Archiv für den Monat: September 2019

Verjährung des Kostenanspruchs, oder: Lang, lang ist es her

Und als zweite „Friday for money“ 🙂 – Entscheidung dann noch ein BGH-Beschluss, und zwar der BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 4 StR 315/13. In ihm geht es auch um einen Kostenansatz.

Der BGH hat mit Beschluss vom 12.09.2013 die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des LG Aachen als unbegründet verworfen. Vom Ansatz der Kosten hatte die Kostenbeamtin des BGH gemäß § 10 KostVfg. in der Folge zunächst abgesehen. Nachdem die JVA – der Angeklagte war also wohl in Strafhaft – mitgeteilt hatte, der Verurteilte verfüge über pfändbares Eigengeld, brachte die Kostenbeamtin die Kosten für das Revisions- und das Entschädigungsverfahren mit der dann angefochtenen Kostenrechnung in Ansatz.

Dagegen hat der Verurteilte geltend macht, die Forderungen seien bereits verjährt. Und er hatte damit Erfolg:

„2. Die Erinnerung des Verurteilten hat Erfolg. Der Anspruch auf Zahlung der im Revisionsverfahren entstandenen Kosten ist verjährt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GKG).

…..

c) Die Erinnerung des Verurteilten ist begründet. Dem Ansatz der im Revisionsverfahren entstandenen Kosten steht die Verjährung des Zahlungsanspruchs entgegen, die auf die ausdrücklich erhobene Einrede des Verurteilten zu berücksichtigen war (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 GKG). Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG verjähren Ansprüche auf Zahlung von Kosten in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten beendet ist. Die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Zahlung der Kosten, die in dem im September 2013 rechtskräftig beendeten Revisionsverfahren entstanden, endete danach mit Ablauf des 31. Dezember 2017. Umstände, die gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 GKG in Verbindung mit §§ 203 ff. BGB bzw. nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GKG zur Hemmung oder zum Neubeginn der Verjährung geführt hätten, sind nicht gegeben. Vielmehr sah die Kostenbeamtin in zutreffender Anwendung des § 10 KostVfg. bis zum Erlass der angefochtenen Kostenrechnung vom Ansatz der Kosten ab.“

Beistand für den Nebenkläger, oder: Das Kostenrisiko für eine erfolglose Revision bleibt

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Heute ist „Gebührenfreitag“. Und an dem stelle ich dann zunächst den BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 1 ARs 4/19 vor. Wenn man schon mal eine BGH-Entscheidung zu Kosten oder Gebühren hat, dann soll sie auch schnell hier vorgestellt werden.

Im Beschluss hat der BGH über die Erinnerungen von mehreren Nebenklägern gegen den Ansatz von Gerichtskosten entschieden.

Der BGH hatte die Revisionen der Nebenklägerinnen und Nebenkläger gegen ein Urteil des LG München I gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen und den NebenklägerInnen die Kosten ihrer Rechtsmittel auferlegt. Daraufhin ist mit Kostenrechnungen gegen diese jeweils eine Gebühr für das Revisionsverfahren in Höhe von 140 € angesetzt worden. Hiergegen wenden die sich und machen im Wesentlichen gleichlautend geltend, dass den Nebenklägerinnen und Nebenklägern jeweils ein Rechtsanwalt beigeordnet worden sei, sich diese Beiordnung auch auf das Revisionsverfahren beziehe und somit allein die Staatskasse das Kostenrisiko trage. Sie verweisen zudem auf das große Leid durch das Geschehen, welches mit dem angefochtenen Urteil abgeurteilt worden ist.

Der BGH entscheidet durch den Senat. Der hat die Erinnerungen als unbegründet verworfen:

„1. Für die Entscheidung über die Erinnerungen gegen den Ansatz der Kosten beim Bundesgerichtshof ist gemäß § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG der Senat zuständig, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

2. Die zulässigen, insbesondere statthaften Erinnerungen erweisen sich als unbegründet. Der Kostenansatz ist zutreffend.

a) Die Kosten sind zu Recht bei dem Bundesgerichtshof angesetzt worden, § 19 Abs. 2 Satz 4 GKG.

b) Auch die Höhe der Kosten ist nicht zu beanstanden. Diese bestimmt sich gemäß § 3 Abs. 2 GKG nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG. Gemäß Nr. 3520 des Kostenverzeichnisses beträgt die Gebühr für den hier einschlägigen Tatbestand der Verwerfung der Revision des Nebenklägers durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO 140 €.

c) Zu Recht ist auch für jeden der Beschwerdeführer diese Gebühr angesetzt worden. Gemäß der amtlichen Vorbemerkung 3.5 des Kostenverzeichnisses zum GKG wird sie nur erhoben, wenn dem Nebenkläger die Kosten auferlegt worden sind. Auf diese Kostentragungspflicht hat der Senat durch seinen Verwerfungsbeschluss für jeden Beschwerdeführer aufgrund gesetzlicher Kostenfolge gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO erkannt. Mehrere nebeneinander eingelegte Rechtsmittel sind kostenrechtlich voneinander zu trennen (BGH, Urteil vom 28. Januar 1964 – 3 StR 55/63 Rn. 3, BGHSt 19, 226, 228; Gieg in KK, StPO, 8. Aufl., § 473 Rn. 13; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 91). Die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat; bleiben mehrere Rechtsmittel ohne Erfolg, trägt jeder Rechtsmittelführer die Kosten seines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 – 1 StR 408/12 Rn. 17).

d) Von dieser Kostenfolge war auch nicht wegen der erfolgten Beistandsbestellung gemäß § 395 Abs. 1 i.V.m. § 397a Abs. 1 StPO abzusehen.

Zwar trifft es zu, dass sich die Beistandsbestellung auch auf das Revisionsverfahren erstreckt (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 4 StR 24/00 Rn. 2). Davon nicht erfasst ist allerdings das Risiko, im Revisionsverfahren bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels die Gerichtskosten zu tragen (Weiner in BeckOK StPO, 34. Ed. 1. Juli 2019, § 397a Rn. 32). Insoweit ist es auch Nebenklägern, zumal wenn sie anwaltlichen Beistand haben, zuzumuten, das Risiko einer Rechtsmitteleinlegung selbst einzuschätzen und gegebenenfalls zu tragen.

3. Besonderen Härten kann durch eine Kostenniederschlagung begegnet werden.

OWi III: Welcher Toleranzabzug bei Provida?, oder: 5 % reichen auf jeden Fall

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Und am Schluss des Tages geht es in der dritten OWi-Entscheidung, dem KG, Beschl. v. 07.03.2019 – 3 Ws (B) 51/19 – noch einmal um das Messverfahren ProVida, und zwar um die Frage: Welcher Toleranzabzug muss gemacht werden? Dazu meint das KG: 5 % reichen auf jeden Fall:

„2. Soweit der Betroffene im Rahmen der erhobenen Sachrüge beanstandet, der Reifendruck des Messfahrzeugs sei durch die Polizeibeamten nicht anhand des Eichscheins, sondern anhand des im Fahrtenbuch vermerkten Reifendrucks überprüft worden, gefährdet dies nicht den Bestand des angefochtenen Urteils. Denn das Messgerät war ausweislich der Urteilsfeststellungen mit Sommerreifen geeicht worden. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Bekundung des Zeugen PK M, alles habe „den Vorgaben entsprochen“,  entnimmt der Senat, dass  an dem Messfahrzeug auch tatsächlich Sommerreifen montiert waren. Bei zugelassenen und geeichten Geräten ist in aller Regel gewährleistet, dass die Fehlergrenze 5 % nicht überschreitet. Dieser Toleranzspielraum erfasst alle gerätetypischen Betriebsfehlerquellen, auch Abweichungen, die sich beispielsweise durch Reifenverschleiß und Reifendruck ergeben (Senat, Beschluss vom 17.10.2014 – 3 Ws (B) 550/14 -; BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 1 ObOWi 246/03 -; beide juris). Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 2019 darauf hingewiesen, dass der vorgenommene Toleranzabzug von 10% diesen Vorgaben mehr als ausreichend genügt.“

OWi II: Messung mit ProVida, oder: Betriebsart in den Urteilsgründen?

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Jena, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 OLG 107 SsBs 161/18, ergangen in einem Verfahren, in dem dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden ist. Gemessen worden war mit ProVida.

Der Betroffene hatte zunächst hinsichtlich der Messung ein Beweisverwertunsgverbot geltend gemacht: Begründung: Keine anlassbezogene Messung. Insoweit hatte die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg:

Allerdings greift die zulässig ausgeführte Verfahrensrüge, mit der der Betroffene ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der seiner Verurteilung zugrunde gelegten Geschwindigkeitsmessung geltend macht, nicht durch.

Die mittels eines nachfolgenden Polizeifahrzeugs unter Verwendung des Geschwindigkeitsmesssystems Provida 2000 gewonnene Videoaufzeichnung stellt regelmäßig eine verdachtsabhängige Aufzeichnung dar, die ihre Grundlage in §§ 46 Abs. 2 OWiG, 100h StPO findet (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschl.v. 29.12.2009, Az. 2 Ss OWi 135/09 (102/09), bei juris). Allerdings hat das Amtsgericht anhand der Aussage des Messbeamten festgestellt, dass die Videoaufnahme „permanent durchgelaufen“ sei, so dass auch eine Auswertung nicht anlassbezogen erhobener Daten im Nachhinein, beispielsweise mittels Vi-DistA, in Betracht kommt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.01.2011, Az.(1 B) 53 Ss-OWi 585/10 (341/10), bei juris). Aus den weiteren Urteilsgründen geht jedoch hinreichend hervor, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren in einer 30er-Zone erfolgt ist, nachdem der Betroffene den Beamten bereits im vorgelagerten Bereich mit festgelegten Höchstgeschwindigkeiten von 70 km/h und 50 km/h durch Geschwindigkeitsüberschreitungen aufgefallen war. Damit hat er jedenfalls zu der erst in der 30er-Zone bewusst ausgelösten, ihn betreffenden Messung konkreten Anlass gegeben, der auch zu der unmittelbar nachfolgenden Fahrerfeststellung durch die Messbeamten geführt hat.“

Aber für die Sachrüge hat es dann gereicht:

Die Rechtsbeschwerde beanstandet insoweit zu Recht, dass sich die Feststellungen nicht dazu verhalten, in welcher der möglichen Betriebsarten des verwendeten Messgerätes Provida 2000 die der Verurteilung zugrunde gelegte Geschwindigkeitsmessung erfolgt ist. Da das Messsystem verschiedene Einsatzmöglichkeiten zulässt, denen u.a. im Hinblick auf den maßgeblichen Toleranzwert und etwaige, zu weiterer Beweiserhebung Anlass gebenden Auffälligkeiten Bedeutung zukommen kann, ist der bloße Hinweis auf den zum Einsatz gekommenen Gerätetyp nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschl. v. 08.05.2006, Az. 1 Ss 60/06, m.w.N., bei juris). Weitere Angaben, anhand derer von einer Messung mittels menügesteuerter Betriebsart ausgegangenen werden und eine weitere Differenzierung ausnahmsweise als entbehrlich angesehen werden könnte (vgl. OLG Bamberg, Beschl.v. 03.02.2014, Az. 2 Ss OWi 5/14 ; KG Berlin, Beschl. v. 02.08.2018, Az. 3 Ws (B) 202/18 , bei juris) sind weder aus den dürftigen Feststellungen noch aus der Beweiswürdigung abzuleiten, die jeweils schon offen lassen, ob das Amtsgericht von einer Messung im – nicht ausdrücklich erwähnten – standardisierten Messverfahren ausgegangen ist.

Dieser Darstellungsmangel nötigt bereits zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung ans Amtsgericht zur neuerlichen Prüfung und Entscheidung, die auch die Zuweisung der im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen Kosten umfassen muss.“

Und eine „Segelanweisung“ gibt es auch noch:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine auf Zeugenaussagen gestützte Zurückweisung eines Antrags auf Gutachtenseinholung – wenn überhaupt – nur Bestand haben kann, wenn die danach zugrunde gelegten tatsächlichen Erwägungen in den Urteilsgründen in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbaren Weise dargelegt werden, und dass auch der Rechtsfolgenausspruch für sich genommen keinen Bestand hätte haben können, da das Urteil sich nicht – wie angesichts der Höhe der verhängten Geldbuße unabdingbar – zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen verhält und auch keine Umstände mitteilt, die den Wegfall der im Bußgeldbescheid noch enthaltenen Wirksamkeitsregel des § 25 Abs. 2a StVG rechtfertigen würden.“

OWi I: Einsicht in aktenfremde Messunterlagen, oder: Nichts Neues aus Berlin

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Heute dann ein OWi-Tag. Und den eröffne ich mit dem KG, Beschl. v. 02.04.2019 – 3 Ws (B) 97/19 – zur Einsicht in aktenfremde Messunterlagen. Ich bringe den Beschluss ur zur Abrundung, denn: Nichts Neues aus Berlin:

„Der Senat merkt ergänzend an:

Dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde bleibt der Erfolg versagt, weil er nicht die besonderen Zulassungsvoraussetzungen von § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG erfüllt.

1. Mit seiner Auffassung, dass ihm verwehrt worden sei, die „Lebensakte“, den Schulungsnachweis des Messbeamten sowie Daten zur Messreihe nebst Verschlüsselungsnachweis zugänglich zu machen, begründe einen Verstoß gegen sein Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör und seine Rechtsbeschwerde sei deshalb nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, dringt der Betroffene nicht durch.

a) Zwar ist im Ansatz zutreffend, dass der Verteidiger, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen kann, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. BGHSt 39, 291; 28, 239; Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541; DAR 2014, 2; König DAR 2018, 361,368). Denn die Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen (vgl. Cierniak/Niehaus a.a.O.). Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts (vgl. Senat DAR 2013, 211). Solch weitreichende Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu. Denn zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren stets zuverlässige Ergebnisse liefert, und zum anderen hat der Betroffene einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden (vgl. BGHSt 39, 291; Cierniak/Niehaus a.a.O.;Cierniak zfs 2012, 664).

Das daraus folgende Recht auf einen „Gleichstand des Wissens“ und auf Zugang zu den jedenfalls den Betroffenen betreffenden Messdaten ist jedoch nicht Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet, dass der Beschuldigte im Strafverfahren Gelegenheit erhält, sich zu dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt grundsätzlich vor deren Erlass zu äußern und damit das Gericht in seiner Willensbildung zu beeinflussen. Es dürfen einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen der Beschuldigte Stellung nehmen konnte (BVerfGE 57, 250 (273 f); std. Rspr.). Art. 103 Abs. 1 GG will verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwertet. Sein Schutzbereich ist hingegen nicht mehr berührt, wenn die davon zu unterscheidende Frage zu beantworten ist, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, weil sie ihm nicht unterbreitet wurden, erst zu verschaffen habe; denn es ist nicht Sinn und Zweck grundgesetzlicher Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Auch wenn man unterstellt, dass der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör ihm – unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen auch immer – ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, ist dieses Recht daher jedenfalls beschränkt auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten (vgl. BVerfGE 63, 45). Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt Art. 103 GG Abs. 1 nicht (vgl. Senat StraFo 2018, 383; DAR 2017, 593; Cierniak/Niehaus DAR 2018, 361; 2014, 2; zfs 2012, 664). Der hier einschlägige Grundsatz der „Waffengleichheit“, der dem Betroffenen die Möglichkeit verschafft, sich kritisch mit den durch die Verfolgungsbehörden zusammengetragenen Informationen auseinanderzusetzen, hat seinen Ursprung vielmehr im Recht auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK (vgl. Senat, Beschluss vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 – juris; StraFo 2018, 472; OLG Brandenburg NZV 2017, 144; Cierniak/Niehaus a.a.O. und NStZ 2014, 526; König a.a.O.; zur Einsichtnahme in Spurenakten vgl. BVerfG a.a.O.). Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, sich mit etwaig aus den begehrten Unterlagen gewonnenen Erkenntnissen bei Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Zusammengefasst hat das fair trial-Prinzip das Recht auf Informationszugang zum Gegenstand, Art. 103 Abs. 1 GG das Recht auf prozessuale Informationsverwertung (insoweit zu undifferenziert saarl. VerfGH NZV 2018, 275).

b) Soweit der Betroffene die Auffassung vertritt, er sei auch deswegen in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil das Amtsgericht seine Anträge auf Beiziehung der oben genannten Unterlagen, auf Aussetzung des Verfahrens und auf Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt habe, übersieht er, dass es in so gelagerten Fällen eines weiteren Vortrages dazu bedarf, was die behauptete Rechtsfehlerhaftigkeit über einen Verstoß gegen Rechtsnormen über das Verfahren hinaushebt und ihr das besondere Gewicht der Versagung des rechtlichen Gehörs verleiht. Bei einer behaupteten Verletzung solcher Vorschriften wäre ein Verstoß gegen das rechtlichen Gehör nur dann gegeben, wenn der Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt worden wäre und seine Zurückverweisung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken sich aufgrund besonderer Umstände als nicht mehr verständlich und daher willkürlich darstellen würde (vgl. BVerfG aaO; Senat VRS 130, 216; Beschlüsse vom 8. Juni 2010 – 3 Ws (B) 280/10 – und 21. Mai 2010 – 3 Ws (B) 253/10 -; OLG Hamm VRS 114, 290, 291 f.; NZV 2006, 217, 218).

Eine solche Willkürentscheidung ist hier nicht ersichtlich. Die Ablehnung der Anträge war vertretbar.

2. In der Folge sind die erhobenen Verfahrensrügen nach Maßgabe von § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen. Für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auf Fälle von Verstößen gegen das fair trial-Prinzip (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541, 543) ist schon angesichts des eindeutigen Wortlauts kein Raum (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – Ss Rs 17/2017 – juris; a.A. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 80 Rdn. 16e). Eine derartige Ausweitung der Möglichkeit obergerichtlicher Überprüfung steht allein dem Gesetzgeber zu (vgl. Hadamitzky in KK-StPO 5. Aufl., § 80 Rdn. 40 m.w.N.).