Archiv für den Monat: Februar 2023

OWi III: Verwerfung nach Terminsverlegungsantrag, oder: Anforderungen an das Verwerfungsurteil

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Und im letzten Posting zu den OWi-Entscheidungen dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich noch einmal etwas zu den Urteilsgründen eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 201 ObOWi 1555/22. Das ist ja eine Stelle, an der immer wieder Fehler gemacht werden.

So war es auch hier, was zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung geführt hat:

„Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.“

OWi II: Hier dann vier OLG-Beschlüsse zum Fahrverbot, oder: Zeitablauf, Gründe, Begründungstiefe

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Im zweiten Posting des Tages kommen dann hier einige Entscheidungen zum Fahrverbot, also § 25 StVG, aber nur die Leitsätze. Die Beschlüsse enthalten nichts weltbewegend Neues, sondern schreiben nur die bisherigen Rechtsprechung fort. Der u.a. Beschluss des BayObLG nimmt darüber hinaus noch zu zwei weiteren Fragen Stellung.

Hier sind dann:

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist.

Ein Absehen von einem Fahrverbot nach § 25 StVG kommt auch dann in Betracht kommt, wenn dessen Verhängung aufgrund Zeitablaufs nicht mehr geboten erscheint, weil dessen Erziehungsfunktion die warnende Wirkung des Fahrverbots nicht mehr erfordert. Voraussetzung hierfür ist, dass die zu ahndende Tat lange (in der Regel mehr als zwei Jahre) zurückliegt, dass die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat.

1. Für die Verhängung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Verstoßes gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StVG ist eine hinreichend aussagekräftige Darstellung der Vorahndungslage unerlässlich.
2. Zulässiges Verteidigungsverhalten eines Betroffenen, wie etwa das Bestreiten des Tatvor-wurfs, darf bei der Bemessung der Rechtsfolgen nicht zu seinem Nachteil gewertet werden.
3. Einem Betroffenen, der den Tatvorwurf bestreitet, darf bei der Bemessung der Bußgeldhöhe eine „uneinsichtige Haltung“ nicht angelastet werden.

 

Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, d. h. das Verfahren ohne zwingenden Grund für eine nicht unerhebliche Dauer zum Stillstand gekommen ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Insoweit verbietet sich eine an feste Zeitgrenzen gebundene generelle Bewertung der bloßen zeitlichen Abläufe. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten für die Erstellung der Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft zur Rechtsbeschwerdebegründung des Verteidigers ist im Hinblick auf eine 82 Seiten lange Rechtsbeschwerdebegründung mit erheblicher Begründungstiefe nicht zu beanstanden. (Kompensation verneint).

Die letzte Entscheidung erstaunt. Das OLG Stuttgart behauptet ernsthaft, dass eine Bearbeitungszeit für eine Rechtsbeschwerde von neun Monaten „unter den gegebenen Umständen — auch im Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen und die gebotene Würdigung der ihrerseits umfangreichen Ausführungen im amtsrichterlichen Urteil — ordnungsgemäß“ ist. Gut. Man kennt die „umfangreichen Ausführungen“ des AG nicht, die Rechtsbeschwerdebegründung war allerdings 82 Seiten lang, woran die GStA sicherlich zu „knacken“ hatte. Aber: So „begründungstief“, wie das OLG behauptet, kann das aber dann doch nicht gewesen sein, wenn das OLG auf die 82 Seiten kein Wort verschwendet, sondern nach § 349 Abs. 2 StPO verwirft.

Nur zur Klarstellung: Damit zweifele ich nicht die Qualität der Rechtsbeschwerdebegründung des Kollegen Gratz an, der mir den OLG-Beschluss geschickt hat, sondern die „Begründungstiefe“ des OLG Beschlusses, die an der Stelle m.E. nicht „passt“.

OWi I: Verwenden einer sog. Handy-Blitzer-App, oder: App auf dem Handy des Beifahrers

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Heute stelle ich dann mal wieder einige OWi-Entscheidungen vor.

Ich starte mit dem „Blitzer-App-Beschluss“ des OLG Karlsruhe, also dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.02.2023 – 2 ORbs 35 Ss 9/23.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Mit-Sich-Führens eines betriebsbereiten technischen Geräts, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen – also Verstoß gegen § 23 Abs. 1c StVO – verurteilt. Nach den Feststellungen des AG fuhr der Betroffene im Stadtgebiet von A. einen PKW mit teilweise deutlich überhöhter Geschwindigkeit und unterließ mehrfach den gebotenen Einsatz des Fahrtrichtungsanzeigers. Dabei wusste er, dass auf dem in der Mittelkonsole abgelegten Mobiltelefon seiner Beifahrerin die App „Blitzer.de“ geöffnet war. Die Überzeugung zur vom Betroffenen bestrittenen subjektiven Tatseite hat das Amtsgericht auf eine Bekundung des den Betroffenen kontrollierenden Polizeibeamten gestützt, wonach der Betroffene nach dem Anhalten bewusst das Mobiltelefon zur Seite geschoben habe, und dies außerdem in Beziehung zu dem vorherigen Fahrverhalten des Betroffenen gesetzt.

Das OLG geht von eienm Verstoß gegen § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO aus:

„2. Die getroffenen Feststellungen tragen allerdings nicht eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1c Satz 1 und 2 StVO.

In der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist dazu zutreffend ausgeführt:

„Bei dem vom Betroffenen verwendeten Geräte, einem Smartphone, auf dem die App „Blitzer.de“ aktiviert war (UA Seite 3, AS 141), handelt es sich jedoch nicht um ein Gerät, dass dazu bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen. Es handelt sich vielmehr um ein Gerät, dass neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden kann. Daher unterfällt das Smartphone mit der aktivierten App „Blitzer.de“ nicht § 23 Abs. 1c Satz 1-2 StVO, sondern § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. [2021], § 23 StVO Rn. 36). Diese Differenzierung, die erst mit der Änderung von § 23 Abs. 1c StVO durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl. I S. 814) entstand, lag dem „alten“ § 23 Abs. 1b StVO noch nicht zugrunde, weshalb die bisherigen Entscheidungen zu § 23 Abs. 1b StVO a. F. diese Differenzierung noch nicht treffen (vgl. OLG Celle NJW 2015, 3733; OLG Rostock BeckRS 2017, 103960).“

3. Der Senat schließt sich jedoch der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vorgenommenen Bewertung an, dass das im angefochtenen Urteil festgestellte Verhalten einen (vorsätzlichen) Verstoß gegen § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO belegt.

a) Ein solcher Verstoß setzt entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung nicht voraus, dass die Funktion zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen vom Fahrzeugführer selbst aktiviert worden ist.

aa) Die Einführung des § 23 Abs. 1 c Satz 3 StVO wurde durch eine Initiative der Bundesministerien für Verkehr und digitale Infrastruktur, für Wirtschaft und Energie und für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit angestoßen, die ursprünglich nur vorsah, die Regelung in § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO dahin zu ergänzen, dass das verwendete technische Gerät zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmt ist oder – so der Ergänzungsvorschlag – „verwendet werden kann“. Damit sollte klargestellt werden, dass von der Regelung auch Navigationsgeräte oder Mobiltelefone mit sogenannten Blitzer-Apps erfasst sind (BR-Drs. 591/19 S. 5 und 79 f.).

Die dann beschlossene Änderung durch Einführung des § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO wurde damit begründet, dass mit dem ursprünglichen Vorschlag auch Geräte erfasst gewesen wären, auf denen die entsprechenden Funktionen deaktiviert sind. Der Bundesrat hat in der Begründung zu diesem Änderungsvorschlag abschließend ausgeführt: „Es wird daher vorgeschlagen, das vorgesehene Verbot auf die Nutzung [Hervorhebung durch den Senat] der entsprechenden Gerätefunktionen (zum Beispiel entsprechende Smartphone-Applikationen) zu begrenzen“ [BR-Drs. 591/19 (Beschluss) S. 6].

bb) Unter Berücksichtigung dieser Entstehungsgeschichte steht deshalb außer Zweifel, dass die Tathandlung des „Verwendens“ in § 23 Abs. 1 c Satz 3 StVO kein eigenes aktives Tätigwerden des Fahrzeugführers im Umgang mit dem technischen Gerät bzw. der darin enthaltenen verbotenen Funktion voraussetzt, sondern vielmehr jedes Handeln genügt, mit dem dieser sich die verbotene Funktion zunutze macht. Erfasst wird deshalb auch die Nutzung der auf dem Mobiltelefon eines anderen Fahrzeuginsassen installierten und aktivierten Funktion (ebenso König a.a.O., § 23 StVO Rn. 36; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 23 StVO Rn. 22h), wie sie sich aus den vorliegend getroffenen Feststellungen ergibt.

b) §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 Abs. 1 StPO stehen einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Betroffene sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.“

Lösung zu: Erhalten beide Verteidiger die Verfahrensgebühr für die Revisionsbegründung?

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Und dann noch die Lösung des Rätsels vom vergangenen Freitag. Das war, wie mir die Antworten zeigen, nicht wirklich ein Rätsel. Ich hatte gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Erhalten beide Verteidiger die Verfahrensgebühr für die Revisionsbegründung?

Und meine Antwort hatte gelautet:

„Moin,

warum soll er die denn nicht verdienen? Es ist doch nicht „die Revision des X“, sondern die des Angeklagten, die von seinen beiden Pflichtverteidigern begründet wird mit der Folge, dass beide die Nr. 4130 VV RVG verdienen und geltend machen können. Es habe beide einen eigenständigen Anspruch auf gesetzliche Gebühren.

Manche Überlegungen kann ich nicht verstehen.“

Klick auf Bestellbutton „Bußgeld jetzt abwehren“, oder: Anwaltsvertrag zustandegekommen?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, ist das AG Düsseldorf, Urt. v. 10.01.2023 – 37 C 124/22. Es geht in dem Urteil um die Frage, ob zwischen dem klagenden Rechtsanwalt und dem beklagten Mandanten ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist.

Der Kläger, der Rechtsanwalt geht davon aus. Der Beklagte habe am 11.08.2019 einen Rechtsanwaltsvertrag hinsichtlich der Überprüfung des Vorgehens gegen einen Bußgeldbescheid geschlossen, indem er in einer Email des Klägers auf die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren“ geklickt habe.

Das AG hat das anders gesehen und die Klage abgewiesen:

„Die Klage ist unbegründet.

1. Der Kläger hat im Rahmen des Klageantrags keinen Anspruch gegen den Beklagten gem. §§ 611 Abs. 1, 675 BGB auf Zahlung von 150,00 €.

a) Zwischen den Parteien ist gem. § 312j Abs. 4 BGB kein Anwaltsvertrag zustande gekommen, indem der Beklagte am 11.08.2019 um 01:17 Uhr die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren!“ aus der E-Mail des Klägers vom 10.08.2019 um 12:51 (Anlage K7) anklickte, da der Kläger mit der Beschriftung der Schaltfläche gegen seine Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB verstoßen hat.

Ein Anwaltsvertrag ist als Geschäftsbesorgungsvertrag zu typisieren (vgl. Beck’sches Rechtsanwals-Handbuch/Hamm § 53 Rn. 1; Grüneberg/Sprau BGB § 675 Rn. 23; Jauering/Mansel BGB § 675 Rn. 12), bei dem sich der Anwalt zur Erbringung von anwaltstypischen Leistungen verpflichtet. Der Anwaltsvertrag kommt nach den allgemeinen Vorschriften, Antrag und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande. Im elektronischen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmer und Verbrauchern kommt ein Vertrag zudem nur zustande, sofern die Verbraucherschutzvorschriften der §§ 312i f. BGB eingehalten werden.

Gem. § 312j Abs. 3 BGB hat der Unternehmer bei einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr die Bestellsituation so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist.

Dieser Pflicht ist der Kläger nicht nachgekommen.

aa) § 312j BGB ist auf Anwaltsverträge anwendbar (BGH NJW 2021, 304). Der in Rede stehende Anwaltsvertrag ist ein Verbrauchervertrag.

Die Norm setzt einen Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr voraus (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 21; BeckOK BGB/Maume BGB § 312j Rn. 10). Verbraucherverträge sind Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, § 310 Abs. 3 BGB (BeckOK BGB/Martens BGB § 312 Rn. 8).

Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt, § 14 Abs. 1 BGB. Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, § 13 BGB.

Der Kläger handelte als Unternehmer, da er im Rahmen der Bestellsituation als Rechtsanwalt auftrat (Jauernig/Mansel BGB § 14 Rn. 2). Der Beklagte ist Verbraucher, da er bei der Einholung von Informationen über die Bußgeldhöhe nicht gewerblich tätig war und dies auch nicht zu seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit gehörte.

bb) Der in Rede stehende Vertragsabschluss fand im elektronischen Geschäftsverkehr statt.

Ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr liegt vor, wenn sich der Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, § 312i Abs. 1 BGB. Der Begriff Telemedien ist weit auszulegen und umfasst alle Informations- und Kommunikationsdienste, die nicht Telekommunikation im engeren Sinne oder Rundfunk sind, also jeden Online-Auftritt. Telemedien sind damit typischerweise Onlinedienste, wie Internetsuchmaschinen, Websites privater und gewerblicher Anbieter, Online-Shops oder Online-Auktionshäuser (vgl. BeckOK BGB/Maume BGB § 312i Rn. 13).

Das ist hier der Fall. Der Informations- und Kommunikationsaustausch zwischen den Parteien erfolgte über die gewerbliche Website „www….“ des Klägers.

cc) Bei dem Bestellbutton mit der Beschriftung „Bußgeld jetzt abwehren!“ handelt es sich um eine Schaltfläche im Sinne des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB.

Der Begriff der Schaltfläche ist weit zu verstehen. Eine Schaltfläche ist jedes grafische Bedienelement, das dem Anwender erlaubt, eine Aktion in Gang zu setzen oder dem System eine Rückmeldung zu geben (MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn.25). Das ist hier der Fall. Der Button in der E-Mail des Klägers vom 10.08.2019 um 12:51 ist durch Absätze von dem vor- und nachstehenden Text abgesetzt. Grafisch ist der Text mit grüner Farbe in einem rechteckigen Kästchen hinterlegt (vgl. Anlage K7). Mit dem Betätigen der Schaltfläche konnte der Beklagte dem Softwaresystem des Klägers eine Rückmeldung geben (vgl. Anlage K8).

dd) Der Kläger hat die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren!“ in seiner E-Mail vom 10.08.2019 um 12:51 Uhr nicht mit Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“, oder mit einer entsprechenden gleichwertigen Formulierung beschriftet.

Die Formulierung stellt keine entsprechende eindeutige Formulierung im Sinne des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB dar. Eine gleichwertige Formulierung liegt vor, wenn die vertragliche Bindung und die Zahlungspflicht vermittelt werden (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 27). Die Schaltfläche ist so zu beschriften, dass der Verbraucher im Zeitpunkt der Abgabe seiner vertragsrelevanten Erklärung eindeutig und unmissverständlich darüber informiert wird, dass seine Bestellung eine finanzielle Verpflichtung auslöst. Sie muss in ihrer Eindeutigkeit der Aussage der Formulierung „zahlungspflichtig bestellen“ mindestens ebenbürtig sein (vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 17/7745, 11 f.; BeckOK BGB/Maume BGB § 312j Rn. 26). Die Beschriftung der Schaltfläche mit der Formulierung „Bußgeld jetzt abwehren!“ (vgl. Anlage K7) erfüllt diese Anforderungen nicht. Mit dieser Bezeichnung wird dem Verbraucher nicht mitgeteilt, dass durch das Betätigen der Schaltfläche direkt eine vertragliche Bindung zwischen ihm und dem Rechtsanwalt eingegangen wird. Zudem wird mit dieser Formulierung die Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers nicht vermittelt, da hierauf nicht hingewiesen wird und insbesondere keine Angaben zu den Kosten mitgeteilt werden, denn das Abwehren des Bußgelds ist jedermann möglich und gerade keine Formulierung, die spezifisch auf eine anwaltliche Dienstleistung schließen lässt. Es kommt nicht darauf an, ob im Zusammenhang mit dem Text oberhalb des Buttons eindeutig erkennbar ist, dass ein zahlungspflichtiger Rechtsanwaltsvertrag geschlossen wird, denn für die Bestimmung des Sinngehalts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 Verbraucherrechte-RL ausschließlich auf den Inhalt der Schaltfläche abzustellen (EuGH NJW 2022, 1439 Rn. 28). Wegen der Beschränkung auf den Inhalt der Schaltfläche ist es auch unerheblich, dass der Beklagte zuvor Unterlagen der Rechtsschutzversicherung übersandt haben soll, zumal sich hieraus gerade kein Hinweis ergibt, dass der Beklagte teilweise auch selbst zahlungspflichtig ist.

Es handelt sich auch nicht um einen Vertragsschluss durch individuelle Kommunikation gemäß § 312j Abs. 5 S.1 BGB, da seitens des Klägers ein automatisiertes Verfahren mit Textbausteinen angewandt wird. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Beklagte zuvor Unterlagen seiner Rechtsschutzversicherung übersandte, denn es ist nicht ersichtlich, dass hierüber auf den Einzelfall bezogen kommuniziert worden ist.

b) Der Anwaltsvertrag ist auch nicht konkludent durch schlüssiges Verhalten des Beklagten zustande gekommen.

Hier kann offenbleiben, ob ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB zur Unwirksamkeit des Vertrages oder nur zu dessen schwebender Unwirksamkeit führt (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 32 f.), da der Beklagte jedenfalls kein Verhalten zu erkennen gegeben hat, das auf die Genehmigung bzw. den Abschluss des Anwaltsvertrags schließen lässt. Insbesondere hat der Beklagte gegenüber dem Kläger kein ausdrückliches Erfüllungsverlangen geäußert, wodurch eine schwebende Unwirksamkeit des Vertrags ex tunc hätte beseitigt werden können (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 33).

Da der Beklagte nach dem Betätigen der Schaltfläche keine weiteren Äußerungen oder Handlungen gegenüber dem Kläger vornahm, ist auch kein neues (konkludentes) Angebot des Beklagten auf Neuabschluss des Vertrags zu erkennen, das aufgrund einer individuellen Kommunikation nicht unter § 312j Abs. 3, 4 BGB fallen würde (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 33).“