Archiv für den Monat: Februar 2016

Das sog. „U-Bahn-Lied“, oder: Mainz ist nicht Jerusalem und Jerusalem ist am Spiel nicht beteiligt

Pimke - Own work

Pimke – Own work

Gestern ist auf der Homepage NRWE der OLG Hamm, Beschl. v. 01.10.2015 – 1 RVs 66/15 – veröffentlicht worden. In ihm geht es um den Tatbestand der Volksverhetzung. Das AG Dortmund hatte zwei Anhänger des BVB wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) jeweils zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt, weil sie bei einem Bundesligaspiel gegen Mainz 05 im April 2014 das sog. U-Bahn-Lied in Richtung gegnerischer Fans gesungen hatten. Text des Liedes „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!“. Das Singen dieses Liedes war für die umstehenden Personen deutlich hörbar.

Das OLG Hamm hat die Verurteilung wegen Volksverhetzung bestätigt. Das OLG geht davon aus, dass die Angeklagten eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art verharmlost hätten. Die Verharmlosung sei zudem geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Dazu aus der PM zu dem m.E. lesenswerten Beschluss:

Das Verhalten der Angeklagten stelle eine, so der Senat, gemäß § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch strafbare Volksverhetzung dar. Die Angeklagten hätten eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise verharmlost, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die Vorschrift des Völkerstrafgesetzbuches verbiete es, eine nationale, rassische, religiöse oder ethische Gruppe unter Lebensbedingungenzu stellen, die sie körperlich zerstören könne. Der gesungene Liedtext beziehe sich auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung dieser Art, er billige das Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz. Der im Liedtext besungene Startort Jerusalem stehe als Synonym für Juden. Die Verbindung von Jerusalem und Auschwitz durch die U-Bahn als direktes Transportmittel verbildliche die Transporte der Opfer des Holocaust nach Auschwitz.

Nach dem Text solle die U-Bahn von den Sängern erst noch gebaut werden. Das stelle die Bezüge zur Vergangenheit in einen Kontextzu einem künftigen Geschehen, auf welches die Sänger hinwirken wollten. Unabhängig davon, dass ersichtlich nicht ernsthaft eine UBahn von Jerusalem nach Auschwitz gebaut werden solle, bringe der Text des Liedes symbolisch die Möglichkeit zum Ausdruck, dass eine Wiederholung der Transporte jüdischer Menschen an den Ort eines früheren Vernichtungslagers denkbar sei. Dadurch erscheine der Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden in seinem Unrechtsgehalt begrenzt, mithin nicht schwerwiegend und der Gedanke einer Wiederholung als billigenswert. Aus Sicht eines verständigen Zuhörers erscheine das als eine Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten.

Es gebe keine Begleitumstände, die das Lied in einen anderen Kontext, z.B. den einer Fanrivalität, stellen könnten. Das Lied sei
zwar in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans gesungen worden, sein Inhalt aber nicht an diese gerichtet gewesen, Mainz sei nicht Jerusalemund Jerusalem sei am Spiel nicht beteiligt gewesen. Das Singen des Liedes durch die Angeklagten sei geeignet gewesen,den öffentlichen Frieden zu stören. Insoweit genüge schon die konkrete Eignung. Bei der in der Liedform in die Öffentlichkeit getragenen ?Judenhetze? bestehe ohne weiteres die Gefahr, dass die Botschaft der Angeklagten von Zuhörern, die diese billigten, weitergetragen werde, so dass das psychische Klima aufgeheizt.“

Ohne Worte. Nicht wegen des Beschlusses, sondern wegen des Liedes…..

Vorsicht mit einer „Anregung“ … „aus prozessökonomischen Gründen“

© Spencer - Fotolia.com

© Spencer – Fotolia.com

Im OLG Bamberg, Beschl. v. 03.09. 2015 – 3 Ss OWi 1062/15 – ging es um die Zulässigkeit der Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG. Im Streit war die Frage, ob ein vom Verteiidiger zunächst eingelegter Widerspruch gegen das Beschlussverfahren ggf. konkludent zrückgenommen worden war.  Der Verteidiger hatte nämlich den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und dabei erklärt: „Aus prozessökonomischen Gründen rege ich an, durch Beschluss im schriftlichen Verfahren mit der Maßgabe zu entscheiden, dass die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße auf den Regelsatz nach der Bußgeldkatalogverordnung in Höhe von 80 EUR herabgesetzt wird.“

Das OLG geht von einer konkludenten Rücknahme aus:

„Die Betr. hat mit Schriftsatz vom 03.06.2015 ihren mit Schreiben vom 10.04.2015 erklärten Widerspruch gegen eine Entscheidung im Beschlussverfahren konkludent zurückgenommen, wozu sie auch berechtigt war (vgl. KK-Senge OWiG 4. Aufl. § 72 Rn. 26). Nach dem Wortlaut und dem erkennbar gemeinten Sinn der Erklärung stand die Rücknahme nicht unter der Bedingung, dass gegen die Betr. im Beschlusswege lediglich eine Regelgeldbuße von 80 EUR festgesetzt würde.

Die Erklärung der Betr. im Schriftsatz vom 03.06.2015 ist hinsichtlich der Verhängung des Regelbußgelds von 80 EUR nicht als Prämisse, sondern nur als bloße Erläuterung der Zielrichtung des Einspruchs zu verstehen. Mit der von ihr gewählten Formulierung wird schon sprachlich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Herabsetzung des Bußgelds um das Ziel des Einspruchs handelt, nicht jedoch um eine Vorbedingung für das vom Gericht einzuschlagende Beschlussverfahren. Wäre dies von der Betr. gewollt gewesen, hätte sie ohne Schwierigkeiten eine sprachlich eindeutige Formulierung wählen können, aus der hervorgegangen wäre, dass die Herabsetzung des Bußgelds auf 80 EUR Voraussetzung für das von ihr angeregte Beschlussverfahren ist.“

Und das war es dann für die Rechtsbeschwerde.

Unterzeichnung „i.V.“ und/oder mit „nach Diktat verreist“: Revisionsbegründung nicht unwirksam

© Gina Sanders Fotolia.com

© Gina Sanders Fotolia.com

Die Auslegung und Anwendung des § 345 Abs. 2 StPO durch die OLG bei der Unterzeichnung der Revisionsbegründung ist seit einiger Zeit immer wieder in der Diskussion. Die OLG sind/waren in der Frage der Wirksamkeit der Unterzeichnung streng, wenn der die Revisionsbegründung unterzeichnende Rechtsanwalt noch nicht für den Angeklagten tätig war und es so aussieht, dass er nur „i.V.“ unterzeichnet. Ein wenig Entspannung kann da jetzt der BVerfG, Beschl. v. 07.12. 2015 – 2 BvR 767/15 – bringen.

Zu entscheiden hatte das BVerfG über einen Beschluss des OLG Zweibrücken. Das hatte in einem Verfahren nach § 346 Abs. 2 StPO einen landgerichtlichen Beschluss „abgesegnet“, durch den das LG die Revision eines Angeklagten als unzulässig verworfen hat. Das LG war davon ausgegangen, dass die Revisionsbegründung nicht wirksam war. Die war zwar fristgemäß beim LG eingegangen, war jedoch handschriftlich mit „i.V. R. “ unterzeichnet, beigefügt war der Zusatz „S. K. Rechtsanwalt (nach Diktat verreist)“. Aus dem Aus dem Briefkopf der Revisionsbegründung ergab sich, dass Rechtsanwalt R. mit Rechtsanwalt K. in Bürogemeinschaft tätig ist. Das BVerfG hat in der Revisionsverwerfung als unzulässig eine Verletzung des Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz gesehen.

Der Beschluss lässt sich dann in etwa in folgendem Leitsatz zusammenfassen:

Zweifel an der Verantwortungsübernahme für eine Rechtsmittelbegründung dürfen nicht allein daraus hergeleitet werden, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt zuvor nicht für den Beschuldigten tätig geworden ist. Anderes kann nur gelten, wenn der Unterzeichner sich im Schriftsatz oder auch an anderer Stelle vom Inhalt distanziert oder sich sonst aus dem Inhalt der Schrift ergibt, dass der Anwalt die Verantwortung dafür nicht übernehmen kann oder will. Der Zusatz „i.V.“ bei der handschriftlichen Unterzeichnung steht dabei einer solchen Verantwortungsübernahme nicht entgegen und rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, dass der in Vertretung für einen anderen Rechtsanwalt Unterzeichnende eine Revisionsbegründungsschrift ungeprüft unterschrieben hat. Auch ein weiterer Zusatz „nach Diktat verreist“ lässt sich nicht als Distanzierung von dem Inhalt des Revisionsbegründungsschriftsatzes auffassen.

Es hatte bereits im Jahr 2014 der 2. Strafsenat des BGH darauf hingewiesen, dass die Verantwortungsübernahme des unterzeichnenden Rechtsanwalts entgegen der Tendenz in der Rechtsprechung der OLG im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG nicht zu hoch geschraubt werden dürfe (vgl. BVerfG NJW 1996, 713). Jedenfalls dann, wenn die Revisionsbegründung von einem Rechtsanwalt ausgearbeitet wurde und der handelnde Unterzeichner sich nicht durch weitere Formulierungen von dessen Schriftsatz distanziere, werde die Begründung – so der BGH – den Anforderungen des § 345 Abs. 2 StPO gerecht (vgl. BGH, Beschl. v. 13. 8. 14 – 2 StR 573/13). Die OLG haben das in der Vergangenheit durchweg anders/strenger gesehen (vgl. z.B. z.B. OLG Hamm StraFo 1998, 317; NStZ-RR 2009, 381; StRR 2012, 227). Sie haben aus Formulierungen wie „i.V.“ oder „für“ oder „nach Diktat verreist“ darauf geschlossen, dass der Unterzeichnende nicht die Verantwortung für die Revisionsbegründung übernimmt. Diese Rechtsprechung wird sich nun kaum noch aufrechterhalten lassen (schon früher anders OLG Köln NStZ-RR 2007, 57, 58).

Aber dennoch: Der Verteidiger/Rechtsanwalt sollte trotz der günstigen Rechtsprechung des BVerfG alles vermeiden, aus dem der Schluss gezogen werden könnte, dass er gegebenenfalls nicht die volle Verantwortung für den Inhalt der Begründungsschrift übernimmt. Denn eine Heilung dieses Mangels nach Ablauf der Frist ist ausgeschlossen (BayObLG VRS 50, 298).

Wiedereinsetzungsantrag: Ist das denn so schwer, Herr Kollege?

© Andrey - Fotolia.com

© Andrey – Fotolia.com

Beim Lesen des BGH, Beschl. v. 13.01.2016 – 4 StR 452/15 – war mein erster Gedanke: Ist das denn so schwer Herr Kollege? Da war die Revisionsbegründungsfrist versäumt worden und es wird Wiedereinsetztung beantragt. Und man sollte meinen, dass der Verteidiger dann alles tut, damit der Wiedereinsetzungantrag auch Erfolg hat. Aber: Gelingt ihm (auch) nicht:

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten wurden. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift vom 11. November 2015 ausgeführt:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 45 Rn. 5 m.w.N.). An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es hier. Der Antrag enthält keine ausreichenden Angaben dazu, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 30/03; Senat, Beschluss vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05). Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten (BGH, Beschluss vom 3. April 1992 – 2 StR 114/92; Senat, Beschluss vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05). Auf den – von der Revision mitgeteilten – Zeitpunkt der Kenntnis des Verteidigers kommt es hingegen nicht an (Senat, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 4 StR 320/12, BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2013 – 1 StR 412/13 und vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14). Wann dem Angeklagten die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bekannt geworden ist, wird indes von der Revision ungeachtet des erheblichen Zeitablaufs nicht vorgetragen. Jedenfalls in den Fällen, in denen wie hier die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nach Aktenlage nicht offensichtlich ist, gehört zur formge-rechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags, dass der Antrag-steller mitteilt, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegen- stand, weggefallen ist (BGH, Beschluss vom 26. Februar 1991 – 1 StR 737/90 –, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 7 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 5. August 2010 – 3 StR 269/10 m.w.N.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 365/10; Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 430/11).“

Kann doch nicht so schwierig sein, oder? Nein, ist es auch nicht. Und sonst ggf. einfach mal in ein Handbuch/einen Kommentar schauen.

Klageerzwingung III: Die Hürden sind (zu) hoch, oder: Das BVerfG hilft

 © hati - Fotolia.com

© hati – Fotolia.com

Die von den OLG aufgestellten Hürden, um einen zulässigen Klageerzwingungsantrag zu stellen, sind sehr hoch. Viele/die meisten Anträge scheitern daran, dass den OLG der Sachvortrag nicht ausreicht. So auch in einem dem BVerfG, Beschl. v. 21.10.2015 -2 BvR 912/15 zugrunde liegenden Klageerzwingungsverfahren in Hamburg. In dem hatte das OLG Hamburg in einem Verfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch zwei Ärzte das OLG den Antrag der Eltern des verletzten Kindes zurückgewiesen. Das BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde diese Zurückweisung als verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar angesehen: