Archiv des Autors: Detlef Burhoff

Über Detlef Burhoff

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D. ist Autor und Herausgeber mehrerer Werke zum Straf- und Owiverfahrensrecht sowie Herausgeber der Zeitschriften StrafRechtsReport (StRR) und VerkehrsRechtsReport (VRR).

StPO III: Teilweises Schweigen des Angeklagten, oder: Entweder reden oder Mund halten

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 16.07.2024 – 5 StR 178/24, in dem sich der BGH noch einmal zum Teilschweigen äußert, allerdings nur in einem Zusatz. Da heißt es:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Soweit die Revision des Angeklagten K. dessen Schweigerecht als verletzt ansieht, weil das Landgericht zu seinem Nachteil Schlussfolgerungen darauf gestützt habe, dass er die Adressen seiner Begleiter vom Tattag nicht benannt habe, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf, weil sich der Angeklagte im Übrigen umfassend zur Sache eingelassen hat und sein teilweises Schweigen daher als Beweisanzeichen zu seinem Nachteil verwertet werden durfte (zur Würdigung eines Teilschweigens vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021
3 StR 380/21, NStZ 2022, 761).“

Also: Vorsicht, oder: Entweder oder.

StPO II: Für Schuld-/Strafausspruch nur Strengbeweis, oder: Dienstliche Erklärungen reichen nicht

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Als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 20.08.2024 – 1 StR 116/24 -, m.E. auch eine Entscheidung, bei der der 1. Strafsenat während der Beratung wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hat.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags  verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeanstandung, mit der der Angeklagte eine Verletzung des § 261 StPO geltend macht, Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen (UA S. 23) und dem referierten Protokoll der Hauptverhandlung (SA Bd. III Bl. 476) hat die Strafkammer die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung „im Rahmen einer dienstlichen Erklärung“ zu Angaben des – sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufenden – Zeugen S. „gehört“, die dieser als Angeklagter in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren mittels Verteidigererklärung gemacht hatte. Das Strafverfahren gegen den Zeugen S. war (nicht rechtskräftig) abgeschlossen; an ihm hatte die Sitzungsvertreterin gleichfalls als Vertreterin der Staatsanwaltschaft mitgewirkt. Nach der genannten Erklärung habe der Zeuge S. mitgeteilt, dass er am Tattag vor allem deshalb mit einer scharfen Schusswaffe unterwegs gewesen sei, weil er am Vortag „von einer Person, von der er wisse, dass diese bewaffnet sei, nicht unerheblich verletzt worden sei“ (UA S. 23). Unter anderem diese Angabe hat die Strafkammer unter Ziffer 6. der Urteilsgründe „Täterschaft des Angeklagten“ im Rahmen der abschließenden „Gesamtwürdigung“ herangezogen zur Begründung ihrer Überzeugung, der Angeklagte habe am Tattag zwei Mal mit scharfer Munition in Richtung der Gruppe um den Zeugen S. geschossen (UA S. 47). Nach dem gleichfalls durch das Verhandlungsprotokoll bewiesenen Revisionsvorbringen ist im Verlauf der Hauptverhandlung über den Inhalt der Erklärung des Zeugen S.  nicht mit Mitteln des Strengbeweises Beweis erhoben worden.

2. Die Verwertung der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft verstößt gegen § 261 StPO, weil diese als Beweismittel für die Schuldfrage des Angeklagten nicht in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.

a) Feststellungen, die für den Schuld- oder Strafausspruch (möglicherweise) von Bedeutung sein können, können allein nach den Regeln des Strengbeweises getroffen werden. Dienstliche Erklärungen des Richters über seine Erkenntnisse aus anderen Verfahren scheiden im Bereich des Strengbeweises als zulässige Beweismittel aus (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270, 272 ff., 274 und vom 9. Dezember 1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354, 356 ff.; Beschlüsse vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12 Rn. 6-8 und vom 22. Februar 2012 – 1 StR 349/11 Rn. 36; ferner Urteil vom 16. Dezember 2021 – 3 StR 302/21 Rn. 28-30; jeweils mwN). Für entsprechende dienstliche Erklärungen des Staatsanwalts gilt nichts anderes.

b) Die Angaben über die frühere Einlassung des Zeugen S.  betreffen unmittelbar die Schuldfrage. Sie spiegeln das Spannungsverhältnis des Zeugen zum Angeklagten wider und belegen die Reaktion des Zeugen auf die von ihm angenommene Gefährlichkeit des Angeklagten. Schon für sich genommen kam ihnen damit für die Frage der Täterschaft und Bewaffnung des Angeklagten Bedeutung zu. Erst recht galt dies, wie vom Landgericht erkannt (UA S. 47), mit Blick auf die Motivlage des Angeklagten. Denn nachdem der Zeuge S.         am Vortag auf die Verletzung durch den Angeklagten mit der Ankündigung reagiert hatte, er (der Angeklagte) werde „sterben“ (UA S. 17), hatte der Angeklagte in besonderem Maße Motiv und Anlass, auf die mit scharfer Munition gegen die eigene Person gerichteten Schüsse aus der Gruppe des Zeugen S. in gleichem Maße zu erwidern. Die dienstliche Äußerung beschränkte sich mithin nicht darauf, den Verfahrensbeteiligten Umstände bekanntzugeben, die für den Fortgang des Verfahrens von Bedeutung waren und als solche in zulässiger Weise mit Mitteln des Freibeweises zum Gegenstand der Hauptverhandlung hätten gemacht werden können (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2002 – 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270, 272 ff.; vom 9. Dezember 1999 – 5 StR 312/99, BGHSt 45, 354, 356 ff. und vom 28. Januar 1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4, 9 ff.).

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten auf dem Verfahrensfehler beruht. Denn nach den Urteilsgründen wird die Beweiswürdigung gegen den Angeklagten – wenn auch nur ergänzend – auch auf die Erklärung des Zeugen S. in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren gestützt.“

Ich hoffe dann aber doch, dass man in Stuttgart schon mal etwas vom Unmittelbarkeitsgrundsatz gehört hat. Sonst gerne <<Werbemodus an >>  bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung nachlesen; bestellen kann man hier <<Werbemodus aus>>.

StPO I: Ohne Einlassung, Feststellungen und Beweise, oder: Setzen, ungenügend!!

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Heute ist hier ein StPO-Tag mit drei BGH-Entscheidungen.

Ich stelle zunächst das BGH, Urt. v. 11.09.2024 – 5 StR 236/24 – vor. Ergangen ist es im Sicherungsverfahren. Das LG Leipzig hat die Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Antragsschrift der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 21. November 2022 liegt dem Beschuldigten zur Last, als Heranwachsender im Zustand der Schuldunfähigkeit in der Nacht vom 14. auf den 15. März 2020 die Tochter der Nebenkläger, Ze., getötet zu haben. Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Beschuldigten überzeugen können und deshalb seine Unterbringung aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Revisionsführerin beanstandet zu Recht, dass das Urteil in mehrfacher Hinsicht den rechtlichen Anforderungen nicht entspricht.

1. Das Urteil teilt schon nicht mit, wie sich der Beschuldigte zur Sache eingelassen hat. Dies stellt – auch im Sicherungsverfahren – einen auf die Sachrüge hin zu beachtenden Fehler der Beweiswürdigung dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 371/20, NStZ 2022, 228; vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625).

2. Das Urteil enthält keinen Feststellungsteil, so dass unklar bleibt, von welchem Geschehensablauf sich das Landgericht überzeugt hat und wovon es sich nicht überzeugen konnte. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, muss es regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können; nur so kann das Revisionsgericht die Entscheidung auf mögliche Rechtsfehler nachprüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. April 2021 – 5 StR 102/20 Rn. 23 mwN). Nichts Anderes kann gelten, wenn das Tatgericht – wie hier – im Sicherungsverfahren die Unterbringung eines Schuldunfähigen wegen Nichterweislichkeit von Anlasstat oder Täterschaft ablehnt. Demgegenüber vermischt das landgerichtliche Urteil einzelne Feststellungen zur Sache mit einer Darstellung von Ergebnissen der Beweisaufnahme, mit deren Würdigung und mit Schilderungen zum Verfahrensgang zu einem letztlich unübersichtlichen Konglomerat. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird nicht klar, wovon sich das Landgericht überzeugt hat.

3. Schließlich werden die für eine Täterschaft des Beschuldigten sprechenden Indizien nicht in der gebotenen Gesamtschau gewürdigt, sondern lediglich einzeln abgehandelt. Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich jedoch regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb ihrer Inbezugsetzung zueinander im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2022 – 2 StR 442/21, NStZ-RR 2022, 213 mwN).

4. Auf diesen Rechtsfehlern beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Soweit es Feststellungen enthält, waren diese schon deshalb aufzuheben, weil der Beschuldigte sie mangels Beschwer nicht angreifen konnte.“

Wenn man das liest, fragt man sich: Was machen die in Leipzig? Ist denn kein Kammermitglied da, dass die Notleine zieht und darauf hinweist, dass man so ein Urteil nicht begründen kann. In der Schule würde man sagen: Setzen sechs.

OWi III: Fehlerhafte Zustellung führt zum Verjährungseintritt, oder: Erneut falsche Auslagenentscheidung

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Und dann noch eine – schon etwas ältere – Entscheidung, ebenfalls zur Verjährung, und zwar das AG Karlsruhe, Urt. v. 25.08.2023 – 6 OWi 260 Js 8092/23. Das AG hat in dem Urteil das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt.

„Dem Verfahren liegt ein Rotlichtverstoß am 11.09.2022 um 132 Uhr in Karlsruhe auf der B 10 auf Höhe der Keßlerstraße in Richtung Kriegsstraße mit dem Pkw mit amtlichem Kennzeichen
zugrunde.Am 04.10.2022 übersandte die Bußgeldbehörde ein Informationsschreiben an die Betroffene unter der Anschrift Rue pp 28, Frankreich (As. 31). Nachdem dieses Informationsschreiben nicht als unzustellbar zurückgekommen und auch keine Antwort darauf eingegangen war, erließ die Bußgeldbehörde am 17.10.2022 einen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene (As. 43), den sie an dieselbe Anschrift übersandte. Der Bußgeldbescheid kam weder als unzustellbar zurück, noch ging bis heute eine Zustellungsurkunde ein.

Mit Schreiben vom 27.10.2022 bestellte sich der Verteidiger der Betroffenen, legte gegen einen möglicherweise bereits erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht (As. 53). Eine Verteidigervollmacht war dem Schreiben nicht beigefügt und ist bis heute nicht zur Akte gelangt. Am 08.11.2022 wurde dem Verteidiger der Betroffenen Akteneinsicht durch über-sendung der Akte gewährt (As. 57) und am 14.11.2022 vom Verteidiger zurückgesandt (As. 67).

Die Bußgeldbehörde hat daraufhin als Zustellungsdatum des Bußgeldbescheids den 27.10.2022 vermerkt, da davon ausgegangen wurde, dass die Betroffene spätestens an dem Tag, als sich ein Verteidiger für sie bestellte. Kenntnis vorn Bußgeldbescheid erlangt haben müsste.

Mit Schriftsatz vorn 16.06.2023 (As. 233) beantragt der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Er trägt vor, dass die Betroffene tatsächlich nicht in der Rue pp. 28, sondern in der Hausnummer 26 wohne, was auch durch eine entsprechende Meldebestätigung (As. 241) belegt wird. Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene sei daher nie erfolgt. Diese habe ihn allein aufgrund des Informationsschreibens vorn 04.10.2022, das ihr von einer Nachbarin ausgehändigt worden sei, beauftragt, von einem Bußgeldbescheid habe sie keine Kenntnis erlangt.

II.

Das Verfahren war gemäß § 206a Abs 1 StPO einzustellen, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Nach § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid erlassen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate.

Die Ordnungswidrigkeit datiert vom 11.09.2022. Eine erste Unterbrechung der Verfolgungsverjährung erfolgte am 04.10.2022 durch Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene an die Anschrift Rue pp. 28, pp. Frankreich. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verjährung unterbrochen durch die erste Vernehmung des Betroffenen, die Bekanntgabe. dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung der Vernehmung oder Bekanntgabe_ Die Versendung des Anhörungsbogens ist hierfür ausreichend (vgl. BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7 2023, OWiG § 33 Rn. 47). Unerheblich ist, dass die Betroffene nie in der Hausnummer 28, sondern in der Hausnummer 26 wohnte, da zum einen die Bußgeldbehörde hierbei nicht missbräuchlich gehandelt hat (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 33 Rn. 23) und zum anderen, da die Betroffene selbst eingeräumt hat, dass ihr das In-formationsschreiben von einer Nachbarin ausgehändigt wurde (As. 233).

Eine weitere Verjährungunterbrechung insbesondere durch Erlass des Bußgeldbescheides oder dessen Zustellung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht erfolgt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bußgeldbescheid der Betroffenen zur Kenntnis gelangt ist. Die Betroffene war unter der Hausnummer, an welche der Bußgeldbescheid versandt wurde, nachweislich der Meldebescheinigung (As. 241) nicht wohnhaft. Eine Zustellungsurkunde ist nie zur Akte gelangt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffenen alle Post von ihren Nachbarn weitergereicht wurde, nur weil sie das Informationsschreiben erreicht hat. Eine Terminsladung kam beispielsweise als unzustellbar zurück (As. 227). Es kann auch nicht – wie es aber die Bußgeldbehörde vermerkte – ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Bußgeldbescheid die Betroffene spätestens am 27.10.2022 erreicht haben muss. weil an diesem Tag ein Verteidiger sich für die Betroffene gegenüber der Bußgeldbehörde bestellt hat. In dem Verteidigerschreiben wird ausdrücklich nur gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Es ist damit ebenso möglich, dass die Betroffene den Verteidiger bereits aufgrund des erhaltenen Informationsschreibens beauftragt hat. Ein Rückschluss darauf, dass die Betroffene auch der Bußgeldbescheid erreicht haben muss, kann nicht gezogen werden.

Schließlich ist auch keine Heilung der Zustellung durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger erfolgt. Zwar erfolgte die Gewährung der Akteneinsicht an den Verteidiger mit Über-sendung der Akte am 08.11.2022 und Rücksendung am 14.11.2022 vor Eintritt der Verfolgungs-verjährung und kann grundsätzlich – wie auch von der Staatsanwaltschaft eingewandt (As. 245) ¬eine zunächst unwirksame Zustellung heilen (vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 122300, BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7.2023, OWiG § 33 Rn. 118). Im dem Fall des OLG Hamm war der Verteidiger jedoch Empfangsberechtigter und die Bußgeldbehörde hatte einen erkennbaren Zustellungswillen, den Bußgeldbescheid an den Verteidiger als Empfangsberechtigten zuzustellen. In hiesigem Verfahren ist aber gerade keine Vollmacht des Verteidigers zu den Akten gelangt – weder eine Zustellungsvollmacht noch eine sonstige Vertretungsvollmacht. Die Bußgeldbehörde wollte auch nicht an den Verteidiger. sondern an die Betroffene selbst zustellen. Für diesen Fall ist nach ganz überwiegender Rechtsprechung eine Heilung der Zustellung nicht anzunehmen (vgl. OLG Celle. Beschluss vom 30. 8. 2011 – 311 SsRs 126/11, NZV 2012, 45, beck-online; OLG Stuttgart, Beschl. v. 10. 10. 2013 – 4 a Ss 428/13, NZV 2014, 186, beck-online). Insbesondere hat das OLG Karlsruhe ausdrücklich entschieden, dass eine Heilung der Zustellung dann nicht erfolgen kann, wenn der Verteidiger nicht bevollmächtigt ist, Zustellungen für den Betroffenen entgegenzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29.10.2020 – 2 Rb 35 Ss 618/20, BeckRS 2020. 34187, beck-online).

Da die Gewährung von Akteneinsicht an den nicht bevollmächtigten Verteidiger die fehlende Zu-stellung an die Betroffene damit nicht heilen konnte, hat der Erlass des Bußgeldbescheides man-gels wirksamer Zustellung die Verjährung nicht unterbrochen. Einzige Verjährungsunterbrechung war daher die Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene am 04.10.2022, weshalb zum 04.01.2023 Verjährung eingetreten ist.“

Soweit so gut, so richtig. Aber dann die Auslagenentscheidung. Das AG hat entschieden, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat, und hat das wie folgt begründet: „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“ Das reicht m.E. nicht nur nicht, sondern ist falsch. Dazu verweise ich auf die Anmerkung zum im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  (vgl. dazu OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung man wieder nicht begründet). Der Fehler liegt/lag doch nicht bei der Betroffenen.

OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung mal wieder nicht begründet

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Im zweiten OWi-Posting dann ein Beschluss des AG Augsburg, der zumindest in einem Punkt sehr gut zu dem vorhin vorgestellten BVerfG, Beschl. v. 27.09.2024 – 2 BvR 375/24 – passt dazu: OWi I: Keine Begründung der Auslagenentscheidung, oder: Weiß man es nicht oder man will nicht?).

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Das AG hat das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO. Die Kosten des Verfahrens hat es der Staatskasse auferlegt, es hat aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerle-gen.

Zur Einstellung führt das AG im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  – aus:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO.

Die vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vom 14.10.2023 war bereits bei Eingang der Akten bei Gericht 22.02.2024 verjährt.

Weder die mit Verfügung vom 26.10.2023 angeordnete Anhörung des Betroffenen, noch der Bußgeldbescheid vom 04.12.2023 waren geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.

Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass das Tatgeschehen hinreichend konkretisiert, also einwandfrei klar ist, welcher Lebensvorgang dem Betroffenen vorgehalten wird und dieser von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Sachverhalten unterscheidbar ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Sowohl in der Anhörung als auch im Bußgeldbescheid ist als Tatort „Gersthofen, A8 West, Ri München, Abschnitt 340″ angegeben. Eine konkretisierende Kilometerangabe oder ein markanter Punkt wie eine Ausfahrt, ein Rastplatz o.Ä., ist nicht genannt.

Auch ergibt sich der markante Punkt nicht aus den Lichtbildern, da dem Betroffenen im Anhörungsbogen und im Bußgeldbescheid nur der vergrößerte Ausschnitt des Fahrerlichtbilds übersandt wird.

Ausweislich der Mitteilung der VPI Augsburg (BI. 58 d.A.) beträgt die Länge des Abschnitts 340 2,5 km.

Vorliegend war mithin die Tat – zumindest hinsichtlich des Begehungsortes- nicht so genau bezeichnet, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters dar-stellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade Verkehrsverstöße, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden (Vgl. BGH, Beschliss vom 08.10.1970- 4 StR 190/70, NJW 1970, 2222).

Der Betroffenen hatte somit keine Möglichkeit festzustellen, an welchem Tatort auf der 2.5 km langen Strecke die ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sein soll.

Weder die Anhörung noch der Bußgeldbescheid sind mangels hinreichender Bestimmtheit geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.“

Dem kann man noch folgen, obwohl die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen nicht ganz einheitlich ist.

Weiter heißt es dann:

„Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO.

Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“

Und da ist m.E. die Auslagenentscheidung des AG falsch. M.E. hätten auch die notwendigen Ausla-gen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden müssen. Das AG geht offensichtlich von einem Fall des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO aus; eine Vorschrift, die der Entscheidung zugrunde liegt, wird nicht genannt. Insoweit ist zunächst zu beanstanden, dass das AG seine Ermessensentscheidung nicht bzw. nicht ausreichend begründet. Die „Begründung“ des AG erschöpft sich in dem Satz „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Ein-zelfalls wurde daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staats-kasse aufzuerlegen.“ Das ist zur Begründung der Ermessensentscheidung aber nicht ausreichend (vgl. zur Begründung zuletzt eben der o.a. BVerfG, Beschl. v. 27.9.2024 – 2 BvR 375/24; siehe auch noch VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.5.2024 – Vf. 22-IV-23, VRR 9/2024, 29; LG Wiesbaden, Beschl. v. 7.6.2024 – 2 Qs 47/24, VRR 9/2024, 32; alle auch hier im Blo vorgestellt). Das AG muss schon im Einzelnen darlegen, warum es vom Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO abweicht. Dazu reicht m.E. die „Begründung“ des AG „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls…“ nicht aus. Das ist keine auf den Einzelfall bezogene Begründung, der entnommen werden könnte, welche Umstände, denn nun dazu geführt haben, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst tragen muss. Es fehlt vor allem auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der „Fehler“, der zum Verjährungseintritt geführt hat, hier – nach der Rechtsauffassung des AG – eindeutig bei der Verwaltungsbehörde gelegen hat, die weder in der Anhörung noch im Bußgeldbescheid eine ausreichende Tatortangabe mitgeteilt hat. Eine sofortige Beschwerde hätte insoweit also ggf. Erfolg gehabt. Allerdings kann man sich da in Bayern nicht so sicher sein 🙂 .