Archiv für den Monat: August 2018

Wörtliche Wiedergabe umfangreicher, nicht verlesener Urkunden im Urteil, oder: Inbegriffsrüge

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Die zweite Entscheidung heute kommt auch aus Bayern, und zwar vom OLG Bamberg. Es handelt sich um die den OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2018 – 3 OLG 130 Ss 30/18 – zur Frage, wie geltend zu machen ist, wenn beanstandet werden soll, dass im Urteil nicht verlesene Vernehmungsniederschriften eines Zeugen wörtlich wieder gegeben werden. Das OLG sagt: Mit der Inbegriffrüge

„Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist bereits mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO begründet und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich sämtlicher Feststellun-gen (§ 349 IV StPO) und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des LG, weshalb auf es auf die weiteren Beanstandungen der Revision nicht mehr ankommt.

„1. Die Inbegriffsrüge, mit der ein Verstoß gegen § 261 StPO geltend gemacht wird, weil das LG mehrere Protokolle über die Vernehmung einer Zeugin, auf deren Aussagen es die Verurteilung auch stützt, im Rahmen in der Beweiswürdigung wörtlich niedergelegt habe, ohne diese förmlich verlesen zu haben, ist in zulässiger Weise erhoben. Insbesondere bedurfte es angesichts der wörtlichen Wiedergabe mehrerer umfangreicher Urkunden über Seiten hinweg ausnahmsweise nicht des Vortrags, dass deren Inhalt nicht durch nicht protokollierungsbedürftigen Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (BGH, Beschl. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = wistra 2017, 351 = StraFo 2017, 206 = NStZ 2017, 722 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 1; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 249 Rn. 30; KK/Ott StPO 7. Aufl. § 261 Rn. 80). Bei dieser Sachlage ist die Feststellung des genauen Inhalts der Protokolle durch bloßen Vorhalt an die Zeugin nicht möglich. Denn ein Vorhalt selbst kann nicht Grundlage einer Verurteilung sein; vielmehr kommt es allein auf die Erklärung desjenigen an, dem der Vorhalt gemacht wird (BGH, Beschl. v. 05.04.2000 – 5 StR 226/99 = wistra 2000, 219 = NStZ 2000, 427 = StraFo 2000, 267 = StV 2000, 477 = BGHR StPO § 249 I Verlesung, unterbliebene 1). Dass ein Zeuge aber den genauen Inhalt von Protokollen über frühere Vernehmungen, die sich über mehrere Seiten erstrecken, bestätigen kann, ist ausgeschlossen.

2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. In der wortgetreuen Wiedergabe mehrerer Vernehmungsprotokolle liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO, wonach die Überzeu-gungsbildung des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist. Eine förmliche Verlesung der Urkunden gemäß § 249 I StPO erfolgte nicht, was durch das Fehlen des entsprechenden Eintrags im Hauptverhandlungsprotokoll gemäß § 274 S. 1 StPO belegt wird (BGH, Urt. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = ZInsO 2017, 1038 = StraFo 2017, 206 = NZI 2017, 542 = GmbHR 2017, 925 = BGHR StGB § 283 I Nr. 1 Beiseiteschaffen 6 = wistra 2017, 351 = NStZ 2017, 722). Im Übrigen hat die Berufungskammer die von der Verteidigung beantragte Verlesung der Urkunden sogar ausdrücklich abgelehnt. Da aus den bereits dargelegten Gründen die Einführung des Inhalts dieser Urkunden durch Vorhalt nicht in Betracht kam, ist der Verfahrensverstoß bewiesen.“

Betrugsvorwurf gegen Beamtin im Vorruhestand, oder: Ohne Wenn und Aber Pflichtverteidiger

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Fangen wir heute mit einer „Überraschungsentscheidung“ an, und zwar mit einer positiven. Jedenfalls war der Kollege Alte aus Anzing, der mir den AG Landshut, Beschl. v. 02.08.2018 – Gs 2927/18 – geschickt hat, überrascht. Und ich war es auch, denn es war/ist ein bayerisches (!!) AG, das im Ermittlungsverfahren wegen Betruges gegen einen Beamtin im Vorruhestand ohne Wenn und Aber und ohne Hin und Her einen Pflichtverteidiger bestellt hat. Und das dann u.a. auch noch auf Antrag der Staatsanwaltschaft:

„Der Beschuldigten wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft und ihren eigenen Antrag hin Rechts­anwalt Alte als Pflichtverteidiger bestellt, da sie als Angehörige des öffentlichen Dienstes aufgrund des anhängigen Ermittlungsverfahrens mit standesrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat.“

Ja, überrascht 🙂 ? Mit Recht, denn das ist alles an Begründung 🙂 .

„Ist das denn so schwer?“, oder: Absetzen des Urteils während des Verteidigerplädoyer ==> Befangen…

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Und auch die letzte Entscheidung stammt aus der Rubrik: „Ist das denn so schwer?“. Dieses Mal richtet sich die Frage an einen Richter, der im Bußgeldverfahren schon während des Plädoyers des Verteidigers die Urteilsformel geschrieben und unterschrieben hat. Das AG Fürth sagt im AG Fürth, Beschl. v. 24.07.20178 – 471 OWi 704 Js 105668/18: Der ist/war befangen.

„Dem zulässigen Ablehnungsgesuch war stattzugeben.

Zunächst ist festzuhalten, dass nach § 24 Abs. 2 StPO die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet ist, wenn ein Grund vorliegt, der, geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es kommt also weder darauf an, ob der Richter tatsächlich parteiisch ist oder sich für befangen hält, noch darauf, ob der Ablehnende subjektiv diesen Eindruck hat. ‚Maßgeblich ist allein, ob ein vernünftiger Betroffener nach dem ihm bekannten Sachverhalt bei verständiger Würdigung Grund zur Annahme hat, der Abgelehnte nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne (BGH1, 34, 39).

Das Verhalten des Richters während der Hauptverhandlung kann die Ablehnung begründen, wenn es besorgen lässt, dass er nicht unvoreingenommen an die Sache herangeht, insbesondere von der Schuld des Betroffenen bereits endgültig überzeugt ist. Ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters ist grundsätzlich zu bejahen, wenn sich aus dessen Verhalten ergibt, dass das Ergebnis der Entscheidungsfindung bereits feststeht, obgleich dem Betroffenen noch rechtliches Gehör zu gewähren ist. Das ist hier der Fall; weil Richter am Amtsgericht pp. schon während des Plädoyers des Verteidigers das Urteil abgesetzt hat.“

Es kann doch nicht so schwer sein, zu warten, bis das Plädoyer zu Ende ist und der Betroffene ggf. das letzte Wort hatte……

 

„Ist das denn so schwer?“, oder: Schon/mal wieder eine unzulässige Revision des Nebenklägers

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Ebenfalls aus der Rubrik: „Ist das denn so schwer?“ stammt der BGH, Beschl. v. 05.06.2018 – 2 StR 170/18. Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a. wegen sexueller Nötigung. Und der Rest ergibt sich dann aus dem BGH-Beschluss:

„Hiergegen wendet sich die Revision der Nebenklägerin R. mit der nicht ausgeführten Formalrüge und der in allgemeiner Form erhobenen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel erweist sich als unzulässig (§ 349 Abs. 1, § 400 Abs. 1 StPO).

Nach § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Ist der Angeklagte – wie hier – wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilt worden, bedarf die Revision des Nebenklägers eines genauen Antrages oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich des Nebenklagedelikts verfolgt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 2. August 2016 – 2 StR 454/15 mwN). Diesen Anforderungen wird die allein mit der nicht ausgeführten Formalrüge und mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge begründete Revision der Nebenklägerin nicht gerecht. Weitere Ausführungen, aus denen sich das Ziel des Rechtsmittels entnehmen ließe, sind bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht eingegangen, so dass die Revision zu verwerfen ist.“

Man – jedenfalls ich – mag es nicht mehr lesen….

„Ist das denn so schwer?“, oder: Die Anforderungen an den Wiedereinsetzungsantrag

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In die Abteilung: „Ist das denn so schwer?“ gehört der BGH, Beschl. v. 26.06.2018 – 3 StR 197/18, der sich mal wieder zu den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Wiedereinsetzungsantrag verhält. Und ich mache nicht viel Worte, denn der Beschluss(inhalt) spricht für sich:

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, da er den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 1 StPO nicht genügt. In Fällen, in denen die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nach Aktenlage nicht offensichtlich ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags, dass der Antragsteller mitteilt, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist; dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH NStZ-RR 2016, 86 mwN; LR-Graalmann-Scheerer StPO, 27. Auflage, § 45 Rn 15). Vorliegend teilt die Revision lediglich mit, dass der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 9. März 2018 dem Verteidiger am 18. März 2018, dem Tag seiner Urlaubsrückkehr, zur Kenntnis gelangt sei. Wann der Angeklagte Kenntnis von dem Verwerfungsbeschluss erlangt hat, ist dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen. Aus der Aktenlage ist auch nicht offensichtlich erkennbar, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 26. März 2018 mit Blick auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Angeklagten innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO angebracht worden ist. Die vom Vorsitzenden am 9. März 2018 verfügte formlose Zustellung an den Angeklagten wurde am 13. März 2018 ausgeführt (SA Bd. VI S. 1243). Angesichts der üblichen Postlaufzeit ist es unschwer möglich, dass der zu dieser Zeit nicht mehr in Haft befindliche (UA S. 5) Angeklagte den Verwerfungsbeschluss im Laufe des 16. März 2018 (Freitag) erhalten und zur Kenntnis genommen hat und somit der am 26. März 2018 angebrachte Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr fristgerecht war. Die Mitteilung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung durch den Angeklagten war daher nicht – ausnahmsweise – entbehrlich.“

Hatten wir doch alles schon…..