Archiv für den Monat: November 2023

Bewährung III: Bestimmtheit einer Meldeauflage, oder: Ein bisschen Spielraum darf sein

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Bei der dritten Entscheidung handelt es sich heute dann um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 310/23. Er befasst sich mit den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Meldeweisung. Das zwar im Rahmen der Führungsaufsicht, aber die Problematik kann sich ja auch im Rahmen der Bewährung stellen.

Dem Verurteilten was folgende strafbewehrte Weisung erteilt worden:

„Der Verurteilte wird angewiesen, sich eine Woche nach Zustellung dieses Beschlusses bei der für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshilfe persönlich einzufinden und nach näherer Bestimmung durch diese mindestens einmal, höchstens dreimal monatlich, in deren Sprechstunde künftig Termine wahrzunehmen. Die Bewährungshilfe bestimmt, in welcher Form (persönlich, telefonisch, per E-Post, etc) diese Kontaktaufnahme zu erfolgen hat (§ 68 b Abs. 1 Nr. 7 StGB). Diese Weisung ist strafbewehrt.“

Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaf, die keinen Erfolg hatte:

„Bezüglich der nach §§ 68a bis 68d StGB zu treffenden Entscheidungen besteht nur ein eingeschränktes Überprüfungsrecht des Senats. Er darf die angefochtene Entscheidung nur auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüfen (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO) und darf insbesondere nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Strafvollstreckungskammer setzen. Gesetzwidrig sind Anordnungen nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2010, 643 – 644; OLG München, Beschluss vom 29.07.2014 – 3 Ws 581/14 -, juris; KG, Beschluss vom 13.01.2020 – 2 Ws 202-203/19 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 15.11.2022 – 2 Ws 325/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährende Funktion zu (vgl. BVerGE 117, 71 <111>, m.w.N.). Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer bei der Erteilung strafbewehrter Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass der Verurteilte der Weisung unmissverständlich entnehmen können muss, mit welchem Verhalten er gegen sie verstößt (vgl. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 06.03.2023 – 1 Ws 31/23 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, StV 2012, 481). Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse – nicht sinnvoll praktikabel ist (BVerfG, a.a.O.).

Der Senat hält im Lichte dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die vorliegend erteilte Vorstellungsweisung, die innerhalb eines eng bemessenen Zeitraums (monatlich) eine Untergrenze (“mindestens einmal monatlich“) und eine Obergrenze (“maximal dreimal monatlich“) festlegt,  für hinreichend bestimmt (so auch: OLG Bamberg, Beschluss vom 15.03.2012 – 1 Ws 138/12 -, BeckRS 2012, 17450; BayObLG, Beschluss vom 23.10.2020 – 203 StRR 414/20 -, BeckRS 2020, 35129; vgl. auch BGH NStZ-RR 2021, 307; a.A. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2019 – III-1 Ws 495/19 -, juris). Denn der Verurteilte kann der gerichtlichen Weisung unmissverständlich entnehmen, dass er sich mindestens einmal, maximal dreimal im Monat – nach näherer Präzisierung hinsichtlich Anzahl, Zeit und Form durch die Bewährungshilfe – bei dieser vorzustellen hat. Die exakte Festlegung nicht nur einer Ober- und Untergrenze, sondern auch der exakten Frequenz der innerhalb eines vom Gericht festgesetzten Zeitraums wahrzunehmenden Termine, hindert eine flexible, an die jeweilige Lebenssituation des Verurteilten, den aktuellen Betreuungsbedarf und die sonstigen Belange des Verurteilten und des Bewährungshelfers angepasste Handhabung der Vorstellungsweisung. Denn die gerichtliche Weisung, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer vom Gericht vorgegebenen exakten Frequenz bei einem Bewährungshelfer zu melden, kann durch diesen jedenfalls zulasten des Verurteilten nicht abgeändert werden (vgl. BGH, NStZ-RR 2021, 307), weshalb – etwa bei einem phasenweise erhöhten Betreuungsbedarf aufgrund von Umständen in der Person des Verurteilten, die bei Erteilung der gerichtlichen Weisung noch nicht absehbar waren – jeweils die gerichtliche Weisung angepasst werden müsste.“

Bewährung II: Bewährungsaussetzung nach § 36 BtMG, oder: Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung

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In der zweiten Entscheidung des Tages nimmt das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.10.2023 – 12 Qs 65/23 – im Rahmen der Bewährungsaussetzung bei einem drogenabhängigen Verurteilten zu eineAbstinenzweisung Stellung.

Im Rahmen der Aussetzung der weiteren Vollstreckung verhängten Freiheitsstrafen nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung nach einer § 35-er-Maßnahme sindfolgende Weisungen erteilt worden:

„Die Verurteilte wird angewiesen, (…)

  1. c) keine Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder NPSG zu konsumieren; (…)
  2. e) sich … mindestens einmal und höchstens dreimal im Quartal … Suchtmittelkontrollen, … zum Nachweis seiner Abstinenz zu unterziehen.“

Gegen beide Weisungen legte der Verteidiger der Verurteilten sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Verurteilte suchtkrank sei. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„2. Sie ist auch begründet, da die angegriffenen Anordnungen gesetzeswidrig waren (§ 305a Abs. 1 Satz 2 StPO).

a) Gerichtliche Weisungen für die Bewährungszeit dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen stellen (§ 56c Abs. 1 Satz 2 StGB). Dabei ist es grundsätzlich zulässig, den Verurteilten zur Drogenabstinenz und Abgabe von Abstinenznachweisen anzuweisen, sofern ihm dadurch spezialpräventiv zur Vermeidung künftiger Straftaten geholfen werden soll (BVerfG, Beschluss vom 21.04.1993 – 2 BvR 930/92, juris Rn. 8). Der Verurteilte muss seinen Konsum zu diesem Zweck aber grundsätzlich steuern können (Groß/Kett-Straub in MüKoStGB, 4. Aufl., § 56c Rn. 11). Das ist nicht anzunehmen, wenn bei bestehender Suchtmittelerkrankung noch keine erfolgreiche Therapie stattgefunden hat (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 12.07.2017 – 16 Qs 15/17, BeckRS 2017, 118714 Rn. 14).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die angegriffenen Abstinenzweisungen für die Verurteilte – derzeit – unzumutbar.

Ausweislich der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils vom 03.09.2020 ist die Verurteilte seit ihrem zwölften Lebensjahr drogenabhängig. Eine Langzeittherapie hat sie im Jahr 2015 abgebrochen. Trotz Teilnahme an einem Substitutionsprogramm seit dem Jahr 2019 nahm sie weiterhin Heroin ein. Nach Aktenlage ist auch nach beiden eingangs genannten Verurteilungen keine erfolgreiche Behandlung der Abhängigkeitserkrankung erfolgt. Die Verurteilte wurde aus der Fachklinik … und aus der Fachklinik … auf ärztliche Veranlassung bzw. aus disziplinarischen Gründen vorzeitig entlassen. Der für sich genommen erfolgreiche Aufenthalt im …-Haus stellte demgegenüber keine „echte“ Suchtmitteltherapie dar. Zwar lebte die Verurteilte dort drogenfrei und erhielt eine Rückfallprophylaxe. Jedoch handelt es sich bei dem Haus lediglich um eine therapeutische Übergangseinrichtung. Ausweislich der bei der Akte befindlichen Selbstbeschreibung handelt es sich bei der Übergangseinrichtung um ein Angebot der Eingliederungshilfe, die suchtmittelabhängigen Menschen Unterstützung anbietet, die eine schnelle Stabilisierung ihrer Lebenssituation anstreben. Sie bietet Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung eine drei bis sechsmonatige Aufnahme an, sofern die Indikation vorliegt und Drogenfreiheit vor Aufnahme gewährleistet ist. Angeboten werden dort ein Beschäftigungsprogramm, Freizeitgestaltung und psychosoziale Betreuung (Einzel- und Gruppengespräche sowie unterschiedliche Beratungsangebote). Alles in allem handelt es sich um ein niederschwelliges Angebot zwischen oder nach einzelnen Behandlungsphasen einer Drogentherapie (vgl. allgemein zu solchen Einrichtungen Bohnen in BeckOK BtMG, 19. Ed. 15.06.2023, § 35 Rn. 14, 21). Dementsprechend besteht der Zweck der Übergangseinrichtung vornehmlich (und lediglich) darin, den Suchtkranken zu stabilisieren, nicht aber darin, ihn im technischen Sinne zu therapieren.

Hiervon ausgehend sieht die Kammer keine hinreichend tragfähige Grundlage dafür, dass die Verurteilte ihren Drogenkonsum momentan ausreichend steuern kann. Demgemäß waren die angegriffenen Weisungen aufzuheben.“

Bewährung I: Widerruf der Strafaussetzung, oder: Wenn es die Anlassentscheidung so nicht gibt

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Den Reigen von Bewährungsentscheidungen, die ich heute vorstelle, eröffne ich mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 09.10.2023 – 7 Ws 155/23. Es geht um den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB nach einer Exequaturentscheidung.

Folgender Sachverhalt:

„Das Amtsgericht in Stadt1/Kroatien (Az. Kov-111/2020-22) hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 29. April 2020, rechtskräftig seit dem 16. Juli 2020, wegen „Beihilfe zur unerlaubten Drogenproduktion und zum unerlaubten Drogenverkehr“ verurteilt, weil er im November 2019 am Anbau von Cannabis beteiligt war. Das Gericht hat auf eine Freiheitsstrafe von elf Monate erkannt, die durch „Arbeit für gemeinnützige Zwecke“ ersetzt wurde, wobei „ein in der Haft verbrachter Tag mit zwei Stunden Arbeit ersetzt“ wurde, was nach dem Urteilsspruch 660 Stunden abzuleistende Arbeit entspricht. Ferner hat das Gericht bestimmt, dass diese Arbeit nach der Zustimmung des Beschwerdeführers vor der Probationskommission für gemeinnützige Zwecke in einer von der Kommission festgelegten Frist, die nicht kürzer als einen Monat und nicht länger als zwei Jahre betragen darf, zu erbringen ist. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer die Arbeit für gemeinnützige Zwecke durch eigene Schuld ganz oder teilweise nicht erbringt, ist schließlich bestimmt, dass das Gericht die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe in Ganzheit oder teilweise anordnen wird.

Die kroatischen Behörden haben die deutschen Behörden unter Vorlage des Urteils und Beifügung einer „Bestätigung aus Anhang I, Rahmenbeschluss 2008/947 / JI des Europarats vom 27. November 2008 für die Anerkennung von Bewährungsentscheidungen“ um die Anerkennung der Bewährungsentscheidung des vorgenannten Urteils ersucht. In dieser Bestätigung ist unter Ziff. 5) ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während des Verfahrens fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht habe, was bedeute, dass er noch sechs Monate Haft verbüßen und dementsprechend noch 360 Stunden für das Gemeinwohl arbeiten müsse.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat mit Datum vom 27. September 2021 das Vorliegen von Bewilligungshindernissen gemäß § 90c IRG verneint und am selben Tag Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 90g Abs. 1, 90h Abs. 1 IRG gestellt.

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Staatsanwaltsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 27. September 2021 traf das Landgericht Frankfurt am Main – Strafvollstreckungskammer – nach Anhörung des Beschwerdeführers mit Datum vom 15. Dezember 2021 die Exequaturentscheidung. Der Ausspruch lautete dahin, dass die Freiheitsstrafe von elf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 29. April 2020, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, vollstreckbar ist. Zudem wurde bestimmt, dass Teile der Sanktion, die in Kroatien bereits vollstreckt worden sind, anrechenbar seien. Es wurde eine Bewährungszeit von zwei Jahren festgesetzt, innerhalb welcher der Beschwerdeführer 660 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des für die Überwachung der Bewährung zuständigen Gerichts abzuleisten habe. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist seit dem 30. Dezember 2021 rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Mai 2022 [Az. 5/26 KLs 5702 Js 230083/21 (3/22)] wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil gegen den in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main geständigen Angeklagten ist seit dem 8. Februar 2023 rechtskräftig.

Aufgrund dieser erneuten Verurteilung des Beschwerdeführers hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. Juni 2023 die mit der Exequaturentscheidung gewährte Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerrufen. Dabei stellte die Strafvollstreckungskammer – im Anschluss an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 2022 (Az. 2 Ws 57/22) – darauf ab, dass die Bewährungszeit – obschon die Exequaturentscheidung nach der Begehung der erneuten Tat ergangen ist – bereits mit der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Stadt1, also seit dem 16. Juli 2020, zu laufen begonnen habe und die Tatbegehung damit innerhalb der Bewährungszeit liege.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main am 16. Juni 2023 zugestellten Beschluss, richtet sich deren sofortige Beschwerde, die beim Landgericht Frankfurt am 19. Juni 2023 einging.

Zur Begründung führt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in der Beschwerdeschrift aus, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Überwachung der Bewährungszeit, jedoch nicht die Vollstreckung der Strafe aus dem kroatischen Urteil übernommen worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main folgt der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Ergebnis und beantragt, den angegriffenen Beschluss aufzuheben. Insofern führt die Generalstaatsanwaltschaft aus, dass die Exequaturentscheidung vom 15. Dezember 2021 inhaltlich zwar unzutreffend gewesen sei, der Beschluss aber in Rechtskraft erwachsen sei. Allerdings sei die Strafvollstreckungskammer, unabhängig davon, ob die Überwachung der alternativen Sanktionen oder fälschlich die Überwachung einer tatsächlich nicht verhängten Strafaussetzung zur Bewährung für vollstreckbar erklärt worden sei, jedenfalls nicht befugt gewesen, in eigener Zuständigkeit eine Widerrufsentscheidung zu treffen. Gemäß § 90k Abs. 1 IRG wäre nämlich allenfalls die Überwachung der vermeintlichen Bewährungsmaßnahme (oder alternativen Sanktion) übernommen worden, nicht aber eine Bewährungsstrafe als solche. Demgemäß obliege dem überwachenden Gericht nicht die Entscheidung über das Schicksal der Strafaussetzung zur Bewährung. Nach § 90k Abs. 3 Nr. 3 IRG habe das Gericht, wenn es im Rahmen der Überwachung selbst einen Grund zum Widerruf sieht, von der weiteren Überwachung abzusehen und gemäß § 90k Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 2 IRG den Urteilsstaat zu unterrichten.“

Und das Rechtsmittel hat beim OLG Erfolg. Das sagt:

Wurde eine bedingte Freiheitsstrafe im Rahmen einer rechtskräftigen Exequaturentscheidung für vollstreckbar erklärt, obschon eine solche nach dem ausländischen Urteil tatsächlich nicht verhängt worden war, kommt ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung jedenfalls dann nicht gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn der Verurteilte die neue Straftat vor der Exequaturentscheidung begangen hat.

StPO III: Zur Nachholung rechtlichen Gehörs, oder: Nochmalige Anhörung ggf. entbehrlich?

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Die dritte StPO-Entscheidung ist dann noch der KG, Beschl. v. 28.07.2023 – 3 Ws 35/23 – 121 AR 131/23 – zur Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO durch ggf. nochmalige Anhörung des Beschwerdeführers.

Dazu meint das KG:

Im Verfahren nach § 33a StPO scheidet ein Gehörsverstoß aus, wenn zwar keine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden ist, es aber ersichtlich ist, dass der Beteiligte die in Rede stehenden (entscheidungserheblichen) Tatsachen zur Kenntnis genommen und er sich bereits vor (erneuter) Beschlussfassung dazu umfassend geäußert hat.

StPO II: Wenn bloß auf ein Geständnis verwiesen wird, oder: Reicht auch im Berufungsverfahren nicht

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Und im zweiten Posting heute dann der BayObLG, Beschl.v. 02.08.2023 – 203 StRR 303/23.

In ihm nimmt das BayObObLG zum Umfang der Feststellungen im Berufungsurteil Stellung. Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen 18 Fällen des Betruges zu Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 15.- EUR verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG unter Verwerfung der Berufung im übrigen eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15.- EUR verhängt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die erfolgreich war:

„Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch einen vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil leidet an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln und unterliegt daher der vollumfänglichen Aufhebung.

1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erweist sich – was das Revisionsgericht von Amts wegen prüft (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 3) – als unwirksam. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg enthält unter Verstoß gegen die Regelung von § 267 Abs. 1 S. 1 StPO keine Feststellungen zum Sachverhalt. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts lässt sich ihm auch keine Bezugnahme auf den Anklagesatz (§ 267 Abs. 4 S. 1 HS 2 StPO) entnehmen. Eine ergänzende Auslegung des defizitären erstinstanzlichen Urteils in dem Sinne, dass das Amtsgericht wohl den angeklagten Sachverhalt für erwiesen erachtet hätte, kommt nach der Vorschrift von § 267 Abs. 1 S. 1 StPO nicht in Betracht. Eine Ergänzung der Urteilsgründe nach der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 267 Abs. 4 S. 4 StPO hat das Amtsgericht nicht vorgenommen. Da dem Urteil des Amtsgerichts eine geschlossene Sachverhaltsdarstellung ermangelt, ist die Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch als unwirksam anzusehen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 Ss 124/14 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 8. August 1984 – RReg 1 St 153/84 –, juris; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 318 Rn. 46).

2. Die für den Fall einer unwirksamen Beschränkung der Berufung hilfsweise getätigten Ausführungen des Landgerichts zum festgestellten Sachverhalt und zur Würdigung des Geständnisses des Angeklagten genügen ihrerseits nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen, die nach § 267 Abs. 1 i.V.m. § 328 Abs. 1 StPO an die Darlegung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen sind. Die Verurteilung des Angeklagten kann daher keinen Bestand haben.

a) Grundsätzlich ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler überprüfbar ist (BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris Rn. 11). Der bloße Verweis auf ein Geständnis kann eine Beweiswürdigung nicht ersetzen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 –, juris; BGH, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 StR 360/15-, juris Rn 3). Vielmehr bedarf es regelmäßig einer Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris Rn. 10) sowie eines Mindestmaßes an einer Darstellung der Erwägungen, weshalb der Einlassung zu folgen ist. Der Tatrichter ist nämlich auch im Falle eines geständigen Angeklagten gehalten, zu untersuchen, ob das Geständnis den Aufklärungsbedarf hinsichtlich der erforderlichen Feststellungen zur Tat erfüllt, ob es in sich stimmig ist und auch im Hinblick auf sonstige Beweisergebnisse keinen Glaubhaftigkeitsbedenken unterliegt und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 –, juris Rn. 7 m.w.N.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 261 Rn. 6a). Einlassungen mittels einer Verteidigererklärung ohne Möglichkeit kritischen Nachfragens besitzen einen erheblich verminderten Beweiswert (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 380/21 –, juris Rn. 10 m.w.N.).

b) Diese Grundsätze an die Darstellungserfordernisse gelten auch im Berufungsverfahren. Ist wie hier das Urteil des Amtsgerichts uneingeschränkt angefochten, hat das Berufungsgericht eigene Feststellungen zu treffen und diese in einer aus sich heraus verständlichen Weise in den Urteilsgründen darzustellen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 –, juris). Es hat selbstständig und in eigener Verantwortung auf Grund der vor ihm durchgeführten Beweisaufnahme über das angeklagte Geschehen nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung (§ 261 StPO) zu entscheiden (KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 327 Rn. 4). Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts darf es nicht einfach übernehmen, selbst wenn der Berufungsführer diese nicht angreift (OLG Hamm, Urteil vom 20. November 2007 – 1 Ss 66/07 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 1997 – 1 AR 518/954 Ws 76/97 –, juris Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 22. Oktober 1973 – RReg 2 St 135/73 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 327 Rn. 3). Im Urteil darf das Berufungsgericht auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils nur dann Bezug nehmen, wenn es nach eigener Prüfung zu demselben Ergebnis kommt (KK- Paul, a.a.O., § 267 Rn. 5 m.w.N.; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 267 Rn. 34). Es muss erkennbar sein, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht zu eigenen Feststellungen und zur eigenen Beweiswürdigung voll nachgekommen ist (OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 –, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Dezember 2002 – 1 Ss 501/02 –, juris Rn. 16 ff.).

c) Gemessen daran genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht, um eine Beweiswürdigung der Strafkammer nachvollziehbar zu machen. Sie können die Darstellung der objektiven und subjektiven Umstände der Taten nicht tragen, was allein auf die Sachrüge zu berücksichtigen ist (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 –, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 –, juris Rn. 6).

Im vorliegenden Fall beschränken sich die Feststellungen des Landgerichts auf eine Wiedergabe des in der Berufungsverhandlung verlesenen Anklagesatzes. Sie betreffen 18 Fälle von vollendeten Betrugstaten und 6 Fälle von versuchten Betrugsstraftaten, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung im November und Dezember 2021 mit unterschiedlichen Geschädigten und unterschiedlichen Schadensbeträgen. Die Strafkammer hat die Strafbarkeit des Angeklagten nach den Urteilsgründen ohne Vernehmung von Zeugen oder Verlesung von Urkunden allein auf das vom Verteidiger abgegebene Geständnis des Angeklagten gestützt und dazu ausgeführt, der Angeklagte habe durch seinen Verteidiger „diesen, dem Ersturteil zugrunde gelegten Sachverhalt, vollumfänglich eingeräumt“ (Urteil S. 4). Die Kammer habe sich die Überzeugung gebildet, dass die Tatvorwürfe zuträfen (Urteil S. 5). Ob der Verteidiger die Erklärung in der ersten oder in der zweiten Instanz abgegeben hat, ob das Geständnis in pauschaler Form oder auf die einzelnen Taten eingehend formuliert worden ist, ob sich der Angeklagte zu den einzelnen Taten auch selbst geäußert hat und welche Beweiserwägungen die Kammer im Zuge ihrer Überzeugungsbildung angestellt hat, erschließt sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen der Strafkammer zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zur Vorgeschichte der Taten nicht. Denn auch bezüglich der Feststellungen zu der Vorgeschichte der Taten, nämlich dass der Angeklagte nach dem Fehlschlagen einer legalen Geschäftsidee beschlossen hätte, mit einem mobilen Gerät vermeintlich vom berechtigten Zweckverband kommunale Verkehrsüberwachung stammende Verwarnungen zu erstellen und an falsch geparkten Fahrzeugen anzubringen (Urteil S. 5), hat die Berufungskammer lediglich bemerkt, diese würden auf „glaubhaften“ Angaben des Angeklagten beruhen (Urteil S. 6). Dass das Urteil des Amtsgerichts entgegen der Darstellung des Landgerichts keinerlei Feststellungen zu den Taten enthielt, hat der Senat bereits dargelegt.

Zu einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Begründung des Urteils hätte es insbesondere mit Blick auf die fehlenden Feststellungen das Amtsgerichts einer Erläuterung der geständigen Einlassung bedurft; denn ohne Kenntnis von Einzelheiten vermag das Revisionsgericht nicht zu erkennen, ob ein auf Betrugs- und Urkundendelikte bezogenes Geständnis auch sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser Straftatbestände erfasst (BGH, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 StR 360/15-, juris  Rn. 4). Der bloße Verweis auf ein Zugestehen der Vorwürfe des Anklagesatzes genügt den Anforderungen an eine Beweiswürdigung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris). Auch lassen  die Urteilsgründe hier nicht erkennen, dass die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten einer inhaltlichen Überprüfung unterzogen hätte.

Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass der Tatrichter nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO gehalten ist, in der Begründung des Urteils die von ihm als erwiesen erachteten Tatsachen eigenverantwortlich niederzulegen. In der Regel können eigene Feststellungen nicht durch Einrücken des Anklagesatzes ersetzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2010 – 3 StR 227/10 –, juris).