Archiv der Kategorie: Haftrecht

Haft II: 18 Monate zwischen BGH-Entscheidung und neuer HV, oder: Aufhebung des Haftbefehls

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Im zweiten Posting stelle ich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.04.2021 – 3 Ws 129/21 – vor, mit dem das OLG einen Haftbefehl wegen nicht mehr gegebener Verhältnismäßigkeit aufgehoben  hat:

„Am 19.2.2018 hat das Landgericht Offenburg – nach Anklageerhebung am 14.2.2018 Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen und diesen zur Festnahme ausgeschrieben. Am 17.4.2018 wurde der Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Nachdem diesen Auflagen nicht nachgekommen wurde, wurde der Haftbefehl durch Beschluss des Landgerichts vom 26.7.2018 in Vollzug gesetzt. Nach Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Zeitraum 10.7. bis 8.8.2018 wurde der Angeklagte ab dem 9.6.2018 in Untersuchungshaft überführt, die in Zeit vom 28.2. bis 29.3.2019 zur Vollstreckung einer weiteren Ersatzfreiheit; si unterbrochen wurde. Mit Urteil des Landgerichts vom 23.11.2018 wurde der Angeklagte zu eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Durch Beschluss vom 19.11.2019 änderte der Bundesgerichtshof auf die Revision des Angeklagten den Schuldspruch, bestätigte den Strafausspruch und verwies die Sache unter Aufhebung der zugehörigen Feststellungen, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde, zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Offenburg zurück. Die Entscheidung vom 19.11.2019 ging dort erst am 6.2.2020 ein und das Verfahren wurde am 7.2.2020 der Strafkammer 1 zugewiesen. Zuvor hatte am 3.2.2020 noch die ursprünglich zuständige Strafkammer durch Beschluss den Haftbefehl aufrechterhalten, aber unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die bis dahin vollzogene Untersuchungshaft beträgt insgesamt etwas über ein Jahr und drei Monate. Die Strafkammer 1 hat am 17.7.2020 eine Sachverständige zur Gutachtenerstellung bzgl. einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beauftragt. Nach Terminsabsprache im November 2020 wurde. am 29.1.2021 Termin zur Hauptverhandlung auf den 18.5.2021 bestimmt.

Trotz mehrfacher Anpassung der Auflagen bzgl. der Außervollzugsetzung kam es seitens des Angeklagten immer wieder zu Verstößen bzgl. der Meldeauflage, zweimal zum Nichtantritt einer vorgesehenen Therapie und zuletzt zum Abbruch einer am 11.1.2021 begonnenen stationären Therapie nach wenigen Wochen.

Daraufhin hat das Landgericht durch Beschluss vom 18.2.2021 den Haftbefehl vom 19.2.2018 wieder in Vollzug gesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde.

II.

Die zulässige Beschwerde des Angeklagten ist begründet.

Zwar sind in dem Verhalten des Angeklagten durchaus beharrliche und gröbliche Zuwiderhandlungen gegen die erteilten Anweisungen im Sinne_des§116 Abs, 4 Nr. 1 StPO zu sehen, aber der Haftbefehl ist gemäß § 120 Abs. 1 StPO aufzuheben, da der Beschleunigungsgrundsatz verletzt ist.

Untersuchungshaftsachen sind von Beginn an und während der gesamten Dauer des Strafverfahrens mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben (BVerfG, StV 2009, 479 – juris). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Beschleunigungsgebot gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl, sondern sind auch für einen gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzten Haftbefehl von Bedeutung (BVerfG, NJW 2006, 668 – juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.12.2014, 1 Ws 293/14 – juris). Denn auch die Beschränkungen, denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte durch Auflagen und Weisungen ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist (hierzu insgesamt: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63.Aufl., Rdn. 3 und 5 zu § 120 m. w. N.)

Zwischen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.11.2019 und der geplanten Hauptverhandlung am 18.5.2021 liegen nahezu 18 Monate. Hinreichende Gründe, die diese Verzögerung in einer Haftsache rechtfertigen würden, sind aus dem oben dargestellten Ablauf nichtersichtlich. Der Haftbefehl ist daher wegen Verstoßes gegen das in Haftsachen stets zu beachtende Beschleunigungsverbot aufzuheben.“

Haft I: Dringender Tatverdacht, oder: Verwertungsverbot wegen EncroChat-Krypto-Handys?

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Heute stelle ich dann drei Haftentscheidungen vor.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 29.04.2021 2 Ws 47/21. Der ist in einem Haftbeschwerdeverfahren ergangen. Dem Angeklagten wird mit der a Anklage vorgeworfen, in fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben (Tatzeitraum: 02.04. bis 23.05.2020).

Problematisch war der dringende Tatverdacht. Denn der ist mit der Auswertung von Kommunikationsdaten eines EucroChat-Mobiltelefons begründet worden, welche zur Identifizierung des Angeklagten geführt habe. Die Problematik beschäftigt uns ja schon eine Weile.Die Ermittlungsbehörden sind in den Besitz der zur Ermittlung des Angeklagten als Tatverdächtigem führenden Daten gelangt, nachdem es der Staatsanwaltschaft Lille in Frankreich im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Niederlanden, die gegen die EncroChat-Betreiber u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten oder Verbrechen ermittelte, unter Beteiligung von Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 gelungen war, mittels einer Datenabfanganlage auf den Server einzudringen und die Kommunikation zu entschlüsseln. Hierdurch wurde auf über 32.000 Nutzer-Accounts unter deren Nutzernamen – so auch des Angeklagten – in 121 Ländern zugegriffen. Alles Weitere setze ich als bekannt voraus.

Gestritten wird – so auch hier – dann immer um ein Beweisverwertunsgverbot, dass die mit den Fragen befassten Gerichte aber bislang abagelehnt haben, ich erinnere u.a. an OLG Bremen und OLG Hamburg. So auch jetzt das OLG Schleswig. Da dieses weitgehend auf der Linie der anderen OLG liegt, begnüge ich mich hier mit den Leitsätzen der Entscheidung:

  1. § 100e Abs. 6 StPO ist auch bei grenzüberschreitenden Ermittlungen geeignete Maßstabsnorm des deutschen Strafverfahrensrechts für die Verwertung aus dem Ausland erlangter Daten. Insoweit dürfen auch Zufallsfunde aus im Ausland geführten Ermittlungen verwertet werden, wenn im Zeitpunkt ihrer Verwendung die die sich aus § 100b oder § 100c StPO folgenden Anforderungen erfüllt sind.

  2. An die von französischen Strafverfolgungsbehörden erfolgte Auswertung der Telekommunikation mit Krypto-Telefonen der Plattform EncroChat kann am ehesten der Maßstab für eine Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO angelegt werden.

  3. Soweit im europäischen Rechtsverkehr die gemäß Art. 31 Richtlinie 2014/41/EU vorgesehene Unterrichtung des anderen Mitgliedsstaates von der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs unterblieben ist, kann dies auf europäischer Ebene durch deren Verwendung geheilt werden.

  4. Gleichwohl kann aus deutscher Sicht ein Verfahrensfehler darin bestehen, dass es nicht zur Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle gemäß §§ 92 b, 92 d IRG anhand der besonders aus §§ 59 Abs. 3, 91 b IRG folgenden Kriterien gekommen ist. Allerdings folgt hieraus bei vorzunehmender Abwägung zwischen den Strafverfolgungsbelangen und dem Interesse des Betroffenen nicht zwingend ein Verwertungsverbot.

„Transportsicherung“, oder: Vollständiges Entkleiden und Untersuchung von Körperöffnungen rechtswidrig

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Heute dann im Kessel Buntes zunächst eine Entscheidung, die mir schon etwas länger vorliegt. Ich wusste aber nicht so richtig, wo ich sie bringen sollte. Ich habe mich dann für den „Kessel Buntes“ entschieden.

Es handelt sich um das VG Braunschweig, Urt. v. 02.12.2020 – 5 a 65/20. Das VG hat zur Zulässigkeit des vollständigen Entkleidens eines Gefangenen und zur Zulässigkeit der Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, sowie des Anlegens von Gehörschutz, Sichtschutz und Spuckhaube auf dem Rücktransport vom LG Braunschweig, wo eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, in die JVA Transport. Das VG hat im Wesentlichen die Unzulässigkeit der getroffenen Maßnahmen festgestellt:

„Die auch im Übrigen zulässige Klage ist überwiegend begründet. Das vollständige Entkleiden des Klägers und die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, sowie das Anlegen von Gehörschutz. Sichtschutz und Spuckhaube durch SEK — Beamte am 21. April 2017 beim Rücktransport des Klägers vom Landgericht Braunschweig zur JVA Wolfenbüttel war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt. Soweit er hingegen auch seine Fesselung und Durchsuchung ohne Entkleiden angreift („eingewickelt wie ein Guantanamo — Gefangener“). hatte seine Klage keinen Erfolg.

Die an den Kläger ergangene Anordnung. sich vollständig, einschließlich der Unterwäsche zu entkleiden. stellt sich als rechtswidrig dar.

Als Rechtsgrundlage kommt insoweit allein § 22 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG in Betracht. Danach kann die Polizei eine Person durchsuchen. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt. die sichergestellt werden dürfen.

Danach war die Anordnung hier schon deshalb als rechtswidrig anzusehen. weil die SEK – Beamten von dem nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. sondern als _Standardverfahren“ durchgeführt haben (Dienstliche Stellungnahme Beamter 271 v. 3. Mai 2017. BI. 82 BA 003: Stellungnahme Beamter 302 v. 3. Mai 2015. BI. 84 BA 003: Stellungnahme Beamter 308 v. 16.Mai 2017. BI. 85 BA 003) und sich offenkundig generell verpflichtet sehen, das vollständige Entkleiden zum Zwecke der Durchsuchung anzuordnen.

Die Verpflichtung des Klägers, sich zu entkleiden und nackt untersuchen zu lassen, verletzt darüber hinaus den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hierbei kann offenbleiben. ob der Kläger nur von außen untersucht wurde oder ob die Beamten bei der Untersuchung in seinen Körper eingedrungen sind. Die Kammer folgt der einstweiligen Anordnung des LG Hannover vom 4. Mai 2017, dass bereits die körperliche Untersuchung des Klägers durch Inaugenscheinnahme sämtlicher Körperöffnungen nach vollständigem Entkleiden in einer Situation, in der zuvor ausschließlich Kontakt mit Sicherheitspersonal und seinen beiden Verteidigern stattgefunden hat, rechtswidrig ist und im konkreten Fall — mangels Anhaltspunkten für versteckte. verbotene Gegenstände — ein unverhältnismäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht war.

Durchsuchungen. die mit einer Entkleidung verbunden sind. stellen sich als schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre und damit in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht dar und berühren zudem die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das gilt in besonderem Maße. wenn sie mit der Nachschau im Bereich von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29. Oktober 2003. 2 BvR 1745/01, juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung deutlich gemacht, dass derartige körperliche Durchsuchungen durch die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sein können. sie aber nur in schonender Weise und nicht routinemäßig, unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles. durchgeführt werden dürfen. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Auch ist der bloße Umstand. dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahme einfacher gestalten. hinsichtlich der Anordnung von Durchsuchungen. die den Intimbereich und das Schamgefühl berühren. danach noch weniger als in anderen. weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu recht-fertigen (BVerfG. Beschl. v. 10. Juli 2013. 2 BvR 2815/11. juris. Rn. 16 f. zur Durchsuchung von Gefangenen unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR und Beschl. v. 4. Februar 2009. 2 BvR 455/08, juris, Rn. 27 zur Durchsuchung von Untersuchungsgefangenen und LG Lüneburg. Beschl. v. 19. April 2005, 10 T 56/04, juris. Rn. 13 f.)

So hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 4. Februar 2009 ausgeführt. dass bei Personen. die in Untersuchungshaft verbracht werden. Umstände vorliegen können, die den Verdacht, der oder die Betreffende könne zum Zweck des Einschmuggelns in die Haftanstalt Drogen oder andere gefährliche Gegenstände in Körperöffnungen des Intimbereichs versteckt haben, als derart fernliegend erscheinen lassen, dass hierauf gerichtete Untersuchungen. die mit einer Inspektion von Körperöffnungen verbunden sind, sich als nicht mehr verhältnismäßig erweisen. Denn ein solch schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre ist nur zulässig bei fallbezogenen Verdachtsgründen.

Fallbezogene Verdachtsgründe sind vorliegend nicht ersichtlich. Die von den eingesetzten SEK – Beamten und der Beklagten genannten Gefahrenmomente sind allgemein gehalten und nicht ansatzweise geeignet, ein vollständiges Entkleiden des Klägers zu rechtfertigen. So haben diese auch auf Nachfrage keinen einzigen Beweis oder auch nur ein Indiz dafür liefern können, dass der Kläger, der am 21. April 2017 von der JVA Wolfenbüttel zum LG Braunschweig verbracht und die ganze Zeit ausschließlich Kontakt zu seinen Verteidigern und Justizbediensteten hatte. an oder in seinem Körper Gegenstände bei sich führte, mit denen er sich oder die eingesetzten Beamten hätte verletzen können.

Dass die körperliche Durchsuchung des Klägers nicht verhältnismäßig war, ergibt sich nach Auffassung der Kammer darüber hinaus aus dem Umfang der Sicherheitsmaßnahmen der Justizbehörden an den übrigen Verhandlungstagen:

In den 4 Folgeterminen nach dem 21. April 2017 wurde das SEK nicht eingesetzt. Dass das zunächst angenommene Befreiungsrisiko zu diesen Zeitpunkten entfallen war, hat die Beklagte noch nicht einmal behauptet, sondern lediglich eine nicht näher erläuterte „Neubewertung und Entscheidung (BI. 245 GA) angeführt.

Diese Einschätzung beruht offensichtlich auf den Beschluss des LG Braunschweig vom 4. Mai 2017. der eine Sicherheitsbegleitung des Klägers durch das SEK zu den nachfolgenden Verhandlungstagen des Landgerichts allerdings nicht schlechterdings untersagte. sondern den beteiligten Behörden lediglich aufgab. das vollständige Entkleiden des Klägers und die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen. nachdem er lediglich Kontakt zu Sicherheitspersonal und seinen Verteidigern hatte, zu unterlassen.

Nach allem konnten die Behörden dem Gericht keinen nachvollziehbaren Grund dafür nennen. warum der Kläger nur am 21. April 2017 vom SEK vom Landgericht Braunschweig zur JVA Wolfenbüttel begleitet wurde. nicht aber zu den Folgeterminen. Angesichts der mit der Durchführung der Maßnahme verbundenen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Klägers stellt sich das vollständige Entkleiden des Klägers durch das SEK für die Kammer als unverhältnismäßig dar.

2. Unzulässige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers waren darüber hinaus das auf die Ermächtigungsgrundlage der Generalklausel nach § 11 Nds. SOG gestützte Überstreifen eines Spuckschutzes. das Aufsetzen einer Schlafbrille und des Gehörschutzes. Zwar bestand die allgemeine Fluchtgefahr. als milderes Mittel wird aber eine Fesselung an Händen und Beinen. zusammen mit der Fixierung durch einen Feuerwehrgurt als ausreichend angesehen. Die weitergehenden Eingriffe sind deshalb unter Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 10. Juli 2011. 2 BA 2815/13. juris) nicht mehr verhältnismäßig.

3. Keine Bedenken hat die Kammer lediglich. dass der Kläger vor dem Transport (bekleidet) durchsucht und während des Transports an Händen und Füßen gefesselt wurde und die Fesseln mit einem Feuerwehrgurt am Körper fixiert wurden. …..“

StGB III: Versuchter Wohnungseinbruchsdiebstahl, oder: Wenn der Beschuldigte noch auf der Leiter steht

Bei der dritten Entscheidung handelt es sich dann um einen auf eine Haftbeschwerde hin ergangenen Beschluss. Ja, richtig gelesen. Das gibt es tatsächlich, dass sich ein LG die Mühe macht und subsumiert. In diesem Fall war es das LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.04.2021 – 12 Qs 18/21, das im Rahmen einer Haftbeschwerde zu einem versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl Stellung genommen hat.

In dem zur Prüfung anstehenden Haftbefehl wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt:

„In der Nacht vom 2. auf den 3. März 2021, gegen 2:20 Uhr, begab sich der Beschuldigte auf das Grundstück des Zeugen P. in der pp. Straße pp. in Nürnberg, wofür er das abgesperrte Gartentor überwinden musste, da er die Absicht hatte, in das dortige Wohnhaus des Zeugen einzudringen, dieses nach Stehlenswertem zu durchsuchen und möglichst Hochwertiges zu entwenden. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, nahm der Beschuldigte eine im Garten des Anwesens stehende Leiter, lehnte diese gegen die Hauswand und bestieg diese in der Absicht, sich anschließend auf den Balkon des ersten Stockwerks des Anwesens zu hangeln und von dort aus in die Wohnung einzudringen. Der Zeuge P. bemerkte diesen Vorgang jedoch, machte die Hausinnenbeleuchtung an und begab sich selbst auf den Balkon, von wo aus er den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, was dieser tat.“

Darin hatte das AG einen versuchten schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 242, § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, §§ 22, 23 StGB) gesehen.  Anders das LG. Das hat den dringenden Tatverdacht verneint und den Haftbefehl aufgehoben:

„Die zulässig erhobene Beschwerde ist in der Sache begründet. Nach gegebenem Ermittlungsstand besteht für das unmittelbare Ansetzen zum Wohnungseinbruchsdiebstahl, und damit für dessen Versuch, kein dringender Tatverdacht.

Ein dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO liegt vor, wenn auf der Grundlage der ermittelten Tatsachen angenommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 – StB 34/07, juris Rn. 4). Die Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in die Tatbestandsverwirklichung einmündet (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19, juris m. w. N.).

2. Diese allgemeinen Grundsätze hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. April 2020 (5 StR 15/20, juris) im Hinblick auf den Versuchsbeginn beim Wohnungseinbruchsdiebstahl unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung zusammengefasst und präzisiert. Dazu hat er ausgeführt (aaO Rn. 6-8 m. w. N.):

Bei Diebstahlsdelikten ist darauf abzustellen, ob aus Tätersicht bereits die konkrete Gefahr eines ungehinderten Zugriffs auf das in Aussicht genommene Stehlgut besteht. Hierfür ist entscheidend, ob der Gewahrsam durch Schutzmechanismen gesichert ist. Ist das der Fall, reicht für den Versuchsbeginn der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus regelmäßig aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt. Sollen mehrere gewahrsamssichernde Schutzmechanismen hintereinander überwunden werden, ist schon beim Angriff auf den ersten davon in der Regel von einem unmittelbaren Ansetzen zur Wegnahme auszugehen, wenn die Überwindung aller Schutzmechanismen im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit paraten Mitteln erfolgen soll. Nicht erforderlich für das unmittelbare Ansetzen zur geplanten Wegnahme ist, dass der angegriffene Schutzmechanismus auch erfolgreich überwunden wird. Deshalb reicht der Beginn des Einbrechens, Einsteigens oder Eindringens im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB regelmäßig aus, um einen Versuchsbeginn anzunehmen. Demnach liegt ein versuchter Diebstahl noch nicht vor, wenn der Täter lediglich einen gewahrsamssichernden Schutzmechanismus anleuchtet, um ihn zu untersuchen. Desgleichen wenn er in der Nähe des Tatorts eintrifft, aber noch nicht sogleich mit der Benutzung des bereitgelegten Einbruchswerkzeugs beginnen will, oder er sich lediglich mit Mittätern zur Rückseite des Gebäudes begibt, in das eingebrochen werden soll. Kein Versuch ist weiter anzunehmen, wenn mit zeitlicher Verzögerung erst noch umfangreiches Werkzeug herbeigeschafft werden muss, um einen Bankautomaten aufbrechen zu können, oder wenn lediglich das Treppenhaus betreten und noch nicht auf den Wohnungsinhaber mit dem Ziel eingewirkt wird, den von ihm geschützten Gewahrsam anzugreifen. Beim Übersteigen eines Gartenzauns oder -tors mit der Absicht, in ein dahinter liegendes Haus einzubrechen, kommt es darauf an, ob Zaun oder Tor schon eine gewahrsamssichernde Funktion zukommt. Ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl ist hingegen zu bejahen, wenn der Täter das Einbruchswerkzeug bereits angesetzt hat, um damit einen Schutzmechanismus zu überwinden und anschließend in ein Gebäude zum Stehlen einzudringen.

3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann im konkreten Fall ein unmittelbares Ansetzen des Beschuldigten zum Wohnungseinbruchsdiebstahl nicht hinreichend wahrscheinlich angenommen werden.

…..“

Gegenstandswert II: Maßregelvollzugssache, oder: Dreimonatige Zwangsmedikation

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Der OLG Hamm, Beschl. v. 25.3.2021 – 4 Ws 53/21 – ist nach einer Entscheidung über eine Rechtsbeschwerde eines Untergebrachten in einer Maßregelvollzugssache ergangen.

Der Rechtsanwalt hat einen seit dem 06.09.2016 nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Betroffenen, der an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) leidet, vertreten. Da sich die psychotische Symptomatik des Betroffenen seit Mitte Juni 2019 deutlich verschlechtert hatte, beabsichtigte die Klinik, den Betroffenen zur Erreichung seiner Entlassfähigkeit entgegen seinem Willen mit 150 mg Haloperidol-Dec. (3 ml) i. m. alle drei Wochen zunächst für die Dauer von drei Monaten zu behandeln. Hiergegen stellte der Betroffene mit Eingaben vom 21.11.2019, 29.11.2019 und 02.01.2020 Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die Strafvollstreckungskammer des LG mit Beschluss vom 27.01.2020 als unbegründet zurückwies. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffenen mit Schreiben vom 18.02.2020 Rechtsbeschwerde ein. Im Verfahren vor dem 1. Strafsenat des OLG Hamm (Az. III-1 Vollz(Ws) 81/20) wurde dem Betroffenen sodann der Kollege als Verteidiger beigeordnet und zudem Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Verteidiger legte für den Betroffenen mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.03.2020 erneut Rechtsbeschwerde ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 20.03.2020. Mittlerweile war allerdings die angeordnete und am 11.12.2019 sowie am 02.01.2020 bereits erfolgte Zwangsmedikation mit dem Medikament Haldol nicht weiter fortgesetzt worden, da der Betroffene seit geraumer Zeit eine orale Gabe des Medikaments Abilify akzeptiert hatte. Daher beantragte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.03.2020 nun festzustellen, dass die erfolgte Anordnung der Zwangsmedikation rechtswidrig gewesen sei. Mit Beschluss vom 17.06.2020 hat das OLG Hamm die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Feststellungsantrag des Betroffenen zurück an die Strafvollstreckungskammer beim LG zurückverwiesen. Die hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung erneut als unbegründet zurückgewiesen und den Verfahrenswert auf bis zu 500 EUR festgesetzt. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das beim OLG (teilweise) Erfolg hatte.

„Die Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts Paderborn vom 01.09.2020 ist zulässig; sie wurde insbesondere innerhalb der Sechs-Monatsfrist nach Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung (§ 68 Abs. 1 Satz 3 GKG i. V. m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) eingelegt.

Die Beschwerde hat auch in der Sache teilweise Erfolg. Der Streitwert war im vorliegenden Fall zwar nicht antragsgemäß auf 5.000 EUR, aber zumindest auf 2.000 EUR festzusetzen (§§ 65 S. 1, 60 Halbsatz 1, 52 Abs. 1 GKG).

Der Senat hat sich bei der Wertfestsetzung an der sich aus dem Antrag des Betroffenen für ihn ergebenden Bedeutung der Sache orientiert (§ 52 Abs. 1 GKG). Die subsidiäre Regelung des § 52 Abs. 2 GKG war nicht anzuwenden, da der Sach- und Streitstand genügende Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG bietet.

Bei der Streitwertbestimmung war nach § 52 Abs. 1 i. V. m. § 60 Halbsatz 1 GKG die hier besonders hoch anzusetzende Tragweite der Entscheidung für den Untergebrachten zu berücksichtigen.

Dem Landgericht Paderborn ist zwar insoweit zuzustimmen, als der Streitwert in Straf- und Maßregelvollzugssachen angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen bzw. Untergebrachten wegen des Kostenrisikos eher niedrig festzusetzen ist, allerdings muss dieser aber bei Mitwirkung eines Verteidigers zumindest so hoch bemessen sein, dass die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheint. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit der Wahl eines Rechtsanwalts seines Vertrauens faktisch genommen wird (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2019, Az. 2 Ws 767/18 Voll m. w. N.).

Soweit das Landgericht Paderborn ausführt, das Bundesverfassungsgericht habe sogar einen Streitwert von 200 EUR nicht beanstandet, greift dieses Argument schon deswegen nicht durch, weil das Bundesverfassungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit in der zitierten Entscheidung zur Angemessenheit der Höhe eines Streitwerts von 200 EUR inhaltlich gerade keine Stellung genommen hat. Die Festsetzung des Streitwerts auf 500 EUR statt auf 200 EUR bietet im Übrigen hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Verteidiger keine Vorteile, da sowohl § 13 Abs. 1 Satz 1 RVG als auch § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG den ersten Gebührensprung erst bei 500 EUR ansetzen.

Unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG) durch die angeordnete dreimonatige Zwangsmedikation und aufgrund der Tatsache, dass dem Betroffenen das Medikament Haloperidol bereits zweimal injiziert worden war, ist der Streitwert im konkreten Fall auf bis zu 2.000 EUR festzusetzen.“