugrunde gelegt:

Der Angeklagte beteiligte sich am 02.02.2023 an einer nicht konkret im Vorfeld angekündigten Straßenblockade-Aktion des Aktionsbündnisses „L. G.“ in F. Hierzu setzte er sich mit zwei weiteren Personen um 15:38 Uhr auf den Zebrastreifen an der Straße S. in F auf die zweispurige Fahrbahn. Zwei weitere Personen setzen sich auf die daneben verlaufende Busfahrspur. Der Angeklagte setzte sich dabei auf rechte äußere Seite der Fahrbahn aus Richtung der F Innenstadt. Er und die weiteren Teilnehmer der Blockade hatten die Absicht, den Kraftfahrzeugverkehr stadteinwärts und stadtauswärts an der Weiterfahrt zu hindern. Dabei klebten er und die zwei weiteren Personen auf der Fahrbahn jeweils eine ihrer Hände mit Sekundenkleber auf der Straße fest, um die erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade zu erschweren. Infolge dessen kam es zunächst bis um 16:01 Uhr zu einem vollständigen Erliegen des Fahrzeugverkehrs. Die Fahrzeuge stauten sich jedenfalls stadtauswärts bis zur Einmündung der N Straße und stadteinwärts bis zur Einmündung der N. Zahlreiche Fahrzeuginsassen mussten im Stau verharren und waren infolgedessen an einem weiteren Fortkommen gehindert. Ab 16:01 Uhr konnte der Verkehr teilweise einseitig über die durch die Polizei geräumte Busspur geführt werden. Gleichwohl kam es weiterhin zu einem erheblichen Rückstau der Fahrzeuge bis zur Kreuzung am D. H. und im Bereich der F. N. Der Angeklagte konnte erst nach 3 Stunden und 41 Minuten durch Spezialkräfte mit einem Lösemittel von der Fahrbahn entfernt werden. Die anwesenden Polizeibeamten hatten dabei mehrfach die Versammlung hörbar aufgelöst und der Versammlung einen anderen Ort – auf dem Gehweg – zugewiesen.“

Wegen der Einzelheiten der rechtlichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext, das hat man so oder ähnlich schon gelesen hat. Hier dann nur die Leitsätze, und zwar:

    1. Eine Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße ist, gemessen an den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls, eine strafbare Nötigung gem. § 240 StGB.
    2. Gegen die Verwerflichkeit der Tat nach § 240 II StGB spricht nicht, dass die Betroffenen als Kraftfahrzeugnutzende den Ausstoß von CO? verursachen und dadurch mit dem Anliegen des Klimaschutzes in Verbindung stehen.
    3. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB kommt aufgrund des Vorrangs staatlicher Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht.

 

StPO I: Formelle Rügen in einem „Klimakleberfall“, oder: Wahrunterstellung und Aufklärungsrüge

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Ich hatte bereits vor einiger Zeit über den BayObLG, Beschl. v. 21.04.2023 – 205 StRR 63/23 – berichtet. Das ist ein „Klimakleberfall“, in dem das BayObLG die Frage der Nötigung durch Festkleben auf einer Straße, um Autofahrer an der Weiterfahrt zu hindern und dadurch auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen bejaht hat (vgl. dazu Klima I: Festkleben auf Straßen zum Klimaschutz, oder: BayObLG sagt, das ist als Nötigung strafbar).

Ich komme dann heute auf den Beschluss noch einmal zurück, da das BayObLG in der Entscheidung auch zu Verfahrensfragen Stellung genommen hat. Mit der formellen Rügge hatte der Angeklagte nämlich geltend gemacht, das AG habe gegen § 244 Abs. 3 Nr. 6 StPO verstoßen, weil ein von der Verteidigung in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag im Wege der Wahrunterstellung zurückgewiesen worden sei. Das Gericht habe aber die Zusage der Wahrunterstellung im Urteil nicht eingehalten. Und mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO war beanstandet worden, das AG hätte sich dazu gedrängt sehen müssen, durch Einführung der medialen Kommunikation des Angeklagten sowie zweier Zeitungsartikel Beweis zum „Zweck des Protests“ des Angeklagten zu erheben.

Beide Rügen hatten beim BayObLG keinen Erfolg:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Die formelle Rüge des Angeklagten, das Amtsgericht habe gegen § 244 Abs. 3 Nr. 6 StPO verstoßen, ist unbegründet, weil das Amtsgericht die Zusage der Wahrunterstellung in vollem Umfang eingehalten hat.

a) Die Revision argumentiert in diesem Zusammenhang zusammengefasst, im Urteil werde die als wahr unterstellte Tatsache „implizit als nicht gegeben angenommen“. Das Amtsgericht habe bereits deshalb die zugesagte Wahrunterstellung nicht eingehalten, weil es im Urteil unberücksichtigt gelassen habe, „dass die globale Erwärmung eine gegenwärtige Gefahr für die menschliche Zivilisation“ darstelle, „gegen die der Staat zu wenig“ unternehme. Implizit habe das Amtsgericht diese Gefahr auch deshalb negiert und damit gegen die zugesagte Wahrunterstellung verstoßen, weil es ausgeführt habe, die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG) hätten unzweifelhaft nicht vorgelegen und ziviler Ungehorsam zur Beeinflussung der politischen Meinungsbildung sei daher nicht angemessen gewesen (RevBegr. S. 5).

b) Diese Ausführungen der Revision decken keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf. Zusätzlich zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 20. Februar 2023 (dort S. 2ff) ist ergänzend auszuführen:

i) Das Amtsgericht hat die zugesagte Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsachen entgegen der Ansicht der Revision im Urteil berücksichtigt. So führt das Amtsgericht im Rahmen seiner Überlegungen zur Strafzumessung aus, dass die verfolgten Fernziele des Angeklagten im Rahmen der Ahndungsfindung positiv zu berücksichtigen waren. Ihm sei es darum gegangen, mediales Interesse für sein nachvollziehbares und dringendes Anliegen, nämlich unverzügliche Einleitung nachhaltiger Schritte zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung und Kampf gegen den Klimawandel, zu erregen (UA S. 13). Aus diesen detaillierten Erwägungen des Amtsgerichts ergibt sich, dass die wahr unterstellten Tatsachen im Urteil Berücksichtigung fanden.

ii) Die Revision trägt weiter vor, das Amtsgericht habe die als wahr unterstellten Tatsachen nicht im Rahmen der Prüfung des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB und des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG geprüft. Soweit dieser Vortrag so zu verstehen sein sollte, hieraus ergebe sich, dass das Amtsgericht von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen sei (RevBegr. S. 5), deckt dies keinen Rechtsfehler auf:

(1) Das Amtsgericht hat dazu im Urteil sinngemäß ausgeführt, eine Rechtfertigung der Tat nach § 34 StGB sei nicht gegeben. Es fehle an der Angemessenheit der vermeintlichen Notstandshandlung. Die Angemessenheit entfiele, wenn die Rechtsordnung für die Abwendung bestimmter Gefahren ein rechtlich geordnetes Verfahren vorsehe. In der Bundesrepublik hätten die Bürger zahlreiche legale Möglichkeiten zur Geltendmachung abweichender politischer Standpunkte. Deshalb seien Verkehrsblockaden gegen politische Maßnahmen und Entscheidungen nur unter den Voraussetzungen von Art. 20 Abs. 4 GG zulässig. Dessen Voraussetzung lägen aber „unzweifelhaft“ nicht vor (UA S. 10).

(2) Das Amtsgericht hat somit ausgeschlossen, dass die hier gegenständliche Verkehrsblockade ein angemessenes Mittel sei, die Gefahr abzuwenden, weil andere Möglichkeiten der politischen Teilhabe und Willensbildung in der Bundesrepublik bestehen. Im Rahmen der skizzierten Argumentation des Amtsgerichts kommt dem Vorliegen oder Nichtvorliegen der als wahr unterstellten Tatsachen keine Bedeutung zu. Es kann daher aus dem Umstand, dass das Amtsgericht die wahr unterstellten Tatsachen bei der Ablehnung der Anwendbarkeit von § 34 StGB nicht erwähnt, nicht geschlossen werden, das Amtsgericht sei von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen.

(3) Ähnliches gilt im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG. Das Amtsgericht hat dazu ausgeführt, die Voraussetzungen des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 3 GG lägen „unzweifelhaft“ nicht vor. Das grundgesetzlich garantierte Widerstandsrecht ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Das Amtsgericht hat offengelassen, welches Tatbestandsmerkmal des Widerstandsrechts es als nicht gegeben angesehen hat. Somit kann auch in diesem Zusammenhang nicht geschlossen werden, das Amtsgericht sei von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen.

iii) Die als wahr unterstellte Tatsache war nicht von vornherein bedeutungslos, sondern geeignet, zu Gunsten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung zu erlangen. Dass die Verteidigung des Angeklagten durch die Wahrunterstellung von weiterem effektiven Verteidigungsvorbringen abgehalten worden wäre, ist nicht ersichtlich.

2. Die formelle Rüge, das Amtsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es unterlassen hat, eine Stellungnahme des Angeklagten auf Video in Augenschein zu nehmen und zwei über die Tat des Angeklagten erschienene Zeitungsartikel (Bild-Zeitung und Süddeutsche Zeitung) zu verlesen, ist hinsichtlich des Artikels in der Süddeutschen Zeitung unzulässig erhoben. Im Übrigen deckt die Rüge jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf:

a) Die Aufklärungsrüge ist jedenfalls hinsichtlich des von der Revision näher bezeichneten Artikels in der Süddeutschen Zeitung unzulässig erhoben. Im Übrigen lässt es der Senat offen, ob die Aufklärungsrüge hinsichtlich Tw…-Video und Artikel in der Bild-Zeitung zulässig erhoben wurde.

i) Um eine zulässige Aufklärungsrüge zu erheben, muss der Revisionsführer das bekannte oder erkennbare Beweismittel angeben und die Beweisthematik so genau und konkret umschreiben, dass zu ersehen ist, welcher bestimmte Sachverhalt zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte gemacht werden müssen. Weiter muss er ein zu erwartendes bestimmtes Beweisergebnis darlegen und eindeutig behaupten, eine Beweiserhebung würde die vorgetragenen Tatsachen ergeben haben. Weiter muss er die Relevanz dieses zu erwartenden Ergebnisses darlegen, also ausführen, dass es (möglichweise) für den Schuldspruch oder den Ausspruch über die Rechtfolgen Bedeutung erlangt hätte. Zudem muss der Revisionsführer die Umstände darlegen, die für die Beantwortung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein konnten (Krehl in KK, StPO, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 216) .

ii) Die Revision trägt nicht vor, aus welchen Gründen sich für das Tatgericht die Verlesung des Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Februar 2023 „Klimaaktivisten kleben sich auf der Straße fest“ aufgedrängt hätte. Der Artikel ist nicht Bestandteil der Akte. Die Revision führt zudem auch nicht aus, dass sie das Gericht mündlich oder schriftlich auf den Artikel und seine mögliche Bedeutung als Beweismittel hingewiesen habe. Ein Vortrag, dass dem Gericht der Artikel aus anderen Quellen bekannt geworden ist, liegt ebenfalls nicht vor. Die Revision führt lediglich aus, der Artikel sei für das Amtsgericht über eine „google-Recherche“ im Internet auffindbar gewesen (RevBegr. S. 15). Mangels jeglichen Vortrags, dass sich dem Tatgericht die Internet-Recherche und sich daraus ergebend die Verlesung des genannten Artikels der Süddeutschen Zeitung hätte aufdrängen müssen, ist die Aufklärungsrüge in diesem Zusammenhang unzulässig erhoben.

b) Die Aufklärungsrüge ist hinsichtlich des Tw…-Videos und des Artikels in der Bild-Zeitung jedenfalls unbegründet, weil die objektiven Gegebenheiten nicht zur Beweiserhebung durch das Tatgericht drängten:

i) Auf Grund einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge prüft das Revisionsgericht die mögliche Erheblichkeit einer vom Tatgericht unterlassenen Beweiserhebung unter Heranziehung des für die Begründetheit der Rüge relevanten Stoffs, vor allem anhand der tatrichterlichen Urteilsgründe und der Akten, sowie insbesondere auch die Frage, ob sich die unterlassene Beweiserhebung dem Tatrichter nach der Sachlage aufdrängen musste (Krehl in KK, StPO, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 220). Entscheidend ist dabei allein, ob nach »Sicht der Dinge« des Revisionsgerichts die Durchführung der in Rede stehenden Beweiserhebung zur weiteren Aufklärung erforderlich gewesen wäre (BGH, StV 1996, 581, 582).

ii) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Sachlage nicht zur Erhebung der von der Revision vermissten Beweismittel gedrängt:

(1) Die Revision führt in diesem Zusammenhang aus, der Angeklagte habe in einem Tw…-Video medial kommuniziert, dass der Zweck des Protests in erster Linie die Verhinderung einer Klimakatastrophe gewesen sei. Die Bildzeitung hätte über die Straßenblockade als Klimaprotest berichtet und so öffentlichkeitswirksam die Klimakrise als das Hauptanliegen des Angeklagten und seiner Begleiter kommuniziert (RevBegr. S. 6).

(2) In dem Tw…-Video erklärt der Angeklagte nach dem Vortrag der Revision jedoch lediglich, er habe sich in München auf einer Straße festgeklebt, weil wir in einem globalen Klimakollaps seien, der in den nächsten Jahrzehnten ein Massensterben auslösen werde und Hungersnöte in der ganzen Welt, die wir heute schon sähen. Wir könnten so nicht weitermachen. Essen wegwerfen, sei in Anbetracht, dass 700 Millionen Menschen weltweit hungern würden, sowieso ethisch nicht vertretbar. Deswegen würden sie ein „Essen-Retten-Gesetz“ fordern. Er fordere die Bundesregierung auf, dieses Essen-Retten-Gesetz jetzt zu verabschieden. Wenn das passiere, würden sie mit dieser Störung aufhören. Die Ausführungen des Angeklagten in dem Video thematisieren zwar den „Klimakollaps“, indem sie ihn verantwortlich machen für Hungernöte auf der Welt. Nach diesen Worten ruft der Angeklagte dann dazu auf, kein „Essen“ mehr wegzuwerfen. Von der Bundesregierung fordert er den Erlass eines „Essen-Retten-Gesetzes“ und erklärt, die Störaktionen von ihm und seiner Gesinnungsgenossen würden aufhören, wenn ein solches Gesetz erlassen ist.

(3) Im von der Revision vorgelegten Artikel der Bild-Zeitung findet sich im thematisierten Zusammenhang in der Überschrift die Wendung, dass ein Sitzstreik für Klima in München stattgefunden habe. Im Artikel wird ausgeführt, fünf Klima-Aktivisten hätten einen Sitzstreik auf der F. straße durchgeführt. Außerdem hätte die Aktivisten Obst und Gemüse auf die Fahrbahn geworfen. Motto der Aktion sei gewesen: „Aufstand der letzten Generation“ und „Essen retten – Leben retten“. Ein Aktivist habe geäußert, sie würden für unser aller Klima kämpfen, sie wollten die Regierung unter Druck setzen. Dazu gehöre auch, aufzuhören, Nahrungsmittel im Überfluss zu produzieren, die dann weggeworfen würden.

(4) Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, die drei Angeklagten hätten den äußeren Sachverhalt, wie festgestellt, glaubhaft eingeräumt. Das Amtsgericht hat dazu u.a. festgestellt, der Angeklagte und seine vier Begleiter hätten die F. straße blockiert. Sie hätten vor sich diverses Obst und Früchte verteilt und zwei Transparente ausgerollt. Auf diesen stand „Essen Retten Leben Retten“ und „Aufstand der Letzten Generation“ (UA. S. 5). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war demnach aufgrund des Transparents „Essen Retten Leben Retten“ und der Verteilung von Obst und Früchten auf der blockierten Fahrbahn der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung klar und ausdrücklich ersichtlich. Das Transparent „Aufstand der Letzten Generation“ deutete lediglich mittelbar und auch nur für Personen, die mit den Sachverhalten vertraut waren, darauf hin, dass auch gegen den Klimawandel Stellung genommen werden sollte.

(5) Der von der Revision vorgetragene Inhalt des Videos stützt nicht die Annahme, der Zweck des Protestes sei in erster Linie die Verhinderung einer Klimakatastrophe gewesen. Vielmehr dient der Hinweis auf den „Klimakollaps“ als Hinführung zum Thema Nahrungsmittelverschwendung. Zu diesem Komplex bringt dann auch der Angeklagte seine Forderung nach einem „Essen-Retten-Gesetz“ vor und kündigt das Ende der Aktionen für den Fall an, dass ein solches Gesetz verabschiedet wird. Die „Klimakatastrophe“, der „Klimakollaps“ oder die „globale Erwärmung“ werden nicht mehr erwähnt. Auch in dem von der Revision vorgelegten Artikel in der Bild-Zeitung wird die Tat des Angeklagten als Kampf für das Klima und als Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung bezeichnet. Dass die Klimakrise das Hauptanliegen des Angeklagten gewesen sei, kann dem Artikel jedoch nicht entnommen werden. Vielmehr nimmt die Berichterstattung im Zusammenhang mit Lebensmitteln deutlich breiteren Raum ein. Der Kampf für das Klima wird hingegen lediglich in der Überschrift und in der Äußerung des von den Journalisten gehörten Aktivisten erwähnt. Bei dieser Sachlage unter Berücksichtigung der objektiven Umstände der Blockade und dem dargestellten Inhalt von Video und Zeitungsartikel hat die Sachlage nicht dazu gedrängt, das Video in Augenschein zu nehmen und den Zeitungsartikel zu verlesen.“

Puh 🙂