Und dann zum Tagesschluss noch ein recht aktueller Beschluss aus der Strafvollstreckung, den mir der Kollege Fülscher aus Kiel vor einigen Tagen geschickt hat. Der Beschluss behandelt eine Problematik, die in der Praxis sicherlich nicht selten ist, nämlich die Öffnung von sog. Verteidigerpost durch die JVA.
Hier war in der JVA Oldenburg, wo der Mandant des Kollegen in Strafhaft einsitzt ein durch den Kollegen an diesen übersandter Verteidigerbrief eingegangen (üblicher Briefumschlag mit Sichtfeld). In dem Sichtfeld des Umschlages war, was unstreitig ist, der Hinweis „Verteidigerpost“ zu erkennen. Ob darüber hinaus die – über diesem Zusatz — auf dem Schriftsatz befindliche Anschrift des Verteidigers auch durch das Sichtfenster erkennbar war, ist streitig. Unstreitig ist demgegenüber weiter, dass irgendwelche Anzeichen dafür, dass es sich tatsächlich nicht um Verteidigerpost handelte, nicht bestanden. Auch behauptet die JVA keinerlei Anzeichen für unerlaubte Beigaben. Sie meint vielmehr, der Brief habe allein deshalb geöffnet werden dürfen, weil der Absender nicht durch das Sichtfenster hindurch erkennbar gewesen sei. Der Brief wurde durch einen Bediensteten der JVA — vor den Augen des Gefangenen — geöffnet, um zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um Verteidigerpost handelt; irgendwelche Maßnahmen zur Absender-Ermittlung waren zuvor — ebenfalls unstreitig — nicht getroffen worden.
Gegen die Öffnung des Briefes hat der Verurteilte der Strafvollstreckungskammer gerichtliche Entscheidung beantragt und einen Unterlassungsantrag gestellt.
Und er hatte Erfolg. Das LG Oldenburg hat im LG Oldenburg, Beschl. v. 13.06.2022 – 50 StVK 51/22 -die Öffnung des Briefes als rechtswidirg angesehen:
„1. Die vorliegende Brieföffnung war rechtswidrig. Sie verstieß gegen § 29 Abs. 1 S. 1 StVoIIzG.
Dabei kann dahinstehen, ob die Anschrift durch das Sichtfenster hindurch zu sehen war. Selbst wenn diese nicht zu sehen gewesen wäre, hätte der Brief nämlich nicht geöffnet werden dürfen. Im Einzelnen:
§ 29 Abs. 1 S. 1 StVollzG verbietet jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts der Sendung (vgl. zum Ganzen nur OLG Frankfurt, 13.05.2003 — 3 Ws 292/03 m. w. N.). Denn Sinn und Zweck des Überwachungsverbotes ist es, den unbefangenen Verkehr zwischen Gefangenen und seinem Verteidiger, d.h. ihren freien, vor jeder auch nur bloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Kommunikationsinhaltes durch Dritte geschützten Gedankenaustausch auf schriftlichem Wege zu gewährleisten (vgl. OLG Frankfurt, a. a. 0.). Verboten ist deshalb jedes, auch nur teilweises, Öffnen der Verteidigersendung, da nicht auszuschließen ist, dass der Kontrollierende hierdurch bewusst oder unbewusst Bruchstücke des Textes wahrnehmen kann vgl. OLG Koblenz, 30.01.1986 — 2 Vollz (Ws) 118/85); selbst die (teilweise) Öffnung der Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle des Inhalts in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns der Schriftunterlagen ist von dem Kontrollverbot umfasst.
Angesichts dieses strengen Maßstabes war dem Antragsgegner weiteres Recherchieren zuzumuten. Seiner Auffassung, dieses sei unzumutbar, vermag die Kammer nicht zu folgen. Im Einzelnen:
Der Antragsteller verfügte lediglich über zwei Verteidiger. Mit diesen hätte — wenn dies auch mit einigem Aufwand verbunden sein mag — Rücksprache gehalten werden können. Insbesondere lag es nahe, Rechtsanwalt pp. anzurufen, und insoweit Rücksprache zu halten, zumal der Antragsteller von diesem bereits 65 Schreiben erhalten hatte. Insbesondere der letztere Umstand hätte hier auch Anlass für Recherchen der Antragsgegnerseite sein müssen. Insbesondere drängte sich eine Recherche dahingehend auf, ob der Brief – seinem äußeren Erscheinungsbild nach – den zahlreichen bislang durch Rechtsanwalt pp. übersandten Briefen ähnelt. Die Legitimation des Verteidigers und deren Erfassung in der JVA dient nicht zuletzt gerade dazu, mit erträglichem Aufwand prüfen zu können, ob es sich bei eingehenden Postsendungen um Verteidigerpost handelt oder nicht; für den Antragsteller waren nur zwei Verteidiger legitimiert, so dass eine Kontaktaufnahme zweckmäßig gewesen wäre.
Selbst wenn eine solche Rücksprache und/ oder Recherche nicht möglich gewesen wäre (oder erfolglos geblieben wäre) und keinerlei Möglichkeit bestanden hätte, zu verifizieren, dass es sich um Verteidigerpost handelt, hätte aber eine Öffnung nicht erfolgen dürfen. Denn im Hinblick auf § 29 Abs. 1 S. 1 StVolIzG bestand das mildere Mittel darin, den Brief (ungeöffnet) zur Habe des Antragstellers zu nehmen, ihm diesen nicht auszuhändigen und ihn darauf hinzuweisen, dass der Ursprung der Postsendung nicht ermittelt werden konnte, so dass er nicht ausgehändigt werde. Der Antragsteller hätte dann zwar von dem Inhalt des Briefes nicht Kenntnis nehmen können. Der Inhalt der Kommunikation wäre dann aber wenigstens (auch) vor der Antragsgegnerseite verborgen geblieben. Der Antragsteller hätte dann seinen Verteidiger darauf hinweisen können, dass ihm (irgendein) Schreiben nicht ausgehändigt worden ist. Der Verteidiger wiederum hätte dann „nachfassen“, insbesondere mit der JVA Rücksprache halten können. Die Kammer übersieht nicht, dass all dies aufwändig ist. Der Aufwand muss angesichts des strengen Überwachungsverbotes jedoch betrieben werden.
2. Der Unterlassungsantrag ist begründet, da Wiederholungsgefahr besteht. Diese ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsgegnerseite die hier streitgegenständliche Vorgehensweise als rechtmäßig wertet und meint, eine Absender-Recherche sei unzumutbar gewesen.“