Archiv für den Monat: Dezember 2015

Schneckenpost aus dem Schloßbezirk

© Thomas Jansa - Fotolia.com

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Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich (hoffentlich)? Es geht um den BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11. Ergangen auf die Verzögerungsrüge des Betroffenen in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen Entscheidungen des OLG Hamm und Köln aus dem Jahr 2010 gerichtet hat. In dem Verfahren hatte das BVerfG durch den BVerfG, Beschl. v. 13. 05. 2015 – 1 BvR 99/11 entschieden. Es hat die Verfassungsbeschwerde in dem 12 (!!) Zeilen langen Beschluss zurückgewiesen. So weit, nicht so gut, sondern so schlecht. Denn es kommt noch besser/schlechter. Der Betroffene hatte nämlich eine Verzögerungsrüge erhoben, mit der die Dauer seines abgeschlossenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens – immerhin 4 Jahre 10 Monate – als unangemessen lang gerügt hatte. Und über die Verzögerungsrüge hat das BVerfG dann jetzt im BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11, Vz 1/15 entschieden.

Nun, es wird dann vielleicht doch nicht überraschen, wenn das BVerfG dem Betroffenen mitteilt: Alles (fast) gut. Hat zwar lange gedauert, aber wir, vor allem der Berichterstatter, hatte andere wichtigere Dinge zu tun. Da haben wir dich hintenan gestellt und als es dann wieder ging, ging es dann ja auch zügig. Im Übrigen kann nach § 97b Abs. 1 Satz 4 BVerfGG die Verzögerungsrüge frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim BVerfG erhoben werden kann. Eine Verfahrensdauer von einem Jahr ist also keinesfalls unangemessen lang. Aber 4 Jahre und 10 Monate – für einen 12 Zeilen langen Beschluss. Für mich grenzt das an Rechtsverweigerung. Und liest sich m.E. auch nicht gut im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz, den das BverfG in Haftsachen den Instanzgerichten ja immer gern unter die Nase reibt. Wie hatte der Kollege Vetter zu der Entscheidungg so schön geschrieben: Bundesverlangsamungsgericht. Ist an sich zu milde: „Bundesrechtszögerungsgericht“ würde auch passen.

Aber: Warum soll sich das BVerfG beeilen oder etwa der Gesetzgeber tätig werden? So lange nämlich die zögerlichen Entscheidungen bzw. langen Verfahren vom EGMR abgesegnet werden, ist das doch alles ohne Gefahr. Exemplarisch verweise ich dazu auf das EGMR (V. Sektion), Urt. v. 04.09.2014 – 68919/10 (Peter/Deutschland). Da waren es beim BVerfG allerdings nur rund 4 1/2 Jahre. Der EGMR hat es „gehalten“ und das BVerfG zitiert dann im Beschluss vom 08.12.2015 den EGMR, schöne „runde Sache“. Und besonders „pikant“. Der EGMR braucht dafür, wenn ich richtig gerechnet habe, auch gut vier Jahre. Da ist dann im September 2014 also ein Verfahren entschieden, dass im Jahr 2002 (!!!) begonnen hat. Das zur Beschleunigung.

Ablehnung wegen Befangenheit, Schnelligkeit ist Trumpf

entnommen wikimedia.org  Urheber Ulfbastel

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Urheber Ulfbastel

Es kommt auf die Sekunde an. Nun, vielleicht nicht auf die Sekunde, aber Schnelligkeit ist im Ablehnungsrecht dann doch Trumpf bzw. die richtige Reihenfolge entscheidend. Das musste sich ein Verteidiger im BGH, Urt. v. 10.11.2015 – 5 StR 303/15 – vom BGH bescheinigen lassen. Es war die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO erhoben. Dazu der BGH:

„Hinsichtlich der Revision des Angeklagten bedarf nur die Rüge der fehlerhaften Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs betreffend den beisitzenden Richter K. (§ 338 Nr. 3 StPO) der Erörterung:

Es kann dahinstehen, ob die Rüge bereits deswegen unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision versäumt, die nach Anbringung des Befangenheitsgesuchs abgegebenen Stellungnahmen mitzuteilen, insbesondere die der Staatsanwaltschaft bzw. eine etwaige Äußerung des abgelehnten Beisitzers, auf dessen Zeugnis sich der Angeklagte zur Glaubhaftmachung berufen hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. März 2015 – 5 StR 578/14). Denn die Strafkammer hat den Befangenheitsantrag im Ergebnis zu Recht wegen Verspätung als unzulässig abgelehnt. Der Angeklagte hätte nach den insoweit geltenden strengen Maßstäben (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 5; vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 6, jeweils mwN) das Befangenheitsgesuch unmittelbar nach Fortsetzung der Hauptverhandlung anbringen müssen. Dies hat er jedoch versäumt und zunächst einen bereits vor der 45-minütigen Unterbrechung angekündigten Beweisantrag gestellt.“

Also: Umgekehrte Reihenfolge.

Kann/darf man eine Atemalkoholmessung in eine BAK umrechnen?

© monticellllo - Fotolia.com

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Wer viel Strafrecht macht, weiß bzw. sollte wissen: Zu Lasten des Angeklagten darf aus einer Atemalkoholmessung nicht auf eine Blutalkoholkonzentration geschlossen werden. Aber: Umgekehrt geht es bzw: Die Ergebnisse einer Atemalkoholmessung sind aber dann zu dessen Gunsten zu berücksichtigen, wenn andere verwertbare Ausgangsdaten für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration nicht zur Verfügung stehen (§ 21 StGB), denn die Messwerte sind erhebliche Beweisanzeichen für die BAK Tatzeit. Das ruft noch einmal der KG, Beschl. v. 24.09.2015 – (1) 121 Ss 157/15 (15/15) – in Erinnerung:

„a) Das Landgericht führt im Rahmen der rechtlichen Würdigung aus, dass sich „keine konkreten Anhaltspunkte für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB ergeben“ hätten (UA S. 15). Dies widerspricht den getroffenen Feststellungen, denen zufolge eine um 4.45 Uhr durchgeführte Atemalkoholmessung, die das Landgericht als nicht „gerichtsfest“ würdigt, eine Atemalkoholkonzentration von 1,85 ‰ ergab (UA S. 10). Bei Zugrundelegung eines maximalen stündlichen Abbauwertes von 0,2 ‰ und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 ‰ (zur Berechnung vgl. BGH NStZ 1986, 114) wirkte zur Tatzeit gegen 4.10 Uhr möglicherweise eine Alkoholkonzentration von etwa 2,15 ‰ auf ihn ein. Bei Blutalkoholwerten ab 2,0 ‰ kommt in der Regel eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht (vgl. Fischer StGB, 62. Aufl., § 20, Rdnr.19). Zwar ist es nach der Rechtsprechung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht NZV 1988, 1950; OLG Köln VRS 67, 245) ausgeschlossen, zum Nachteil eines Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration aufgrund von Messungen festzustellen, die mittels Atemalkoholtestgeräten vorgenommen worden sind. Das Landgericht war jedoch, da andere verwertbare Ausgangsdaten für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration nicht zur Verfügung standen, verpflichtet, die Ergebnisse der Atemalkoholmessung, die erhebliche Beweisanzeichen für die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit darstellten, zu dessen Gunsten zu berücksichtigen (vgl. BGH, NStZ 1995, 96; Fischer, a.a.O. § 316 Rdnr. 23).“

Zweimal Terminsgebühr: Aufruf der Sache nicht erforderlich

© yvon52 - Fotolia.com

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Heute ist Montag und da müsste es um diese Zeit etwa die Lösung des Gebührenrätsels geben. Da in der vorigen Woche aber kein Rätsel gelaufen ist, gibt es heute keine Auflösung. Es soll dann aber trotzdem etwas zum Gebührenrecht laufen, und zwar zwei Entscheidungen, die schon länger in meinem Blogordner hängen. In beiden Entscheidungen geht es um den Anfall der Terminsgebühr. Und in beiden Entscheidungen wird zur Frage der Erforderlichkeit des Aufrufs der Sache für den Anfall der Hauptverhandlungsterminsgebühr Stellung genommen.

Die eine Entscheidung ist der OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.08.2015 – 2 Ws 51/15. Der Sachverhalt ergibt sich aus der Beschlussbegründung:

Das Landgericht Kassel hat völlig zutreffend darauf abgestellt, dass die Terminsgebühr nur dann anfällt, wenn am 28.07.2014 ein Verhandlungstermin (Hauptverhandlungstag im Sinne der Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Nr. 4121 VV-RVG) stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer hatte vorliegend unmittelbar vor Aufruf der Sache zum ersten Hauptverhandlungstag am 28.07.2014 ein schriftliches Befangenheitsgesuch eingereicht. Das für den Sitzungstag gefertigte Protokoll das vom Vorsitzenden und der Protokollführerin unterschrieben ist, weist eine Verhandlung vom 9:02 Uhr bis 9:20 Uhr auf. In dem Protokoll ist die komplette Anwesenheit der Richterbank inklusive der Schöffen vermerkt. Ein formaler Aufruf zur Sache ist nicht notiert. Ebenso sind die weiteren Anwesenden nicht vermerkt. Weiter ist festgehalten, dass der Vorsitzende sodann mitteilte, dass aufgrund des Ablehnungsantrages am heutigen Tag die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden könne und der nächste Termin zur Hauptverhandlung wie bereits bestimmt am Donnerstag, den 31.07.2014 stattfinden werde.

Das Protokoll belegt damit, dass eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Dass vorliegend nicht förmlich aufgerufen wurde und auch die Anwesenheit nicht ordnungsgemäß protokolliert worden ist, ist insoweit unschädlich. Ein förmlicher Aufruf zur Sache ist ebenso wie die Präsenzfeststellung, keine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner § 243 Rdnr. 4 am Ende und Rdnr. 5).

Ob verhandelt werden soll, ergibt sich durch das äußere Erscheinungsbild, bei dem die Beteiligten als erstes erkennen können, dass zur Sache verhandelt werden soll. Dies ergibt sich vorliegend dadurch, dass die komplette Kammer inklusive Schöffen als anwesend im Protokoll vermerkt worden sind und zumindest über die bloße Entgegennahme des Ablehnungsantrages auch eine Einlassung oder eine Erklärung des Beschwerdeführers zum Ablehnungsantrag vermerkt worden ist. Entscheidend ist darüber hinaus, dass nicht die Kammer nach § 228 StPO die Hauptverhandlung abgesetzt und am nächsten geplanten Sitzungstag neu begonnen hat, sondern der Vorsitzende die (weitere) Verhandlung lediglich (auf Grund des Befangenheitsantrags) auf den nächsten Sitzungstag verlegt hat.

Damit ist kostenrechtlich ein Sitzungstag angefallen, so dass die Hauptverhandlungsgebühr vom Pflichtverteidiger im Ergebnis zu Recht in Ansatz gebracht worden ist.“

Insoweit richtig, im zweiten Teil betreffend den Längenzuschlag m.E. falsch.Aber nun, auch ein OLG hat nicht immer gute Tage.

Und ähnlich zum Aufruf hat das LG Düsseldorf im LG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.2015 – 10 KLs 1/14 argumentiert. Da ging es um eine Verbindungsproblematik, bei der auch die Frage des Aufrufs eine Rolle gespielt hat. Das LG sagt dazu im Leitsatz:

„Der auch für ein hinzuverbundenes Verfahren bestellte Pflichtverteidiger kann eine Terminsgebühr auch für dieses Verfahren beanspruchen, wenn vor der Verbindung zwar kein Aufruf des erst unmittelbar vor der Verbindung in der Hauptverhandlung eröffneten hinzuverbundenen Verfahrens erfolgt ist, der Vorsitzende aber durch die Ankündigung der Verbindung zu erkennen gegeben hat, die Hauptverhandlung auch in diesem Verfahren durchführen zu wollen und der Angeklagte und sein Verteidiger durch Verzicht auf die Förmlichkeiten und Fristen gem. §§ 216, 217 StPO die Voraussetzungen für eine Hauptverhandlung geschaffen haben.“

Aber Herr Kollege: Das kleine Einmaleins der Revisionsbegründung sollte man beherrschen

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Bei manchen Revisionsentscheidungen des BGH möchte man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 2 StR 485/14, der erst vor kurzem auf der Homepage eingestellt worden ist, fällt in diese Kategorie. Nun, nicht etwa wegen der Entscheidung und/oder Ausführungen des BGH zu Verfahrens- oder Rechtsfragen, sondern wegen der Unzulänglichkeiten der Revisionsbegründung, die der Verteidiger zu den von ihm erhobenen Verfahrensrügen abgeliefert hat. Der BGH-Beschluss spricht für sich, wenn es dort heißt:

„Die Verfahrensrügen des Angeklagten sind unzulässig. Sie genügen nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

a) Der Beschwerdeführer rügt, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu Unrecht abgelehnt. Er hat aber weder den Beweisantrag noch den ablehnenden Beschluss des Landgerichts mitgeteilt.

b) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, „ob und inwieweit nun noch eine Persönlichkeitsstörung bei der Nebenklägerin vorhanden ist,“ hat er keine bestimmte Behauptung darüber aufgestellt, welche Tatsache das Landgericht hätte aufklären können und warum es sich dazu habe gedrängt sehen müssen.“

Also, lieber Kollege Verteidiger: Wenn man schon eine Revision beim BGH einlegt und die mit der Verfahrensrüge begründet, dann sollte man aber auch das kleine 1 x 1 der Revisionsrechtsprechung beherrschen. Sonst lässt man es besser. Und um mehr als kleines 1 x 1 ist es hier auch nicht gegangen. Das war keine „Verfahrensrüge am Hochreck“, sondern es wurde nur die Ablehnung eines Beweisantrages gerügt und eine Aufklärungssrüge erhoben. Wie man die einfachen Verfahrensrüge begründet, ist nun wahrlich keine Kunst. Und wer es nicht kann oder noch nie gemacht hat, der sollte sich formieren. Ich kenne da ein ganz gutes Buch, nämlich das „Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 1 Aufl. 2013„, das man hier bestellen kann 🙂 .