Archiv für den Monat: Dezember 2023

Corona III: „Ungeimpft“ auf dem „gelben Judenstern, oder: Vollsverhetzung? Es kommt darauf an.

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zur Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) durch Verwendung des sog. (gelben)  Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“. Ich stelle hier aber, da es zu der Problematik ja schon einiges an Rechtsprechung gibt, nur die Leitsätze vor, und zwar:

Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“ in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maß-nahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.

Zur Frage der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, wenn im sozialen Netzwerk Facebook Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT“ steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?“, verwendet wird.

Corona II: Ausstellen falscher Corona-Bescheinigungen, oder: Kein Sonderdelikt für Ärzte und Apotheker

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Als zweite Entscheidung aus dem Bereich „Corona-Nachbereitung“ dann hier der BGH, Beschl. v. 18.10.2023 – 1 StR 146/23 – zu der Frage: Handelt es sich bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG i.d.F. v. 28.05.2021 – um ein Sonderdelikt für Ärzte und Apotheker mit der Folge, dass das Ausstellen falscher Corona-Bescheinigungen durch andere Personen nicht erfasst wird.

Zugrunde liegt dieser Entscheidung des BGH ein Urteil des LG München I, das einen Mann u.a. wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung in 1.073 Fällen – davon in 637 Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt hat.

Die „zündende“ Idee zu diesen Taten war dem Angeklagten gekommen, als ihm und seiner Verlobten von einer befreundeten pharmazeutisch-technischen Assistentin von ihrer Arbeitsstelle aus über den Rechner ihrer Apotheke ein digitales Covid-Impfzertifikat ausgestellt wurde, obwohl die PTA wusste, dass beide gar nicht geimpft waren. Zusammen mit der PTA beschloss der Angeklagte dann, weitere digitale Zertifikate zu erstellen und über das Darknet zu verkaufen. Dazu griff er u.a. während der Öffnungszeiten der Apotheke mit der Software „Teamviewer“ aus der Ferne auf den Apothekenrechner zu. Zu diesem Zweck mietete er einen bulgarischen Server an. Außerdem schaltete er im BIOS des Apotheken-PC einen „Wake-up-Timer“, der sich so jeden Tag um 21.00 Uhr selbstständig einschaltete. Darüber konnte er dann  Zertifikate auch außerhalb der Öffnungszeiten herstellen. Insgesamt hat der Angeklagte rund 100.000 EUR „eingenommen“. Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg.

Zu § 75a Abs. 1 IfSG a.F. stellt der BGH in der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Entscheidung fest, dass es sich bei § 75a Abs. 1 IfSG a.F. um ein Allgemein- und nicht um ein Sonderdelikt handele, das den Täterkreis auf Ärzte und Apotheker beschränke. Damit hat der BGH diese bislang umstrittene Frage geklärt. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Der BGH stellt darauf ab, dass die vom Gesetzgeber genutzte Verweisungstechnik auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG a.F. den möglichen Täterkreis nicht einschränkt. Zwar könne die Verweisung auf § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG a.F. und den dort aufgeführten Personenkreis darauf hindeuten, dass lediglich diese Personen Täter sein können. Dagegen spreche aber, dass der Gesetzgeber in §  75 Abs. 1 IfSG a.F. das Merkmal „wer“ und damit einen nicht beschränkten Täterkreis gewählt habe. Damit habe er Strafbarkeitslücken schließen wollen und einen effektiven Rechtsgutsschutz gegen die Ausstellung falscher Zertifikate bezweckt.

Aufgehoben hat der BGH das landgerichtliche Urteil jedoch insoweit als der Angeklagte in 637 Fällen der Fälschung technischer Aufzeichnungen nach § 268 Abs. 3 StGB i.V.m. mit § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt worden war, weil er durch die von ihm nach der Änderung der BIOS-Einstellung des Apothekenrechners erstellten digitalen Impfzertifikate auf einen Aufzeichnungsvorgang störend eingewirkt habe. Dabei handele es sich lediglich – so der BGH – um eine von § 268 StGB nicht geschützte sogenannte Input-Manipulation, der Arbeitsablauf des Rechners selbst sei nicht verändert worden.

Corona I: Durchsuchung beim „Querdenker-Lehrer“, oder: Man hätte ja auch mal fragen können

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Und dann heute drei Entscheidungen, die mit dem zweiten Sonderthema der letzten Zeit zu tun haben. Corona. Allerdings werden derzeit kaum noch Entscheidungen zur Verstößen gegen die Corona-VO veröffentlicht, sondern mehr Entscheidungen zu anderen Fragen, die zumindest ihren Ausgang in der Pandemie und deren Auswirkungen haben. Und davon habe ich hier auch noch drei, die ich heute vorstelle.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23. Gegenstand des Verfahrens ist ein Durchsuchungsbeschluss des AG Heilbronn

Der Beschwerdeführer ist verbeamteter Lehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Die StA führte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung. Sie warf ihm vor, am 19.06.2021 als Teilnehmer einer Kundgebung von sogenannten Querdenkern zwei dort eingesetzte Polizeibeamte als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ bezeichnet zu haben. In der nach Gewährung von Akteneinsicht mit Schreiben vom 19.11.2021 durch seinen Verteidiger abgegebenen Stellungnahme beantragte dieser die Einstellung des Verfahrens. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. In Rahmen der Stellungnahme teilte der Verteidiger u.a. auch mit, der Beschwerdeführer sei „Beamter im aktiven Dienst“.

Nach Eingang der Stellungnahme beantragte die StA beim AG den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Das AG ordnete daraufhin die Durchsuchung u.a. der Person und der Wohnung des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Die Durchsuchung sei zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts.

Der Beschluss wurde am 14.01.2022 vollzogen. Nachdem dem Beschwerdeführer von dem den Einsatz leitenden Polizeibeamten „die weitere Vorgehensweise“ erklärt worden war, gewährte er den Beamten Eintritt in seine Wohnung. Unter deren Aufsicht suchte er seine drei jüngsten Bezügemitteilungen sowie eine Einkommensteuererklärung heraus und händigte diese den Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen wurden daraufhin nicht mehr durchgeführt.

Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss und die – maßnahme blieben beim AG und LG erfolglos. Im Verfahren ist dann vom AG auf Antrag der StA ein Strafbefehl erlassen worden, gegen den Einspruch eingelegt wurde, In der Hauptverhandlung ist dann das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden.

Der Beschwerdeführer hat sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss gewendet und eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 13, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG. § 102 StPO gerügt. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass die Durchsuchungsanordnung jedenfalls unverhältnismäßig gewesen sei. Als mildere Mittel gegenüber einer Durchsuchung wären Anfragen bei der Besoldungsstelle, beim Beschwerdeführer oder bei dessen Verteidiger in Betracht gekommen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:

„2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben ist, ist sie auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

a) Zwar war die Durchsuchung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich seine Einkommensverhältnisse ermittelt werden sollten. Nach § 1603 Satz 1 StPO haben sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – unabhängig davon, ob der Erlass eines Strafbefehls beantragt oder Anklage erhoben werden soll – auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; dazu zählen – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen bei Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung dieser Umstände sind verfassungsrechtlich daher nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 12 f.).

b) Allerdings war die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig.

aa) Eine Durchsuchung greift in die durch Art. 131 GG grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem erheblichen Eingriff entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 1361/13 -, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 – 2 BvR 1844/21 -, Rn. 46). Dabei ist es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts (vgl. BVerfGK 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2018 – 2 BvR 2993/14 -, Rn. 25) oder zur Schwere der Straftat steht.

bb) Die Anordnung der Durchsuchung war danach unangemessen. Den Ermittlungsbehörden standen naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die ohne greifbare Gründe unterblieben sind. Ob diese hier ebenso wirksam gewesen wären wie eine Wohnungsdurchsuchung, also mildere Mittel im technischen Sinne dargestellt hätten (vgl. dazu BVerfGE 126, 112 <144 f.>; 155, 238 <280 Rn. 105>; stRspr), kann im Streitfall dahinstehen. Denn angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat.

(1) Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit freiwillige Angaben verweigert hätte und seine Befragung daher aussichtslos gewesen wäre, lagen nicht vor. Zwar hatte sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm von der Staatsanwaltschaft nach § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO eingeräumten Möglichkeit, sich zu dem Tatvorwurf schriftlich zu äußern, darauf beschränkt, das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu bestreiten. Allein daraus konnte jedoch nicht geschlossen werden, dass er auf konkrete Nachfrage hin freiwillige Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert hätte, denn Angaben dazu waren zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht nicht veranlasst gewesen und mussten dem Ziel seiner ersten Einlassung, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, widersprechen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlusts, die nur durch eine Wohnungsdurchsuchung hätte abgewendet werden können, bestand nicht.

Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hätte daher im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung zu erlangenden Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Im Hinblick auf diese insofern naheliegende und gegenüber einer Wohnungsdurchsuchung grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme stellt sich die Durchsuchungsanordnung daher jedenfalls angesichts der geringen Schwere der vorgeworfenen Straftat als unangemessen dar.

(2) Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen (vgl. dazu Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 160 Rn. 18; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, § 40 Rn. 16 <1. Mai 2023>). Nachdem der Wohnort des Beschwerdeführers bekannt war und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 23). Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften eines Beschuldigten zu erlangen. § 40 Abs. 3 StGB erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 22) – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 3 und 13), wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 10 ff.). Hinzu kommt, dass es sich bei der Festlegung der Tagessatzhöhe um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung handelt, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 7). Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ws 15/07 u.a. -, Rn. 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 1 Ss 160/08 -, Rn. 15; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 23. November 2009 – 1 Ss 104/09 -, Rn. 15).

Hätten sich Staatsanwaltschaft und Amtsgericht mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, hätten darüber hinaus durch eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage) aber auch die Bankkonten und Bankdepots in Erfahrung gebracht werden können, bezüglich derer der Beschwerdeführer wirtschaftlich Berechtigter ist (vgl. § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz). Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Auch insoweit hätte es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung im Grundsatz um eine grundrechtsschonende Maßnahme gehandelt. Zwar stellen eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung gegebenenfalls auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. BVerfGE 118, 168 <185 f.>). Bankanfragen werden dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung sein (zur Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch beim Verdacht nur geringfügiger Straftaten vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Februar 2015 – 4 Ws 19/15 -, Rn. 8 und 11; Sackreuther, in: BeckOK StPO, § 160 Rn. 20 <1. April 2023>).“

Wenn man es liest, mag man es nicht glauben. Bei einem Beamten wird zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Durchsuchung angeordnet? Und das, obwohl man ja nun wohl gerade bei einem Beamten durch die einfache Einsicht in Besoldungstabellen, die frei zugänglich sind, das Monatseinkommen ohne weiteres ermitteln kann? Auf die Idee kommt die StA nicht, das AG auch nicht und das LG macht sich offenbar insoweit auch keine Gedanken. Selbst der GBA sieht bei einem verbeamteten Lehrer diese Möglichkeit nicht bzw. nur eingeschränkt. Daher muss es dann das BVerfG richten und den beteiligten Stellen erklären, wie man die wirtschaftlichen Verhältnisse aufklärt bzw. hätte aufklären können und müssen. Wie gesagt: Nur schwer verständlich.

Ich vermute einen ganz anderen Grund, nämlich die Durchsuchung als Retourkutsche für den offenbar der „Querdenker-Szene“ angehörenden oder mit ihr sympathisierenden Lehrer. Aber: So kann man doch nicht mit diesen Leuten umgehen. Das ist/war doch nur Wasser auf deren Mühlen. Unfassbar.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Habe ich zweimal die Nr. 4106 VV RVG verdient?

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Und dann noch die Lösung des Freitagsrätsels, das am vergangenen Freitag lautete: Ich habe da mal eine Frage: Habe ich zweimal die Nr. 4106 VV RVG verdient?

Ich habe dem Kollegen wie folgt geantwortet:

„Moin,

zu der Frage gibt es auch noch: OLG Düsseldorf, RVGreport 2015, 64 = NStZ-RR 2014, 359 = AGS 2015, 128, und OLG Köln, AGS 2010, 175 = JurBüro 2010, 362. Ich denke, dass es schwer werden wird, zweimal die Nr. 4106 VV RVG abzurechnen. Sie können es natürlich mit dem Argument „anderes Gericht“ = neue/andere Angelegenheit versuchen. M.E. werden Sie damit aber keinen Erfolg haben, da sich ja „in der Sache“ nichts geändert hat.“

Und dann hatte ich noch nachgefragt, ob der Kollege „von Anfang an Verteidiger [war], also auch schon im Abgeltungsbereich der Nr. 4104 VV RVG?“ Hintergrund für die diese Nachfrage ist/war, dass man, wenn der Kollege in dem Zeitraum den Mandanten noch nicht verteidigt hat, ggf. davon ausgehen kann, dass das Verfahren ja dann durch die Rücknahme der ursprünglichen Anklage wieder in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt worden ist und der Kollege dann zumindest die Nr. 4104 VV RVG auch verdient hat. War aber leider nicht der Fall.

Klima II: Entfernen einer Gehwegplatte als Protest, oder: Welcher Herstellungsaufwand ist erforderlich?

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Und als zweite Entscheidung aus dem „Klimakomplex“ dann der KG, Beschl. v. 03.11.2023 – 3 ORs 72/23 – 161 Ss 167/23 – und zwar zur Frage der erforderlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen einer gemeinschädlichen Sachbeschädigung.

Das AG hat die Angeklagte  wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das LG verworfen.

Nach den – vom LG – getroffenen Feststellungen entfernte die Angeklagte als Mitglied der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ am 22.06.2022 zusammen mit weiteren Mittätern vor dem Bundeskanzleramt eine dort verlegte Gehwegplatte und legte sie auf einem Rasenstück neben der ursprünglichen Verlegeposition ab. Dabei machte sich die Angeklagte keine Vorstellungen darüber, welcher Aufwand mit dem Wiedereinsetzen der Gehwegplatte verbunden sein würde. Den Tatvorsatz hat das Landgericht mit folgenden Erwägungen begründet:

„Die Angeklagte beging die Sachbeschädigung zumindest mit Eventualvorsatz, auch wenn sie sich keine Vorstellungen zum Aufwand der Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gehwegs gemacht hatte; denn sie hat, da der Zustand des Gehwegs, egal mit welchem Aufwand, wieder herstellbar war und sie daran die Aktion mit dem ihr am Herzen liegenden Ziel eines Aufrüttelns der Öffentlichkeit nicht scheitern lassen wollte, billigend in Kauf genommen, dass die Platte auch bei einem nicht nur wesentlichen Wiederherstellungsaufwand entfernt wird.“

Dagegen die Revision der Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hatte, weil die Feststellungen zur inneren Tatseite nicht die Verurteilung wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung tragen:

„a) Ein Täter handelt mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Eintritt eines zum Tatbestand gehörenden Erfolges als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannt hat (Wissenselement) und dies billigt oder sich mit dem Eintritt des Erfolges abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder unerwünscht sein (vgl. statt aller nur BGH StV 2023, 332; 2022, 72; NStZ 2019, 208; Senat NZV 2016, 392; Fischer, StGB 70. Aufl., § 15 Rdn. 11 ff.; alle m.w.N.). Fehlt dem Täter das Bewusstsein, dass seine Handlung ein Tatbestandsmerkmal erfüllen kann, handelt er nicht vorsätzlich, was auch dann der Fall ist, wenn er sich über die Tatbestandsverwirklichung keinerlei Gedanken gemacht hat (vgl. BGH NStZ 2004, 201; Bülte in Leipziger Kommentar zum StGB 13. Aufl., § 15 Rdn. 105; Lackner/Kühl/Heger, StGB 30. Aufl. ,Rdn. 9: potentieller Vorsatz genügt nicht).

b) Eine Sachbeschädigung scheidet aus, wenn die Beseitigung der Substanzverletzung oder Funktionseinbuße (vgl. Goeckenjan in Leipziger Kommentar a.a.O., § 303 Rdn. 23 f. m.w.N.) mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand verbunden ist (vgl. BGHSt 13, 207; NStZ 1982, 508; Heger in Lackner/Kühl/Heger a.a.O., § 303 Rdn. 5; Goeckenjan a.a.O. Rdn. 32 m.w.N.). In der Folge muss der Täter es zumindest für möglich gehalten haben, dass die Beseitigung der Substanzverletzung bzw. der Funktionseinbuße einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Da demjenigen, der sich bei Begehung der Tat (§ 16 StGB) über den Beseitigungsaufwand keinerlei Gedanken gemacht hat, das zur Bejahung des Vorsatzes erforderliche Wissenselement fehlt, muss das Urteil Feststellungen dazu enthalten, dass der Täter einen nicht unerheblichen Beseitigungsaufwand für zumindest möglich gehalten hat. Etwas anderes gilt nur, wenn dies angesichts des Umfangs der Substanzverletzung oder der Funktionsbeeinträchtigung auf der Hand liegt.

c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weil sich die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen keine Vorstellungen über den Beseitigungsaufwand gemacht hat, entfällt aus den dargelegten Gründen das für die Vorsatzbildung erforderliche Wissenselement. Dass die Angeklagte davon ausging, der Gehweg lasse sich überhaupt – egal mit welchem Aufwand – wiederherstellen, und dass sie das Ziel ihrer Aktion nicht scheitern lassen wollte, besagt – anders als das Landgericht anscheinend meint – noch nichts über ihre Vorstellung, mit welchem Aufwand das Neuverlegen der Gehwegplatte tatsächlich verbunden sein könnte. Feststellungen dazu waren auch nicht entbehrlich, weil sich angesichts der vergleichsweise geringen Einwirkung auf die Sachsubstanz nicht von selbst versteht, dass die Angeklagte einen erheblichen Aufwand für die Wiederherstellung des Gehwegs für möglich gehalten hat.“