Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Beschränkung der Kommunikation Verteidiger/Beschuldigter, oder: Rechtsmittel

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Heute gibt es dann mal nur zwei Beiträge. Nach 3 1/2 Wochen Urlaub muss ich erst mal wieder richtig in den Arbeitsmodus kommen und aufarbeiten. Im Übrigen ist wahrscheinlich bri den meisten Kollegen eh nicht mehr viel los.

Also dann zum Tagesbeginn eine Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.11.2017 – 4 BGs 156/17. Er ist in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Kriegsverbrechen gem. § 8 Abs. 1 VStGB sowie des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gem. §§ 129a, 129b StGB ergangen. Der Beschuldigte befindet sich seit (??; der BGH-Beschluss hat an der Stelle eine Lücke) aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts B. vom selben Tag in U-Haft. Für die Vollstreckung eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BBGH v. 15.09.2017 ist Überhaft vorgemerkt. Mit Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH v. 18.09.2017 wurden Anordnungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO und § 148 Abs. 2 StPO getroffen, die auch für den Vollzug der Untersuchungshaft in dem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft B. Geltung haben. Dagegen hat der Verteidiger des Beschuldigten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO gestellt, nachdem der 3. Strafsenat des BGH die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH vom 18.09.2017 als unzulässig verworfen hatte.

Der BGH sieht den Antrag als zulässig an.

1. Der Antrag ist vollumfänglich zulässig.

Dem Beschuldigten steht in analoger Anwendung des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO ein Antragsrecht auch hinsichtlich der nach § 148 Abs. 2 StPO getroffenen Anordnungen zu.

Zwar umfasst § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO nach seinem Wortlaut lediglich Entscheidungen und Maßnahmen nach § 119 Abs. 1 und 2 StPO.
Sinn des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO ist es jedoch, dem Beschuldigten im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG umfassenden Rechtsschutz gegen gerichtliche Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft zu gewähren. Die Norm räumt dem Beschuldigten daher das Recht ein, in den Fällen gerichtliche Entscheidung zur Überprüfung der haftbeschrän-kenden Anordnungen nach § 119 Abs. 1 und 2 StPO zu beantragen, in denen der Beschwerdeweg nach § 304 StPO nicht eröffnet ist (vgl. MünchKomm-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 76). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2012 – StB 19/11, BGHR StPO § 304 Abs. 5 Verhaftung 5; vom 18. Oktober 2017 – StB 24/17, zitiert nach juris, dort Rn. 4) für haftgrundbezogene Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO der Fall, sofern diese vom Oberlandesgericht oder Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs getroffen wurden. Denn der Begriff der „Verhaftung“ im Sinne des § 304 Abs. 5 StPO umfasst nur Entscheidungen des Ermittlungsrichters, welche unmittelbar darüber befinden, ob der Beschul-digte in Haft zu nehmen oder zu halten ist. Durch Haftbeschränkungsanordnungen wird indes nur die Art und Weise des Vollzuges geregelt (vgl. BGH, aaO).

Der Beschuldigte soll durch die Rechtsschutzmöglichkeit des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO in diesen Fällen nicht auf eine von Amts wegen zu veranlassende Aufhebung der Beschränkung angewiesen sein, sondern diese selbst initiieren können (MünchKomm-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 80).

Beschränkungen in der Kommunikation mit dem Verteidiger eines wegen des dringenden Verdachts einer Tat nach §§ 129a, 129b StGB inhaftierten Beschuldigten werden wegen der Zuständigkeitsregelung des § 120 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 GVG i.V.m. § 169 Abs. 1 StPO ausschließlich durch das Oberlandesgericht oder den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs angeordnet und unterliegen daher im Hinblick auf § 304 Abs. 5 StPO in keinem Fall dem Beschwerderecht nach § 304 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 – StB 24/17 –, zitiert nach juris, dort Rn. 4).

Da diese Maßnahmen – wie dargelegt – nicht dem direkten Anwen-dungsbereich des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO unterfallen, besteht eine Rechtsschutzlücke (vgl. MünchKomm-StPO/Thomas/Kämpfer, § 148 Rn. 30).

Anordnungen nach § 148 Abs. 2 StPO, mit denen das Recht des Be-schuldigten auf freien Verkehr mit seinem Verteidiger beschränkt wird, greifen indes zumindest mit gleicher, meist jedoch mit höherer Intensität als Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO in den Rechtskreis des Beschuldigten ein, sodass eine vergleichbare prozessuale Interessenlage besteht. Dass der Gesetzgeber den Beschuldigten in diesen Fällen bewusst rechtsschutzlos stellen wollte, ist nicht ersichtlich.

Eine am Normzweck des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO orientierte Rechtsanwendung gebietet daher eine analoge Anwendung des § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO auf Anordnungen nach § 148 Abs. 2 StPO.“

Sicherlich ein Sonderproblem, aber ganz interessant die Frage.

Keine AE ==> Aufhebung des Haftbefehls, oder: Wenn ein AG mit den Rechten des Beschuldigten Ernst macht

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Zum Auftakt dann heute den AG Halle, Beschl. v. 02.11.2017 – 394 Gs 651 Js 32786/17 -, den mir der Kollege J. R. Funck aus Braunschweig übersandt hat. Herzlichen Dank für den schönen Beschluss.

Es ist mal wieder ein AG-Beschluss, der sich wohltuend mit dem Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG im Fall der Inhaftierung befasst. Der Verteidiger hatte bis zu einem von ihm beantragten Haftprüfungstermin keine Akteneinsicht. Die StA hatte es nicht geschafft. Ergebnis: Der Amtsrichter hebt den Haftbefehl auf und erklärt der StA nebenbei noch, was sie alles hätte tun können bzw. müssen:

Der Haftbefehl war aufzuheben, weil eine Aufrechterhaltung der Inhaftierung nur unter Missachtung des in Art. 103 Abs. 1 GG statuierten Justizgrundrechtes auf rechtliches Gehör hätte beschlossen werden können. Dieses Justizgrundrecht beinhaltet im Falle einer Inhaftierung, dass der Beschuldigte sich im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung zu denjenigen Umständen fundiert äußern kann, die zu diesem Zeitpunkt seine Inhaftierung tragen. Dies wiederum setzt bei einem — wie hier — verteidigten Beschuldigten voraus, dass der Verteidiger vor dem Haftprüfungstermin zum einen die Gelegenheit gehabt hat, zumindest Einsicht in diejenigen Aktenbestandteile zu haben, welche konstituierend für die Inhaftierung seines Mandanten sind. Zum anderen aber auch muss der Verteidiger eine ausreichende Zeitspanne zur Verfügung gestellt bekommen, um sich mit dem Verfahrensgegenstand und vor allem mit den die Inhaftierung tragenden Umständen vertraut zu machen, diese zu durchdenken und mit seinem Mandanten zu besprechen.

Dazu reicht nach hier vertretener Auffassung keinesfalls — wie vom Amtsgericht Frankfurt an der Oder in einer Entscheidung vom 24.03.2014 (Aktenzeichen 45 Gs 48/14) vertreten ­- eine Zeitspanne von lediglich zwei Stunden aus. Zumal vorliegend zwischen dem am 18.10.2017 erfolgten Eingang des Akteneinsichtsgesuchs des Verteidigers bei der Staatsanwaltschaft Halle und dem Haftprüfungstermin eine Zeitspanne von vierzehn Tagen liegt. Innerhalb dieser Zeitspanne hätte seitens der Staatsanwaltschaft Halle entweder das Haftsonderheft per Eilpost an den Verteidiger übersandt werden können oder es hätten ihm Kopien von denjenigen Aktenbestandteilen übersandt werden können, welche den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund begründen. Dies wären bis zum Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Halle inklusive des Bundeszentralregisterauszuges insgesamt 52 Blätter gewesen. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, mit dem Verteidiger, von dem bekannt ist, dass er des Öfteren Termine beim hiesigen Amtsgericht wahrnimmt, telefonisch in Kontakt zu treten, um ihn zu fragen, ob er sich gegebenenfalls in der 43. Kalenderwoche im hiesigen Justizzentrum aufhält, was tatsächlich am 25.10.2017 der Fall war. An diesem Tag hätte ihm also zur Einsicht das Haftsonderheft ausgehändigt werden können. Sofern die Staatsanwalt­schaft Halle hinsichtlich einer Versendung der Akten per Eilpost oder Übergabe der Akten am 25.10.2017 an den Verteidiger die Befürchtung gehegt haben sollte, dass die Akten nicht rechtzeitig zum Haftprüfungstermin dem Ermittlungsrichter vorliegen würden, so hätte diesen Bedenken auf einfache Art und Weise begegnet werden können. Hätte man mit dem zuständigen Ermittlungsrichter diesbezüglich Kontakt aufgenommen, so hätte dieser kundgetan, dass es für ihn ausreichend sei, wenn der Verteidiger das Haftsonderheft zu dem Haftprüfungstermin mitgebracht und dem Ermittlungsrichter übergeben hätte. Dass von den aufgezeigten Möglichkeiten keine von der Staatsanwaltschaft Halle wahrgenommen wurde, darf nicht zulasten des Beschuldigten gehen. Im Hinblick auf die überragende Stellung des Grundrechts auf persönliche Freiheit nach Art. 2 des Grundgesetzes und der nunmehr fast vier Wochen andauernden Untersuchungshaft hatte im Hinblick auf den festgestellten Verfahrensverstoß die Aufhebung des Haftbefehls zu erfolgen.“

Zur Nachahmung empfohlen – das Verhalten des AG 🙂 .

BGH zur Tatschilderung im Haftbefehl, oder: Lesenswert für AG, LG und OLG

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Zu Haftfragen liest man vom BGH nicht so viel. Deshalb ist der BGH, Beschl. v. 17.08.2017 – AK 34/17 – erwähnenswert, zumal der BGH den Haftbefehl des OLG Frankfurt aufgehoben hat. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren mit dem Vorwurf, der Beschuldigte habe den „Islamischen Staat Irak und Großsyrien“ (ISIG) und damit eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5, § 129b Abs. 1 StGB). Der 3. Strafsenat des BGH war mit der so. „Sechs-Monats-Prüfung“ (§§ 121, 122 StPO) befasst.

In dem Zusammenhnag moniert der BGH eine nicht ausreichende Tatschilderung im Haftbefehl des OLG und stellt dazu fest:

„1. Soweit dem Beschuldigten Tätigkeiten als Schleuser und Anwerber für den ISIG angelastet werden, umschreibt der Haftbefehl den Vorwurf nicht in ausreichendem Maße und genügt damit nicht den Anforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

a) Nach dieser Vorschrift sind im Haftbefehl die Tat, deren der Beschul-digte dringend verdächtig ist, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften anzuführen. Der strafrechtliche Vorwurf, der die Untersuchungshaft rechtfertigen soll, ist in ähnlicher Weise wie in der Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) zu umschreiben. Dies bedeutet, dass der Tatvorgang als solcher in seiner bedeutsamen konkreten Erscheinungsform mitgeteilt werden muss (LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 114 Rn. 9). Der Haftbefehl muss das ihm zugrundeliegende Geschehen nach Ort und Zeit, Art der Durchführung und sonstigen Umständen so genau bezeichnen, dass ein bestimmter Lebensvorgang erkennbar ist, dem der Beschuldigte den gegen ihn erhobenen Vorwurf einer Straftat entnehmen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 114 Rn. 7 mwN). Zwar kann – soweit in einem frühen Stadium der Ermittlungen eine detaillierte Beschreibung der Taten noch nicht möglich ist – eine zusammenfassende Darstellung im Haftbefehl genügen. Im weiteren Verlauf ist die Tatschilderung dann aber der fortschreitenden Ermittlungslage an-zupassen. Stets müssen bei der Umschreibung des historischen Vorgangs auch die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale aufscheinen. Es muss für jedes gesetzliche Tatbestandsmerkmal erkennbar sein, durch welchen Teil des Geschehens es erfüllt ist (vgl. KG, Beschluss vom 10. August 2016 – (5) 121 HEs 8/16 (14/16), juris Rn. 27; LR/Hilger aaO; Meyer-Goßner/Schmitt aaO; KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 114 Rn. 6). Verlangt ist somit die konkrete Beschreibung eines Lebenssachverhalts, der unter einen Straftatbestand subsumiert werden kann. Die Anforderungen an die Tatschilderung richten sich damit auch danach, welche Straftat dem Beschuldigten vorgeworfen wird.“

Dass das beim Vorwurf der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB nicht einfach ist, liegt auf der Hand, ist aber – so der BGH – machbar. Wie, kann man im BGH-Beschluss nachlesen. M.E. ein für AG, LG und auch OLG lesenswerter Beschluss.

Strafzumessung I: U-Haft bei der Strafzumessung, oder: Das geht nicht so einfach

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Heute dann – seit längerem – mal wieder ein „Strafzumessungstag, den ich mit dem BGH, Urt. v. 28.06.2017 – 2 StR 92/17 – eröffne. Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a. wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Bei der Strafzumessung hat das LG die gegen den Angeklagten vollzogene U-Haft berücksichtigt. Das beanstandet der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft:

„Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Strafrahmenwahl und Strafzumessung im engeren Sin-ne halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen den An-geklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.

Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich „einige Monate“ in Untersuchungshaft befand. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird ge-mäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, NStZ-RR 2017, 40, 42; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, aaO). Hieran fehlt es. Insoweit hat das Landgericht allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte „als nicht der deutschen Sprache hinreichend mächtiger Angeklagter“ besonders haftempfindlich sei. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2000 in Deutschland lebt, mehrere Cafés betrieben hat und familiäre Bindungen im Inland hat. Bei dieser Sachlage genügte der bloße Hinweis auf unzureichende Sprachkenntnisse zur Begründung einer besonderen Haftempfindlichkeit nicht.“

Ein Strafzumessungsfehler – zugunsten des Angeklagten -, der häufiger gemacht wird.

Wiederholungsgefahr als Haftgrund, oder: Wann reichen Betrugstaten aus?

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Zum Tagesschluss dann noch eine haftrechtliche Entscheidung. Das OLG Hamburg nimmt in dem OLG Hamburg, Beschl. v. 20.07.2017 – 2 Ws 110/17, den mir der Kollege Diedrich aus Hamburg übersandt hat – besten Dank – im Verfahren der „Sechs-Monats-Prüfung“ nach §§ 121, 122 StPO zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) Stellung. Grundlage des Haftbefehls waren zwei Betrugstaten, und zwar einmal Anmietung eines Pkw und zum anderen Buchung einer Reise. Dem OLG reichen diese Taten nicht zur Begründung der Wiederholungsgefahr aus:

„Bei den Anlasstaten muss es sich ferner — in jedem Einzelfall (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn. 9 m,w.N.) — um die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten handeln. An Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr sind im Hinblick auf ihren Charakter als präventive Sicherungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 35, 185; KG NStZ-RR 2015, 115). Den Anlasstaten muss überdurchschnittlicher Unrechtsgehalt und Schweregrad zukommen (vgl. OLG Frankfurt StV 2016, 816; Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn 9), wobei zur Bestimmung des Gewichts der Tat Begleitumstände wie Beweggründe, Art der Tatausführung, Auswirkungen der Tat, Vorleben und Nachtatverhalten herangezogen werden können (OLG Hamm NStZ-RR 2015, 115). Die Anlasstaten müssen auch geeignet sein, in weiten Kreisen das „Gefühl der Geborgenheit im Recht“ zu beeinträchtigen (Senat, Beschl. v. 24. Januar 2014 (Az.: 2 10/14); KG NStZ-RR 2015, 115).

Besonderes Gewicht kommt dem Erfordernis einer die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigenden Tat zu, soweit als Anlasstaten Betrugstaten nach § 263 StGB in Rede stehen, da der Gesetzgeber den Betrug nach § 263 StGB — anders als den Diebstahl nach § 242 StGB oder die (einfache) Körperverletzung nach § 223 StGB — bereits im Grundtatbestand und damit ohne Differenzierung nach der Schwere der Tat in den Katalog des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO aufgenommen hat. Die Stellungnahme der Bundesregierung zur Einführung des § 112a StPO lässt erkennen, dass insoweit eine vorsichtige Anwendung des Haftgrundes befürwortet wurde: „ . zeigt, daß sich die Wiederholungsgefahr auf Eigentums- und Vermögensdelikte konzentriert. Gerade bei diesen Delikten ist aber geboten, soweit nicht erschwerende Umstände wie Gewaltanwendung und der gleichen hinzukommen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderliche Zurückhaltung zu üben.“ (BT-Drs. 11/3248, BI. 7).

Betrugstaten sind nur dann geeignete Anlasstaten, wenn sie in ihrem konkreten Schweregrad nach Art und Ausführung sowie Umfang des Schadens mindestens etwa einem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB entsprechen (vgl. KG NStZ-RR 2015, 1 15; OLG Hamm, Beschl. v. 1. April 2010, Az.: 3 Ws 161/10; OLG Thüringen, Beschl. v. 23. Januar 2008, Az.: 1 Ws 29/08 (juris); Meyer-Goßner/Schmitt § 112a Rn. 7; KK-Graf § 112a Rn. 10; HK-Posthoff § 112a Rn. 7). Durch Betrugstaten verursachte Vermögensschäden unterhalb eines Betrages von etwa 2000 EUR werden in aller Regel den erforderlichen Schweregrad nicht begründen (vgl. OLG Naumburg, NStZ-RR 2013, 49; OLG Hamm StV 2011, 291; MüK0-StPO/Böhm § 112a Rn. 28; § 112a Rn. 14a).“

Ergebnis: Aufhebung des Haftbefehls.