Archiv für den Monat: August 2023

Ich habe da mal eine Frage: Wie kann ich das „Deutschlandticket“ abrechnen?

Und dann zum Tagesschluss noch die Gebührenfrage, die heute wieder aus der Facebook-Gruppe „Verteidiger“2 stammt. Dort ist zur Diskussion gestellt worden:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe eine Frage zur Geltendmachung von Reisekosten bei Besitz des Deutschlandtickets.

Ich bin Pflichtverteidiger in einer Strafsache, zu der ich mit dem Zug anreise. Was kann ich da ggü dem Gericht abrechnen außer Abwesenheitsgeld?“

.

Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023

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Im Mittagsposting dann heute keine Entscheidung, sondern ein Blick in die Zukunft oder auch in die Glaskugel. Es geht nämlich um Änderungen im RVG, die sich – nun ja, noch nicht ankündigen, aber immerhin – abzeichnen. Ist ja schon mal schön, das zu hören bzw. zu lesen.

Ausgangspunkt der Berichterstattung ist ein sog. Eckpunktepapier mit dem Titel: Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung in der 20. Legislaturperiode – Eckpunktepapier von DAV und BRAK – Mai 2023. Ja, richtig gelesen. „Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung“. Es ist mal wieder so weit. Die letzten linearen und/oder strukturellen Änderungen im RVG datieren aus der 19. Legislaturperiode. Diese Änderungen durch das 2. KostRÄG 2021 sind am 1.1.2021 in Kraft getreten. Um weitere/neue Änderungen „anzustoßen“, haben nun also DAV und BRAK im Mai 2023 gemeinsam dieses. Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie ihre Änderungswünsche/ – vorschläge formuliert haben. Ich stelle diese hier heute vor. In dem Papier heißt es:

„Die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege gewährleistet den effektiven Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger und sichert dadurch die Errungenschaften des Rechtsstaats. Damit die Anwaltschaft ihrem Auftrag nachkommen kann, müssen die Rahmenbedingungen gewährleistet werden. Dazu gehört auch die zureichende Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit.

Deshalb setzt sich die Anwaltschaft für eine zeitnahe lineare Erhöhung der anwaltlichen Vergütung ein. Zudem bedarf es struktureller Änderungen und Ergänzungen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Vor diesem Hintergrund fordern BRAK und DAV:

I. Lineare Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung

Die Anwaltschaft ist auf eine zeitnahe lineare Erhöhung ihrer Vergütung dringend angewiesen. Die hohen und stetig wachsenden Kosten, eine Kanzlei zu unterhalten, sowie die nach wie vor steigende Inflation, die sich insbesondere auch in der hohen bestehenden Kerninflation bestätigt, machen eine rasche Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unumgänglich. Denn nur eine ausreichende Vergütung versetzt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dauerhaft in die Lage, den Zugang zum Recht in angemessener Weise zu garantieren. Darüber hinaus erfolgte durch die Erhöhung im Rahmen des KostRÄG 2021 keine vollständige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung seit dem 2. KostRMoG 2013. Auch diese Differenz gilt es aufzuholen.

II. Strukturelle Änderungen und Klarstellungen

1. Anpassung der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG

Die Terminsgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll dahingehend geändert werden, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei gerichtlichen Terminen (sowohl gerichtliche einschließlich der vor einem Güterichter als auch von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumte Termine) mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entsteht. Denn die im Jahr 2013 eingeführte Gebühr kommt in der Praxis aufgrund der hohen Hürde (Kombination aus besonders umfangreicher Beweisaufnahme und drei gerichtlichen Terminen) fast nie zur Anwendung. Rechtsanwälten entsteht allerdings bei mehreren Terminen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand.

2. Inkassodienstleistungen –Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG

Zum Schutz von Verbrauchern vor zu hohen Inkassokosten wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Inkassodienstleistungen zum 01.10.2021 bei der Geschäftsgebühr ein neuer Abs. 2 in Nr. 2300 VV RVG eingeführt. Bei unbestrittenen Forderungen gilt für Inkassodienstleistungen ein reduzierter Gebührenrahmen der Geschäftsgebühr. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass im Hinblick auf die Erweiterung zulässiger Inkassodienstleistungen auch bei der klassischen anwaltlichen Geltendmachung von Forderungen sowohl aus unerlaubter Handlung als auch gegenüber Unternehmern die Gebühren vom Erstattungspflichtigen gekürzt werden, z. B. in Verkehrsunfallsachen durch den Haftpflichtversicherer.

Entsprechend Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung soll daher durch eine Ergänzung von Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand nur bei Inkassodienstleistungen wegen vertraglicher Forderungen gegenüber Verbrauchern Anwendung findet.

3. Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Anwaltsrechnungen in § 10 RVG

In § 10 RVG soll das Schriftformerfordernis bei Rechtsanwaltsrechnungen durch die Textform ersetzt werden und zwar unabhängig von der Zustimmung des Mandanten. Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Die Textform entspricht sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung. Von entscheidender Bedeutung sind die Richtigkeit, Angemessenheit und Kenntnisnahme der Rechnung durch die Rechtsanwälte. Diesen Voraussetzungen tragen die berufsrechtlichen Grundpflichten nach §§ 43, 43a BRAO Rechnung. Ferner verlangt bereits jetzt § 3a RVG für Vergütungsvereinbarungen nur die Textform.

4. Einführung von Gebühren für das strafrechtliche Zwischenverfahren

Das Strafverfahren ist in drei Abschnitte (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) geteilt, in denen Rechtsanwälte tätig sind. Eine Vergütung ist jedoch nur für das Ermittlungs- und das Hauptverfahren vorgesehen. Die vergütungsrechtliche Regelung widerspricht damit der prozessrechtlichen Struktur des Strafverfahrens. Darüber hinaus besteht im Zwischenverfahren ein erheblicher Arbeitsaufwand für Rechtsanwälte. Dabei erhalten Beschuldigte und ihre Vertreter erstmalig Gelegenheit festzustellen und zu prüfen, welche konkreten Vorwürfe erhoben werden und welche Beweismittel zur Verfügung stehen. Erst in diesem Stadium besteht die Möglichkeit, zur Sach- und Rechtslage umfassend Stellung zu nehmen. Dem ist durch die Schaffung einer gesonderten Gebühr für das Zwischenverfahren Rechnung zu tragen.

5. Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistands

In § 48 RVG soll eine Vergütungsregelung für die Zeugenbeistandsleistung von Rechtsanwälten, die nach § 68b StPO beigeordnet sind, dahingehend normiert werden, dass sich die Beiordnung auf alle vorbereitenden und nachsorgenden Tätigkeiten erstreckt.

Der Zeugenbeistand wird durch den Zeugen für eine Vielzahl von Tätigkeiten beauftragt (u. a. Erstberatung, ggf. Akteneinsicht beim Opferzeugen, Vorbereitung des Termins, Begleitung im Termin, ggf. Vertretung bei Anträgen des Zeugen auf Schutzeinrichtungen). Die Beiordnung kann nach § 68b StPO durch Wortlautauslegung als Beistand nur für die Dauer der Vernehmung erfolgen. Danach hat der Zeugenbeistand gegenüber der Landeskasse nur einen Anspruch auf Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also nur auf einen geringen Bruchteil dessen, was der Auftraggeber schuldet. Dies ist unangemessen und benachteiligt insbesondere den Zeugen.

6. Anpassung der Grenze in § 49 RVG bei PKH/VKH und Anhebung der Kappungsgrenze

Die Grenze reduzierter PKH-Gebühren soll auf 5.000 Euro Gegenstandswert angehoben werden. In allen Kostengesetzen sowie im RVG wurden die Auffangwerte auf 5.000 Euro vereinheitlicht. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Bewertung besteht nicht.

Zudem soll die Kappungsgrenze in § 49 RVG zur Anpassung an die Inflationsentwicklung auf 100.000 Euro angehoben werden.

7. Anhebung der Gegenstandswerte in Kindschafts- sowie Gewaltschutz- und Abstammungssachen

Die Verfahrenswerte in isolierten Kindschaftssachen nach § 45 FamGKG (Höchstgrenze § 44 Abs. 2 FamGKG) sollen auf 5.000 Euro angehoben werden. Sachliche Gründe, die eine vom üblichen Auffangwert abweichende Bestimmung des Verfahrenswertes rechtfertigen, gibt es nicht. Darüber hinaus soll jedes Kind bei der Wertberechnung gesondert berücksichtigt werden. Jedes Kind ist ein Individuum und hat ein Recht auf eigenständige Berücksichtigung seiner subjektiven Interessen im gerichtlichen Verfahren. Diese können auch bei Geschwisterkindern erheblich voneinander abweichen. Für eine angemessene Wertbestimmung ist es daher erforderlich, dass jedes Kind isoliert als Subjekt angesehen und der Wert pro Kind in Ansatz gebracht wird.

Auch die Verfahrenswerte in Gewaltschutzsachen nach dem GewSchG sind mit nur 2.000 Euro bzw. 3.000 Euro bei Wohnungsüberlassung nach § 49 FamGKG sowie in Abstammungssachen mit 2.000 Euro nach § 47 FamGKG deutlich zu niedrig bemessen. Diese Werte wurden seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angehoben und sind entsprechend anzupassen.

8. Auslagentatbestände:

a) Änderung der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG

Nach der jetzigen Regelung werden nur Kopien, keine Scans vergütet. Eine Ungleichbehandlung von Kopien und Scans ist sachlich nicht gerechtfertigt, da der Personalaufwand identisch ist und höhere Kosten für leistungsfähige Geräte zur Erstellung von Scans anfallen. Ebenso besteht eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit den Steuerberatern, die nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 StBVV die Dokumentenpauschale nach wie vor für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, also auch Scans, und nicht nur für Kopien erhalten.

Daher soll Nr. 1 der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG klarstellend dahingehend ergänzt werden, dass auch das Einscannen von in Papierform vorliegenden Akten zur weiteren Bearbeitung als elektronische Akte von der Pauschale erfasst wird.

b) Erhöhung der Fahrtkostenpauschale nach Nr. 7003 VV RVG

Die Kilometerpauschale von 0,42 Euro ist aufgrund der enorm gestiegenen Kraftstoffpreise nicht mehr kostendeckend und soll auf mindestens 0,50 Euro angehoben werden. Im Jahr 2021 lag der durchschnittliche Kraftstoffpreis bei 152,2 Cent/Liter und im Jahr 2022 sogar bei 186,0 Cent/Liter; aktuell (April 2023) liegt er bei 180,5 Cent/Liter. Hinzukommen die gestiegenen tatsächlichen Autokosten.

9. Angelegenheitsbegriff, § 17 RVG

Der Wegfall von § 15 Abs. 2 S. 2 RVG a. F. durch das 2. KostRMoG im Jahr 2013 führte dazu, dass die Rechtsprechung teilweise verschiedene Verfahren als nur eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit annimmt. Eine Änderung der vorher geltenden Rechtslage war durch den Wegfall jedoch nicht beabsichtigt.

Durch eine entsprechende Ergänzung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 RVG soll klargestellt werden, dass jedes einzelne behördliche, verwaltungsrechtliche und gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind.

10. Fiktive Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG auch bei vorgeschriebener Erörterung

Durch eine Ergänzung der Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG um Erörterungstermine soll klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen ein Erörterungstermin vorgeschrieben ist, Anwendung findet. Aufgrund des derzeitigen Wortlauts, der nur mündliche Verhandlungen umfasst, verneint die Rechtsprechung teilweise die Möglichkeit des Anfalls einer fiktiven Terminsgebühr in Angelegenheiten, in denen eine Erörterung vom Gesetz vorgeschrieben ist. Eine unterschiedliche gebührenrechtliche Bewertung bei der Vermeidung von vorgeschriebener mündlicher Verhandlung und Erörterung ist jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen.2

Eine bunte Mischung. Insgesamt kann man die Vorschläge nur unterstützen. Dahin stehen soll an dieser Stelle auch, ob sich nicht weitere Änderungen/Ergänzungen empfehlen würden. Die würden aber sicherlich den Rahmen eines KostRÄG sprengen und eher für ein 3. KostRMoG sprechen. Aber auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen würde dem anwaltlichen Gebührenrecht gut tun. Man kann nur hoffen, dass sie kommen Und man kann nur hoffen, dass sie bald in Angriff genommen werden. Denn die laufende 20. Legislaturperiode endet im Herbst 2025. Viel Zeit für Änderungen im RVG ist also nicht mehr. Allerdings: Ich habe Zweifel, ob das alles kommt. Ich höre schon die Länderfinanzminster rufen: Wir haben kein Geld. Andererseits: In 2025 sind Wahlen. Da wird man sicherlich vorher auch die Rechtsanwälte „positiv stimmen wollen“.

Und: Einen Beitrag zu den Änderungen von mir gibt es inzwischen auch. Der ist in StRR 8/2023, 13 ff. veröffentlicht. Titel: Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder:
Eckpunktepapier von DAV/BRAK aus Mai 2023
. Er enthält eine erste, etwas konkrete Einschätzung der Vorschläge.

Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, oder: Warum können „Bezis“ eine h.M. nicht akzeptieren?

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Heute ist Freitag, also RVG-Tag. Und den beginne ich mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.06.2023 – 2 Ws 87/23. Das ist mal wieder eine Entscheidung, die ärgerlich macht. Nicht die Entscheidung, denn die ist richtig. Ärgerlich macht aber, dass es diese Entscheidung überhaupt gibt bzw. geben muss. Dazu dann unten, jetzt erst die Entscheidung.

Die hatte folgenden (einfachen) Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in der 1. Instanz beim LG. Er hat gegen das Urteil des LG Revision eingelegt, diese dann aber nach Zustellung der Urteilsgründe wieder zurückgenommen. Für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren hat er die Verfahrensgebühr Nrn. 4130, 4131 VV RVG geltend gemacht.

Das LG hat die Gebühr antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors, der die Auffassung vertreten hat, dass die den Revisionsrechtszug betreffende Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil die Einlegung der Revision durch die erstinstanzliche Verfahrensgebühr abgegolten werde und dies auch die Prüfung der Erfolgsaussichten und die Rechtsmittelrücknahme einschließe. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Der Senat teilt die vom Landgericht vertretene Auffassung, dass die anwaltliche Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision und die auftragsgemäße Erklärung der Rücknahme des Rechtsmittels die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130, 4131 VV RVG auch dann auslösen, wenn der Verteidiger wie hier bereits erstinstanzlich tätig war (ebenso KG, Beschl. v. 20. Januar 2009 – 1 Ws 382/08, zit. nach Juris; Toussaint/Felix, Kostenrecht, 53. Aufl. RVG VV Teil 4 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. VV 4130, 4131 Rdnr. 5-7; Schneider/Volpert/N. Schneider, RVG 9. Aufl. VV 4130-4131 Rdnr. 7; Bischof/Jungbauer/Kerber, RVG 9. Aufl. Nrn. 4106-4135 VV Rn. 93a; aA ohne nähere Begründung OLG Dresden, Beschl. v. 13. März 2014 – 2 Ws 113/14, zit. nach Juris, mit ablehnender Anm. Schneider AGS 2014, 221).

Dass die bloße Einlegung der Revision durch den bereits erstinstanzlich tätigen Verteidiger mit den hierfür in der ersten Instanz entstehenden Gebühren bereits abgegolten wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG) und eine Revisionsbegründung nicht erstellt wurde, schließt die Entstehung der Gebühr gemäß VV RVG 4130, 4131 hier nicht aus, denn diese Gebühr fällt nicht erst mit der Begründung der Revision an. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Gebühr „insbesondere“ die Fertigung der Revisionsbegründung als „Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit“ vergütet werden soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 226), steht dem nicht entgegen und besagt nicht, dass neben der Revisionseinlegung auch die nähere Prüfung der Erfolgsaussichten bereits durch erstinstanzliche Gebührentatbestände abgegolten ist. Die revisionsspezifische Prüfung der Erfolgsaussichten etwaiger Revisionsangriffe wegen einer Verletzung materiellen Rechts bzw. des Verfahrensrechts und deren Besprechung mit dem insoweit zu beratenden Angeklagten ist notwendige Voraussetzung für die Entscheidung über die Durchführung des Revisionsverfahrens sowie das Erstellen einer Revisionsbegründung und hängt hiermit unmittelbar und denklogisch zusammen. Es erschließt sich deshalb nicht, wieso nicht bereits die – unter Umständen einen ganz erheblichen Aufwand verursachende – anwaltliche Prüfung der konkret revisionsrechtlich eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren nicht auslösen soll, sondern erst ist die Fertigung der Rechtsmittelbegründung, zumal für diese Unterscheidung die geltende Gebührenregelung konkret nichts hergibt. Dies gilt umso mehr, wenn wie hier das ausgefertigte schriftliche Urteil bereits zugestellt worden ist und zur Prüfung der Erfolgssichten des Rechtsmittels vom Verteidiger durchgearbeitet werden muss. Bei dieser Sachlage ist es weder plausibel noch sachgerecht, hinsichtlich der Entstehung des Gebührentatbestandes allein auf die Fertigung einer Revisionsbegründung abzustellen, zumal diese im Einzelfall – zum Beispiel bei alleiniger, den Gebührentatbestand erfüllender Erhebung einer nicht näher ausgeführten Sachrüge (vgl. hierzu Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Rdnr. 7) – auch nicht zwingend einen gesonderten erheblichen Aufwand erfordern muss.

Wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, erfasst der Gebührentatbestand gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG alle nach Revisionseinlegung vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten, mithin auch die anwaltliche Prüfung und Beratung des Angeklagten über die konkreten Möglichkeiten und Erfolgsaussichten der Revision und die Frage, ob das Revisionsverfahren durchgeführt oder das Rechtsmittel zurückgenommen werden soll, wohingegen nur völlig überflüssige, bedeutungslose und ersichtlich allein zur Auslösung des Gebührentatbestandes veranlasste Prozesshandlungen und ein rein rechtsmissbräuchliches Verhalten ausscheiden und für die Erfüllung des Gebührentatbestandes nicht ausreichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. August 2006 – 2 Ws 134/06, zit. nach Juris mwN.); der insoweit mögliche Missbrauch von Rechtsmitteln, bei dem die anwaltliche Tätigkeit nicht vom Verteidigungswillen getragen wird, sondern allein dem Vergütungsinteresse dient, ist zwar insoweit nicht auszuschließen und mag im Einzelfall auch nur schwer nachweisbar sein, bietet jedoch nach dem geltenden Gebührenrecht allein keine geeignete Grundlage, den Vergütungsanspruch bei diesen Fallgestaltungen generell zu versagen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Januar 2009, aaO.).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht im Hinblick auf den Verfahrensgang mit Recht keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung gesehen und die geltenden Gebühren – auch der Höhe nach – zutreffend festgesetzt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken und so kommt es demnächst auch im AGS 🙂 :

1. Zunächst: Der Entscheidung ist nicht hinzuzufügen, außer, dass LG und OLG zutreffend entschieden haben. Die Entscheidung entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. dazu die vom OLG angeführten Literaturnachweise). Danach gilt: Die Einlegung der Revision gehört nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, noch zum gerichtlichen Verfahren dieses Rechtszuges (KG NStZ 2017, 305 = StraFo 2016, 513 = RVGreport 2017, 237; OLG Hamm, a.a.O.; LG Heidelberg, Beschl. v. 9.5.2023 – 12 Qs 16/23 [für die Berufung]; LG Osnabrück RVGreport 2019, 339; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 38 ff.). Jede danach für den Mandanten erbrachte Tätigkeit führt aber zur Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens, also im Berufungsverfahren zur Nr. 4124 VV RVG bzw. im Revisionsverfahren zur Nr. 4130 VV RVG (OLG Jena JurBüro 2006, 365 [für die Akteneinsicht]; LG Osnabrück, a.a.O. (für Revisionsrücknahme und Prüfung der Erfolgsaussichten]).

2. Man fragt sich unter Zugrundelegung dieses eindeutigen Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf das Rechtsmittel des Bezirksrevisors, was ein solches Rechtsmittel eigentlich soll? Warum kann nicht einfach auch ein Bezirksrevisor eine herrschende Meinung akzeptieren, auch wenn sie für die Staatskasse, die zahlen muss, nachteilig ist? Man würde damit nicht nur sich, sondern auch den Gerichten, die immer wieder dieselben Fragen entscheiden müssen, eine Menge Arbeit ersparen, die besser für andere Fragen/Entscheidungen aufgewendet werden könnte. Oder hat es damit zu tun, dass Bezirksrevisoren – den Eindruck habe ich, und nicht nur ich – offenbar nicht belehrbar und/oder auch nicht lernfähig sind oder sein wollen. Anders machen solche unsinnigen Rechtsmittel, wie hier eins vorgelegen hat, keinen Sinn. Das mag ggf. in „Rechtsmissbrauchsfällen“ anders sein. Aber dafür gibt es – so das OLG – „keine Anhaltspunkte“. Warum kann man dann nicht akzeptieren, dass man es hier dann doch wohl mit einem Verteidiger zu tun hatte, der richtig gehandelt und zunächst mal Rechtsmittel eingelegt hat, dann dessen Erfolgsaussichten anhand des begründeten Urteils prüft und dann das Rechtsmittel zurücknimmt und so dem Revisionsgericht Arbeit erspart? Dass ist doch genau das, was dem Verteidiger immer dann geraten wird, wenn es um die Rücknahme des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vor dessen Begründung geht. Wobei ich jetzt nicht nicht auch noch das „Fass nicht aufmachen“ will, ob in dem hier entschiedenen Fall ggf. nicht auch die Nr. 4141 VV RVG entstanden ist. Denn die hatte der Verteidiger noch nicht einmal geltend gemacht. Also kann man den Vorwurf der „Gebührenschinderei“ nicht machen.

Mich macht dieses Verhalten ärgerlich (s.o.).

OWi III: Kein Fahrverbot nach langem Zeitablauf, oder: Wenn man beim OLG die Akten nicht gelesen hat

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas vom OLG Frankfurt am Main. nämlich den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2023 – 3 Ss OWi 1316/22.

Vorab: Ergangen isz der Beschluss nach einem – vorsichtig ausgedrückt – ein wenig unüblichen Verfahrensverlauf, der der einsendende Kollege wie folgt schildert:

„Zum Hintergrund 2-3 Sätze.

Die GStA schloss sich in ihrer Stellungnahme dem Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag der Verteidigung an.

Das OLG FfM verwarf sodann die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Zur Begründung verwies es auf die überzeugenden Ausführungen der GStA in ihrer Stellungnahme (die aber eben die Aufhebung des Urteils beantragt hatte). Eine weitere Begründung gab es nicht.

Ich erhob sodann Gehörsrüge, mit dem Argument, dass die Entscheidung des OLG FfM und ihre Begründung widersprüchlich seien, da die GStA gerade nicht die Verwerfung der Rechtsbeschwerde beantragt hatte, sondern der Rechtsbeschwerde Erfolg attestierte.

Hierauf erging ein Berichtigungsbeschluss des OLG FfM. Die Rechtsbeschwerde „blieb“ als unbegründet verworfen. Der Hinweis auf die Stellungnahme der GStA wurde ersatzlos gestrichen und der Zurückweisungsbeschluss wurde dann (eben) überhaupt nicht begründet. Der Berichtigungsbeschluss wurde erlassen, da der ursprüngliche Beschluss unter einer offensichtlichen Unrichtigkeit litt, der jederzeit korrigiert werden könnte.

Ich erhob erneut Gehörsrüge, da nunmehr der Zurückweisungsbeschluss des OLG FfM gar keine Begründung mehr enthielt.

Das OLG FfM hat der Gehörsrüge dann stattgegeben und auf die Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil aufgehoben und zurückverwiesen.“

Kommentar: Da hatte wohl jemand die Akten nicht gelesen und ist nach dem Motteo verfahren: Das machen wir doch immer so. Das Verwerfen :-). Warum man dann aber nicht sofort die Kurve bekommt…… Denn:

Das OLG hat schließlich das AG-Urteil, das den Betroffenen wegen einer 2019 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 480,- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt hat, im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 30. Januar 2023 verworfen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs.

Der Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs ist begründet, da der Senat seine Entscheidung vom 30. Januar 2023 nicht begründet hatte, obwohl die Generalstaatsanwaltschaft auf die erhobene Sachrüge hin beantragt hatte, den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bad Hersfeld zu verweisen.

Der Senat hat daher in der Sache neu entschieden.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG), form- und fristgerecht eingelegte (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 StPO) und fristgerecht begründete (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat – wie aus dem Tenor ersichtlich —hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs einen vorläufigen Erfolg. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet……

3. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs deckt das Urteil auf die Sachrüge hin einen Rechtsfehler auf. Die Urteilsgründe leiden an einem Erörterungsmangel:

Das Amtsgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung in seinen Urteilsgründen nicht damit auseinandergesetzt, ob ein Fahrverbot trotz des Zeitablaufes zwischen Tatbegehung und Urteil von mehr als zwei Jahren noch seinen erzieherischen Zweck erfüllen kann. Auf diesen Erörterungsmangel beruht das Urteil.

a) Nach allgemeiner Auffassung kann grundsätzlich als gerechtfertigt angesehen werden, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn die Tat lange zurückliegt, die Verzögerung nicht dem Betroffenen anzulasten ist und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (siehe BayObLG Beschluss vom 09.10.2003 —1 ObOWi 270/03, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 16.07.2008 — 2 Ss OWi 835/08, juris Rn. 10 f.; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2004 – 211 Ss 145/04 (OWi), juris Rn. 18 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2005 —Ss (OWi) 32/05, juris Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2012 — III-3 RBs 364/11, juris Rn. 9; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.03.2014 — Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi), juris Rn. 17).

Grundlage dieser Argumentation ist, dass das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion hat und als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.1991 —4 StR 366/91, juris Rn. 30, BGHSt 38,125; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.12.2020 — 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20), deren Verhängung bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufes allein oder zusammen mit anderen Umständen nach der gebotenen Einzelfallprüfung als nicht mehr geboten angesehen werden könnte.

b) Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass die Tat am 21.10.2019 begangen wurde und das Urteil am 19.07.2022 ergangen ist; die Tat liegt somit deutlich mehr als zwei Jahre zurück. Den Urteilsgründen ist aber eine Prüfung, ob das Fahrverbot wegen dem Zeitablauf ganz zu entfallen hat, oder ob es lediglich zu mildern ist oder ob andere Umstände nach wie vor die Notwendigkeit der Verhängung eines Fahrverbotes erforderlichen machen, nicht zu entnehmen. Andere Umstände können auch darin zu sehen sein, dass ein Betroffener bzw. sein Verteidiger durch sein prozessuales Verhalten zu einem erheblichen Teil zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hat, indem er etwa mehrfach eine Verlegung des Hauptverhandlungstermins veranlasst oder Verfahrensakten nicht rechtzeitig zurückgibt und darin eine Verzögerungstaktik liegt. Denn in diesem Fall hat der Betroffene die lange Verfahrensdauer selbst zu vertreten und es ist ihm verwehrt, sich bei der Prüfung der Frage eines Absehens von der Verhängung eines Fahrverbotes auf den langen Zeitablauf zu berufen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-OWi 1030/14; OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 48/06-; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.; OLG Hamm NZV 2004, 600).

Der Erörterungsmangel zwingt zur Aufhebung des Fahrverbotes. Anders als in der aufgehobenen Entscheidung folgt der Senat nunmehr im Verfahren nach § 33a StPO der Auffassung des 2. Strafsenates, wonach es dem Rechtsbeschwerdegericht im Ordnungswidrigkeitsverfahren versagt ist, eigenständig die Ursachen für eine lange Verfahrensdauer festzustellen, sondern es der Darlegung in den Urteilsgründen bedarf (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-Owi 1030114). Da keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen worden sind, konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden.

c) Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der — vom Amtsgericht festgesetzten erhöhten – Geldbuße und dem Fahrverbot war das angefochtene Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.“

OWi II: Erhöhung der Geldbuße wegen Vorahndungen, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich, ja oder nein?

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Als zweiten Beschluss stelle ich dann den auch vom OLG Düsseldorf stammenden OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 3 ORBs 93/23 – vor. Der behandelt eine Verfahrensfrage in Zusammenhang mit der Erhöhung der Geldbuße wegen Vorahndungen.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen eines „handyverstoßes“ eine Geldbuße von 190,00 EUR anstelle der im Bußgeldbescheid festgesetzten 135,00 EUR festgesetzt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem er die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt. Der Zulassungsantrag hatte keinen Erfolg:

„Bei Geldbußen von – wie hier – mehr als 100,00 EUR, aber nicht mehr als 250,00 EUR bedarf die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 80 Abs. 1 OWiG der Zulassung. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nur dann in Betracht, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Die hier allein erhobene Verfahrensrüge, mit der die Versagung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) wegen eines fehlenden Hinweises des Gerichts, die Geldbuße zu erhöhen, geltend gemacht wird, dringt nicht durch.

Die Erhöhung der im Bußgeldbescheid ausgewiesenen Geldbuße durch das Gericht bedarf keines vorherigen gerichtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG, wenn das Gericht hinsichtlich der Rechtsfolgen keinen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, was vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Mit der Berücksichtigung von Vorahndungen — insbesondere einschlägiger Art — zu seinem Nachteil muss ein Betroffener rechnen. Hinzu kommt aber vor allem, dass bei der Bemessung der Regelsätze des Bußgeldkataloges gemäß § 3 Abs. 1 BKatV von fehlenden Eintragungen ausgegangen wird. Eine mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbare Überraschungsentscheidung liegt daher bei ordnungsgemäßer Einführung von Vorahndungen in der Hauptverhandlung nicht vor, weil der Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (vgl. BeckOK OWiG/Bär, 38. Ed., OWiG § 80 Rn. 30 m.w.N.). Zudem war gegen den Betroffenen bereits im Bußgeldbescheid nicht die Regelgeldbuße festgesetzt worden, sondern es war wegen der Voreintragungen des Betroffenen im Fahreignungsregister eine (moderate) Erhöhung der Regelgeldbuße von der Bußgeldbehörde vorgenommen worden. Der von § 265 Abs. 2 StPO verfolgte Zweck, den Betroffenen nicht mit neu hervortretenden Umständen zu überraschen, die er nicht dem Bußgeldbescheid entnehmen konnte, ist deshalb hier gegenstandslos (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. Dezember 1979, Az. 6 Ss Owi 1576/79 m.w.N.). Aufgrund der Voreintragungen musste der Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße rechnen.

Auch aufgrund der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht war das Gericht zu einem Hinweis auf seine Absicht, die Geldbuße zu erhöhen, nicht gehalten. Das Gesetz hat für den Fall, dass das Gericht durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung entscheidet, den Betroffenen mit dem Risiko einer gegenüber dem Bußgeldbescheid erhöhten Geldbuße belastet (§ 71 OWiG, § 411 Abs. 4 StPO). Es liegt in der Konsequenz dieser Regelung, die Entscheidung über eine Rücknahme des Einspruchs (§ 71 OWiG, § 411 Abs. 3 StPO) allein dem vorn Verlauf der Hauptverhandlung bestimmten Ermessen de3T9etroffenen bzw. seines Verteidigers zu überlassen (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).“

Nun ja, kann man auch anders sehen. Und ein „prozessual fürsorgliches“ AG wird im Übrigen den Hinweis auch erteilen, allein schon, um dem Betroffenen ggf. die Möglichkeit zu geben, seinen Einspruch zurück zu nehmen.