In die neue Woche geht es dann mit zwei „Pflichti-Entscheidungen“ – beide befassen sich mit dem Beiordungsgrund.
Der LG Kiel, Beschl. v. 22.04.2025 – 13 Qs 15/25 – ist in einem „KiPo-Verfahren“ ergangen. Dieses wird gegen den Beschuldigten wegen der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes von kinderpornographischen Inhalten (§ 184b StGB) geführt.
Ein dem Bundeskriminalamt vom „National Center For Missing and Exploited Children“ (NCMEC) aus den USA übermittelter „CyberTipline Report“ hatte auf der Grundlage einer Providerauskunft die Information enthalten, dass am 13.02.2023 gegen 16:09 Uhr mitteleuropäischer Zeit über die IP-Adresse pp., die nachfolgend dem Beschuldigten zugeordnet wurde, unter Nutzung des Internetdienstes „Dropbox“ Dateien mit mutmaßlich kinderpornographischem Inhalt im Internet hochgeladen wurden. Die Auswertung der Dateien ergab, dass es sich um 87 Video-Dateien handelte, die sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen in unterschiedlichen Konstellationen zeigen, darunter auch den vaginalen, analen und oralen Geschlechtsverkehr.
In der Folge wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume des Beschuldigten sowie die Durchsuchung des Beschuldigten und dessen Sachen angeordnet. Im Zuge der Durchsuchung wurden diverse Speichermedien (Smartphones, USB-Sticks, eine Speicherkarte, ein Laptop und ein Tower-PC) sichergestellt. Die Daten wurden nachfolgend gesichert.
Unter dem 23.08.2023 beantragte der Verteidiger des Beschuldigten, diesem als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO beigeordnet zu werden. Das AG hat das abgelehnt. Die sofortige Beschwerde hatte beim LG Erfolg:
Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist gemäß §§ 142 Abs. 2, 7 S. 1, 311 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg:
„Die Notwendigkeit der Verteidigung ergibt sich jedenfalls aufgrund der Schwierigkeit der Sachlage nach § 140 Abs. 2 Alt. 3 StPO.
Dem Beschuldigten ist ein notwendiger Verteidiger beizuordnen. Denn dem Beschuldigten ist eine wirksame Verteidigung nur unter vollständiger Akteneinsicht möglich, die dem Beschuldigten selbst verwehrt ist. Zwar hat der Beschuldigte in § 147 Abs. 4 StPO ein eigenes Akteneinsichtsrecht erhalten. Dieses findet jedoch seine Grenzen soweit – wie hier – überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen. Die Einsicht des Beschuldigten in Beweismittelbände zu kinderpornografischen Abbildungen betrifft den Intimbereich der abgebildeten Personen, welcher gewahrt werden muss. Entsprechend wäre die Einsicht in den Sonderband „Beweismittel“ gemäß § 147 Abs. 4 S. 1 StPO zu versagen. Ohne eine umfassende Einsicht auch in diese Abbildungen, die den Kern des strafrechtlichen Vorwurfs bilden, ist eine hinreichende Verteidigung gegen die erhobenen Vorwürfe für den Beschuldigten indes nicht möglich. So kann er bereits nicht beurteilen, ob die Abbildungen als Tatobjekt überhaupt in Betracht kommen. Insoweit hat der (notwendige) Verteidiger die Abbildungen zu sichten und den Angeschuldigten über seine Erkenntnisse zu unterrichten (Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Auflage 2024, § 147 Rn. 32, LG Hanau, Beschluss vom 25.07.2022 – 4 Qs 4/22, LG Frankfurt (Oder) Beschluss vom 29.12.2021 – 24 Qs 60/21, mit Anmerkung: Staudinger, jurisPR-StrafR 15/2022 Anm. 2, zitiert nach juris, LG Halle (Saale) Beschluss vom 29.06.2021 – 10a Qs 59/20). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass etwaige Lichtbilder ggf. in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen würden. Denn dem Beschuldigten muss bereits zuvor eine hinreichende Möglichkeit zur Verteidigung gegeben wer-den. Es ist auch nicht zwingend, dass eine Inaugenscheinnahme ohnehin in der Hauptverhandlung zu erfolgen hätte. Denn bezüglich der Lichtbilder ist es ebenfalls denkbar, dass sich nach weiteren Ermittlungen herausstellt, dass die Lichtbilder zumindest teilweise keine Minderjährigen darstellen oder eine Einstellung nach §§ 153a oder 154 StPO in Betracht kommt, sodass bereits keine Hauptverhandlung durchzuführen wäre oder Teile der Lichtbilder nicht Inaugenschein genommen werden müssten. In diesem Fall würde es aber bei einer eigenen Einsichtnahme des Beschuldigten in den Sonderband „Beweismittel“ bereits zu einer Verletzung des Intimbereichs der dort gezeigten Personen kommen.“
Passt 🙂