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Vollstreckung III: Öffnen von Verteidigerpost erlaubt?, oder: Vorherige Absendernachfrage geht vor Öffnung

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Und dann zum Tagesschluss noch ein recht aktueller Beschluss aus der Strafvollstreckung, den mir der Kollege Fülscher aus Kiel vor einigen Tagen geschickt hat. Der Beschluss behandelt eine Problematik, die in der Praxis sicherlich nicht selten ist, nämlich die Öffnung von sog. Verteidigerpost durch die JVA.

Hier war in der JVA Oldenburg, wo der Mandant des Kollegen in Strafhaft einsitzt ein durch den Kollegen an diesen übersandter Verteidigerbrief eingegangen (üblicher Briefumschlag mit Sichtfeld). In dem Sichtfeld des Umschlages war, was unstreitig ist, der Hinweis „Verteidigerpost“ zu erkennen. Ob darüber hinaus die – über diesem Zusatz — auf dem Schriftsatz befindliche Anschrift des Verteidigers auch durch das Sichtfenster erkennbar war, ist streitig. Unstreitig ist demgegenüber weiter, dass irgendwelche Anzeichen dafür, dass es sich tatsächlich nicht um Verteidigerpost handelte, nicht bestanden. Auch behauptet die JVA keinerlei Anzeichen für unerlaubte Beigaben. Sie meint vielmehr, der Brief habe allein deshalb geöffnet werden dürfen, weil der Absender nicht durch das Sichtfenster hindurch erkennbar gewesen sei. Der Brief wurde durch einen Bediensteten der JVA — vor den Augen des Gefangenen — geöffnet, um zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um Verteidigerpost handelt; irgendwelche Maßnahmen zur Absender-Ermittlung waren zuvor — ebenfalls unstreitig — nicht getroffen worden.

Gegen die Öffnung des Briefes hat der Verurteilte der Strafvollstreckungskammer gerichtliche Entscheidung beantragt und einen Unterlassungsantrag gestellt.

Und er hatte Erfolg. Das LG Oldenburg hat im LG Oldenburg, Beschl. v. 13.06.2022 – 50 StVK 51/22 -die Öffnung des Briefes als rechtswidirg angesehen:

„1. Die vorliegende Brieföffnung war rechtswidrig. Sie verstieß gegen § 29 Abs. 1 S. 1 StVoIIzG.

Dabei kann dahinstehen, ob die Anschrift durch das Sichtfenster hindurch zu sehen war. Selbst wenn diese nicht zu sehen gewesen wäre, hätte der Brief nämlich nicht geöffnet werden dürfen. Im Einzelnen:

§ 29 Abs. 1 S. 1 StVollzG verbietet jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts der Sendung (vgl. zum Ganzen nur OLG Frankfurt, 13.05.2003 — 3 Ws 292/03 m. w. N.). Denn Sinn und Zweck des Überwachungsverbotes ist es, den unbefangenen Verkehr zwischen Gefangenen und seinem Verteidiger, d.h. ihren freien, vor jeder auch nur bloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Kommunikationsinhaltes durch Dritte geschützten Gedankenaustausch auf schriftlichem Wege zu gewährleisten (vgl. OLG Frankfurt, a. a. 0.). Verboten ist deshalb jedes, auch nur teilweises, Öffnen der Verteidigersendung, da nicht auszuschließen ist, dass der Kontrollierende hierdurch bewusst oder unbewusst Bruchstücke des Textes wahrnehmen kann vgl. OLG Koblenz, 30.01.1986 — 2 Vollz (Ws) 118/85); selbst die (teilweise) Öffnung der Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle des Inhalts in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns der Schriftunterlagen ist von dem Kontrollverbot umfasst.

Angesichts dieses strengen Maßstabes war dem Antragsgegner weiteres Recherchieren zuzumuten. Seiner Auffassung, dieses sei unzumutbar, vermag die Kammer nicht zu folgen. Im Einzelnen:

Der Antragsteller verfügte lediglich über zwei Verteidiger. Mit diesen hätte — wenn dies auch mit einigem Aufwand verbunden sein mag — Rücksprache gehalten werden können. Insbesondere lag es nahe, Rechtsanwalt pp. anzurufen, und insoweit Rücksprache zu halten, zumal der Antragsteller von diesem bereits 65 Schreiben erhalten hatte. Insbesondere der letztere Umstand hätte hier auch Anlass für Recherchen der Antragsgegnerseite sein müssen. Insbesondere drängte sich eine Recherche dahingehend auf, ob der Brief – seinem äußeren Erscheinungsbild nach – den zahlreichen bislang durch Rechtsanwalt pp. übersandten Briefen ähnelt. Die Legitimation des Verteidigers und deren Erfassung in der JVA dient nicht zuletzt gerade dazu, mit erträglichem Aufwand prüfen zu können, ob es sich bei eingehenden Postsendungen um Verteidigerpost handelt oder nicht; für den Antragsteller waren nur zwei Verteidiger legitimiert, so dass eine Kontaktaufnahme zweckmäßig gewesen wäre.

Selbst wenn eine solche Rücksprache und/ oder Recherche nicht möglich gewesen wäre (oder erfolglos geblieben wäre) und keinerlei Möglichkeit bestanden hätte, zu verifizieren, dass es sich um Verteidigerpost handelt, hätte aber eine Öffnung nicht erfolgen dürfen. Denn im Hinblick auf § 29 Abs. 1 S. 1 StVolIzG bestand das mildere Mittel darin, den Brief (ungeöffnet) zur Habe des Antragstellers zu nehmen, ihm diesen nicht auszuhändigen und ihn darauf hinzuweisen, dass der Ursprung der Postsendung nicht ermittelt werden konnte, so dass er nicht ausgehändigt werde. Der Antragsteller hätte dann zwar von dem Inhalt des Briefes nicht Kenntnis nehmen können. Der Inhalt der Kommunikation wäre dann aber wenigstens (auch) vor der Antragsgegnerseite verborgen geblieben. Der Antragsteller hätte dann seinen Verteidiger darauf hinweisen können, dass ihm (irgendein) Schreiben nicht ausgehändigt worden ist. Der Verteidiger wiederum hätte dann „nachfassen“, insbesondere mit der JVA Rücksprache halten können. Die Kammer übersieht nicht, dass all dies aufwändig ist. Der Aufwand muss angesichts des strengen Überwachungsverbotes jedoch betrieben werden.

2. Der Unterlassungsantrag ist begründet, da Wiederholungsgefahr besteht. Diese ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsgegnerseite die hier streitgegenständliche Vorgehensweise als rechtmäßig wertet und meint, eine Absender-Recherche sei unzumutbar gewesen.“

Vollstreckung I: Sicherungsverwahrung 10 Jahre +? oder: Nicht ohne Sachverständigengutachten

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Heute stelle ich drei Entscheidungen aus dem Bereich Strafvollstreckung/Strafvollzu vor.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.05.2022 – 1 Ws 46/22 – zur Fortdauer von Sicherverwahrung. Der Verurteilte ist durch seit dem 12.02.2009 rechtskräftige Urteil wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Außerdem ist Sicherungsverwahrung angeordnet worden.

Nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe ordnete die Strafvollstreckungskammer des LG mit Beschluss vom 21.11.2011 die Vollziehung der Sicherungsverwahrung an. Diese sei durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) zu vollstrecken, weil hierdurch die Resozialisierung des Verurteilten besser gefördert werde als durch eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

Der Verurteilte befand sich vom 06.01.2012 bis zum 07.05.2014 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin und wurde dann in die Sicherungsverwahrung der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel überführt, weil sein ausgeprägtes Abwehrverhalten therapeutische Fortschritte verhindert hatte. Am 28. August 2019 wurde der Verurteilte in die Sicherungsverwahrung der JVA Brandenburg a. d. H. verlegt.

Die Strafvollstreckungskammer hat zuletzt mit Beschluss vom 21.10.2020 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Unter dem 07.09.2021 beschloss sie die Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens zu der Frage, ob die Gefahr besteht, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Anfang November 2021 teilte der Sachverständige dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer telefonisch mit, den Gutachtenauftrag nicht auszuführen. Am 17.12.2021 hörte die Kammer den Verurteilten mündlich an. Mit Beschluss vom selben Tag beauftragte die Kammer einen anderen Sachverständigen mit der forensisch-psychiatrischen Begutachtung des Verurteilten und ordnete zugleich die Fortdauer der Unterbringung an.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die Erfolg hatte:

„1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft, sie unterliegt deshalb der Aufhebung.

Die Strafvollstreckungskammer musste sich von Amts wegen vor Ablauf des 05. Januar 2022 mit der Frage nach der Fortdauer der Sicherungsverwahrung befassen und war gehalten, hierzu gemäß § 67 Abs. 3 StGB ein forensisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen. Daran fehlt es, das Gutachten liegt bis heute nicht vor. Die Entscheidung der Kammer zur Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung entbehrt deshalb der erforderlichen Tatsachengrundlage.

Nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB ist die Maßregel der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug zwingend für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Gefahr muss positiv festgestellt sein (OLG Karlsruhe StV 2012, 228, 230). Hierzu bedarf es zwingend der Einholung eines (externen) Gutachtens (BVerfG NStZ-RR 2014, 222; StV 2009, 37).

Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Aus ihr ergeben sich Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Deshalb ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (BVerfG NStZ-RR 2014, 222 m. w. N.). Dieses Erfordernis wird für den vorliegenden Fall prozessual vermittels § 463 Abs. 3 S. 4 StPO umgesetzt, der zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage verlangt, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.

Indem die Kammer ihre Entscheidung, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen, getroffen hat, ohne zuvor sachverständigen Rat einzuholen, hat sie die verfahrensrechtliche Bestimmung des § 463 Abs. 3 S. 4 StPO verletzt.

Der Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Weil in Ermangelung des Vorliegens eines aktuellen forensisch-psychiatrischen Gutachtens nach wie vor keine zureichende Tatsachengrundlage für eine Sachentscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung besteht, ist dem Senat eine eigene Entscheidung im Sinne des § 309 Abs. 2 StPO verwehrt.

Die Strafvollstreckungskammer wird ihre neuerliche Entscheidung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Begutachtung zu treffen haben. Gemäß §§ 454 Abs. 1 S. 2 und 3, 463 Abs. 3 S. 1 StPO wird es erneuter Anhörung des Verurteilten, der Staatsanwaltschaft und der Vollzugsanstalt sowie gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 3, 454 Abs. 2 S. 3 StPO der mündlichen Anhörung des Sachverständigen bedürfen, wobei dem Verurteilten, dessen Verteidiger und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist.

2. Der Verurteilte ist durch die Fristüberschreitung bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt.

Die Zehn-Jahres-Frist des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB dient der Wahrung des Übermaßverbotes bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG. Wegen des sich mit zunehmender Dauer der Unterbringung verschärfenden Grundrechtseingriffs sind Fortdauerentscheidungen mit zunehmender Verwahrungsdauer an eine steigende Wahrscheinlichkeit einer drohenden erheblichen Rechtsgutverletzung zu binden. An die Voraussetzungen einer über zehn Jahre hinaus dauernden Sicherungsverwahrung sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, Urteil vom 05. Februar 2004, 2 BvR 2029/01, Juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2019, III-3 Ws 99/19, Rz. 22, Juris). In prozessualer Hinsicht führt dies zu einer Verpflichtung der Gerichte, vor – fristgemäßer – Entscheidung über die Fortdauer der langjährigen Unterbringung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens eine tragfähige tatsächliche Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Dieser Verpflichtung genügt die, wenn auch neuerliche, Beauftragung des Sachverständigen erst am 17. Dezember 2021 angesichts Fristablaufs am 05. Januar 2022 nicht. Vielmehr liegt hierin eine Grundrechtsverletzung begründet, die unverändert andauert, weil das Gutachten immer noch nicht vorliegt.

Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der Fristvorgaben führt, automatisch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Strafvollstreckungskammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, welche die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Prüffrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Untergebrachte in der Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleiben muss (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2016, 2 BvR 1103/16; OLG Hamm a. a. O.; Juris).

Diesen Vorgaben ist der Verfahrensgang vorliegend nicht gerecht geworden. Warum trotz telefonischer Information des vormaligen Sachverständigen Anfang November 2021 gegenüber dem Vorsitzenden, er werde den Gutachtenauftrag nicht erfüllen, erst am 17. Dezember 2021 ein anderer Sachverständiger mit der Begutachtung des Verurteilten beauftragt wurde, erschließt sich nicht und lässt eine unrichtige Anschauung der grundrechtssichernden Bedeutung der Zehn-Jahres-Frist des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB befürchten.“

Strafvollzug II: Toilettengang des Gefangenen, oder: Kein Betreten des Haftraums durch JVA-Bedienstete

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Die zweite Entscheidung kommt auch aus Bayern. Es handelt sich um den LG Regensburg, Beschl. v. 20.01.2022 – SR StVK 245/21. Der hat einen „unschönen“ Sachverhalt:

Es geht um einen Vorfall in einer JVA. Dort wollten am 17.03.2021 gegen 10.00 Uhr wollten zwei Vollzugsbeamte kontrollieren, ob der Antragssteller einer ihm zuvor erteilten Anweisung bestimmte Bilder an der Außenwand seines Haftraumes zu entfernen, nachgekommen war. Der Antragssteller befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der neben der Haftraumtür stehenden Toilette. Da er aus diesem Grund verhindern wollte, dass sein Haftraum betreten wird, machte er die beiden Vollzugsbeamten über seine Situation durch Zurufen aufmerksam, als diese die Haftraumtür öffnen wollten. Außerdem hielt der Antragssteller, um ein Betreten des Haftraumes zu verhindern, die sich nach innen öffnende Tür zu. Trotzdem stieß einer der Vollzugsbeamten ohne Abzuwarten die Haftraumtür auf, betrat den Haftraum und konnte den Antragssteller dabei beobachten, wie sich dieser auf der Toilette befand.

Der Antragssteller ist der Ansicht, es liege ein massiver, ungerechtfertigter und unverhältnismäßiger Eingriff in seine Privatsphäre vor. Er sei gezielt erniedrigt und in seiner Würde herabgesetzt worden. Er begeht festzustellen, dass das Betreten seines Haftraumes durch Vollzugsbeamte der JVA, während er auf der Toilette saß, rechtswidrig war.

Die JVA ist dem entgegen getreten. Sie ist der Ansicht, dass es notwendig gewesen sei, die Haftraumtür vollständig zu öffnen und den Haftraum zu betreten, um illegale Handlungen des Antragsstellers wie zum Beispiel eine kurzfristige Manipulation sowie die Vernichtung von unerlaubten Gegenständen durch den Gefangenen zu verhindern. Eine Störung der Privatsphäre des Gefangenen sei hierbei ein Umstand, den dieser aus Gründen der Sicherheit und Ordnung hinzunehmen habe. Um sein Schamgefühl zu schonen, habe der Bedienstete seinen Blick nicht direkt auf den Antragssteller gerichtet.

Die StVK erklärt der JVA dann mal die Rechtslage:

„Der Antrag ist begründet.

Das Betreten des Haftraumes war rechtswidrig.

Aus dem Hausrecht der Anstalt ergibt sich grundsätzlich die Befugnis der Anstaltsmitarbeiter, auch Hafträume jederzeit unabhängig vom Einverständnis der dort untergebrachten Gefangenen zu betreten; sie ergibt sich im Übrigen aus den Aufgaben nach Art. 2 ff. BayStVollzG. Mithin liegt ein Eingriff in Grundrechte des Gefangenen nicht schon darin, dass ein Vollzugsbediensteter den Haftraum betritt. Eine Grundrechtsverletzung kann jedoch in der Art und Weise liegen, in der sich der Anstaltsmitarbeiter dabei verhält. Sein Handeln ist auch insoweit an das Willkürverbot und an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, die ein schonendes Vorgehen gebieten (BVerfG NJW 1996, S. 2643).

Denn mit der Zuweisung eines Haftraumes soll der Gefangene einen persönlichen, vom allgemeinen Anstaltsbereich abgegrenzten Lebensbereich zur Verfügung erhalten (BVerfG NJW 1996, S. 2643).

Gefordert ist hier vor allem die Achtung der Menschenwürde des Strafgefangenen (BVerfGE 64, 261 (277) = NJW 1984, 33). Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und Intimsphäre des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 I, 2 I GG) tunlichst zu wahren. Dabei ist anzuerkennen, dass der gesonderte Haftraum für den Gefangenen regelmäßig die einzige verbleibende Möglichkeit bietet, sich eine gewisse Privatsphäre zu schaffen und ungestört zu sein (vgl. BGHSt 37, 380 (382) = NJW 1991, 2652).

Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Vollzugsbeamten besondere Sensibilität geboten, wenn Maßnahmen durchgeführt werden, während Gefangene die Toilette benutzen. Denn hier wird regelmäßig die durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intimsphäre beeinträchtigt. Der Gefangene, in dessen Haftraum die Toilette nicht mit ausreichendem Sichtschutz versehen ist, hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme durch das Personal. Ein Bediensteter, der den Haftraum betreten will, muss sein Kommen hierbei – etwa durch Anklopfen oder ausreichend vernehmbare Schließgeräusche beim Öffnen der Tür (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Mai 1996 – 2 BvR 727/94 u. a. -, NJW 1996, S. 2643, und vom 4. Juli 2006 – 2 BvR 460/01) – in einer Weise ankündigen, die dem Gefangenen im Falle der Benutzung der Toilette einen rechtzeitigen Hinweis ermöglicht, und hat in diesem Fall vom Betreten des Raumes, wenn dieses nicht ausnahmsweise dringend geboten erscheint, für eine den Umständen angemessene Zeitspanne abzusehen.

Denn nur auf diese Weise wird dem Gefangenen ausreichend Gelegenheit gegeben einer Verletzung seiner Intimsphäre vorzubeugen.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wurde das Verhalten der Vollzugsbeamten der JVA nicht gerecht. Das Betreten des Haftraumes des Antragsstellers stellte einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Intimsphäre des Antragsstellers dar.

Dem Antragssteller wurde hier keine Möglichkeit offen gehalten einer Beeinträchtigung seiner Intimsphäre vorzubeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Haftraumtür in diesem Fall durch die Vollzugsbeamten zunächst aufgeschlossen wurde oder ob diese bereits unverschlossen war. Denn selbst wenn für den Antragssteller durch das Aufschließen der Tür erkennbar war, dass Vollzugsbeamte den Haftraum betreten wollen, reichte dies in diesem Fall als einzige Maßnahme, um einen Eingriff in die Intimsphäre zu verhindern, nicht aus.

Vielmehr hätte dem Antragssteller hier mehr Zeit eingeräumt werden müssen, bevor der Haftraum hätte betreten werden dürfen. Der Antragssteller hatte den Vollzugsbeamten hier mitgeteilt, dass er sich gerade auf der Toilette befindet. Es ist aber ersichtlich, dass deren Benutzung nicht augenblicklich abgebrochen werden kann. Eine tatsächliche Möglichkeit, Beeinträchtigungen der Intimsphäre zu verhindern, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert, bestand daher hier nicht.

Dieser Eingriff konnte dabei insbesondere auch nicht aus Gründen, der mit der Achtung der Intimsphäre abzuwägenden, Sicherheit und Ordnung der Anstalt gerechtfertigt werden.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin genügen nämlich allgemeine Sicherheitsbedenken für das sofortige Betreten des Haftraumes nicht, wenn der Gefangene deutlich zu erkennen gibt, dass er sich gerade auf der Toilette befindet. Den ein derartiges Vorgehen stellt einen vergleichbar intensiven Eingriff in die Intimsphäre, wie eine mit einer Entkleidung verbunden Durchsuchung gemäß Art. 91 II BayStVollzG dar. In beiden Fällen wird das Schamgefühl des Gefangenen in besonderer Weise beeinträchtigt. Hieraus folgert die Kammer, dass für einen Eingriff in die Intimsphäre durch das Betreten des Haftraumes während der Toilettenbenutzung zumindest eine vergleichbare Gefährdungslage wie sie Art. 91 II BayStVollzG („Gefahr im Verzug“) voraussetzt, notwendig ist.

Eine insoweit damit erforderliche Konkretisierung der Gefährdungslage für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt lag hier aber nicht vor.

Das Betreten des Haftraumes erfolgte hier – auch nach den Angaben der Antragsgegnerin -nur, um zu überprüfen, ob der Antragssteller einer Anordnung Plakate abzuhängen, nachgekommen war. Ein etwaiger konkreter Verdacht, der zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt ein sofortiges Einschreiten der Vollzugsbeamten erforderlich gemacht hätte, bestand nicht.

Etwas anderes kann sich auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass der Antragssteller die Haftraumtür zugehalten hatte, als die Vollzugsbeamten versucht hatten diese zu öffnen. Denn der Antragssteller wollte auf diese Weise nur sicherstellen, dass seine Privatsphäre ausreichend gesichert wird. Dies war in dieser Situation auch für die Vollzugsbeamten ersichtlich, da der Antragsteller diese hierauf verbal hingewiesen hatte. Die bloße Absicherung der grundrechtlichen Intimsphäre durch den Antragssteller kann aber keinen Hinweis auf das Vorliegen einer konkreten Gefährdung darstellen. Dies gilt insbesondere, wenn die JVA keine organisatorischen Maßnahmen getroffen hatte, die ein Betreten des Haftraums für den Fall der Benutzung der Toilette unterbinden können.

Dass sich dies so abgespielt hat ergibt sich aus den im Kern übereinstimmenden Angaben des Antragsstellers und des Zeugen pp. Dieser hat bestätigt, dass er den Haftraum betreten hat, obwohl der Antragssteller ihn auf seinen Toilettengang hingewiesen hat und es keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefahr in diesem Sinn gab.

Neben dem Betreten des Haftraumes stellt überdies auch der weitere Aufenthalt des Vollzugsbeamten einen rechtswidrigen Eingriff in die Intimsphäre des Antragsstellers dar. Denn jedenfalls als dieser bemerkt hatte, dass sich der Antragssteller tatsächlich auf der Toilette befand, hätte er, um eine andauernde Beeinträchtigung zu verhindern, den Haftraum unverzüglich wieder verlassen müssen.

Dass sich dies so abgespielt hat ergibt sich aus den im Kern übereinstimmenden Angaben des Antragsstellers und des Zeugen pp. Dieser hat auch bestätigt, dass er die Zelle betreten hat und mit dem Antragssteller diskutiert hat, während dieser noch auf der Toilette war.“

Strafvollzug I: Wenn der Gefangene kochen will, oder: Kochplatten gibt es nicht

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In die 7. KW. starte ich dann mal ohne „Corona-Entscheidungen“, derzeit habe ich nichts vorliegen. Gott sei Dank 🙂 . Stattdessen gibt es heute zwei Entscheidungen zum/aus dem Strafvollzug.

Zunächst hier der BayObLG, Beschl. v. 29.11.2021 – 203 StObWs 459/21. Der Verurteilte, der inzwischen aus dem Strafvollzug entlassen ist, hatte den Besitz einer Kochplatte in seinem Haftraum begehrt. Nach seiner Entlassung hatte sich sein Antrag erledigt, das BayObLG musste nur noch über die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Verfahrens. Die hatte es demn Verurteilten auferlegt:

„1. Der Senat hat gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 StVollzG nurmehr nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des ehemaligen Strafgefangenen zu entscheiden. Dabei sind der bisherige Sach- und Streitstand, insbesondere die Erfolgsaussichten des Antrags auf gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., § 121 Rn. 4).

2. Danach trifft die Kostenlast den ehemaligen Strafgefangenen. In Übereinstimmung mit dem ablehnenden Bescheid der Justizvollzugsanstalt Kaisheim vom 01.03.2021 hat sein Antrag in der Sache keinen Erfolg.

a) Die Justizvollzugsanstalt Kaisheim führt in ihrem ablehnenden Bescheid vom 01.03.2021 aus, dass es sich bei der Justizvollzugsanstalt Kaisheim um eine Anstalt der höchsten Sicherheitsstufe handelt, bei der hinsichtlich der Ausstattung gerade mit elektrischen Geräten strenge Maßstäbe angelegt werden müssen. Als Grund für eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt gibt sie u.a. an, dass die elektrischen Komponenten und Heizelemente ausgebaut und zu anderen verbotenen oder gefährlichen Zwecken mißbraucht werden können.

b) Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG dürfen Gefangene ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Nach Art. 21 Abs. 2 BayStVollzG gilt dies aber nicht für Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden.

c) Für die Besitzversagung reicht grundsätzlich eine dem Gegenstand innewohnende abstrakte – vom Verhalten des einzelnen Gefangenen unabhängig zu beurteilende – Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt aus (h.M.; vgl. – jeweils mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur – Arloth/Krä, a.a.O., § 70 StVollzG Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Bund/Knauss, 20. Ed. 01.08.2021, § 70 StVollzG Rn. 22; Laubenthal in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. G Rn. 34; Goldberg in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 5. Kap. Abschn. D Rn. 15). Das billigt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, sofern eine bestehende abstrakte Gefährlichkeit nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren Kontrollaufwand ausgeschlossen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 27.03.2019, Az.: 2 BvR 2268/18, NStZ-RR 2019, 191, juris Rn. 4; Beschluss vom 14.08.1996, Az.: 2 BvR 801/96, NStZ-RR 1997, 24, juris Rn. 7; Beschluss vom 28.02.1994, Az.: 2 BvR 2731/93, NStZ 1994, 453, juris Rn. 10 f.).

d) Unter diesen Vorgaben steht einem Strafgefangenen kein Recht auf den Besitz einer Kochplatte in seinem Haftraum zu.

Wie die Justizvollzugsanstalt zutreffend ausführt, können ausgebaute Heizelemente zu gefährlichen Zwecken eingesetzt werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie erhitzt und gegen den Körper einer anderen Person eingesetzt werden und bei dieser Verbrennungen hervorrufen – eine Gefahr, die auch von einer nicht zerlegten erhitzten Kochplatte ausgehen kann, die als ganzes leicht bewegt werden und einer anderen Person durch Berührung mit deren Körper erhebliche Brandverletzungen zufügen kann.

Eine solch spontaner Einsatz gefährlicher Gegenstände kann durch vorgängige Kontrollen nicht verhindert werden.

Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit mit den Heizspiralen eines Tauchsieders, dessen Gebrauch ebenfalls abstrakt geeignet ist, zu einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu führen (dazu s. BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 15. Ed. 01.07.2021, BayStVollzG Art. 21 Rn. 9; BeckOK Strafvollzug Bund/Setton, 20. Ed. 01.08.2021, StVollzG § 19 Rn. 16). So hat bereits das Oberlandesgericht München entschieden (Beschluss vom 25.06.1980, Az.: 1 Ws 520/80, bei Franke NStZ 1981, 214; ebenso OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.12.1978, Az.: 3 Ws 716/78 (StVollz), ZfStRVo 1979, 186), dass die Vorenthaltung des mit erheblichen Mißbrauchsgefahren (Brand, Verbrennung) belasteten Besitzes eines eigenen Tauchsieders jedenfalls in einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades keiner Abwägung gegen individuelle Bedürfnisse des Strafgefangenen bedarf, da die Sicherheitsanforderungen regelmäßig bei weitem überwiegen. So liegt der Fall auch hier.“

Vollzug II: Gutachten zur Unterbringungsaussetzung, oder: Postlaufzeit

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Die zweite Entscheidung zum Vollzug betrifft den Maßregelvollzug, und zwar eine sofortige Beschwerde gegen die Aussetzung der Unterbringung. Auch hier nur die Leitsätze. Das OLG Celle nimmt im OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2021 – 2 Ws 194/21 – zu zwei Fragen Stellung, und zwar:

Zunächste geht es um eine Wiedereinsetzungproblematik, da die sofortige Beschwerde des Untergebrachten verspätet war. Dazu das OLG:

Ein Beschwerdeführer darf darauf vertrauen, dass sein Beschwerdeschreiben innerhalb der üblichen Postlaufzeit – das heißt am Werktag nach der rechtzeitigen Einlieferung bei der Post – beim Empfänger eingeht; die rechtzeitige Einlieferung ist nachgewiesen, wenn der Brief am Tag vor Fristablauf im Briefzentrum gestempelt wurde.

Und: Die sofortige Beschwerde hatte dann auch Erfolg, denn:

Das gemäß § 463 Abs. 4 StPO zur Prüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einzuholende Gutachten ist regelmäßig von einem Arzt für Psychiatrie zu erstellen, wenn bei dem Betroffenen eine paranoide Schizophrenie vorliegt.