Archiv für den Monat: Januar 2022

Beweis I: Abgelehntes Sachverständigengutachten, oder: Wahrscheinlichkeitsaussage und Überzeugung

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So, und dann am 2. Arbeitstag des neuen Jahres geht es dann „normal“ weiter, wie ich gestern schon angekündigt hatte. Ich beginne heute mit „Beweisfragen“. Und: Ja, die Beiträge sind vorbereitet. Schließlich habe ich hier auf Borkum „Staatsbesuch“.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 07.12.2021 – 5 StR 215/21 – zur Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen Ungeeignetheit. Der Angeklagte hatte die Ablehnung beim BGH gerügt, ohne Erfolg:

„2. Auch die Beanstandung der Revision, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO die beantragte Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens als völlig ungeeignetes Beweismittel abgelehnt, erweist sich als unbegründet.

Zwar ist es entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts grundsätzlich richtig, dass ein Sachverständigengutachten nicht schon dann als ungeeignetes Beweismittel anzusehen ist, wenn darin zwar keine sicheren und eindeutigen Beweisergebnisse erzielt werden, die enthaltenen Ausführungen aber gleichwohl die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen können (vgl. dazu in freilich anderen Konstellationen BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, NStZ 2016, 116). Bringt das Tatgericht jedoch zum Ausdruck, dass es eine allenfalls geringgradige Wahrscheinlichkeitsaussage nicht für geeignet hält, seine Überzeugung zu beeinflussen, begegnet es keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn es ein beantragtes Sachverständigengutachten mangels ausreichend aussagekräftiger und nicht weiter ermittelbarer Anknüpfungstatsachen als völlig ungeeignetes Beweismittel ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 1999 – 3 StR 166/99; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 239).

So verhält es sich hier: Dem Landgericht lag die zu untersuchende Unterschrift lediglich in Kopie vor, die zudem mit nur einer einzigen Originalschriftprobe der mittlerweile Verstorbenen verglichen werden sollte. Wegen des Fehlens des Originals bestanden nach den von eigener, hinreichend dargelegter Sachkunde der Strafkammer getragenen Ausführungen in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss wesentliche Untersuchungsdefizite, weshalb die Schriftprobe „einer Erhebungs- und Bewertungsmöglichkeit […] nur eingeschränkt oder gar nicht zugänglich“ war. Die Verstorbene konnte auch keine weiteren Schriftproben mehr anfertigen, so dass weitere Anknüpfungstatsachen durch einen Sachverständigen nicht zu ermitteln waren.

Zudem könnte der Senat das Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Rechtsfehler ausschließen, weil die vermeintlich gefälschte Urkunde in der Beweiswürdigung des Landgerichts lediglich ein untergeordneter Aspekt für die Annahme eines auf Pflegebetrügereien ausgerichteten Verhaltensmusters der Angeklagten war.“

Lösung zu: Kann ich die Vergütungsvereinbarung nachträglich „zeitlich“ begrenzen?

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Und hier dann die erste „Gebührenantwort 2022“ auf die letzte Gebührenfrage 2021, die da lautete: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich die Vergütungsvereinbarung nachträglich „zeitlich“ begrenzen?

Meine Antwort:

Moin,

….

Zu Ihrer Frage: Bei einer Zeitvereinbarung ist es in der Tat schwierig, aber im Hinblick auf § 58 Abs. 3 RVG auch dort empfehlenswert, Zahlungen bestimmten Angelegenheiten zuzuweisen, damit eine Anrechnung auch nur auf die Angelegenheit, also z.B. das vorbereitende Verfahren erfolgt. Näheres dazu im RVG-Kommentar bei § 58 RVG.

M.E. können Sie das Problem nur lösen, wenn Sie jetzt noch, und zwar JETZT, nach Möglichkeit nicht erst, wenn Sie beigeordnet sind, die VV einvernehmlich ändern. Sie müsste etwa dahin gehen, dass die Zahlungen X und X und X auf die Gebühr Nr. 4100, 4104 VV RVG = die im vorbereitenden Verfahren bis zum XXX erbrachten Tätigkeiten erfolgen/erfolgt sind. Und dann entsprechend für die VG für das gerichtliche Verfahren und die  TG. Dann rechnen sie insoweit später gg. keine gesetzlichen Gebühren ab und es kann nicht angerechnet werden.

Wir hatten die Problematik gerade erst ähnlich im Blog (vgl. Lösung zu: Wie ist das noch mit den Vorschüssen und der Anrechnung?, oder: Kein “Bauerntrick).

 

Strafzumessung II: Minder schwerer Fall/Vertypte Milderungsgründe, oder: Strafe beim Kussversuch

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Die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 02.08.2021 – (2) 121 Ss 81/21 (11/21)  -, betrifft die Strafrahmenwahl bei minder schwerem Fall und vertypten Milderungsgründen, und zwar bei einem Kussversuch. Insoweit bejaht das KG das Vorliegen einer sexuellen Handlung und führt dann zur Strafzumessung aus:

„2. Hingegen kann der Einzelstrafausspruch zur Tat zu 1. keinen Bestand haben. Die Strafzumessung erweist sich insoweit als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

a) Das Amtsgericht ist von einem minder schweren Fall der sexuellen Nötigung „gemäß § 177 Abs. 6 StGB“ (gemeint ist offensichtlich § 177 Abs. 9 StGB) ausgegangen, „weil mit § 21 StGB sowie §§ 22, 23 StGB zwei vertypte Milderungsgründe vorlagen.“ Diese Begründung lässt nicht erkennen, dass sich das Amtsgericht des Umstands bewusst war, dass in Fällen, in denen sowohl Strafrahmenverschiebungen gemäß § 49 Abs. 1 StGB als auch die Annahme eines minder schweren Falls möglich sind, unterschiedliche Strafrahmen zur Wahl stehen, von denen einer für den Angeklagten günstiger sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 2 StR 512/19 –, juris; BGH, Beschluss vom 11. August 1987 – 3 StR 341/87 –, juris). Zwar ist das Tatgericht nicht verpflichtet, den jeweils für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen zugrunde zu legen. Welchen Strafrahmen es wählt, unterliegt seiner pflichtgemäßen Entscheidung auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommenden Umstände, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 aaO; BGH, Beschluss vom 4. Juni 2015 – 5 StR 201/15 –, juris; BGH vom 19. Januar 1982 – 1 StR 734/81 –, juris). Die Urteilsgründe müssen aber belegen, dass das Gericht die unterschiedlichen Möglichkeiten erkannt und geprüft hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 aaO; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 933, 1113 mwN). Bei Vorliegen mehrerer vertypter Milderungsgründe ist vorrangig zu prüfen, ob bereits nach dem Tatgepräge und sich hieraus ergebenden (nicht vertypten) Milderungsgründen für sich genommen oder im Zusammenspiel mit nur einem vertypten Milderungsgrund die Annahme eines minder schweren Falles gerechtfertigt wäre. Sodann ist zu prüfen, ob dessen Strafrahmen ohne Verstoß gegen § 50 StGB unter Heranziehung eines weiteren vertypten Milderungsgrundes nochmals gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann. Führt – wie hier – die einfache oder mehrfache Strafrahmenmilderung des Regelstrafrahmens gemäß § 49 Abs. 1 StGB zu einem günstigeren Strafrahmen als ein minder schwerer Fall, bedarf die Annahme eines solchen der Erörterung (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2001 – 4 StR 36/01 –, juris; BGH, Urteil vom 4. August 2004 – 2 StR 183/04 –, juris). Trotz der keineswegs übersetzten Freiheitsstrafe kann der Senat aufgrund des Erörterungsmangels nicht ausschließen, dass die Wahl eines gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens sich auch günstig auf die Strafbemessung im engeren Sinne ausgewirkt hätte.

b) Bei der konkreten Strafzumessung hat das Amtsgericht straferschwerend berücksichtigt, dass der Angeklagte die Zeugin ins Gesicht küssen wollte „und damit eine besonders sensible Region des Körpers im Visier hatte“. Diese Erwägung erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 2021 – 2 Ss 32/20 – mwN) mit Blick auf das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB als rechtsfehlerhaft. Danach dürfen die Merkmale des Tatbestandes, welche die Strafbarkeit begründen und der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens zugrunde liegen, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Da Kussversuche üblicherweise das Gesicht betreffen und im Rahmen denkbarer Tathandlungen des § 177 StGB deutlich sensiblere betroffene Körperregionen in Betracht kommen, beschränkt sich die zu beanstandende Strafzumessungserwägung auf die strafschärfende Berücksichtigung des Kussversuchs als solchen. Dieser begründet aber vorliegend erst in Verbindung mit den weiteren oben beschriebenen Tatumständen die Qualifikation als erhebliche sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB.“

Strafzumessung I: Fehlen eines Strafmilderungsgrundes, oder: Kein Handeln unter Suchtdruck

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Und dann hier das erste „Themenposting“ des Neuen Jahres und dazu die Frage: Womit fängt man das Neue Jahr hier an? Corona wollte ich nicht, abgesehen davon, dass mir auch keine Entscheidungen vorliegen. Also habe ich mich für Strafzumessung entschlossen. Passt, da ich dazu gerade zwei Entscheideungen in meinen Ordner hängen habe. Der Bereich ist zudem in den letzten Wochen auch ein wenig kurz gekommen.

Ich starte dann mit dem BGH, Beschl. v. 03.11.2021 – 6 StR 405/21. Ist nicht viel, was der BGH ausführt, aber zum warm werden reicht es:

„Die Strafkammer hat rechtsfehlerhaft strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht unter Suchtdruck gehandelt hat. Handeln unter Suchtdruck kann zwar ein Grund sein, die Strafe zu mildern. Das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes darf aber nicht straferschwerend berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1978 – 2 StR 191/78; Beschlüsse vom 25. April 1979 – 3 StR 85/79; vom 4. Oktober 1979 – 1 StR 506/79). Gleichwohl nötigt der Rechtsfehler nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil die vom Landgericht insoweit verhängte moderate Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Berücksichtigung der übrigen Strafzumessungserwägun-gen jedenfalls angemessen ist.“

News, was gibt es (im Verkehrsrecht) Neues in 2022?, oder: Elektronische Dokumente sind jetzt Pflicht ….

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So, auf ein Neues. Heute haben wir dann den ersten Arbeitstag im neuen Jahr, ab jetzt läuft alles wieder normal – so weit das im Moment möglich ist. Zunächst aber dann noch einmal allen Leserinnen und Lesern ein gute Neues Jahr, vor allem Gesundheit.

Und ich starte hier vor ab mit einem Posting zu einigen Neuerungen. Die Zusammenstellung habe ich mir beim NDR geklaut; dort findet man unter „Neue Gesetze und Verordnungen: Das ändert sich 2022″ noch mehr.

Hier stelle ich nur das vor, was unter „Verkehr“ zusammengestellt worden ist, nämlich;

  • Führerschein-Umtausch: Wer zwischen 1953 und 1958 geboren ist und noch einen rosafarbenen oder grauen Führerschein besitzt, muss das Dokument bis zum 19.01.2022 in einen fälschungssicheren Scheckkarten-Führerschein umtauschen. Der Umtausch erfolgt stufenweise nach Geburts- beziehungsweise Ausstellungsjahr. Bis zum 19.01.2023 haben Menschen der Geburtsjahrgänge 1959 bis 1964 dafür Zeit.
  • Autofahrer müssen – auch nach der Corona-Pandemie – mindestens zwei medizinische Masken im Fahrzeug dabeihaben. Sie sollen Bestandteil des Verbandskastens sein. Diese Änderung soll im Laufe des Jahres in Kraft treten. Das genaue Datum ist noch nicht bekannt.
  • Wer an seinem Fahrzeug eine braune TÜV- oder HU-Plakette hat, muss 2022 zu einer Prüfstelle fahren und bekommt – wenn es keine technischen Mängel gibt – einen frischen Aufkleber in Grün. Neu zugelassene Fahrzeuge erhalten eine orangefarbene Plakette.
  • Die Beiträge für die Kfz-Versicherung wurden geändert. Die Typklassen für Fahrzeuge wurden dabei neu eingestuft. Für rund elf Millionen Fahrzeughalter hat das Auswirkungen: Für rund 7 Millionen werden die Typklassen höher und damit teurer, etwa 4,3 Millionen profitieren von einer günstigeren Einstufung.
  • Die Innovationsprämie für Elektrofahrzeuge wurde bis Ende 2022 verlängert. Der Zuschuss beträgt beim Kauf bis zu 9.000 EUR.
  • Eine Förderung vom Staat erhalten Käufer eines „Plug-in-Hybrid-Modells“ ab dem 1. 1.2022 nur noch, wenn das Modell eine Mindestreichweite von 60 Kilometern (vorher 40) aufweist, wohl ab 2023 sind es dann 80 Kilometer.
  • Die Steuerbegünstigung für Fahrzeuge mit Autogas (LPG) endet am 31.12.2022.
  • Ab dem 06.07.2022i greift eine neue EU-Verordnung: Bevor neue Fahrzeuge von den Regierungen genehmigt werden, müssen sie bestimmte Assistenzsysteme vorweisen – unter anderem Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, Warnsystem bei Müdigkeit, Alkohol-Wegfahrsperre und automatische Tempobremse. Aber: Serienmäßig müssen diese Systeme erst ab dem 07.07.2024 bei Neuwagen verbaut sein.
  • Kurzentschlossene Kunden der Deutschen Bahn können ab 01.01.2022 keine Papierfahrkarte mehr im Zug beim Schaffner kaufen. Alternative: ein digitales Ticket, das bis zehn Minuten nach Abfahrt online oder per App gebucht wird.

Und dann: Am 01.01.2022 ist der durch das „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“ vom 05.07.2017 (BGBl. I S. 2208),  in die StPO eingefügte § 32d StPO in Kraft getreten. Der lautet:

§ 32d
Pflicht zur elektronischen Übermittlung

Verteidiger und Rechtsanwälte sollen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen sie als elektronisches Dokument übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, ist die Übermittlung in Papierform zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

Nun ja, muss man beachten, wobei ich mal vermute, dass bei der Störanfälligkeit des beA der Satz 3 in der Praxis eine große Rolle spielen wird. Ich habe zu den Fragen übrigens in den Handbüchern noch nicht berichtet. Das hat verschiedene Gründe, u.a. den, dass die Bücher einen Stand von Sommer 2021 haben. Gesetzesänderungen in der Zukunft sind dann immer schwer darzustellen. Das führt, wie ich es vor einiger Zeit bei § 136 Abs. 4 StPO erlebt habe, nur zur Verwirrung.