Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

U-Haft III: Außervollzugsetzung des Haftbefehls, oder: 2/3-Verbüßung

© psdesign1 – Fotolia.com

Und zum Tagesschluss dann der LG Wiesbaden, Beschl. v.  14.06.2019 – 6 KLs 4440 Js 17203/16, den mir der Kollege T. Hein aus Bad Vilbel geschickt hat.

Der Beschluss lautet kurz und zackig:

„…..

Nachdem der Angeklagte 2/3 der Strafe im Wege der Untersuchungshaft verbüßt hat, kann der weiterhin bestehenden Fluchtgefahr durch geeignete Maßnahmen ausreichend begegnet werden. Daher war der Haftbefehl entsprechend außer Vollzug zu setzen.“

Und das hat die Kammer dann unter Festsetzung der üblichen Auflagen getan, ohne viel darüber zu schreiben, warum denn nun ggf. doch noch Fluchtgefahr besteht, der nur durch den Vollzug der U-Haft begegnet werden kann.

U-Haft II: Auslieferung aufgrund Europäischen HB, oder: Keine Auswirkungen auf U-Haft?

entnommen wikimedia.org

Als zweite Entscheidung des Tages stelle ich dann den OLG München, Beschl. v. 13.06.2019 -2 Ws 587/19 – ein/vor, den mir der Kollege T. Scheffler aus Bad Kreuznach übersandt hat.

Im Beschluss geht es u.a. um Haftfortdauer. Das OLG München hat – was mich nicht wirklich überrascht – keine Probleme, bei einer noch zu verbüßenden Reststrafe von noch neun Monaten weiterhin Fluchtgefahr zu bejahen. Die Begründung überlasse ich der Selbstlektüre. Sie enthält nichts Besonderes. Das haben wir alles schon mal so oder ähnlich gelesen.

Einstellen will ich hier die Ausführungen des OLG München zu den Auswirkungen der Entscheidung des EUgH v. 27.05.2019 – Stichwort: deutsche Staatsanwaltschaft ist keine „ausstellende Justizbehörde“. Dazu bzw. zu den Auswirkungen der Entscheidung führt das OLG aus.

„Der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts München I vom 15.05.2019 sind auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Angeklagte aufgrund des von der Staatsanwaltschaft München I ausgestellten Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 am 16.07.2018 in Bulgarien festgenommen und nach Bewilligung der Auslieferung am 09.08.2019 nach Deutschland überstellt wurde.

Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 27.05.2019 entschieden, dass die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats, die – wie die deutschen Staatsanwaltschaften – der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden, nicht unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl fallen (EuGH Urt. v. 27.5.2019 – C-508/18, C-82/19 PPU, BeckRS 2019, 9722). Die deutschen Staatsanwaltschaften sind danach nicht zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugt. Europäische Haftbefehle sind künftig von deutschen Gerichten auszustellen.

Die Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 steht dem Vollzug der Untersuchungshaft des An-geklagten nach bewilligter und vollzogener Auslieferung aus Bulgarien jedoch nicht entgegen. Grundlage der Untersuchungshaft ist der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und nicht der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft München I vom 20.06.2018. Die Wirksamkeit des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 bleibt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH unberührt.

Es besteht auch kein Hindernis, den Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 zu vollziehen. Die Auslieferung erfolgte aufgrund der rechtskräftigen Bewilligungsentscheidung durch Urteil des Kreisgerichts Pazardzhik vom 25.07.2018. Der Angeklagte hat nach Belehrung seine Zustimmung zur Auslieferung erklärt und kein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Diese Entscheidung bleibt auch wirksam, wenn das bulgarische Auslieferungsverfahren fehlerbehaftet gewesen sein sollte. Die Überprüfung der Auslieferungsbewilligung ist allein Sache der bulgarischen Behörden. Eine Überprüfung im Inland erfolgt nicht. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, und hierzu zählen auch die Regelungen in Folge des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, gilt das sog. Trennungsmodell. Hiernach ist dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat Rechtsschutz zu gewähren, von dem der angegriffene Hoheitsakt erlassen wurde. Dies hat auch Auswirkung auf den Umfang der Nachprüfung durch die nationalen Gerichte, da die Rechtsschutzgarantie es grundsätzlich nicht gebietet, einen ausländischen Hoheitsakt (inzident) auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen (Böse in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, 26. Lfg. Juni 2012, Vor § 78 IRG Rn. 35). Daher unterliegen etwa mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates gewonnene Beweise trotz Nichteinhaltung der maßgeblichen rechtshilferechtlichen Bestimmungen keinem Beweisverwertungsverbot, wenn die Beweise auch bei Beachtung des Rechtshilferechts durch den ersuchten und den ersuchenden Staat hätten erlangt werden können. Ist die Rechtshilfe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union geleistet worden, darf bei der Beurteilung der Beweisverwertung im Inland nur in eingeschränktem Umfang geprüft werden, ob die Beweise nach dem inner-staatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaates rechtmäßig gewonnen wurden (BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, NStZ 2013, 596).

Da die Auslieferung des Angeklagten nach Deutschland vorliegend durch die bulgarischen Behörden auf der Grundlage des dortigen Rechts bewilligt wurde, ist dem Trennungsgebot folgend die Nichtberücksichtigung der mangelnden Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft München I hinsichtlich der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 durch das Kreisgericht Pazardzhik für die Wirksamkeit des nationalen Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten unbeachtlich. Zwar erfährt das Trennungsgebot Einschränkungen durch den ordre-public-Vorbehalt oder andere Vollstreckungshindernisse im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens. Aber auch derartiges ist hier nicht erkennbar. Denn nach der Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 wurde der Europäische Haftbefehl lediglich durch eine nicht zuständige, aber doch immerhin durch eine Justizbehörde erlassen. Es liegt auch kein arglistiges Verhalten der Staatsanwaltschaft München I vor, da es bis zur Entscheidung des EuGH allgemeine Ansicht war, dass deutsche Staatsanwaltschaften befugt sind, Europäische Haftbefehle aus-zustellen. Auch aus der oben genannten Entscheidung des BGH vom 21.11.2012 ergibt sich, dass die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch eine unzuständige Staatsanwaltschaft und die daraufhin durch eine ausländische Behörde bewilligte und vollzogene Auslieferung nicht zu einem Verfolgungshindernis im Inland führt.“

U-Haft I: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Verhältnismäßigkeit der U-Haft

© fotomek – Fotolia.com

Heute stelle ich drei „Haftentscheidungen“ vor.

An der Spitze steht der BGH, Beschl. v. 03.05.2019 – AK 15/19, der sich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer von U-Haft befasst und dabei das Problem behandelt, inwieweit bei der Beantwortung dieser Frage für die Verfahrensdauer mitursächliches Verteidigungsverhalten berücksichtigt werden darf/kann.

Worum es geht, ergibt sich aus der Sachverhaltsschilderung im BGH-Beschluss:

„c) Entgegen der Auffassung der Wahlverteidigerin des Angeklagten ergibt sich eine zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Untersuchungshaft führende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes auch nicht aus dem Umstand, dass die erste Hauptverhandlung mit Beschluss vom 19. März 2019 ausgesetzt wurde. Im Einzelnen:

aa) Dem Angeklagten wurde durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. März 2018 Rechtsanwalt M. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Wahlverteidigerin des Angeklagten bestellte sich erst mit Schriftsatz vom 9. August 2018. Nach Anklageerhebung unter dem 26. Oktober 2018 und Durchführung von Terminsabsprachen für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens sowohl mit dem Pflichtverteidiger als auch der Wahlverteidigerin durch den Vorsitzenden des Strafsenats des Oberlandesgerichts wurde die Anklage mit Beschluss vom 20. Dezember 2018 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet; beide Verteidiger wurden zur Hauptverhandlung geladen. Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019 beantragte die Wahlverteidigerin, dem Angeklagten als weitere Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden. Diesen Antrag wies der Vorsitzende des Strafsenats des Oberlandesgerichts nach ablehnender Stellungnahme des Generalbundesanwalts mit Vorsitzendenbeschluss vom 15. Januar 2019 zurück; die Beschwerde dagegen verwarf der Senat mit Beschluss vom 7. Februar 2019 (StB 3/19, juris), die Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Februar 2019 nicht zur Entscheidung an und stellte die Erledigung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fest (2 BvR 280/19, juris).

Ab dem 17. Januar 2019 wurde die Hauptverhandlung zunächst bis zum 26. Februar 2019 an fünf Verhandlungstagen geführt, an denen der Pflichtverteidiger stets, die Wahlverteidigerin hingegen an einem Termin nicht und an einem weiteren nur zeitweise teilnahm. Vor dem nächsten Hauptverhandlungstermin vom 12. März 2019 teilte die Kanzlei des Pflichtverteidigers mit, dass dieser erkrankt sei. Die Wahlverteidigerin, die zu dem Termin angereist und im Gerichtsgebäude anwesend war, erklärte sich nur für den Fall ihrer Beiordnung als weitere Pflichtverteidigerin bereit, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, die der Vorsitzende des Oberlandesgerichts jedoch nicht vornahm. Eine durch den Vorsitzenden ausgesprochene Genehmigung der Vertretung des Pflichtverteidigers lehnte sie als rechtlich nicht zulässig ab. Als der Pflichtverteidiger auch – wie von seiner Kanzlei zuvor mit Schreiben vom 13. März 2019 mitgeteilt – am nächsten Hauptverhandlungstermin, dem 14. März 2019, krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, weigerte sich die wiederum aus W. angereiste und im Gerichtsgebäude anwesende Wahlverteidigerin erneut, ohne vorherige Bestellung zur Pflichtverteidigerin an der Hauptverhandlung teilzunehmen, so dass auch an diesem Tag nicht zur Sache verhandelt werden konnte. Nachdem der Vorsitzende des Strafsenats des Oberlandesgerichts bereits am 12. März 2019 vorsorglich für den Fall, dass der Pflichtverteidiger die ganze Woche bis zum 15. März 2019 erkrankt sein werde, einen zusätzlichen Termin auf den 18. März 2019 anberaumt hatte – am 19. März 2019 waren beide Verteidiger gerichtsbekannt verhindert – teilte die Wahlverteidigerin mit, auch am 18. März 2019 verhindert zu sein. Der Pflichtverteidiger ließ durch seine Kanzlei am Morgen des 18. März 2019 unter Vorlage eines neuen Attests mitteilen, dass er infolge seiner fortdauernden Erkrankung auch weiterhin nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen könne. Auch an diesem Tag fand deshalb eine Verhandlung zur Sache nicht statt. Da der letzte Termin, an dem die Hauptverhandlung durchgeführt worden war, somit am 26. Februar 2019 stattgefunden hatte, setzte das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 19. März 2019 die Hauptverhandlung aus. Mehrere weitere Anträge, die Wahlverteidigerin dem Angeklagten als weitere Pflichtverteidigerin beizuordnen, etwa vom 12. und vom 13. März 2019, lehnte der Vorsitzende jeweils ab.“

Dazu der BGH:

„bb) Angesichts dieses Verfahrensablaufs ist eine der Justiz zuzurechnende Verfahrensverzögerung, die hier zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der weiteren Untersuchungshaft führen könnte, nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot ergibt sich aus der Aussetzung der Hauptverhandlung nicht. Hierzu gilt:

Bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft und deren Verhältnismäßigkeit ist die (Mit-)Ursächlichkeit von Verteidigungsverhalten für die Verfahrensdauer sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.) als auch nach derjenigen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 6. November 2014 – Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, NJW 2015, 3773, 3775) und des Senats (vgl. Beschlüsse vom 8. Oktober 2012 – StB 9/12, JR 2013, 419, 421; vom 4. Februar 2016 – StB 1/16, juris Rn. 25; vom 22. September 2016 – StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19) zu berücksichtigen.

Der Umstand, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt werden musste, was zu einer Verfahrensverzögerung von gut zehn Wochen geführt hat, ist – wie sich aus dem geschilderten Verfahrensgeschehen ergibt – ganz wesentlich auch auf das Prozessverhalten der Wahlverteidigerin des Angeklagten zurückzuführen, die trotz Anreise zum und Anwesenheit am Verhandlungsort der Hauptverhandlung fernblieb und damit – wie sich ihr aufdrängen musste – auch die Aussetzung der Hauptverhandlung in Kauf nahm, um entgegen der ihr bekannten Rechtsauffassung des insoweit allein zur Entscheidung befugten Vorsitzenden des Strafsenats des Oberlandesgerichts ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin zu erzwingen. In diesem Zusammenhang ist weiter in den Blick zu nehmen, dass sowohl die Beschwerde zum Senat als auch die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart erfolglos geblieben waren, wobei der Senat zur Sache ausgeführt hatte, dass der Vorsitzendenbeschluss nach vorläufiger Einschätzung Ermessensfehler nicht erkennen lasse (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2019 – StB 3/19, juris Rn. 8). Im Verfassungsbeschwerdeverfahren hatte die Wahlverteidigerin solche Ermessensfehler zudem nicht zu substantiieren vermocht (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2019 – 2 BvR 280/19, juris Rn. 9).

Da es nach der genannten Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich darauf ankommt, ob es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob das Prozessverhalten der Wahlverteidigerin einerseits mit ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege, andererseits aber auch mit ihrer aus dem Mandatsverhältnis resultierenden Beistandspflicht gegenüber dem Angeklagten zu vereinbaren ist. Dagegen könnte insbesondere sprechen, dass sie um der Durchsetzung ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit eines zweiten Pflichtverteidigers willen eine Aussetzung der Hauptverhandlung in Kauf nahm, was im Ergebnis mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer längeren Dauer des Strafverfahrens und der den Angeklagten besonders belastenden Untersuchungshaft führen wird (vgl. zur Standeswidrigkeit des Erzwingens einer Unterbrechung der Hauptverhandlung durch den Verteidiger auch AnwGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Juli 2005 – (2) 6 EVY 7/04, NJW-RR 2006, 1491, 1492 f.).

cc) Auch nach dem erneuten Beginn der Hauptverhandlung ab dem 2. April 2019 ist das Verfahren mit der notwendigen Beschleunigung betrieben worden.“

Haft III: Dringender Tatverdacht, oder: Aber nicht, wenn Rechtfertigungsgründe pp. vorliegen

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Die dritte Entscheidung kommt vom OLG Hamburg. Das hat im OLG Hamburg, Beschl. v. 26.04.2019 – 2 Ws 48/19 – im Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO den gegen den Angeklagten wegen Körperverletzung bestehenden Haftbefehl aufgehoben. Allerdings nicht wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot, sondern wegen fehlenden dringenden Tatverdachts.

Der Leitsatz verdeutlicht, worum es gegangen ist:

„Schon die (einfache) Wahrscheinlichkeit, dass Rechtfertigungs-, Schuld- oder Strafausschließungsgründe vorliegen, beseitigt den dringenden Tatverdacht als Voraussetzung des Haftbefehls nach § 112 Abs. 1 StPO.“

Ist sicherlich in vielen Verfahren mal ein Ansatz gegen U-Haft zu verteidigen.

Haft II: Haftverschonung, oder: Auch danach gilt das Beschleunigungsgebot

© klickerminth – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 22.02.2019 – (4) 161 HEs 11/19 (4/19) – 4 Ws 19-20/19. In ihm geht es um Haftverschonung und das Beschleunigungsgebot in Fällen der Haftverschonung und bei der Gestaltung der Hauptverhandlung. Das KG hat in seinem rund 20 Seiten langen Beschluss den landgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben.

Die Leitsätze:

1. Das nicht nur ganz kurzfristige Fehlen einer wirksamen Haftersatzmaßnahme kann den Bestand des Haftbefehls in Frage stellen, weil eine Haftverschonung ohne eine ernsthafte beschränkende Anordnung im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO unzulässig ist.

2. Das in § 116 Abs. 4 StPO zum Ausdruck kommende Gebot, die Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls nur dann zu widerrufen, wenn sich die Umstände im Vergleich zu der Beurteilungsgrundlage zur Zeit der Gewährung der Verschonung verändert haben, gehört zu den bedeutsamsten (Verfahrens-) Garantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht. Das maßgebliche Kriterium für den Widerruf besteht in einem Wegfall der Vertrauensgrundlage der Aussetzungsentscheidung, wobei das Gericht an die Beurteilung der Umstände gebunden ist, auf denen die Vollzugsaussetzung beruhte.

3. Zur Verletzung des in Haftsachen geltenden Gebotes der besonderen Verfahrensbeschleunigung bei geringer Hauptverhandlungsdichte.

4. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ist, wenngleich in abgeschwächter Form, auch in Haftverschonungsfällen zu beachten.

Ganz interessant zu lesen.