Archiv für den Monat: Juni 2023

Wochenspiegel für die 24. KW – wir blicken zurück in die KW. 24/2021 mit viel Corona und so….

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Ein bisschen Schwund ist immer 🙂 , also auch mal wieder im Wochenspiegel. Ich bin nämlich seit Mittwoch unterwegs und hatte die Beiträge der letzten Tage vorbereitet. Das geht ja, nur eben beim Wochenspiegel nicht, denn der soll ja aktuell sein.

Also muss mal wieder die Notlösung her, zu der ich schon ein paar Mal gegriffen habe, nämlich eine Rückschau-Wochenspiegel, und zwar heute Rückschau auf die KW. 24/2021, also zwei Jahre zurück. Ist ja auch mal interessant – hoffentlich.

Hier ist dann also der Wochenspiegel 24/2021 – das war:

„Und hier der Wochenspiegel für die 24. KW., eine Lockerungswoche – Hauptsache nicht zu viel lockern. An manchen Stellen m.E. schon.

Hinzuweisen ist auf folgende Beiträge aus anderen Blogs:

    1. VG Osnabrück: Landkreis darf auf Website nicht allein für LUCA-App werben sondern muss auch Mitbewerber berücksichtigen,
    2. Insolvenzantragspflicht in Zeiten der COVID-19-Pandemie,

    3. OLG Köln: Bei in Vor-Corona-Zeit gebuchten Hotelzimmern die pandemiebedingt storniert werden müssen kann hälftige Kostenteilung der Stornierungskosten gerechtfertigt sein,

    4. BGH verhandelt erstmals über Diesel-Klagen gegen Autohändler,
    5. Sind wir lästige Cookie-Banner bald los?,

    6. Steuer-CD aus Dubai – Neuer Wettlauf mit den Finanzbehörden,

    7. AG Heilbronn: Zurückverweisung an Behörde bei übergangenem Antrag auf gerichtliche Enscheidung,

    8. Urteile nach Randnummern zitieren – aber wie?,

    9. Artikel zu „Hüftspeckübergriff“ war anzeigepflichtige Nebentätigkeit,

    10. und aus meinem Blog: OWi II: Messung mit Dräger ALCOTEST 9510 DE, oder: Ein Lutschbonbon “Fisherman’s Friend” im Mund“

In der nächsten Woche dann wieder aktuell

Gefährdungshaftung bei „passiver“ Unfallbeteiligung?, oder: Zweitanstoß im Verlauf eines Schleudervorgangs

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Celle, Urt. v.  10.05.2023 – 14 U 56/21 – zur Gefährdungshaftung von „passiv“ unfallbeteiligten Fahrzeugen.

Der Kläger verlangt in dem Verfahren von der Beklagten die Feststellung der Haftung für einen Verkehrsunfall, der sich am 11.08.2018 auf einer BAB ereignet hate. Der Kläger, ein zum Unfallzeitpunkt gesunder zehnjähriger Junge, saß angeschnallt im Fahrzeug seiner Mutter, die als Halterin ihr Fahrzeug VW Golf  zum Unfallzeitpunkt steuerte, auf einem Kindersitz im linken Bereich der Fahrzeugrückbank. Vor dem klägerischen Fahrzeug fuhr der Beteiligte E. mit seinem Fahrzeug welches bei der Beklagten haftpflichtversichert ist. Beide Fahrzeuge befuhren die rechten Fahrspur und verlangsamten ihre Fahrt, als sich vor ihnen ein Stau aufbaute.

Von hinten kommend auf der Überholspur näherte sich das Fahrzeug Dodge Ram 1500 der Beteiligten B. . Die Beteiligte B., bei der nach dem Unfall eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt worden war (AAK von 1,1 Promille), wechselte aus ungeklärtem Grund von der Überholspur mit ca. 120 km/h nach rechts und prallte ungebremst auf das klägerische Fahrzeug. Durch die Wucht des Aufpralls wurde dieses in das vor ihm fahrende Fahrzeug des Beteiligten E. geschleudert. Das Beklagtenfahrzeug wurde seinerseits ebenfalls gegen das voranfahrende Fahrzeug der Beteiligten K. geschoben. Insgesamt waren vier Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt.

Durch den Unfall erlitt der Kläger schwere, lebensgefährliche Verletzungen.

Die klägerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und diejenige der Beteiligten B. erklärten eine gesamtschuldnerische Haftung für die Schäden des Klägers. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine gleichlautende Erklärung von der Beklagten, die dies ablehnt. Die Parteien streiten darum, ob der zweite Aufprall des klägerischen Fahrzeugs auf das Beklagtenfahrzeug zu weiteren Verletzungen beim Kläger geführt hat und ob somit auch die Beklagte für die Unfallfolgen des Klägers einstandspflichtig ist.

Das LG hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unfall sei für den Beteiligten E. ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG gewesen. Das Fahrzeug sei bei einer wertenden Betrachtung nicht gem. § 7 StVG „bei Betrieb“ gewesen. Allein die Tatsache, dass es ein Hindernis gebildet habe, reiche nicht aus, um eine Gefährdungshaftung anzunehmen. Weder seine Fahrweise noch sein Betriebsvorgang hätten das Unfallgeschehen geprägt.

Dagegen die Berufung des Klägers, die in der Sache überwiegend begründet war:

„Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung gem. § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben den im Antrag genannten Gesamtschuldnern für alle Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 11. August 2018 gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 421 BGB haftet.

a) Gem. 7 Abs. 1 StVG ist der Halter zum Schadensersatz verpflichtet, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch verletzt wird. Gem. § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

aa) Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Gem. 7 Abs. 2 StVG beruht auf höherer Gewalt ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht (vgl. Hentschel, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 32; Filthaut, Haftpflichtgesetz, 6. Aufl., § 1 Rn. 158; Steffen, DAR 1998, 135; jeweils mwN).

Zusammengefasst muss es sich um eine Einwirkung von außen handeln, die außergewöhnlich und nicht abwendbar ist. Alle drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn höhere Gewalt vorliegen soll (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 13, juris).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es fehlt bereits an einer von außen kommenden, mithin an einer betriebsfremden Einwirkung auf das Fahrzeug der Beklagten. Zwar kann eine solche Einwirkung grundsätzlich nicht nur in einem Naturereignis, sondern auch in einem menschlichen Verhalten bestehen. Hierunter fallen aber insbesondere vorsätzliche Eingriffe dritter Personen in den Verkehr, z. B. in Selbsttötungsabsicht, durch Sabotageakte oder durch absichtliches Stoßen eines Unbeteiligten vor ein Fahrzeug (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2005 – 14 U 231/04, Rn. 14f., juris).

Weder bei der Kollision zwischen der Beteiligten B. und dem klägerischen Fahrzeug noch bei der darauffolgenden Kollision zwischen dem Beklagten- und dem Klägerfahrzeug hat es sich um vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten gehandelt, der den Zurechnungszusammenhang zum Beklagtenfahrzeug unterbrechen könnte. Vielmehr hat sich ein typisches Risiko verwirklicht, das auf Autobahnen aufgrund der dort gefahrenen Geschwindigkeiten besteht.

Überdies stellt auch das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer keine höhere Gewalt dar. Auch grobe Regelverstöße sind bereits wegen ihrer Häufigkeit nicht geeignet, einen Haftungsausschluss zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1966 – VI ZR 280/64, Rn. 13, juris).

Auf die noch vom Landgericht thematisierte Frage, dass der Unfall vom Beteiligten E. nicht hätte verhindert werden können, kommt es nicht an, weil es bereits an den beiden ersten Begriffsmerkmalen der höheren Gewalt fehlt. Nach der Änderung des § 7 Abs. 2 StVG durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) begründet eine mögliche Unvermeidbarkeit des Unfalls für sich allein keinen Haftungsausschluss zugunsten des Fahrzeughalters mehr.

bb) Die Verletzungen des Klägers sind bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, Rn. 8; Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, juris) ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen (vgl. die ähnliche Auslegung der „Verwendung eines Fahrzeugs“ im EU-Recht, vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2019 – C-100/18, VersR 2019, 1008). Denn die Haftung nach 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Die Vorschrift will alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5; vom 21. Januar 2014 – VI ZR 253/13, Rn. 5; vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11, Rn. 17; Senat, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 150/19, Rn. 42, alle zitiert nach juris). Erforderlich ist aber, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Kraftfahrzeugs zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat (BGH, Urteil vom 21. September 2010 – VI ZR 263/09, Rn. 3, juris).

cc) Die Grenzen einer Haftung aus 7 StVG ergeben sich ebenfalls aus dem Schutzzweck der Vorschrift (BGHZ 79, 259, 263). Die Haftung wird nicht schon durch jede Verursachung eines Schadens begründet, der im weitesten Sinne im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ausgelöst worden ist. Eine Haftung tritt vielmehr erst dann ein, wenn das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann.

Gemessen daran befand sich das Fahrzeug des Beteiligten E. im Betrieb als es mit dem klägerischen Fahrzeug kollidierte. Es diente seiner Fortbewegungs- und Transportfunktion als Verkehrsmittel als sich der Unfall ereignete. Es hat insofern im Sinne einer Mitursächlichkeit durch seinen Betrieb („fahren“) zu dem Unfallgeschehen beigetragen. Im Sinne einer conditio sine qua non könnte das fahrende Beklagtenfahrzeugs auf der BAB 20 nicht weggedacht werden, ohne dass der Unfall passiert wäre.

Soweit die Beklagte meint, der Unfall habe nichts mit der spezifischen Gefährdung eines Fahrzeuges zu tun, weswegen es nicht mehr in den Bereich der Gefahren falle, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei, folgt der Senat dem nicht.

Die Gefährdungshaftung des § 7 StVG zielt gerade darauf ab, das Gefahrenpotential zu erfassen, das entsteht, wenn sich Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr bewegen. Geradezu typische risikoreiche Situationen entstehen auf Autobahnen, auf denen viele Verkehrsteilnehmer ihre Fahrzeuge mit hohen Geschwindigkeiten fahren. Entsteht sodann – wie hier – am Ende eines plötzlich aufgebauten Staus ein Auffahrunfall, hat sich genau das Risiko verwirklicht, für das § 7 StVG mit der Gefährdungshaftung erlassen wurde. Es geht bei § 7 StVG nicht um den Ausgleich von Verhaltensunrecht, sondern um eine erfolgsbezogene Haftung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 62/91, Rn. 10, juris; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 45. Aufl. 2019, § 7 StVG, Rn. 1 mwN).

Erst wenn sich in einem Schadensfall ein Risiko verwirklicht, das aus einem eigenständigen Gefahrenkreis stammt, wird dieser nicht mehr vom Schutzzweck der Norm des § 7 StVG erfasst. Der Bundesgerichtshof geht dabei von einer weiten wertenden Betrachtung aus, die typische Gefahrenquellen des Straßenverkehrs erfassen soll (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19; Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 87/22, beide juris, zur Anhängerhaftung).

(a) Ein eigenständiger neuer Gefahrenkreis, der geeignet gewesen wäre, die Gefährdungshaftung entfallen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1991 – VI ZR 6/91, juris [Schweinemast]; Senat, Urteil vom 18. November 2020 – 14 U 84/20, nachgehend BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2021 – VI ZR 1339/20, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen [Laternenmast]) oder eine Selbstgefährdung (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1990 – VI ZR 33/90, juris, Herausforderungsfall), liegen nicht vor, wie ausgeführt.

(b) Soweit die Beklagte meint, der vorliegende Unfall sei mit der Konstellation eines sog. berührungslosen Unfalls vergleichbar, folgt der Senat dem ebenfalls nicht.

Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis ist, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (vgl. st. Rspr. BGH, Urteil vom 22. November 2016 – VI ZR 533/15, Rn. 14 mwN, juris).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Beklagtenfahrzeug war unmittelbar an einem Unfall beteiligt, es handelte sich nicht um einen berührungslosen Unfall oder eine vergleichbare Konstellation. Das Risiko der Gefahrenquelle hat sich – im Gegenteil – realisiert.

dd) Der Unfall stand ferner in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (BGH, Urteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, Rn. 5 mwN, juris). Auch dies war der Fall (s.o.).

ee) Die Verletzungen des Klägers sind kausal auf das Unfallereignis mit dem Beklagtenfahrzeug zurückzuführen…..“

Zur Haftungsverteilung nach einem Rotlichtverstoß, oder: Betriebsgefahr tritt zurück

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Im „Kessel Buntes“ heute seit längerem mal wieder zwei Entscheidungen zur Haftung bei/nach Verkehrsunfällen.

Zunächst stelle ich das OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.04.2023 – 3 U 11/23 – vor. Der Kläger macht in dem Verfahren gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 6.11.2019 in Saarbrücken ereignet hat. Der Kläger befuhr mit seinem eine Straße, auf der baustellenbedingt die rechte der beiden Fahrspuren gesperrt und eine Behelfsampel eingerichtet war, die der Kläger bei Rotlicht überfuhr. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Pkw der (Erstbeklagte), als diese bei für sie angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt eines Parkhauses auf die Straße einfuhr.

Das LG ist von einer Haftung der Klägers zu 75 % ausgegangen. Dagegen richten sich die Berufungen der Parteien. Die der Beklagten hatte Erfolg:

„2. Die hiernach gebotene Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2022 – VI ZR 344/21 –, Rn. 11, juris). Anders als das Landgericht angenommen hat, hat der Kläger danach für die Unfallfolgen alleine einzustehen.

a) Ohne Erfolg wendet sich die Zweitberufung dagegen, dass das Landgericht auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 8 Abs.2 StVO i.V.m. 37 Abs. 1 StVO berücksichtigt hat.

Soweit der Kläger geltend macht, sein Rotlichtverstoß sei nicht kausal für den Unfall geworden, da die Ampel auch der Einfahrt in das Parkhaus diene und die Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren Schutzbereich des Rotlichts unterfalle, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar regelt jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung oder Einmündung, an der sie angebracht ist (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl. 2023, § 37 Rn. 8 m.w.N.); die Entscheidung über den durch das Rotlicht geschützten Bereich ist aber stets einzelfallabhängig anhand der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu treffen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 7. November 2002 – Ss (OWi) 508/02 –, Rn. 8, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 19; NK-GVR/Felix Koehl, 3. Aufl. 2021, StVO § 37 Rn. 13). Danach war hier zweifelsfrei auch die Parkhausausfahrt durch das Rotlicht geschützt. Denn die Behelfsampel ersetzte während der Bauarbeiten die ansonsten an der Unfallstelle vorhandene Lichtzeichenanlage und erfüllte – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt – deren Funktionen. Die üblicherweise vorhandene Lichtzeichenanlage – die sich, anders als die Zweitberufung meint, in Bezug auf die Behelfsampel nicht 14 Meter weiter entfernt, sondern näher an der Parkhausausfahrt befindet – regelt den jeweiligen Vorrang zwischen dem Verkehr auf der Kaiserstraße einschließlich der dort verkehrenden Saarbahn sowie den aus dem Parkhaus auf die Kaiserstraße einfahrenden Verkehrsteilnehmern und dient daher gerade dem Schutz des aus der Parkhausausfahrt auf die Kaiserstraße einmündenden Verkehrs. Dass es nach den Feststellungen des Sachverständigen M. erst rund 31 Meter hinter der Behelfsampel zur Kollision kam, stellt die Unfallursächlichkeit des Rotlichtverstoßes des Klägers damit nicht infrage, weil diese sich im insofern maßgeblichen, unmittelbaren Einmündungsbereich der Parkhausausfahrt ereignet hat.

b) Das Landgericht hat auf Klägerseite ferner einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO in die Abwägung mit einbezogen, da der Kläger auf das herannahende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert hatte, obschon sich dieses bereits ab der Ausfahrt aus dem Parkhaus in seinem Blickfeld befand und er mit dessen Einfahren auf die Kaiserstraße rechnen musste. Auch dies begegnet keinen Bedenken und wird von der Zweitberufung nicht angegriffen.

c) Auf Beklagtenseite ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Sorgfaltspflichten der Erstbeklagten nicht nach § 10 StVO richteten. Denn das Grünlicht der für die Erstbeklagte geltenden Lichtzeichenanlage gemäß § 37 Satz 1 StVO geht den Vorrangregeln des § 10 Satz 1 StVO vor (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO § 37 Rn. 5). Gleiches gilt in Bezug auf das an der Ausfahrt vor dem Übergang zu den Saarbahngleisen angebrachten, den Vorrang regelnden Verkehrszeichen 205 („Vorfahrt gewähren“).

d) Die Erstbeklagte brauchte bei für sie angezeigtem Grünlicht grundsätzlich auch nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in den Einmündungs-/Kreuzungsbereich einfährt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 98/91 –, Rn. 13, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2018 – 1 U 112/17 –, Rn. 51, juris). Da auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die aus Sicht der Erstbeklagten Vorsicht geboten, spricht manches dafür, dass die Erstbeklagte – anders als dies das Landgericht angenommen hat – trotz der baustellenbedingten Verlagerung der Lichtzeichenanlage nicht gehalten war, sich gleichwohl nach von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern zu vergewissern.

Letztlich kann dies dahinstehen. Denn ein etwaiges Mitverschulden der Erstbeklagten wöge gering und träte vollständig hinter das vergleichsweise schwere Verschulden des Klägers zurück. Bereits das Nichtbeachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage ist wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahrlässig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 452/13 –, Rn. 18, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 74). So liegt es auch hier. Soweit der Kläger geltend macht, die rote Ampel sei baustellenbedingt nur schwer erkennbar gewesen, vermag der Senat dem in Ansehung der Aussage des Zeugen G. nicht beizutreten. Dieser hatte in seiner Vernehmung geäußert, er sei verwundert darüber gewesen, dass der Kläger die rote Ampel übersehen konnte. Auch das von dem Kläger eingereichte Lichtbild (Bl. 39 GA) zeigt nicht auf, dass die Ampel für einen Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar gewesen wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass das nebenliegende Gebäude großflächig mit einem roten Schutznetz abgedeckt war. Der Blick auf die gesondert aufgestellte Ampel war damit gerade nicht beeinträchtigt.

Hinzu tritt hier ferner, dass der Kläger im weiteren Verlauf auf das einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagierte, obschon sich der Einfahrvorgang der Erstbeklagten in seinem frontalen Gesichtsfeld abspielte, und – wie das Sachverständigengutachten ergeben hat – in das seitlich vor ihm befindliche Fahrzeug hineinfuhr. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Alleinhaftung des Klägers angemessen.“

Ich habe da mal eine Frage: Vorzeitige Tilgung einer Eintragung, Teil 4 oder Teil 3 VV?

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Und dann noch die Gebührenfrage, mal wieder aus einer der FB-Gruppen, denen ich angehöre:

„…..

Handelt es sich bei einem Mandat um vorzeitige Tilgung einer Eintragung gemäß § 49 BZRG um eine sonstige Strafvollstreckungsangelegenheit oder um ein verwaltungsrechtliches Mandat, das nach dem 3. Abschnitt abzurechnen ist?

Falls, was mir plausibel vorkäme, letzteres der Fall ist, kann mir jemand mit einem Gegenstandswert aushelfen oder ist der Auffangwert von 5.000 EUR in Ansatz zu bringen?“

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung, oder: Klare Worte zum „Regel-Ausnahme-Verhältnis

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Die zweite Entscheidung, der LG Trier, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 Qs 24/23, behandelt auch die Frage der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird. Auch hier klare Worte zum Regel-Ausnahme-Verhältnis – wie im AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23:

„Sie ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu Unrecht nicht der Staatskasse auferlegt.

Nach dem Grundsatz des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.

Als Ausnahme hiervon kann das Gericht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei Hinwegdenken dieses Verfahrenshindernisses – hier der eingetretenen Verfolgungsverjährung – muss feststehen, dass es mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH, NStZ 1995. 406, 407). Als Ausnahmevorschrift ist diese eng auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.11.2014 – 2 Ss 142/14, BeckRS 2015, 337 Rn. 4 m.w.N.).

Eine solche Schuldspruchreife kann nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Betroffenen eintreten (BGH. NJW 1992, 1612, 1613; dem folgend Niesler, in: BeckOK StPO. 45. Edition, Stand: 01.10.2022, StPO § 467 Rn. 11; siehe auch BGH. Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07, Rn. 17 – juris).

Selbst wenn man der Gegenansicht folgt, wonach von der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgesehen werden kann. wenn nämlich ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (so etwa BGH. NStZ 2000, 330, 331; siehe auch die insoweit kritische Anmerkung von Hilger, a.a.O.), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn es begründet insofern durchgreifende Bedenken, dass die Verteidigung des Betroffenen insofern beeinträchtigt war, als ihm die Bußgeldstelle – entgegen der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG – die Baumusterprüfbescheinigung des verwendeten Messgeräts und die verkehrsrechtliche Anordnung der maßgeblichen Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zur Verfügung gestellt hat.

Nach diesen Erwägungen war die Verurteilung des Betroffenen – auch wenn keine Verfolgungsverjährung eingetreten wäre – nicht derart sicher gewesen, dass von der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen gewesen wäre, zumal die unterlassene Überlassung bestimmter Unterlagen an die Verteidigung auch bei Ausübung des von dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens zu würdigen ist. Vielmehr hatte es bei dem Grundsatz der Tragung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse zu bleiben.“