Archiv für den Monat: Mai 2018

Kein Automatismus: Verurteilung in einer „KiPo-Sache“ = DNA-Identitätsfeststellung

entnommen open clipart.org

Und dann die dritte LG-Entscheidung. Es handelt sich um den LG Braunschweig, Beschl. v. 19.04.2018 – 4 Qs 72/18, den ich vom Kollegen Hertweck aus Braunschweig erhalten habe. Ergangen ist er, nachdem der Betroffene durch amtsgerichtliches Urteil wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat die Anordnung der Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekulargenetischer Untersuchung beantragt (§ 81g StPO). Das AG hat dem Antrag entsprochen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg:

„Es fehlt – jedenfalls derzeit – an der erforderlichen Negativprognose für die Annahme von Wiederholungsgefahr.

Die Prognoseentscheidung muss sich dabei mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen. Eine bloß abstrakte Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens genügt für die Anordnung der Maßnahme nach § 81g StPO nicht. Dementsprechend genügt die bloße kriminalistische Erfahrung, dass bei Personen, die geneigt sind, sich aus sexueller Motivation kinderpornographische Bilder zu beschaffen und zu betrachten, nicht, auch wenn bei diesen Personen grundsätzlich von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit künftiger gleich gelagerter Straftaten auszugehen ist (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 Qs 152/11). Zudem enthält das Urteil keine Feststellungen dazu, aus welcher Motivation heraus sich der Beschwerdeführer kinderpornographische Schriften verschafft und verbreitet hat.

Ferner genügt allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer (auch) wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist, nicht, um eine Negativprognose zu begründen (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13).

Erforderlich ist das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände. Hierfür genügt die (allgemeine) Verbreitung kinderpornographischer Schriften noch nicht. Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Braunschweig vom 22.01.2018 kinderpornographischer Schriften über einen Chat-Dienst im Internet eingestellt, sodass eine Vielzahl anderer Nutzer dieses Dienstes darauf Zugriff nehmen konnten. Einen unmittelbaren Kontakt zu Kindem oder Jugendlichen in Bezug auf die Taten, wegen derer er verurteilt wurde, gab es nicht.

Solches könnte hingegen ein besonderer Umstand in obigem Sinne sein (siehe auch LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.201 1 – 3 Qs 152/11).

Zwar weist die Staatsanwaltschaft Hannover zutreffend darauf hin, dass das Verbreiten kinderpornographischer Schriften eine größere kriminelle Energie erfordert als das bloße Besitzen derselben. Aus den im vorangehenden Absatz dargelegten Gründen reicht dies jedoch für die Anordnung von Maßnahmen nach § 81g StPO nicht aus.

Weder aus der Art und Ausführung der bisher bekannten Anlasstaten, der Persönlichkeit des Beschwerdeführers noch aus sonstigen Erkenntnissen bestehen hinreichende Gründe für die Annahme, dass gegen ihn künftige Strafverfahren zu führen sein werden, bei denen er körperlich auf andere Personen einwirken und so typischerweise DNA-Spuren hinterlassen wird, sodass sein DNA-Identifizierungsmuster in künftigen Ermittlungsverfahren einen Aufklärungsansatz bieten könnte. Die Straftaten, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, wurden mithilfe seines Computers begangen, ohne dass er dazu unmittelbar physischen Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen aufgenommen hat. Bei Straftaten, die auf diese Weise begangen werden, können gespeicherte DNA-Muster nicht zu einem Ermittlungsansatz führen, weil sich das DNA-Material nur an dem Computer finden ließe (LG Hannover, Beschl. v. 07.06.2013 – 30 Qs 16/13; LG Darmstadt, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 Qs 152/11).

Es fehlt schließlich an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Beschwerdeführer künftig Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird, bei denen er DNA-Material hinterlassen wird. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils war der Beschwerdeführer vor der Verurteilung strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Weiter ist dem Beschwerdeführer eine positive Sozialprognose gestellt worden, da die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gründe, die nunmehr eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.“

Durchsuchung wegen Kokainerwerb, oder: Die Durchsuchung dient nicht der Begründung eines Verdachts

© dedMazay – Fotolia.com

Die zweite LG-Entscheidung hat mir der Kollege Rakow aus Rostock geschickt. Es geht im LG Rostock, Beschl. v. 30.11-2017 – 13 Qs 149/17 (1) – auch um eine Durchsuchung in einem BtM-Verfahren. Durchsucht wird die Wohnung des Beschuldigten. Zur Begründung führte das AG Rostock (nur) aus:

„Die Beschuldigte ist verdächtig in Rostock in der Zeit vom 20.02.2017 bis zum 07.09.2017 von dem gesondert verfolgten pp. Kokain erworben zu haben.

Die Beschuldigte ist dieser Tat(en) verdächtig aufgrund der bisherigen polizeilichen Ermittlungen. Insbesondere aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung im Verfahren  gegen pp. Hier gibt es eine Vielzahl von Telefonaten zwischen pp und der Beschuldigte, in dem es ganz offensichtlich um den Erwerb von Kokain geht.

Dieser konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden; es besteht nach bisherigen Erkenntnissen der naheliegende“ Verdacht, dass eine Durchsuchung bei der Beschuldigten und der von ihr genutzten Räume zur Auffindung der oben benannten Beweismittel führen wird und deshalb eine geeignete und erforderliche Strafverfolgungsmaßnahme ist.“

Dem LG reicht das so nicht:

Ein Durchsuchungsbeschluss hat mit Blick auf die Bedeutung eines Eingriffes in die durch Art. 13 GG geschützte persönliche Lebenssphäre bestimmten inhaltlichen Anforderungen zu genügen, insbesondere sind tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, sofern sie nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich sind und den Zwecken der Strafverfolgung nicht zuwiderlaufen (BVerfGE 20,  162, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, § 105 StPO, Rn. 5 m.w.N.). Darüber hinaus sind Zweck und Ziel der Durchsuchung zu konkretisieren, Art und Inhalt der aufzufindenden Beweismittel sind so anzugeben, dass kein Zweifel über die zu suchenden Gegenstände entsteht; es muss die Vornahme einer Einzelprüfung zu erkennen sein (BVerfGE 42, 212, 221), Zudem sind die wesentlichen Verdachtsmomente darzulegen, in aller Regel also auch die Indiztatsachen, auf die der Verdacht gestützt wird. Diese Begründung darf nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährdet (BGH NStZ7RR 2009, 142; BVerfG, NJW 2015, 1585, 1587; Meyer-Goßner/Schmidt, § 105 StPO, Rn. 5a m.w.N.).

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Beschuldigten vor Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses regelmäßig kein rechtliches Gehör gewährt (§ 33 Abs. 4 StPO) und vor Abschluss der Ermittlungen oftmals Akteneinsicht auf Grundlage von § 147 Abs. 2 StPO verwehrt wird, so dass er durch die Darlegungen im Durchsuchungsbeschluss in die Lage versetzt werden soll) den zugrunde liegenden Tatvorwurf zu überprüfen und sich dagegen sachgerecht zu verteidigen.

Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss wird diesen Anforderungen jedenfalls hinsichtlich der Mitteilung der wesentlichen Verdachtsmomente nicht gerecht. Allein die Inbezugnahme der Telekommunikationsüberwachung und vermeintlich inkriminierender Telefonate mit dem gesondert verfolgten pp. ist nicht geeignet, den Tatvorwurf weiter zu konkretisieren. Dementsprechend enthält der Durchsuchungsbeschluss auch keine tatsächlichen Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs, insbesondere sind keine Angaben zu den jeweiligen Zeitpunkten enthalten, zu denen die Beschuldigte Kokain erworben haben soll. Wann sich die Beschuldigte jeweils mit dem gesondert verfolgten pp. zur Übergabe von Bargeld getroffen haben dürften, ließ sich indes im Wesentlichen den bisherigen Ermittlungsergebnissen entnehmen, namentlich der Telekommunikationsüberwachung über den Nachrichtendienst WhatsApp (BI. 5-19 d.A.). Es ist nicht erkennbar, dass durch die Bekanntgabe dieser Verdachtsmomente der Untersuchungszweck gefährdet worden wäre.

Gleichwohl lässt selbst die Überwachung der Kommunikation über den Nachrichtendienst WhatsApp keine Rückschlüsse auf den Ankauf von Kokain oder anderen Betäubungsmitteln zu. Die Verdachtsmomente müssen – um die Grundlage für einen zwingend notwendigen Anfangsverdacht zu begründen – über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen. Insbesondere darf eine Durchsuchung nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung des Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (BVerfG, Beschl. v. 24.01.2013 – 2 BvR 376/11). Die aufzufindenden Beweismittel – vorliegend „schriftliche Aufzeichnungen über den Erwerb von Kokain, Kontoauszüge und BtM-Utensilien“ – dienten der Ermittlung erstmalig belastender Tatsachen und waren für sich genommen ebenfalls nicht geeignet, die Durchsuchung rechtsstaatlich zu umgrenzen.“

Nr. 4500 – Gefahr im Verzug, oder: Wenn die BtM aus dem Fenster fliegen, und: Zu spät angerufen

Heute dann mal drei LG-Entscheidungen. Zunächst den LG, Limburg, Beschl. v. 09.04.2018 – 1 Qs 21/18 u. 38/18 u. Qs 39/18. Es geht um das Vorliegen von Gefahr im Verzug bei Durchsuchung und Anordnung einer Blutentnahme, also um den Richtervorbehalt. Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

Am 16.01.2018 gegen 11.20 Uhr suchten ein POK P. und zwei weitere Polizeibeamte die Wohnanschrift des Beschuldigten auf. Hintergrund war eine Ordnungswidrigkeit in anderer Sache. Als sich die Beamten auf das Wohnhaus zu bewegten, wurden aus einem Fenster im Dachgeschoss zwei Tüten in den Garten geworfen. Da nach deren Durchsicht die Beamten Amphetamin und Marihuana zu erkennen glaubten, forderte POK P. über Funk Verstärkung an. Noch vor einem Läuten traten der Beschuldigte und zwei männliche Personen aus dem Wohnhaus heraus.

POK P. eröffnete ihnen die vorläufige Festnahme unter Hinweis auf die aufgefundenen Drogen und ordnete die sofortige Durchsuchung des Hauses wegen Gefahr in Verzug an. Der Beschuldigte und seine männlichen Begleiter wurden unter Gegenwehr gefesselt und in den Streifenwagen verbracht. Nachdem um 11.50 Uhr angeforderte Unterstützung eingetroffen war, wurde der Beschuldigte zur Abklärung der Wohnverhältnisse in den 1. Stock des Wohnhauses geführt, in dem sich noch eine männliche Person befand. Im Zuge dessen kam es u.a. zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Beschuldigten und einem Beamten. Die Durchsuchung endete gegen 12.45 Uhr. Der Beschuldigte wurde im Anschuss auf die Polizeidienststelle verbracht und in der Zeit von 14.30 Uhr bis 14.40 Uhr vernommen. Um 15.40 Uhr wurde die StA zwecks Vorführung des Beschuldigten und Anordnung einer Blutentnahme im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte kontaktiert.

Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft teilte der Polizeidienststelle um 16.20 Uhr mit, sie werde eine Anordnung der Blutentnahme bei dem zuständigen Ermittlungsrichter beantragen. Um 16.30 Uhr ordnete sie selbst die sodann von einem Arzt durchgeführte Blutentnahme an, nachdem sie den Ermittlungsrichter nicht erreicht hatte. Das AG hat die Anordnungen der Durchsuchung und der Blutentnahme als rechtmäßig bestätigt (§ 98 Abs. 2 StPO analog). Das Rechtsmittel des Beschuldigten hatte teilweise Erfolg. Und zwar zweigeteilt:

So weit es die Rechtsmäßigkeit der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten betrifft, hat das LG die als als rechtmäßig angesehen. Dazu der Leitsatz des LG:

Gefahr in Verzug für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung liegt vor, wenn Polizeibeamten in nicht vorhersehbarer Weise mit einer neuen Verdachtssituation konfrontiert werden und die Beweismittelvernichtung bereits begonnen hat.

Hinsichtlich der Blutentnahme – es ist kein Fall des neunen § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO – hat das LG „Gefahr im Verzug“ verneint. Dazu der Leitsatz:

Demgegenüber ist die Annahme von Gefahr in Verzug für die Anordnung einer Blutentnahme nicht gerechtfertigt, wenn der 10-minütige Versuch, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, erst mehrere Stunden nach der Festnahme erfolgt.

Die Entscheidung ist, was die Anordnung der Blutentnahme angeht (§ 81a Abs. 2 Satz 1 StPO) zutreffend. Hinsichtlich der Durchsuchung kann man m.E. Zweifel anmelden. Denn mir erschließt sich nicht, warum man die Zeit zwischen dem Eintreffen an der Wohnung des Beschuldigten und dem Beginn der Durchsuchung um 11.50 Uhr nicht genutzt hat, um doch noch eine richterliche Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme – ggf. auch mündlich – zu erlangen. Denn wenn man das Eintreffen der Verstärkung abwarten konnte, dann konnte man auch den Versuch der Kontaktaufnahme zum Ermittlungsrichter unternehmen. Das lässt m.E. entgegen der Ansicht des LG den „zeitlichen Zusammenhang“ entfallen. So eilig war es dann mit der Durchsuchung wohl doch nicht.

Das war übrigens die 4.500-Entscheidung, die ich auf meiner HP – außer den Beschlüssen des OLG Hamm – eingestellt habe.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich nach einer Strafanzeige ab?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Am vergangegen Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich nach einer Strafanzeige ab?.  Dazu dann heute meine Antwort, die ich auch so in der Facebook-Gruppe gegeben hatte:

Was wollen Sie wem gegenüber abrechnen?

1. Gegenüber der Staatskasse geht nicht. Es fehlt eine Kostengrundentscheidung. Zudem: Mandant war Anzeigeerstatter.
2. Gegenüber dem Mandanten rechnen Sie nach Teil 4 VV RVG ab, falls Sie nicht, was empfehlenswert gewesen wäre, eine VV abgeschlossen haben, und zwar:

Ich gehe daon aus, dass Sie nicht den vollen Auftrag hattten. Dann fallen an:

Eine Einzeltätigkeit nach der Nr. 4302 Nr. 3 VV RVG für die Strafanzeige und, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass die DAB eine eigene Einzeltätigkeit ist, dafür noch einmal die Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG.

Für die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschuldigten sind keine Extragebühren angefallen. Welche sollte das auch sein?“

BVV II: Nicht richtig belehrt, oder/aber: „Dummheit schützt vor Strafe“, sagt der BGH

© J.J.Brown – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 StR 163/17. Kommt also vom 2. Strafsenat. Der ist auch nicht mehr das, was er mal war 🙂 : Das LG hat den Angeklagten im „zweiten Durchgnag“ wegen „gemeinschaftlich begangenen Mordes“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner dagegen gerichteten Verfahrensrüge hat der Angeklagte geltend gemacht, seine Angaben bei seiner Vernehmung seien unverwertbar, weil er entgegen § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. (jetzt: § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO) im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen nicht darüber belehrt worden sei, dass ihm unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden könnte. Die Rüge hatte natürlich keinen Erfolg:

„Tatsächlich sind zwar die notwendigen Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. nicht erfolgt. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revision – kein Verwertungsverbot.

Die Frage, ob das Unterbleiben des gesetzlich vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden; er hat allerdings bereits vor der gesetzlichen Einführung dieser Belehrungspflicht auch ohne gesetzliche Vorgabe im Einzelfall eine Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigung bejaht und bei einem Verstoß hiergegen ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot abgelehnt (BGH NStZ 2006, 236, 237). Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass nur gravierende Verfahrensverstöße zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten und die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nicht annähernd einer Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Verteidigerkonsultation gleich komme, die grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich ziehe.

Der Senat hält auch nach der Einfügung der Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. die Annahme eines absoluten Beweisverwertungsverbots nicht für geboten (ebenso: Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 136 Rn. 21). Weder dem Gesetz, das Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren umsetzt, noch den Gesetzgebungsmaterialien oder auch der genannten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung das Ziel verfolgt, die Verletzung der Belehrungspflicht hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen den von der Rechtsprechung für Verstöße gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entwickelten Grundsätzen gleichzustellen. Dies gilt auch, wenn davon auszugehen ist, dass die neu eingefügte Regelung der Sache nach eine Erweiterung der Pflicht zur Belehrung über die Verteidigerkonsultation nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darstellt (so im Ergebnis auch Schuhr, in: Münchener Kommentar zur StPO, § 136, Rn. 38). Hieraus folgt nicht, dass auch hinsichtlich der Rechtsfolgen an diese Regelung anzuknüpfen wäre (a.A. aber Schuhr, aaO). Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen zur alten Rechtslage ausgeführt hat, bleibt die Verletzung der Pflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StPO a.F. in ihrer Bedeutung hinter derjenigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurück, die die grundsätzliche Zugangsmöglichkeit zu einem Verteidiger als solchen betrifft. Es handelt sich insoweit um eine für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutive Bestimmung, deren Verletzung in aller Regel zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots führen muss (vgl. dazu Schneider, NStZ 2016, 552, 554). Damit sind die Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die nicht absolut gelten und vom Vorliegen der in § 140 Abs. 1 und 2 StPO genannten Voraussetzungen abhängig sind, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat, sondern lediglich anregen kann, dass die Staatsanwaltschaft von ihrem Antragsrecht Gebrauch macht. Hieran sollte im Übrigen – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – die Ergänzung der Vorschrift nichts ändern (vgl. BT-Drucks. 17/12578, 16).

Die nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. bzw. § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des Angeklagten begründet deshalb kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt hier nicht in Betracht. Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben ist und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagten hätten im Rahmen ihrer ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil sie mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätten, sich eines Verteidigers zu bedienen. Auch die Revision hat hierzu nichts vorgetragen.“

Mich machen solche Entscheidungen ärgerlich und lassen mich dann auch ratlos zurück. Denn ich frage mich: Was sollen eigentlich die ganzen neuen Belehrungspflichten, die in Umsetzung der Vorgaben aus Brüssel eingeführt werden durch Gesetze, die wie hier das „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“ v. 2.7.2013 (BGBl I, S. 1938) auch noch das Wort „Stärkung der Beschuldigtenrechte“ o.Ä. im Namen führen, wenn diesen Worten dann nicht auch Taten folgen. Oder anders gefragt: Wie will man eigentlich die Ermittlungsbehörden anhalten, die Vorgaben neuer gesetzlicher Vorschriften umzusetzen, wenn man sie nicht bestraft, wenn sie dies nicht tun? Also die Angaben, die Beschuldigte trotz unzureichender Belehrungen dann als unverwertbar ansieht.

Tut man dies nicht kann man sich m.E. die gesetzlichen Neuregelungen, die – wie dieser Fall anschaulich zeigt, den Vernehmungsbeamten häufig ja noch nicht einmal bekannt sind – ersparen. Zumal der BGH den allgemeinen Satz „Dummheit schützt vor Strafe nicht“ umgekehrt und nach dem Satz verfährt: „Dummheit schützt vor Strafe“. Wenn es dem Gesetzgeber wirklich mit der Stärkung von Beschuldigtenrechten ist, dann würde er endlich gesetzliche Beweisverwertungsverbote einführen und dem obergerichtlichen „Eiertanz“ der Abwägungslehre, den wir hier auch wieder lesen müssen, ein Ende bereiten. Aber das ist im Grunde nicht gewollt. Und das wird sich auch in den kommenden Jahren der GroKo nicht ändern. Deren Koalitionsvertrag lässt vielmehr Schlimmes erahnen.

Verteidiger müssen sich auf die Situation einstellen und zumindest die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, um in der Revision ein Beweisverwertungsverbot überhaupt geltend machen zu können, also Widerspruch einlegen gegen die Verwertung der inkriminierten Angaben. Bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.

Und natürlich auch hier wieder: Nicht ausreichend vorgetragen…..