Archiv für den Monat: Dezember 2018

Außergerichtliche Beratung reicht für zusätzliche Verfahrensgebühr bei Einziehung, oder: Auf in den Keller

© SZ-Designs – Fotolia.com

So, auf geht es mit dem „normalen“ Freitagsprogramm. Also Gebührenrecht. Und ich bringe zunächst den LG Verden, Beschl. v. 29.11.2018 – 1 Qs 172/18, den mir der Kollege Funk aus Stolzenau übersandt hat. Herzlichen Dank für die schöne Entscheidung, die zum Anfall der Nr. 4142 VV RVG ergangen ist

Dazu vorab: Die Entscheidung bringt nichts grundsätzlich Neues. Die Ausführungen des LG zum Entstehen der Gebühr Nr. 4142 VV RVG entsprechen der Auffassung der h.M. in der Literatur und der Rechtsprechung (vgl. dazu meine Ausführungen im RVG-Kommentar bei der Nr. 4142 VV RVG – wo man denn bestellen kann, weiß inzwischen jeder – <<Werbemodus aus>>). Von Bedeutung ist die Entscheidung aber dennoch. Denn sie ruft noch einmal ins Gedächtnis, welche Bedeutung nach den Änderungen der Wertabschöpfungsvorschriften der § 73 ff. StGB zum 1.7.2017 die Einziehung (und ihr verwandte Maßnahmen) und damit gebührenrechtlich die Nr. 4142 VV RVG erlangt hat. Denn, wer hätte nach früherem Recht in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 Abs. 1 StGB) oder Unterschlagung (Nr. 246 StGB) an Einziehung gedacht. So aber in dem vom LG Verden entschiedenen Fall. Beides sind i.d.R. „Allerweltsvorwürfe“, bei denen aber nun auch an die Nr. 4142 VV RVG gedacht werden muss.

Und dazu dann das LG:

1. Die Gebühr (Verfahrensgebühr) entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehenden Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Abgegolten wird das „Betreiben des Geschäfts“ im Hinblick auf die. Einziehung oder einer ihr – verwandten Maßnahme. Erfasst werden von der Gebühr sämtliche Tätigkeiten, die der Verteidiger im Hinblick auf die Einziehung erbringt, etwa das Fertigen von Schriftsätzen, Stellungnahmen, Besprechungen, Beschwerden o.ä., die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung bzw. einer der verwandten Maßnahmen haben. Da es sich um eine reine Wertgebühr handelt, ist der Umfang der vom Verteidiger erbrachten Tätigkeiten für das Entstehen und die Höhe der Gebühr nicht relevant. Die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG setzt auch keine gerichtliche Tätigkeit des Verteidigers voraus. Insbesondere muss die Einziehung nicht im Verfahren beantragt worden sein (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 23. Aufl., VV 4142, Rn. 12, beck-online; BeckOK RVG, v. Seltmann, 41. Ed., W 4142, Rn. 10). Ausreichend ist es, wenn sie in Betracht kommt oder nach Aktenlage als geboten erscheint (vgl. Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., VV 4142, Rn. 6). Davon wird man ausgehen können, wenn die Frage der Einziehung naheliegt, weil aufgrund der Aktenlage z.B. mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen sein wird. Die Gebühr wird auch für eine außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Verteidigers verdient (vgl. BeckOK RVG, v. Seltmann, 41. Ed., W 4142, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Burhoff, aaO., VV 4142, Rn. 12 m.w.Nachw., beck-online).

2. Vorliegend hat der Verteidiger erklärt, dass er mit seinem Mandanten über eine mögliche Einziehung gemäß §§ 73ff. StGB gesprochen und ihn dahingehend beraten hat. Eine solche Einziehung hat zwar weder die Staatsanwaltschaft beantragt, noch das Amtsgericht angeordnet, doch war dies nach den oben ausgeführten maßgeblichen Grundsätzen nicht erforderlich. Die Einziehung von Wertersatz kam bei den Anklagevorwürfen der Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB (jeweils 163 EUR für März und April 2016, 52 EUR für Mai 2016, 168 EUR für September 2016 und 263 EUR für Oktober 2016; vgl. BI. 39f. Bd. I d.A.) sowie der Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB (konkret: 5.885,57 EUR; vgl. BI. 106 ff. Bd. II d.A.)) ernsthaft in Betracht — zumal nach der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2017. Sie wurde nicht beantragt, weil das Verfahren (auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft) mit einem Freispruch endete. Dies kann dem Angeklagten nunmehr nicht zum Nachteil gereichen. Der Umstand, dass der Verteidiger seinen Pflichtverteidigervergütungsantrag hinsichtlich der Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG zurückgenommen hat, ist für die Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten ohne Bedeutung.“

Was lernen wir daraus bzw. bestätigt uns das LG: Außergerichtliche Beratung reicht für das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG. Allerdings sollte man – wie der Kollege hier – dazu im Kostenfestsetzungsverfahren vortragen, und zwar sohol als Wahlanwalt als auch als Pflichtverteidiger. Die Gebühr entsteht nämlich für beide – ggf. allerdings in unterschiedlicher Höhe (§ 49 RVG).

Ich hatte überlegt, die Entscheidung erst nach den Feiertagen zu bringen. Ich habe sie dann aber jetzt schon gebracht. Vielleicht findet ja in den nächsten Tagen der ein oder andere Kollege Zeit, sich mal Gedanken zu machen, in welchen Verfahren er in der letzten Zeit zur Einziehung beraten hat. Dann wird es Zeit für einen Gang in den Keller, um die Akte(n) zu suchen und für Nachliquidationen. Auf gehts!

Happy Birthday: 10 Jahre „Burhoff-Online-Blog, eine lange Zeit, oder auch: Danke schön

© treenabeena – Fotolia.de

Wer mich und meine Arbeitsweise ein wenig kennt, der wird es kaum glauben bzw. er wird es sich nicht vorgestellt haben können, dass ich einen Termin vergesse oder übersehe. Aber nun ist es passiert (gibt mir zu denken 🙂 ). Nichts Dramatisches, aber immerhin:

Ich habe nämlich einen runden Jahrestag übersehen. Und zwar die „Geburtststunde“ des „BOB“. In dem ist nämlich am 01.12.2008 – also vor jetzt mehr als 10 Jahren – der erste Beitrag online gegangen. Damals lief das noch unter „Strafrechts-Blog“, die Namensänderung auf „Burhoff-Online-Blog“ habe ich dann 2014 vollzogen, als ich zum ZAP-Verlag gewechselt bin und seitdem den Blog in „Eigenregi“  betreibe.

10 Jahre mit dem Blog online – das ist eine lange Zeit. In der sind bislang 9.124 Beiträge online gegangen, ich zähle 15.711 Kommentare – gute, weniger gute und manchmal auch böse, die Spam-Kommentare zähle ich nicht. Alles in allem m.E. recht beachtlich für einen „Alleinblogger“, die aufgewendete Zeit rechne ich lieber mal nicht :-). Und laut Statistik hatte der Blog insgesamt mehr als 15,5 Mio Besucher und mehr als 2,3 Mio Aufrufe.

Mein erster Beitrag war einer in der Rubrik „Gesetzesvorhaben“, nämlich Weitere Stärkung des Opferschutzes im Strafverfahren, und zwar zum 2. Opferrechtsreformgesetz. Davon spricht heute im Grunde schon keiner mehr. Ich habe dann mal ein wenig weiter im Archiv gestöbert. Ich habe dann nicht gezählt, wie viele Sonntagswitze ich gebracht habe oder wie viele Wochenspiegel. Ist aber schon interessant, über was ich alles berichtet habe. Ich erinnere nur an die Diskussion über die Einsicht in die Bedienungsanleitung von Messgeräten, die u.a. hier ihren Ausgang, zumindest aber ihre Unterstützung durch viele Entscheidungen, über die ich berichtet habe, genommen hat.

Da der 01.12. als Jahrestag ja noch nicht so lange zurückliegt, erinnere ich dann heute doch noch daran. Und die Erinnerung verbinde ich mit einem Dank an alle, die mich in den letzten 10 Jahren unterstützt haben. Das sind die Mitarbeiter der Verlage, die in der ersten Zeit geholfen haben, und dann mein „Blogwart“ Mirko Laudon – er möge mir heute den Ausdruck verzeihen – , der sich neben seinem eigenen Blog „Strafakte“ und seiner anwaltlichen Tätigkeit als Strafverteidiger immer wieder geduldig die Zeit nimmt, die Technik hier auf dem Stand zu halten. Ein Dankeschön sende ich aber auch an all die Kolleginnen und Kollegen, die mir in den vergangenen 10 Jahre immer wieder Entscheidungen geschickt haben, über die ich dann berichten konnte. Die stehen alle auf meiner Homepage online – inzwischen stehen dort mehr als 4.800 Entscheidungen.

Was kommt? Nun, man wird es sehen. Stand heute habe ich nicht vor, mit dem Bloggen aufzuhören. Denn auch ich ziehe daraus Gewinn, weil ich damit up-to-date bleibe, was meinen Büchern und damit wieder deren Nutzern zu Gute kommt. Ich mache also weiter. Ich hoffe, noch lange. Und versprochen ist: Den 20 Jahrestag werde ich nicht vergessen. 🙂

OWi III: Geschwindigkeitsmessung mit Dashcam und GPS, oder: Die bessere Erinnerung des OLG-Senats

© anuwattn – Fotolia.com

Und als letzte Entscheidung stelle ich dann den OLG Köln, Beschl. v. 29.08.2018 – III-1 RBs 212/18 – vor. In ihm nimmt das OLG Stellung zu einer neuen Messmethode, die die Polizei „kreiert“ und die das AG abgesegnet hatte, nämlich die Geschwindigkeitsmessung mittels Dashcam und GPS. Die Polizeibeamten hatten für die Messung eine in ihrem Fahrzeug vorhandene Dashcam benutzt. Bei der Messung hatten die Polizeibeamten sich auf das GPS-Signal der Kamera gestützt. Das AG hatte die Grundsätze des sog. Nachfahrens angewendet und sich zur Frage der Zuverlässigkeit bzw. der Verwertung von mittels GPS errechneten Geschwindigkeitswerten auf eine Fortbildungsveranstaltung gestützt, auf der ein Mitarbeiter der PtB dazu Stellung genommen hatte. Der hatte die Werte als verwertbar angesehen. Die OLG-Richter, die auch an der Veranstaltung teilgenommen hatten, haben das aber anders gesehen. Sie haben die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Die von dem Betroffenen in sachlich-rechtlicher Hinsicht beanstandete Beweiswürdigung des Tatgerichts hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand.

Die im angefochtenen Urteil dokumentierten Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung bilden keine ausreichende Grundlage für die festgestellte Geschwindigkeit und die Annahme des Amtsgerichts, dass die mittels GPS ermittelte Geschwindigkeit „richtig und verwertbar“ sei.

Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStz-RR 2009, 210 m.w.N.; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 22.10.2015, Az. 2 Ss OWi 641/15, zitiert nach juris, insbesondere Rn. 12). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (vgl. BGHSt 29, 18, 19 ff). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Betroffenen zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Soweit das Amtsgericht seine Überzeugung von der Richtigkeit der mittels GPS ermittelten Geschwindigkeit auf Ausführungen des „Sachverständigen Dr. X in einer Fortbildung“ gründet, entbehrt seine Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Priv.-Doz. Dr. X, Leitung Fachbereich Geschwindigkeit, von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt in Braunschweig hat im Rahmen einer durch den Senat organisierten Fortbildungsveranstaltung für die Bußgeldrichter des hiesigen Bezirks mit dem Titel „Geschwindigkeitsmesstechnik und aktuelle Entwicklungen im Bußgeldrecht“ am 12. März 2018 unter anderem auch – ohne Bezug auf ein konkret anhängiges Bußgeldverfahren – zu Fragen aus dem Teilnehmerkreis nach der Zuverlässigkeit satellitenbasierter Geschwindigkeitsmessgeräte mündlich Stellung genommen. Soweit das Amtsgericht ihn im angefochtenen Urteil in diesem Zusammenhang dahingehend zitiert, der Sachverständige habe „keinerlei Bedenken, die Geschwindigkeitsangaben und die Berechnung der Geschwindigkeit den GPS-Angaben zu entnehmen“, und habe „seinerzeit ausgeführt, dass aus seiner fachlichen Sicht und auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung keinerlei Bedenken, dass diese Angaben selbst und die darauffolgende Berechnung der Geschwindigkeit genauer seien als die Messungen, die von herkömmlichen Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt würden“, entspricht eine solche Aussage – jedenfalls in dieser Pauschalität – nicht der Erinnerung der damals anwesenden Senatsmitglieder. Der Senat hat daher Veranlassung gesehen, Herrn Dr. X zu den Ausführungen des Amtsgerichts in den Gründen des angefochtenen Urteils anzuhören, woraufhin er mit E-Mail vom 30. Juli 2018 wie folgt Stellung genommen hat:

„Zunächst zum letzten Absatz auf Seite 64 der Akte, also dort, wo es um die Zuverlässigkeit der GPS-Angaben geht. Hier bin ich tatsächlich missverstanden worden.Es stimmt zwar, dass ich keine Bedenken habe gegen die Zuverlässigkeit von GPS-basierten Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen, jedoch nur, wenn diese gewisse Zusatzvoraussetzungen erfüllen. Insbesondere fordert das Dokument „PTB-Anforderungen PTB-A 18.16 Satellitenbasierte Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte“, dass die Angaben aus den GPS-Daten durch ein weiteres System zumindest plausibilisiert werden. In der Veranstaltung bei Ihnen am OLG Köln hatte ich als Beispiel ein Sensorsystem erwähnt, welches das GPS-Signal mit Signalen aus Dreh- und Beschleunigungssensoren koppelt, um so Signalausfälle oder -verfälschungen kompensieren oder wenigstens erkennen zu können. Ich denke, dass es technisch möglich sein könnte, basierend auf solch einem kombinierten Sensorsystem ein komplettes Geschwindigkeitsüberwachungsgerät zu konstruieren, welches die Fehlergrenzen und die weiteren Anforderungen einhält. Das war meine inhaltliche Aussage.“

Davon ausgehend entbehrt die Annahme des Amtsgerichts, die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsmessung sei zuverlässig und zu Lasten des Betroffenen ohne weitere Sachverhaltsaufklärung verwertbar, einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Der Zeuge PK Q wird im Einklang mit dem Zeugen POK L in den Urteilsgründen dahingehend wiedergegeben, er könne keine Angaben zum Objektiv, zum technischen Gerät insgesamt oder zu Gerätenummer bzw. Benennung des GPS-Senders machen, diese Angaben könnten allerdings sicherlich herausgefunden werden. Das Amtsgericht hat auf dieser Grundlage ohne Kenntnis des Geräteaufbaus und ohne sachverständige Begutachtung der im konkreten Einzelfall gegenständlichen Messung entschieden und eine allgemeine, nicht auf eine konkrete Messung bezogene mündliche Aussage des Herrn Dr. X, die dieser gegenüber dem Senat schriftlich relativiert hat, gleichsam als „Sachverständigenbeweis“ angesehen und zur Grundlage seiner Überzeugungsbildung gemacht. Dies genügt – angesichts der Komplexität der Fragestellung und ihrer Schwierigkeit in technischer Hinsicht nicht den Anforderungen an eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung und ordnungsgemäße Überzeugungsbildung, die Grundlage einer Verurteilung sein könnte.“

OWi II: Geschwindigkeitsbeschränkung durch Gefahrenzeichen, oder: Wann endet sie?

© Gooseman – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt heute mit dem OLG Celle, Beschl. v. 08.11.2018 – 3 Ss (OWi) 190/18 – aus Celle. Es geht um die Frage, wann eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 mit Gefahrzeichen 101 endet. Dazu das OLG:

„c) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das durch Zeichen 274 angeordnete Streckenverbot habe bereits bei Kilometer 124,500 – und damit vor der bei Kilometer 124,750 eingerichteten Messstelle – geendet, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden.

Maßgeblich für das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung ist die Erläuterung Lfd. Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Juli 2017 – IIII-1 RBs 144/17 -, DAR 2017, 647; Hentschel/König/Dauer aaO § 3 Rn. 45b). Danach gilt der Grundsatz, dass das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung gekennzeichnet ist durch die Zeichen 278 bis 282. Eine Kennzeichnung erfolgt nicht, wenn auf einem Zusatzzeichen die Länge des Verbots angegeben ist. Schließlich ist das Ende des Streckenverbots auch dann nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Keine der Ausnahmen greift hier.

Zwar ergibt sich aus den Akten, dass auf der Verkehrsbeeinflussungsanlage – anders als bei der neben der Strecke zusätzlich angebrachten Blechbeschilderung – das Zeichen 274 zusammen mit dem Gefahrzeichen 101 angezeigt wurde. Es fehlt aber an der weiteren Voraussetzung, dass sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergab, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr bestand. Denn das Zeichen 101 bezeichnet eine Gefahrstelle nur allgemein, ohne die Gefahrquelle näher zu spezifizieren. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung wegen des schlechten Erhaltungszustands der Fahrbahn in diesem Streckenabschnitt angeordnet worden ist. Anders als etwa bei einer Kombination des Zeichens 274 mit dem Gefahrzeichen 103, welches eine Kurve als Gefahr bezeichnet (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Oktober 2016 – IV-2 RBs 140/16 –, juris), oder mit dem Gefahrzeichen 123 für eine Baustelle (vgl. dazu OLG Köln aaO) ergibt sich bei Gefahrzeichen 101 wegen Fahrbahnschäden aus der Örtlichkeit nicht zweifelsfrei, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Das Streckenverbot endete dementsprechend erst mit der Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung, welche nach den Feststellungen des Amtsgerichts und ausweislich der Akte (Bl. 69 d.A.) erst bei Kilometer 125,280 angezeigt wurde.“

OWi I: Nachträgliche Heilung der Zustellung, oder: Vorsicht mit der Vollmacht

© MASP – Fotolia.com

Heute ist an vielen Orten wahrscheinlich der letzte Tag, an dem vor Weihnachten noch „richtig“ gearbeitet wird. So auch hier im Blog mit drei Entscheiudungen, bevor es dann morgen noch Gebührenrecht gibt, dem am Samstag der „Kessel Buntes“ folgt. Und ich eröffne heute mit dem KG, Beschl. v. 08.11.2018 – 3 Ws (B) 249/18 – zur Frage der Heilung eines Zustellungsmangels durch nachträgliche Ausstellung der Verteidigervollmacht.

Der Verteidiger hattemit der Rechtsbeschwerde u.a. das Verfahrenshindernis der Verjährung geltend gemacht. Dazu hatte er vorgetragen, dass er sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids vom 22.01.2018 nicht Verteidiger und mithin nicht zustellungsbevollmächtigt gewesen sei. Die mit Schriftsatz vom 07.12.2017 zu den Akten gereichte Vollmacht habe sich lediglich auf die beantragte Akteneinsicht bezogen. Die Entgegennahme von Zustellungen sei hierin jedoch ausdrücklich ausgeschlossen worden. Die dennoch am 25.01.2018 mittels Einwurf in den Kanzleibriefkasten erfolgte Zustellung sei daher unwirksam. Empfangsberechtigt sei er vielmehr erst mit der am 28.01.2018 erteilten Verteidigervollmacht geworden. Die Verjährung sei mithin nicht wirksam durch Erlass des Bußgeldbescheids unterbrochen worden.

Das KG hat das . mit dem AG Tiergarten – anders gesehen:

„b) Die auf die ordnungsgemäß erhobene Sachrüge von Amts wegen veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die festgestellte Ordnungswidrigkeit – entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers – nicht verjährt ist.

(1) Gemäß § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG bis zum Erlass des Bußgeldbescheides drei Monaten, danach sechs Monate.

Die Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG der am 8. November 2017 begangenen Ordnungswidrigkeit ist zunächst durch die Übermittlung des Anhörungsbogens am 28. November 2017 an den Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen worden.

(2) In der Folge ist die Verjährung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 22. Januar 2018 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. Die Zustellung des Bußgeldbescheids ist spätestens am 28. Januar 2018 gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 OWiG i.V.m. § 7 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung i.V.m. § 8 VwZG fingiert. Der Bußgeldbescheid ist mithin innerhalb von zwei Wochen nach dessen Erlass zugestellt. Zugleich wurde die Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 StVG auf sechs Monate verlängert.

Der Senat kann es im Ergebnis offen lassen, ob Rechtsanwalt K. zum Zeitpunkt der Zustellung aus den im amtsgerichtlichen Urteil aufgeführten Gründen nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG ermächtigt war, Zustellungen entgegenzunehmen oder zumindest – wovon die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme ausgeht – aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, die neben der gesetzlichen nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG bestehen kann, zustellungsbevollmächtigt war (vgl. hierzu KG NStZ-RR 2016, 289). Denn jedenfalls wäre ein etwaiger Zustellungsmangel geheilt.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG gelten im Zustellungsverfahren die landesrechtlichen Vorschriften zur Zustellung. Nach § 7 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung gilt das Verwaltungszustellungsgesetz. Dementsprechend findet § 8 VwZG Anwendung, nach dem ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung von zwingenden Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat.

Das Rechtsbeschwerdevorbringen und damit eine (zunächst) fehlende Empfangsvollmacht des Rechtsanwalts K. unterstellt, hätte der Bußgeldbescheid dem Betroffenen zugestellt werden müssen. Wegen dieses Verstoßes gegen zwingende Zustellungsvorschriften ist der Anwendungsbereich des § 8 VwZG eröffnet.

Die Heilung ist dadurch eingetreten, dass der Beschwerdeführer dem Rechtsanwalt am 28. Januar 2018 eine Verteidigervollmacht erteilt hat und seit diesem Tag gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG kraft Gesetzes empfangsberechtigt war.

Ohne Belang für die Heilung nach § 8 VwZG ist hierbei, dass dem Rechtsanwalt der Bußgeldbescheid zugegangen ist, bevor er empfangsberechtigt wurde. Nach allgemeiner Auffassung erfordern es nämlich Sinn und Zweck der Heilungsvorschriften diese auch dann anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt erst durch spätere Bevollmächtigung zum Verfahrensbeteiligten wird und er bereits vorher in den Besitz eines zuzustellenden Schriftstücks gelangt ist. Hat er zu diesem Zeitpunkt das Schriftstück noch im Besitz, dann hat er es mit der Bevollmächtigung gemäß § 8 VwZG erhalten, so dass es als zugestellt gilt (BVerwG NVwZ 1999, 178; OLG Düsseldorf NJW 2008, 2727).

Nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen ist der Bußgeldbescheid – wie auch aus der Postzustellungsurkunde ersichtlich – dem Rechtsanwalt am 25. Januar 2018 tatsächlich zugegangen. Da bereits drei Tage nach Zustellung die Verteidigervollmacht erteilt wurde, ist – auch mangels gegenteiligen Anhaltspunkte – davon auszugehen, dass der Rechtanwalt zu diesem Zeitpunkt noch immer im Besitz des Bußgeldbescheids war. Der Betroffene hat nach der Bußgeldakte eine Ablichtung des Bescheids erhalten, so dass auch kein erkennbares Bedürfnis für eine eventuelle vorherige Weitergabe des Bescheids an den Betroffenen durch den Rechtsanwalt besteht. Im Übrigen wäre auch in diesem Fall eine Heilung nach § 8 VwZG zu prüfen (vgl. hierzu OLG Hamm DAR 2017, 642).

Die Bußgeldbehörde hatte auch den von den Heilungsvorschriften vorausgesetzten Zustellungswillen.

Dieser erfordert, dass die Behörde eine förmliche Zustellung tatsächlich vornehmen wollte, was schon immer dann anzunehmen ist, wenn die Behörde – wie hier – das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zuleitet. Es kommt nicht darauf an, dass der behördliche Wille auch auf die Einhaltung der für die Zustellungsart erforderlichen Förmlichkeiten gerichtet ist (BVerwG a.a.O; Smollich in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Aufl. 2014 VwZG § 8 Rn.2).

Mithin ist der Verstoß gegen die Zustellungsvorschriften geheilt worden.“

Also wie immer in Vollmachtsfragen: Vorsicht!!