Archiv für den Monat: Dezember 2015

Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis

© sashpictures - Fotolia.com

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Heute dann nur noch leichte Kost 🙂 . Den Auftakt macht der OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15. Mit dem traut sich das OLG 🙂 und legt dem BGH folgende (Rechts)Frage zur Entscheidung vor:

Kann ein Angeklagter seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken, wenn er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und sich die Feststellungen darin erschöpfen, dass er wissentlich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Fahrzeug bestimmter Marke und mit einem bestimmten Kennzeichen geführt habe, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen?

OLG-Vorlagen nach § 121 GVG sind im Strafrecht ja verhältnismäßig selten, aus welchen Gründen auch immer. Hier traut sich mal ein OLG, den BGH „um Rat zu fragen“. Es geht um den Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG. Dazu vertreten u.a. das OLG München (StraFo 2008, 210; zfs 2012, 472) und das OLG Bamberg (VRR 2013, 429) die Auffassung, dass das Amtsgericht zu der fraglichen Fahrt – oder den fraglichen Fahrten – Feststellungen treffen muss, die über Ort und Zeit der Fahrt, die Identität des Fahrzeugs sowie jenen Umstand hinausgehen, dass der Angeklagte nicht im Besitz der nötigen Fahrerlaubnis gewesen ist und vorsätzlich gehandelt hat. Das OLG Nürnberg will das im Hinblick auf die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung großzügiger handhaben. Mal sehen, was der BGH daraus macht.

Strafaussetzung zur Bewährung – so wird es (richtig) gemacht

© Dan Race Fotolia .com

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Nun zum Abschluss des heutigen Tages einen versöhnlich stimmenden –  das Weihnachtsfest naht 🙂 –  Beschluss des BGH. Man liest ja nicht so oft, dass der BGH wegen Fehler bei der Strafzumessung im Bereich der Bewährung aufhebt – und dann auch noch der 1. Strafsenat bei einer Steuerhinterziehung. Im BGH, Beschl. v. 13.10.2015 – 1 StR 416/15 – war es dann aber mal wieder so weit. Der BGH moniert die Versagung von Strafaussetzung von Bewährung einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe. Das LG war bei der Anwendung von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen, zudem war die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung lückenhaft.

a) Besteht – wie hier – beim Angeklagten eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB, kann das Tatgericht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen. Erforderlich ist, dass nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1980 – 3 StR 376/80, BGHSt 29, 370; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 56 Rn. 20 mwN). Aus der Anforderung, dass Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB besondere sein müssen, ergibt sich, dass einzelne durchschnittliche Gründe eine Aussetzung nicht rechtfertigten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es, dass Umstände, die bei ihrer Einzelbewertung nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1988 – 4 StR 25/88, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 2; BGH, Beschluss vom 1. Sep-tember 1989 – 2 StR 387/89, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7; BGH, Beschluss vom 18. August 2009 – 5 StR 257/09, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9).

Das Landgericht hat hier zwar berücksichtigt, dass die gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten der Schwelle von einem Jahr (§ 56 Abs. 1 StGB) angenähert ist. Es konnte allerdings keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB erkennen. Hierbei hat das Landgericht die Anforderungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu hoch angesetzt. Das Landgericht hält es für erforderlich, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, wobei es nicht erforderlich sei, dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verliehen. Ob Milderungsgründe gegeben sind, die durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen, hat das Landgericht jedoch nicht erörtert. Es hat zwar das „Zusammenspiel“ der Milderungsgründe in den Blick genommen, dabei aber weiterhin auf das Gewicht der einzelnen Umstände und nicht auf das Gesamtgewicht aller Milderungsgründe abgestellt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

c) Auch die bei der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten ist hier lückenhaft.

Zwar hat das Landgericht berücksichtigt, dass der Angeklagte „seit der Begehung der Taten, die bereits einige Jahre zurückliegen, nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten“ ist (UA S. 17). Den hier ebenfalls erörterungsbedürftigen Umstand der den Angeklagten belastenden (UA S. 19) langen Verfahrensdauer hat das Landgericht hingegen rechtsfehlerhaft nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieses Umstands eine Strafaussetzung zur Bewährung vorgenommen hätte.

Auf ein Neues dann beim LG.

Strafzumessung: Kleiner Grundkurs, oder: Wenn schon „kriminelle Energie“, dann muss man auch sagen, wo und wie

© Alex White - Fotolia.com

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Einen kleinen Grundkurs in Strafzumessung hält der BGH, im BGH, Beschl. v. 15.09.2015 – 2 StR 21/15 – zu einem Urteil des LG Kassel, mit dem der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt woden war. Der BGH moniert da gleich mehrere – in meinen Augen – Anfängerfehler. und zwar:

  • In einem Fall hatte das LG „zu Lasten des Angeklagten eingestellt, dass die Geschädigte dem Angeklagten zuvor keine nachvollziehbare Veranlassung zur Tat geboten habe. Diese Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft. Damit wirft die Strafkammer dem Angeklagten die Begehung der Straftat als solche vor, ohne dass Besonderheiten vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das „Unrecht der Tat“ straferhöhend zu werten; dies verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB (vgl. dazu Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 76, 76 b). Hätte das Opfer Anlass zur Tat gegeben, wäre dies ein Umstand, der den körperlichen Übergriff in einem milde-ren Licht erscheinen lassen könnte. Mit der Erwägung des Tatgerichts wird damit zu Lasten des Angeklagten unzulässigerweise das Fehlen eines Milderungsgrundes in die Strafzumessung eingestellt (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 2 StR 233/14). …“
  • In einem weiteren Fall hatte die StK zu Ungunsten des Angeklagten seine kriminelle Energie und seine Gewaltbereitschaft berücksichtigt. Auch diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht damit dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB die bloße Tatbegehung vorgeworfen hat. Umstände, die eine kriminelle Energie belegen, welche über typischerweise mit der Begehung einer Körper-verletzung verbundenes Tatunrecht hinausgehen, hat die Strafkammer weder dargelegt noch ergeben sich diese aus den Urteilsgründen im Übrigen. Die Tat ist vielmehr geprägt von einem vorangegangenen Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen, an deren Ende der Angeklagte seiner Ehefrau mit der flachen Hand kräftig ins Gesicht schlug und diese durch die Wucht des Schlages zu Boden fiel. Das Verhalten des Angeklagten ist danach weder Ausdruck besonderer krimineller Energie noch lässt sich daran eine Gewaltbereitschaft ablesen, die strafschärfend zu Lasten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies gilt im Übrigen trotz des von der Strafkammer an anderer Stel-le erwähnten Umstands, dass die Ehe des Angeklagten „aufgrund von Hand-greiflichkeiten des leicht aufbrausenden, aggressiven und eifersüchtigen Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau“ problematisch verlaufen ist. Auch dadurch wird die dem Angeklagten vorgeworfene „Gewalt“-Bereitschaft nicht hinreichend belegt.“
  • Und dann noch: Auch soweit die Strafkammer im Fall II.3 der Urteilsgründe die „kriminelle Energie“ zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der konkreten Strafzumessung berücksichtigt hat, begegnet diese floskelhafte, nicht näher erläuterte Erwägung rechtlichen Bedenken. Es erschließt sich auch aus dem abgeurteilten Geschehen nicht, welche gegenüber normalem Tatunrecht erhöhte kriminelle Energie dem Angeklagten zum Vorwurf gemacht wird…“

Alles unschön und muss alles nicht sein, wenn man als Strafkammer ein wenig mehr auf die Formulierung(en) achten würde.

Fall Mollath, oder: Von der Herrenstraße über den Schloßbezirk nach Straßburg

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

entnommen wikimedia.org
Urheber Mediatus

Über die Entscheidung des BGH im Verfahren Mollath – vgl. hier der BGH, Beschl. v. 14.10.2015 – 1 StR 56/15 – ist ja schon an verschiedenen Stellen berichtet worden; der Kollege Garcia hat in hier unter: Mollath am BGH, ja such schon „besprochen“. Ich kann/will mich daher kurz fassen und auf die vorliegende Entscheidung nur hinweisen. Dies vor allem auch deshalb, weil ich ja im August 2014 über die Einlegung der Revision durch den neuen Verteidiger berichtet hatte (s. hier: Neue Besen kehren gut – wie gut, das wird sich zeigen Herr Mollath). Das damals von mir und vielen anderen erwartete Ergebnisse liegt also nun vor: Der BGH hat den Spruch: Freispruch ist Freispruch, nicht gekippt.

Aber: Ich vermute mal, dass das dem neuen Verteidiger wahrscheinlich auch von vornherein klar war, dass das passieren würde. Es wird im Zweifel dann doch darum gehen, über die Revision zum BGH – quasi als Umweg – den Weg zum BVerfG – in den Schloßbezirk frei zu machen, um von da aus dann zum EGMR nach Straßburg zu fahren. Das Verfahren wird uns also voraussichtlich noch länger beschäftigen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Gilt die Differenztheorie nicht bei den Pflichtverteidigergebühren?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Nun, kurz vor Weihnachten hatte keiner mehr Lust, die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Gilt die Differenztheorie nicht bei den Pflichtverteidigergebühren?, zu beantworten. Dabei war/ist es m.E. wohl ganz einfach:

Geht man nämlich vom Sinn und Zweck der Differenztheorie aus, die die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen bei einem Teilfreispruch im Verhältnis „Freispruch/Verurteilung“ verteilen will und dem Angeklagten (nur) den durch den Freispruch entstandenen Mehraufwand erstatten will, dann ist die Differenztheorie bei den Pflichtverteidigergebühren, die nach Nr. 9007 KV GKG als „an Rechtsanwälte zu zahlende Beträge“ nach Abschluus des Verfahrens beim Angeklagten geltend gemacht wird, nicht anzuwenden. Denn es ist bei der Pflichtverteidigervergütung kein Mehraufwand entstanden. Die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers werden als Fetsbetragsgebühren gezahlt und sind unabhängig vom Aufwand des Pflichtverteidigers.

Schaut man mal in die GKG-Kommentare, findet man zu der Frage nichts Konkretes, wahrscheinlich weil die Antwort eindeutig ist. Bei Hartman, Kostengesetze, 45. Aufl. 2015, heißt es nur bei Rn. 4: „Höhe der Auslagen: Die Zahlung erfolgt in voller Höhe der gesetzmäßig berechnten Kosten„. Das verstehe ich in dem dargelegten Sinn.

So, und das war es dann mit den Gebührenrätseln 2015. Am kommenden Freitag ist der 1. Weihnachtstag. Das mache ich kein Rätsel. Das nächste kommt dann erst wieder in 2016. Bis dahin: „Guet goan!“, wie der Westfale sagt.