Archiv für den Monat: März 2019

Akteneinsicht des Sachverständigen eines Insolvenzverfahrens?, oder: Die wird gewährt

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann die LG Braunschweig, Vfg. v. 07.11.2018 – 16 KLs 5/17. Es geht um das Akteneinsichtsrecht eines Sachverständigen aus einem Insolvenzverfahren in die Verfahrensakten eines Strafverfahrens. Der Vorsitzende hat in seiner Verfügung ein Akteneinsichtsrecht bejaht und dem Sachverständigen Akteneinsicht durch Übersendung eines verschlüsselten Datenträgers mit der Verfahrensakte des LG Braunschweig gewährt.

1. Die Gewährung von Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte basiert auf § 475 Abs. 2 StPO.

Da die PP. im vorliegenden Fall nicht verfahrenszentral ist, hat die Kammer keine Kenntnis darüber, ob das Stammkapital bei Eintragung in das Handelsregister vorhanden gewesen ist. Insofern ist die reine Erteilung einer Auskunft aus den Akten unverhältnismäßig, weil der gesamte Verfahrensstoff auf Bezüge zur PP. durchgearbeitet werden müsste.

Gleiches gilt für die Frage, ob sich in den Unterlagen die dazugehörigen Kontoauszüge und Belege betreffend die PP. befinden.

Der Zeuge PP. gab auf Seite 2 seiner Vernehmung vom 03.04.2014 an, dass die PP. GmbH oder die PP. sein Arbeitgeber gewesen sei, dass er bei der PP. GmbH Geschäftsführer gewesen sei und dass die Firma umbenannt worden sei. Ferner befindet sich in der Akte ein Handelsregisterauszug der PP. (Bd. I, BI. 276 d.A.) sowie ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 02.04.2014 (Az.: 7 Gs 830/14) betreffend die PP. Eine Beurteilung der Frage, welche dieser Informationen für den Sachverständigen von Relevanz sind, ist der Kammer ohne unzumutbare weitere Ermittlungen im verfahrensfremden Insolvenzverfahren 273 IN 86/18a nicht möglich. Vielmehr obliegt es dem in diesem Verfahren bestellten Sachverständigen, die für ihn relevanten Tatsachen selbst herauszuarbeiten.

Es bestehen keine Bedenken gegen die Akteneinsicht dem Grunde nach. Nach der h.M. ist der im Insolvenzverfahren bestellte Sachverständige zu einer umfassenden Einsicht in die Strafakten berechtigt, wenn sich daraus Hinweise dazu ergeben können, ob Ansprüche mit Bezug zum Insolvenzschuldner bestehen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.03.2016, Az.: 1 Ws 56/16 = NJW 2016, 1834; OLG Dresden, ZVI 2014, 145). Nach dem Akteninhalt erscheint es möglich, dass im Zusammenhang der PP. Summen bewegt wurden, ohne dass diese Geschäftsvorgänge so dokumentiert wurden, dass sie von einem Dritten innerhalb angemessener Zeit nachvollzogen werden können (§§ 238 Abs. 1 S. 2 u. 3, 6 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG). Wenn der im Insolvenzverfahren bestellte gerichtliche Sachverständige nach dem Inhalt seiner Antragsbegründung schon nicht feststellen kann, ob überhaupt das Stammkapital eingezahlt wurde, so muss davon ausgegangen werden, dass möglicherweise auch Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass Regressansprüche gegen Dritte aus bisher nicht aufgeklärten Vorfällen bestehen könnten. Nach Nr. 2 des Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig vom 05.04.2018 hat der Sachverständige auch Angaben über mögliche Forderungen gegen Dritte und deren Realisierbarkeit zu machen. In diesem Falle ist die Gewährung uneingeschränkter Akteneinsicht rechtmäßig, weil sie der Erfüllung des gerichtlichen Gutachtenauftrages dient (OLG Dresden, ZVI 2014, 145).

Da der Antragsteller im vorliegenden Fall Sachverständiger und nicht Insolvenzverwalter ist, bedarf auch die dogmatische Frage, ob das Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters weiterreichen kann als das der Insolvenzschuldnerin, hier keiner Entscheidung. Als gerichtlich bestellter Sachverständiger ist der Antragsteller „Gehilfe des Gerichts“, hier des Amtsgerichts Braunschweig – Insolvenzabteilung -, nicht aber der Masse.

Das erforderliche Interesse an der Akteneinsicht ist durch Vorlage des Beschlusses über die Bestellung zum Sachverständigen (hier: Bd. IV, BI 277 der Akte) hinreichend dargelegt (OLG Dresden, ZVI 2014, 145).

Bei der Entscheidung über die Akteneinsicht und der Auslegung von § 475 StPO ist ferner zu berücksichtigen, dass der durch das Gericht bestellte Sachverständige im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht nur im Interesse einer Privatperson, sondern auch für die Rechtspflege tätig wird und seinem Interesse daher ein vergleichbares Gewicht beizumessen ist wie dem Interesse einer Justizbehörde, die nach § 474 Abs. 1 StPO Akteneinsicht verlangen kann (OLG Braunschweig, aaO). Daher ist auch ein möglicher Rückgriff auf die Rechtsprechung und Kommentierung zum Akteneinsichtsrecht nach § 406e StPO hier nicht angebracht.

2. Die Gewährung von Akteneinsicht in die Asservate beruht auf § 275 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 StPO. Die Entscheidung über die Akteneinsicht in die Asservate wird von den oben genannten Erwägungen getragen.

3. Auch nach einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung ist dem Sachverständigen PP. Akteneinsicht zu gewähren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren nicht nur im Privatinteresse von Gläubigern und Schuldnern durchgeführt wird. Vielmehr besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der ordnungsgemäßen Abwicklung von Insolvenzverfahren (Wozniak, jurisPR-InsR 14/2017, Anm. 5).

Bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch wurde nicht aus dem Blick gelassen, dass sich im hier vorliegenden Fall das Insolvenzverfahren nicht das Vermögen der Angeklagten oder das Vermögen möglicherweise Geschädigter betrifft. Den Angeklagten erscheint eine Einsicht des Sachverständigen in die Verfahrensakten und Asservate zumutbar. Denn dem im öffentlichen Interesse geltend gemachten Akteneinsichtsgesuch des Sachverständigen stehen keine schutzwürdigen Interessen der Angeklagten gegenüber. Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung der ordnungsgemäßen Durchführung von Insolvenzverfahren besteht kein Vorrang des Rechts des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Akteneinsichtsinteresse des Antragstellers (OLG Braunschweig, aaO). Denn dass hier – beispielsweise nach § 475 Abs. 1 S. 2 StPO schutzwürdige – Interessen wie der Schutz der Intimsphäre oder von bestimmten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen betroffen seien könnten, ist nicht ersichtlich.

§§ 474, 475 StPO sind Spezialvorschriften zum allgemeinen Datenschutzrecht und verdrängen dieses im Rahmen ihres Anwendungsbereiches.

4. Der Beschluss des LG Hamburg vom 19.06.2018, Az.: 618 Qs 20/18 = StraFo 2018, 438 ist vorliegend nicht einschlägig. Denn im dortigen Fall ging es darum, dass der Beschwerdeführer ein Altgläubiger war, der im privaten Interesse Forderungen verfolgen wollte. Im dortigen Fall hat das Landgericht Hamburg zutreffend erkannt, dass dies zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, weshalb der Beschwerdeführer im dortigen Fall kein schutzwürdiges Interesse an der Akteneinsicht hatte (LG Hamburg, StraFo 2018, 438 (439)).

So liegt die Sache hier aber gerade nicht. Im hier vorliegenden Fall geht es nicht darum, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige mögliche zivilrechtliche Ansprüche selbst verfolgen möchte. Vielmehr ist er zum Sachverständigen bestellt worden, um herauszufinden, ob solche Ansprüche bestehen. Sein Gutachten soll im gerichtlichen Interesse die Entscheidung vorbereiten, ob ein Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet wird oder nicht.

2. Vermerk:

Vor einer Umsetzung der Entscheidung zu 1. wird den Angeklagten Gelegenheit gegeben, die Einlegung einer Beschwerde zu prüfen.“

Mit einer BAK von 2,37 Promille unterwegs, oder: Schuldfähigkeit muss man im Blick haben

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt ebenfalls aus dem Osten, und zwar vom OLG Dresden. Das hat in dem schon etwas älteren OLG Dresden, Beschl. v 26.02.2018 – 2 OLG 25 Ss 80/18 -, den mir die Kollegin Bürger aus Torgau, die ihn erstritten hat, aber erst vor kurzem geschickt hat, noch einmal zur Frage der Schuldfähigkeit Stellung genommen. Das AG hatte die Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Das LG hat das Urteil des AG aufgehoben, die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort  verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die dagegen gerichtete Revision hatte dann beim OLG Dresden weiter Erfolg. Das OLG hat aufgehoben und zruückverwiesen.

„Angesichts der im Urteil dargestellten Alkoholisierung der Angeklagten erscheint es nicht ausgeschlossen, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Taten vermindert oder vollständig aufgehoben war.

Die der Angeklagten um 1.57 Uhr und 2.30 Uhr entnommenen Blutproben ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,65 und 1,54 Promille.

Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten ist ein maximaler stündlicher Abbauwert von 0,2 Promille zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2016 — 5 StR 85/16 —, juris m.w.N.). Dies ergibt im vorliegenden Fall zur Tatzeit um 23.15 Uhr eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,37 Promille.

Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 Promille ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2014 — 4 StR 397/14 —, juris m.w.N.). Mt einem zusätzlichen Blick auf die Übrigen vom Landgericht zum Störungsbild der Angeklagten getroffenen Feststellungen war dies hier erörterungsbedürftig. Bei der Annahme verminderter Schuldfähigkeit wäre dann eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB zu prüfen gewesen.

Da nicht völlig auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die möglicherweise sogar eine Schuldunfähigkeit belegen, hat der Senat auch den Schuldspruch aufgehoben.“

Nichts Besonderes, aber: Die Entscheidung legt den Finger in eine Wunde bzw. weist auf einen Fehler hin, der häufig gemacht wird. Muss man drauf achten.

Erfolgreiches (!!) Klageerzwingungsverfahren gegen Polizeibeamte, oder: Das Fehlen „jeglicher oder völlig unzureichender Ermittlungen …“

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Ich eröffne den heutigen Tag mal mit einer Entscheidung zum Klageerzwingungsverfahren, und zwar mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.10.2018 – 1 Ws 109/18. Wer ihn gelesen hat, wird sich verwundert die Augen reiben. Denn es handelt sich aus mehreren Gründen um eine bemerkenswerte Entscheidung, bei der von folgendem Sachverhalt auszugehen ist:

„Der Antragsteller erstattete am 9. Dezember 2017 auf dem Polizeipräsidium, Polizeidirektion pp. in pp., gegen vier Polizeibeamte des Landes Brandenburg wegen eines am 26. November 2017 in seinem Wohnhaus durchgeführten Einsatzes Strafanzeige. Das Verfahren wurde vom Polizeipräsidium, Polizeidirektion pp. mit abschließendem Bericht vom 12. März 2018 am 16. März 2018 an die Staatsanwaltschaft Potsdam abgegeben. Mit Bescheid vom 29. März 2018 teilte die Staatsanwaltschaft Potsdam dem Antragsteller mit, dass sie das Ermittlungsverfahren gemäß §§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe; von der Aufnahme von Ermittlungen sei mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für ein strafbares Handeln der Angezeigten abgesehen worden. Nach Prüfung seines Anzeigevorbringens sei unter Einbeziehung des gegen ihn selbst geführten Ermittlungsverfahrens wegen des Vorwurfs der Beleidigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (4102 Js 51878/17) sowie unter Beachtung seiner Anzeige wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung vom 28. November 2017 gegen seine Ehefrau zu Gunsten der Angezeigten von folgendem Sachverhalt auszugehen:

„Am 26.11.2017 erschienen die o g. Polizeibeamten in Ihrer Wohnung, weil gegen 22.45 Uhr Ihre Ehefrau um dringende Hilfe ersucht hat. Sie gab an, von ihnen in den Nachmittagsstunden beleidigt worden zu sein. Nunmehr habe sie vor Ihnen Angst und traue sich nicht mehr, die gemeinsame Wohnung zu betreten. Die Polizeibeamten, die vom Wahrheitsgehalt der Angaben Ihrer Ehefrau ausgehen durften und mussten, trafen Sie im Bett liegend vor. Sie forderten Sie auf, sich auszuweisen und aufzustehen. Sie ha?tten sich jedoch geweigert, sich gegenu?ber den Polizeibeamten auszuweisen. Daran habe auch die Androhung, Sie zum Zweck der Identifizierung zur Polizeiwache zu verbringen, nichts a?ndern ko?nnen. Augenscheinlich seien Sie aufgrund Ihres alkoholisierten Zustandes nicht in der Lage gewesen, ohne Unterstu?tzung anderer aufzustehen. Deshalb ha?tten die Beamten Ihnen helfen wollen und Sie aufgerichtet. Hierbei verschra?nkten Sie jedoch Ihre Arme vor dem Oberko?rper und ließen sich wieder fallen. Zudem schlugen Sie mit Ihren Armen um sich, ohne die Polizeibeamten allerdings zu treffen. Zur Eigensicherung der Beamten wurden Ihnen Handfesseln angelegt. Sodann ha?tten Sie sich geweigert, sich anziehen zu lassen, weswegen Sie in Socken zum Funkstreifenwagen verbracht worden seien. Am Funkstreifenwagen angekommen, ha?tten Sie sich aktiv zur Wehr gesetzt, um nicht in den Funkstreifenwagen einsteigen zu mu?ssen. Nur unter Einsatz einfacher ko?rperlicher Gewalt sei es den Polizeibeamten gelungen, Sie in den Funkstreifenwagen zu setzen und zur Polizeiwache zu verbringen.“

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller unter dem 20. April 2018, eingegangen am selben Tage, Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO ein. Unter näherer Begründung hat er gegen die Angezeigten die Vorwürfe des Hausfriedensbruches, der Körperverletzung im Amt, der Nötigung und der Freiheitsberaubung erhoben. Mit Bescheid vom 25. Mai 2018, dem Antragsteller zugegangen am 5. Juni 2018, wies der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens hätten sich keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der Angezeigten, die gemäß § 152 Abs. 2 StPO Voraussetzung für die Einleitung und die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens seien, ergeben.

Mit Antrag vom 5. Juli 2018, eingegangen am selben Tage, begehrt der Antragsteller im Wege der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung im Amt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat die Akten mit Verfügung vom 19. September 2018 an das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem Hinweis übersandt, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zwar zulässig, aber aus den Gründen der angefochtenen Bescheide unbegründet sei.

Und: Bemerkenswert, denn:.

1. der Antragsteller hat im Klageerzwingungsverfahren Erfolg, was selten genug der Fall ist, und dann auch noch gegen Polizeibeamte (!).

2. das OLG findet deutliche Worte zum „Ermittlungseifer“ von Polizei und StA : „Fehler jeglicher oder völlig unzureichender Ermittlungen“.

3. die StA hat nicht nur die Ermittlungen eingestellt, sondern die Polizisten haben – bei dem festgestellten Sachverhalt: besonders bemerkenswert) die übliche Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erstattet,

4. es erkennt endlich einmal ein Gericht – zumindest schon mal ein OLG – an, dass die polizeiliche Identitätsfeststellung Voraussetzungen hat (§ 163b StPO).

Das alles ergibt sich aus der nachfolgenden Begründung des OLG: 

„Der form- und fristgerecht eingelegte und begründete Antrag auf gerichtliche Entscheidung führt zwar nicht zur Anordnung der Erhebung einer öffentliche Klage, weil das Ermittlungsverfahren bei weitem noch nicht als abgeschlossen angesehen werden kann. Indes gibt er Anlass zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide und zur Anordnung der Aufnahme sachdienlicher Ermittlungen.

Beim Fehlen jeglicher oder völlig unzureichender Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – wie hier – kommt ausnahmsweise die Anordnung in Betracht, dass die Staatsanwaltschaft die nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat. Dies ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte überwiegend anerkannt (so bereits OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05. Februar 1980 – 1 Ws 424/79; KG, Beschluss vom 26. März 1990 – 4 Ws 220/89; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23. September 1992 – Ws 48/91; OLG Koblenz, Beschluss vom 05. September 1994 – 1 Ws 164/94; OLG Hamm, Beschluss vom 29. September 1998 – 1 Ws 227/98; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01. März 2001 – 1 Ws 83/01; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 – 1 Ws 85/02; OLG München, Beschluss vom 27. Juni 2007 – 2 Ws 494/06 Kl; KG Berlin, Beschluss vom 11. April 2013 – 3 Ws 504/12; OLG Celle, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 1 Ws 513/13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06. Juli 2015 – 6 Ws 2/15; OLG Celle, Beschluss vom 05. Februar 2016 – 2 Ws 1/16; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 4 Ws 284/16; Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. September 2017 – 1 Ws 55/17) und wird auch vom Senat so gesehen (vgl. z. B. Beschluss vom 17. März 2008 – 1 Ws 125/07).

Die vom Antragsteller in der Antragsschrift ausführlich dargelegten Umstände, aber auch selbst der von der Staatsanwaltschaft „zu Gunsten der Angezeigten“ angenommene Sachverhalt begründen einen Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO, der ein staatsanwaltschaftliches Einschreiten gebietet. Denn es bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme eines einzelnen oder sämtlichen der angezeigten Beamten anzulastenden strafbaren Handelns nahelegen. Mit der im Bescheid des Generalstaatsanwalts vom 25. Mai 2018 gegebenen Begründung lässt sich die Rechtswidrigkeit des Handelns der Angezeigten nicht verneinen.

Nicht der Prüfung durch den Senat angefallen ist allerdings die Verneinung der Voraussetzungen des Hausfriedensbruchs nach § 123 Abs. 1 StGB. Denn in der Antragsschrift nimmt der Antragsteller hierauf keinen Bezug mehr.

Die an den Antragsteller gerichtete Forderung, aufzustehen und sich auszuweisen und der sich anschließende unmittelbare Zwang (Wegziehen der Decke, gewaltsame Fesselung und Verbringung in den Polizeigewahrsam) waren nach dem bisherigen Ermittlungsstand nicht gerechtfertigt. Insbesondere konnten diese Maßnahmen nicht – wie der Generalstaatsanwalt angenommen hat – auf die Vorschrift des § 163b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO gestützt werden. Dabei verkennt der Senat nicht den hier maßgeblichen strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff. Die Rechtmäßigkeit des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt bestimmt sich weder streng akkzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 9. Juni 2015, Az.: 1 StR 606/14, Rn. 25 – m. zahlr. w. Nachw.; juris). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt vielmehr lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein – ihm ggf. eingeräumtes – Ermessen pflichtgemäß ausübt (ebd.). Befindet sich allerdings der Hoheitsträger in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung, handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes, so ist sein Handeln rechtswidrig (ebd.).

Nach diesen Maßstäben kann derzeit die Rechtswidrigkeit des Handelns der angezeigten Beamten nicht ausgeschlossen werden. Zwar dürften sie örtlich und sachlich zuständig gewesen sein. Schon die Einhaltung der für Maßnahmen nach § 163b Abs. 1 StPO vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten ist jedoch nicht ersichtlich. Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz in Verbindung mit § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO hätten die eingesetzten Beamten dem Antragsteller nämlich zu Beginn ihrer Identitätsfeststellungsmaßnahmen eröffnen müssen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Das ist ersichtlich nicht geschehen, jedenfalls nicht aktenkundig geworden. Solange allein dieser Punkt nicht aufgeklärt worden ist, kann bereits die Rechtswidrigkeit des Handelns der Beamten nicht verneint werden. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob die Beamten ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt haben. Dabei sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: § 163b Abs. 1 Satz 1 StGB gestattet Maßnahmen zur Identitätsfeststellung nur, soweit sie erforderlich sind.

Es ist auch aus der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes maßgeblichen ex-ante-Sicht schlechterdings nicht nachvollziehbar, weshalb wegen einer mehr als sechs Stunden zurückliegenden Beleidigung (§ 185 StGB) nach 22.00 Uhr polizeiliche Ermittlungshandlungen in einer Privatwohnung vorzunehmen waren. An der Identität des Antragstellers bestanden zudem keine vernünftigen Zweifel. Die Ehefrau des Antragstellers hatte nicht behauptet, dass sich ein Unbekannter in dem Schlafzimmer befinde, sondern ihr Ehemann. Die Personalien des Antragstellers hätten durch eine einfache Befragung seiner Ehefrau ohne Schwierigkeiten geklärt werden können, ohne dass es zu nachtschlafender Zeit (22.45 Uhr) des Betretens seines Schlafzimmers bedurfte. Bestand demnach offensichtlich schon kein gerechtfertigter Anlass, zum Zwecke der Identitätsfeststellung in die Intimsphäre des Antragstellers einzudringen und sein Schlafzimmer zu betreten, erscheint es erst recht unvertretbar, von dem im Bett befindlichen Antragsteller die Decke wegzuziehen und ihn aufzufordern, aufzustehen und sich auszuweisen. Dass die Beamten vor ihrem Einsatz irgendwelche Überlegungen zu diesen Punkten angestellt und damit das ihnen eingeräumte Ermessen überhaupt ausgeübt haben, ist nicht ersichtlich und bedarf der Aufklärung. Nach dem bisherigen Ermittlungsstand lässt sich nämlich nicht feststellen, dass die Polizeibeamten im Bewusstsein ihrer Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung der Umstände ihr Einschreiten für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durften (vgl. zu diesen Voraussetzungen BGHSt 21, 334). Der Akteninhalt spricht gegen eine solche Annahme. Der polizeilichen Maßnahme fehlt es nach dem bisherigen Ermittlungsstand damit auch an der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlicher und tatsächlicher Umstände des Einzelfalls zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts steht (vgl. BVerfGE 30, 1; 44, 353; 59, 95; 67, 157). Dieses Übermaßverbot setzt der Zulässigkeit einer sonst zulässigen Maßnahme eine Grenze (vgl. BVerfGE 32, 373; 34, 238).

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zwangsläufig, dass auch das Verbringen des Antragstellers in den Polizeigewahrsam nicht gerechtfertigt war. Zur Identitätsfeststellung war dies offenkundig nicht erforderlich (vgl. § 163b Abs. 2 Satz 2 StPO). Auch die Voraussetzungen des § 17 des Brandenburgischen Polizeigesetzes (BbgPolG) lagen ersichtlich nicht vor. § 17 Abs. 1 Nr. 1 BbgPolG gestattet die Ingewahrsamnahme einer Person nur, wenn das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.

Der Antragsteller befand sich indes selbst nach den Feststellungen im Ingewahrsamnahme-Protokoll vom 26. November 2017 (Bl. 17/18 d. A.) nicht annähernd in einem derartigen schutzbedürftigen Zustand. Er war durchaus in der Lage, die Beamten zum Verlassen des Hauses aufzufordern und die Durchführung eines Atemalkoholtests abzulehnen sowie aktiven und passiven Widerstand zu leisten. Da sich der Antragsteller in seinem Schlafzimmer befand, ist schlechterdings nicht erkennbar, auf welche Weise für seinen Leib oder sein Leben eine Gefahr bestanden haben könnte, wenn man ihn dort beließ. Auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG lagen offensichtlich nicht vor. Danach kann eine Person auch dann in Gewahrsam genommen werden, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit, die hinsichtlich ihrer Art und Dauer geeignet ist, den Rechtsfrieden nachhaltig zu beeinträchtigen, zu verhindern. Dass die Fortsetzung einer solchen Tat zu verhindern war, kann nach bisherigem Ermittlungsstand nicht angenommen werden. Insbesondere stellt sich die vom Antragsteller gegen den Einsatz der Polizeibeamten geleistete Gegenwehr unter den obwaltenden Umständen nicht als strafbare Widerstandshaltung im Sinne von § 113 StGB dar, weil es an der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der angezeigten Beamten fehlte (§ 113 Abs. 3 StGB).

Im weiteren Ermittlungsverfahren wird ferner zu berücksichtigen sein, dass der gegen den Antragsteller vollzogene Polizeigewahrsam an weiteren gravierenden formellen Mängeln leidet: Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller unverzüglich der Grund für seine Festhaltung bekanntgegeben wurde (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG) noch dass ihm unverzüglich Gelegenheit gegeben wurde, einen Rechtsbeistand seiner Wahl beizuziehen und einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen (§ 19 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG). Nach dem bislang unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers ist sein zu Beginn des Polizeigewahrsams geäußerter Wunsch, sich mit seinem Verfahrensbevollmächtigten telefonisch in Verbindung zu setzen, nicht respektiert worden. Dies stellt sich – entgegen der im Beschwerdebescheid vertretenen Ansicht des Generalstaatsanwalts – nicht lediglich als dienstrechtlich zu beanstandendes Fehlverhalten der Beamten dar, sondern macht den Vollzug des Polizeigewahrsams spätestens ab diesem Zeitpunkt in jedem Fall formell rechtswidrig, so dass spätestens von da an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 239 StGB nicht mehr verneint werden können.

Nach allem bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO, dass die angezeigten Beamten oder ein Teil von ihnen bei ihrem Einsatz in der Wohnung des Antragstellers am späten Abend des 26. November 2017 die Straftatbestände der §§ 239, 240 und/oder 340 StGB verwirklicht haben könnten. Demgemäß ist die Staatsanwaltschaft Potsdam anzuweisen, die Ermittlungen aufzunehmen und den Sachverhalt vor einer abschließenden Entscheidung zunächst auch unter Anhörung der angezeigten Beamten umfassend zu ermitteln.

U.a. „Schlechterdings nicht nachvollziehbar“ und „geravierend formelle Mängel“…. das sind deutliche Worte des OLG. Wie gesagt: Bemerkenswert. Und darum: Bitte Nachsicht wegen des vielen Textes.

Gewerbsmäßig?, oder: Auch wer sparen will, kann „gewerbsmäßig“ handeln…

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Und die dritte Entscheidung des Tages ist das KG, Urt. v. 05.11.2018 – (2) 161 Ss 33/18 (5/18).  Das behandelt zwei Fragen. Ich stelle heute die materielle vor, nämlich die Ausführungen des KG zur Gewerbsmäßigkeit. Das LG hatte den Angeklagten (auch) wegen gewerbsmäßigen Betruges verurteilt. Das war von der GStA beanstandet worden. Das KG sieht keinen Fehler und meint:

2. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist es jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Berufungskammer auf der Grundlage der rechtskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich der Taten 1, 2 und 3 die Voraussetzungen gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 263 Abs. 3 StGB angenommen hat.

Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch die wiederholte Begehung von Betrugstaten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen will (vgl. BGH NStZ 2004, 265, 266; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., vor § 52, Rn. 95 mwN; v. Heintschel-Heinegg in BeckOK-StGB, Stand 1. August 2018, § 263, Rn. 102). Dies setzt jedoch nicht voraus, dass die Taten ausschließlich auf den Erhalt von Geldzahlungen abzielen. Eine Einnahmequelle kann sich auch verschaffen, wer wiederholt in strafrechtlich relevanter Weise erlangte Güter für sich verwendet, um sich so die Kosten für deren Erwerb zu ersparen (vgl. BGH NStZ 2015, 396 mwN). Nach diesen Maßstäben bieten die – durchaus knappen – Feststellungen zu den Absichten und Zielen des Angeklagten bei verständiger Würdigung des Gesamtzusammenhangs auch in den drei genannten Fällen eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme eines gewerbsmäßigen Handelns. Der Angeklagte erstrebte insoweit jeweils geldwerte Vorteile, die er anderenfalls aus laufenden Einnahmen hätte finanzieren müssen. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht festgestellt hat, der Angeklagte habe sich die Einnahmequelle „vor allem zur Finanzierung seiner Kokain- und Cannabisabhängigkeit“ verschaffen wollen. Dies ergibt sich bereits aus der Einschränkung „vor allem“, die andere Verwendungszwecke offenlässt. Insbesondere aber kommt es hinsichtlich der die Gewerbsmäßigkeit begründenden subjektiven Haltung des Täters ausschließlich darauf an, dass er eine nicht unerhebliche Einnahmequelle anstrebt. Für die Erfüllung des Regelbeispiels unmaßgeblich ist demgegenüber, wofür der Täter die so erzielten Einnahmen verwenden will.

Die Fragen der Gewerbsmäßigkeit spielen in der Praxis ja eine nicht unerhebliche Rolle. Das wird das KG, Urt. dann mitmischen 🙂 .

Auf die andere – verfahrensrechtliche – Frage komme ich dann noch einmal zurück.

Bedrohung, oder: „… in der Verwirklichung eines Geschehens liegt nicht zugleich seine Ankündigung“

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 04.12.2018 – 4 StR 418/18 – auch vom BGH. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Bedrohung verurteilt. Insoweit hatte seine Revision Erfolg. Der BGH beanstandet die vom LG getroffenen Feststellungen als nicht ausreichend.

„1. Die Verurteilung wegen Bedrohung (II. Fall 3 der Urteilsgründe) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen geriet der Angeklagte mit dem Zeugen B. über ein Betäubungsmittelgeschäft in Streit. Es entwickelte sich eine verbale Auseinandersetzung, die darin mündete, dass der Angeklagte ein Küchenmesser in die Hand nahm und damit zweimal in Richtung des Bauches des Zeugen stach, der dem Angriff jedoch durch Sprünge nach hinten ausweichen konnte. Danach ließ der Angeklagte von dem Zeugen ab und steckte sein Messer ein. Die Strafkammer hat die Stiche als Androhung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gewertet, zu dem der Angeklagte „auch bereits unmittelbar angesetzt“ habe. Allerdings sei er hiervon strafbefreiend zurückgetreten (UA 25).

b) Diese Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte den Zeugen im Sinne des § 241 Abs. 1 StGB mit der Begehung eines Verbrechens bedroht hat.

aa) Der Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB setzt das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394 Rn. 9 mwN). Ein Drohen kann daher nur als ein Hinweis auf etwas noch Zukünftiges begriffen werden. In der Verwirklichung eines Geschehens kann aber nicht zugleich seine Ankündigung liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1984 – 2 StR 293/84, NStZ 1984, 454; Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 241 Rn. 4).

bb) Ein diesen Anforderungen entsprechendes Inaussichtstellen eines noch bevorstehenden Verbrechens lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die Strafkammer hat in den beiden Stichen, die nur aufgrund von Ausweichbewegungen des Zeugen folgenlos blieben, nicht lediglich Schreck- oder Warngesten, sondern einen Tötungsversuch und damit den Beginn des verbrecherischen Handelns gesehen. Dass diesen Angriffen eine Ankündigung vorausging, ergeben die Feststellungen nicht. Zwar kann auch in der Ausführung eines Verbrechens, wie etwa bei einer versuchten Erpressung, die Bedrohung mit einem (weiteren) Verbrechen liegen. Aber auch hierfür findet sich in den Feststellungen kein Beleg.“

Wenn ich solche Beanstandungen des BGH lese, frage ich mich immer: Warum macht eigentlich ein Tatgericht nicht während der Beratung und dann nach Abfassung der Urteilsgründe mal einen Check, ob man eigentlich zu allen erforderlichen Umständen, zu denen man Feststellungen treffen muss, auch Feststellungen getroffen und diese dargestellt hat. Wenn man das machen würde, würde es viele solcher Aufhebungen nicht geben (müssen).