Archiv für den Monat: Juni 2015

Fahrtenbuch? Wenn, dann möglichst schnell, jedenfalls nicht erst nach 21 Monaten

© Andrey - Fotolia.com

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Die ungeliebte/unbeliebte Fahrtenbuchauflage war mal wieder Gegenstand eines VG, Beschlusses, und zwar des VG Freiburg, Beschl. v. 10.06.2015 – 4 K 1025/15. Da hatte die Betroffene am 02.04.2013 einen Verkehrsverstoß begangen, die beim VG angegriffene Fahrtenbuchauflage stammte allerdings erst vom 21.04.2015. Der dazwischen liegende Zeitraum ist zu lang, sagt das VG.  Denn ein Zeitraum von mehr als 21 Monate, der nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bis zum Erlass einer Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs vergangen ist, übersteigt die Zeitspanne, bei der die Fahrtenbuchauflage als noch verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn keine besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung gebieten.

„Denn der Sinn und Zweck einer Fahrtenbuchauflage besteht vor allem darin, die Verkehrsdisziplin des jeweiligen Fahrzeugführers zu erhöhen, indem ihm verdeutlicht wird, dass er nicht im Schutz fehlender Ermittlungsmöglichkeiten folgenlos Verkehrsverstöße begehen kann (siehe oben). Eine solche Disziplinierung ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit immer nur für eine gewisse Zeit zulässig. Zeigt sich jedoch, dass auch ohne Erlass eines Fahrtenbuchs innerhalb eines längeren Zeitraums mit dem betreffenden Fahrzeug keine Verkehrsverstöße mehr begangen wurden oder dass zwar Verkehrsverstöße begangen wurden, bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers aber keine Schwierigkeiten aufgetaucht sind, dann dürfte der spezialpräventive Zwecke für eine Fahrtenbuchauflage entfallen sein.“

Und „besondere Umstände“ hat das VG verneint. Vor allem:

„Soweit die Antragstellerin die Verzögerung bei der Bearbeitung von Fahrtenbuchauflagen im Jahr 2013 und zu Beginn des Jahres 2014 mit einer personellen Unterbesetzung des zuständigen Fachbereichs begründet, mag das das verantwortliche Amt innerhalb der städtischen Gesamtverwaltung entlasten. In der Regel kann mit dieser Begründung jedoch nicht die Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit einer den Bürger belastenden, ansonsten rechtswidrigen Maßnahme herbeigeführt werden. Ob dann etwas anderes gilt, wenn der betreffende Fachbereich während eines überschaubaren Zeitraums durch Krankheit oder durch unerwartet hohe Eingangszahlen „abgesoffen“ ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Antragsgegnerin Derartiges nicht vorgetragen hat. Abgesehen davon hat sie auch nicht vorgetragen, ob der personelle Engpass in dem betreffenden Fachbereich zwingende Folge fehlender Möglichkeiten zur Stellenbesetzung war oder ob er ggf. Folge einer personalpolitischen Priorisierung anderer Fachbereiche innerhalb der Gesamtverwaltung war.“

Zu Weihnachten gibt es Wein oder Champagner, aber: Ein strafloses Präsent

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Ein sicherlich häufigere Praxis, die wir alle kennen und die in der ein oder anderen Form wahrscheinlich sogar üblich ist, war Gegenstand strafrechtlicher Bewertung durch das OLG Düsseldorf. In dem dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.04.2015 – III-1 Ws 429/14 – zugrunde liegenden Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Angeschuldigten u.a Anklage wegen Vorteilsgewährung in Tateinheit mit Untreue in 95 Fällen (§ 333 Abs. 1, § 266 Abs. 1, § 52 StGB) erhoben. Vorwurf: Der Angeschuldigte soll, „in den Jahren 2007 bis 2010 auf Kosten der xxxxxxx (im Folgenden: AG), deren alleiniger Vorstand er im Tatzeitraum war, 25 Mitarbeitern der Stadtverwaltung Düsseldorf, einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur und zwei Mitarbeitern der Düsseldorfer Staatskanzlei jeweils als Weihnachtsgeschenk eine Kiste Wein oder Champagner, bestehend aus drei oder sechs Flaschen im Wert zwischen 60,66 € und 324,87 € jährlich zugewendet (Fälle 1 – 76) und des weiteren dem Düsseldorfer Oberbürgermeister D. E. sowie den Beigeordneten der Düsseldorfer Stadtverwaltung A., Dr. B., L., H. und R. jeweils zum Geburtstag eine Kiste mit sechs Flaschen Champagner im Wert zwischen 240,60 € und 324,87 € jährlich übersandt (Fälle 77 – 95) und so der IDR jeweils entsprechende Vermögensnachteile zugefügt zu haben. Ziel der Zuwendungen sei es gewesen, bei den Vorteilsempfängern zugunsten der Unternehmensinteressen der IDR eine „Atmosphäre der Geneigtheit“ zu schaffen.

Die Strafkammer hat die Eröffnung insoweit abgelehnt, das OLG hat das „gehalten“:

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für den durch Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 neu gefassten und in seinem Anwendungsbereich erweiterten Tatbestand der Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB an die inhaltliche Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung folgende Anforderungen zu stellen:

Zwischen dem Vorteil und der Dienstausübung muss ein „Gegenseitigkeitsverhältnis“ in dem Sinne bestehen, dass der Vorteil nach dem (angestrebten) ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten seinen Grund gerade in der Dienstausübung hat. Dies erfordert, dass Ziel der Vorteilszuwendung ist, auf die zukünftige Diensthandlung Einfluss zu nehmen und/oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren. In diesem allgemeinen Sinne muss der Vorteil somit – wie in der alten Gesetzesfassung – nach wie vor Gegenleistungscharakter haben. Unter Dienstausübung ist dabei grundsätzlich jede dienstliche Tätigkeit zu sehen. Diese muss nach den Vorstellungen der Beteiligten nicht – noch nicht einmal in groben Umrissen – charakterisiert sein; daher genügt es, wenn der Wille des Vorteilsgebers auf ein generelles Wohlwollen bezogen auf künftige Fachentscheidungen gerichtet ist, das bei Gelegenheit aktiviert werden kann (vgl. BGHSt 53, 6, 16).

Zur Abgrenzung strafbarer von straflosen Verhaltensweisen ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, die insbesondere den Gesamtzusammenhang, in dem die Zuwendung erfolgt ist, sowie die gesamte Interessenlage der Beteiligten zu erfassen hat. Als mögliche Indizien für oder gegen das Ziel, mit dem Vorteil auf künftige Diensthandlungen Einfluss zu nehmen oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren, fließen neben der Plausibilität einer anderen – behaupteten oder sonst in Betracht kommenden – Zielsetzung in die wertende Beurteilung namentlich ein: die Stellung des Amtsträgers und die Beziehung des Vorteilsgebers zu dessen dienstlichen Aufgaben, die Vorgehensweise bei dem Angebot, dem Versprechen oder dem Gewähren von Vorteilen sowie die Art, der Wert und die Zahl solcher Vorteile. So können etwa dienstliche Berührungspunkte zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger ebenso in Ausschlag gebender Weise für eine Unrechtsvereinbarung sprechen wie die Heimlichkeit des Vorgehens (vgl. BGHSt 53, 6, 16 f. sowie BGH NStZ 2008, 216, 218; NStZ-RR 2007, 309, 310 f.).

2. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze ergibt die vorzunehmende Gesamtwürdigung aller aus den Akten ersichtlichen Umstände im hier zur Rede stehenden Einzelfall keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Angeschuldigte mit der Zuwendung der Wein-/Champagner-Geschenke auf den Abschluss von Unrechtsvereinbarungen mit den jeweiligen Amtsträgern in der Weise abzielte, dass er sich deren generelles Wohlwollen in Bezug auf die AG betreffende Fachentscheidungen „erkaufen“ wollte.

Zwar mag sich ein diesbezüglicher Anfangsverdacht daraus ergeben, dass – wie in der Anklageschrift im Einzelnen aufgezeigt und von den Beteiligten auch in keiner Weise bestritten – zwischen dem Angeschuldigten und den in der Anklageschrift benannten Zuwendungsempfängern im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der AG zahlreiche dienstliche Berührungspunkte bestanden.

Andererseits ergibt sich aus den Akten jedoch eine Vielzahl gewichtiger Umstände, die gegen eine unlautere Zielsetzung des Angeschuldigten sprechen und seine Einlassung, es habe sich allein um die Pflege der guten Beziehungen (innerhalb der „Familie Stadt Düsseldorf“) ohne jeden Gegenleistungsgedanken gehandelt, plausibel erscheinen lassen…..“

Also? Weiterhin: Frohes Fest?

„Messdatei bei PoliscanSpeed nicht bekommen“ – Verletzung des rechtlichen Gehörs

Poliscan Speed - RadarEin wenig Leben in die festgefahrene Diskussion um die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, vor allem um die Frage, welche Unterlagen dem Betroffenen/seinem Verteidiger zur Verfügung zu stellen sind, dürfte der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15 – bringen. Auf den bin ich vor einiger Zeit von einem Kollegen hingewiesen worden, der den Beschluss allerdings auch nicht im Volltext vorliegen hatte. Ich habe ihn dann beim OLG Oldenburg angefordert, was sich leider – AG München lässt grüßen 🙂  – schwieriger zu gestalten schien. Die erste Mail war im Nirwana verschwunden, auf die zweite Anfrage habe ich zwar eine Email-Adresse erhalten, an die ich mich wenden sollte, dann aber nichts länger  gehört und auf Nachfrage dann erfahren, dass der Vorsitzende prüfe, ob man die Entscheidung zur Veröffentlichung frei gebe. Nun, das hat mir zu lange gedauert und ich habe dann den Kollegen, der die Entscheidungen erstritten hat, gefragt und innerhalb von 24 Stunden war der Beschluss da. Danke. Die Justiz muss dann aber doch noch viel lernen.

Zur Sache: Der Kollege hatte in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung – Messung mit Poliscan Speed – die Herausgabe der Messdatei beantragt, was verweigert worden ist. In der Hauptverhandlung hatte der Kollege dann folgenden Beweisantrag gestellt:

„Zum Beweis dafür, dass die hier stattgefundene Geschwindigkeitsmessung mit dem Messsystem PoliScan Speed im konkreten Fall technisch fehlerhaft war, die gesamte Messung daher unverwertbar ist, weil das Messgerät als solches bereits fehlerhaft war, nicht ordnungsgemäß installiert worden ist, deshalb zu einer verzerrten Fotodarstellung geführt hat, was den Schluss dazu zulässt, dass der gesamte Messvorgang unverwertbar ist, im Übrigen hier ohnehin die Auswertung der stattgefundenen Messung mit einer nicht geeichten Auswertesoftware der Bußgeldstelle durchgeführt worden ist, weshalb auch die Auswertung – woraufhin schon das unscharfe und verzerrte Foto hinweist – fehlerhaft durchgeführt wurde, berufe ich mich auf das Gutachten des … Sachverständigen ….“.

Der wird als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich zurückgewiesen worden. Weiter heißt es beim AG, der Betroffene sei auch nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden, indem dem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht die Falldatei inkl. Passwort und Token übersandt worden sei. Der Verteidiger habe in der Hauptverhandlung erklärt, dass alle Aufzeichnungen aus dem gemessenen Gesamtabschnitt benötigt würden. Grundsätzlich umfasse das Akteneinsichtsrecht jedoch nur Teile der Aufzeichnungen, die den Verkehrsverstoß selbst dokumentieren. Das Akteneinsichtsrecht erstrecke sich jedoch nicht auf Aufzeichnungen, die Verkehrsvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer betreffen. Somit seien die von dem Betroffenen begehrten Dateien nicht zu übersenden gewesen.

Der Verteidiger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Und: Das OLG – die Einzelrichterin – lässt die Rechtsbeschwerde zu und hebt auf:

„Nach diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt. Das beantragte Sachverständigengutachten konnte nicht ohne Verstoß gegen § 77 OWiG abgelehnt werden. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Hier lagen zwar mit dem Messprotokoll, Eichschein und Messfoto diejenigen Unterlagen vor, die bei einem standardisierten Messverfahren grundsätzlich zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes genügen. Ein Beweisantrag wie der vom Betroffenen gestellte ist deshalb üblicherweise zu pauschal, so dass das Gericht ihn gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen kann.

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor. Der Betroffene hatte vorprozessual mehrfach beantragt, ihm die Messdatei zugänglich zu machen. Wie in der Rechtsbeschwerdebegründung ausgeführt wird, war diese ihm von der Verwaltungsbehörde trotz zweifacher Aufforderung durch das Amtsgericht nicht übersandt und zuletzt mit der Begründung verweigert worden, man dürfe diese nicht übersenden. Das Amtsgericht führte dennoch den Termin durch, ohne dem Betroffenen in diesem oder zuvor die Messdatei zugänglich zu machen, und ging im Urteil nur wie oben wiedergeben auf die Frage ein.

Dabei war bereits rechtsfehlerhaft, dass dem Betroffenen nicht die Messdatei übersandt wurde. Da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen (Cierniak, ZfSch 2012, 664 ff m.w.Nw., AG Stuttgart, Beschluss vom 29.12.11 — 16 OWi 3433/11 — juris; AG Senftenberg, DAR 11, 422; AG Cottbus, StraFo 2012, 409; AG Duderstadt, Beschluss vom 25.11.13, – 3 Owi 300/13 – juris; AG Fritzlar, ZfSch 15, 52; Geißler, DAR 14, 718). Es kann weiter dahinstehen, ob der Betroffene tatsächlich im Termin die Herausgabe auch weiterer Messdateien begehrt hat. Jedenfalls hat er weiterhin, wovon offenbar auch das Amtsgericht ausging, jedenfalls die Übersendung der Messdatei, die den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß belegen soll, begehrt. Dazu, warum auch diese allein verweigert wird, äußert sich das Amtsgericht gar nicht. Vor diesem Hintergrund blieb dem Verteidiger keine Möglichkeit, einen präziseren Beweisantrag zu stellen, so dass dieser trotz seiner pauschalen Fassung nicht als ,,ins Blaue hinein gestellt“ unbeachtlich bleiben konnte. Die Ablehnung des Antrags ohne jede Begründung, warum der Verteidigung die Messdatei betreffend den konkreten Vorgang nicht zugänglich gemacht wurde, ist schlechthin nicht nachvollziehbar. Sie ist deshalb im vorliegenden Fall – sicher einer Ausnahmekonstellation – als willkürlich einzustufen. Damit ist durch die Ablehnung des Beweisantrags das rechtliche Gehör verletzt. Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass durch Einholung des Sachverständigengutachtens der Nachweis der Geschwindigkeitsüberschreitung erschüttert worden wäre, so dass das Urteil auch auf dem Verstoß gegen das rechtliche Gehör beruht.“

Tja, wie gesagt: Vielleicht dann doch ein wenig Bewegung und vielleicht hat sich das OLG mit der Übersendung deshalb so schwer getan? Vielleicht soll es ja nicht zu viel Bewegung geben.

Ist das denn so schwer?, oder: Butter bei die Fische im Verkehrsrecht

© Thaut Images - Fotolia.com

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Verkehrsstrafrechtliche Entscheidungen des 4. Strafsenats des BGH sind nicht so häufig. Zuletzt kam von dort der BGH, Beschl. v. 09.04.2015 – 4 StR 401/14; dazu Der BGH, die Trunkenheitsfahrt und der Vorsatz – zwar BGHSt, aber….). Nun hat der BGH eine weitere Entscheidung veröffentlicht, die in doppelter Hinsicht interessant ist. Auf den einen Aspekt will ich hier heute eingehen. Die andere Frage werde ich dann gesondert „behandeln“. Im BGH, Beschl. v. 21.05.2015 – 4 StR 164/15 – hat der BGH nun noch einmal zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) Stellung genommen. Eine Problematik, bei der es leider auch in amtsgerichtlichen Urteilen häufig „hapert“, weil die Feststellungen da „zu dünn“ sind. Der BGH schreibt:

„b) Die im Fall II. 4 der Urteilsgründe auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a StGB gestützte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenver-kehrs hat keinen Bestand, weil nicht belegt ist, dass durch die dem Angeklagten angelastete Nichtbeachtung der Vorfahrt (zum Vorsatz siehe König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 190) Leib oder Leben eines ande-ren Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert (konkret) gefährdet worden sind.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten  Person oder Sache von bedeutendem Wert so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NStZ 2012, 384; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f.; Urteil vom 4. Septem-ber 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB; SSW-StGB/ Ernemann, 2. Aufl., § 315c Rn. 22 ff.).

bb) Ob Leib oder Leben der Zeugin B. oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert durch das Fahrverhalten des Angeklagten tatsächlich in diesem Maße gefährdet waren, lässt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. Zwar teilt das Landgericht mit, dass das Ausbleiben einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Angeklagten und der Zeugin „nur dem Zufall geschuldet“ war. Offen bleibt aber, inwieweit im Fall einer Kollision auch Leib und Leben der Zeugin bedroht gewesen wären. Hierzu wären nähere Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und zu der Be-schaffenheit des Fahrzeugs der Zeugin B. erforderlich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289). Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bejahen zu können, hätte es – da insoweit das vom Angeklagten geführte Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351; Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40) – bestimmter Angaben zum Wert des Fahrzeugs der Zeugin und zur Höhe des drohenden Schadens bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215, 216; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289; zur maßgeblichen Wertgrenze siehe BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; zu den Prüfungsschritten siehe BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216, 217).“

Die Ausführungen des BGH lesen sich kommentarartig = man könnte sie in einen Kommentar übernehmen. Das Ganze m.E. eine Problematik, die angesichts der vielen – zu vielen (?) – Entscheidungen des BGH, der zu den Anforderungen immer wieder gebetsmühlenartig Stellung nimmt, kein Problem mehr sein dürfte. Aber offenbar liest keiner, was der BGH schreibt/will. Kann doch nicht so schwer sein.

Jäger sind Bauern

entnommen wikimedia.org

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„Jäger sind Bauern“ – auf den kurzen Satz lässt sich der OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2015 – 322 SsRs 154/14 – reduzieren, der sich mit folgendem Sachverhalt befasst hat: Die Betroffenen des Verfahrens haben als Jäger eine Jagdhundeausbildungseinheit durchgeführt. Dabei fuhren sie von ihrem Treffpunkt aus jeweils als Führer ihrer PKWs über Verkehrsflächen zu der Jagdhundeausbildungsstätte, die für den allgemeinen Fahrzeugverkehr gem. Verkehrszeichen 250 (Verbot der Durchfahrt für Fahrzeuge aller Art) gesperrt gewesen sind. Eine Ausnahmeregelung bestand ausweislich eines zu Beginn der jeweiligen Zuwegung angebrachten Zusatzschildes 1026-36 lediglich für den „landwirtschaftlichen Verkehr“, was den Betroffenen jeweils auch nicht entgangen war. Die Betroffenen sind vom AG dann wegen „einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit – Befahren von nur für den landwirtschaftlichen Verkehr zugelassenen Flächen ohne Ausnahmegenehmigung“ jeweils zu einer Geldbuße in Höhe von 20,- € verurteilt worden. Das OLG hat die Rechtsbeschwerden zugelassen und die Betroffenen frei gesprochen. Denn: Jäger sind Bauern 🙂 :

„Bei Fahrten im Rahmen der Jagdausübung handelt es sich um „landwirtschaftlichen Verkehr“. Auch die Fahrt zum Treffpunkt der anstehenden Jagdhundeausbildung gehört dazu. Dies folgt bereits aus § 4 Abs. 4 Satz 1 NJagdG, wonach die Ausbildung von Jagdhunden als Jagdausübung gilt.

Dass auch Fahrten im Zusammenhang mit der Jagdausübung unter den Begriff des „landwirtschaftlichen Verkehrs“ nach der StVO fallen, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:

a) Landwirtschaft ist eine auf Erwerb gerichtete Urproduktion, welche die regelmäßige und darum pflegliche Nutzung des Bodens zum Zwecke der Gewinnung von Nahrungs- und technischen Rohstoffen pflanzlicher und tierischer Natur zum Gegenstand hat. Landwirtschaftlicher Verkehr erfolgt zum Zwecke des Betriebes der Landwirtschaft, wobei es keine Rolle spielt, ob der Wegbenutzer selbst Eigentümer oder nur Nutzungsberechtigter des anliegenden Grundstücks ist (vgl. Drosse, DAR 1986, 269 (270 f.); OLG Koblenz, Beschluss vom 14.12.1981, Az.: 1 Ss 485/84; OLG Köln, Urteil vom 27.01.1970, Az,: 1 Ws (OWi) 184/69).

Es reicht aus, dass die Fahrt im Rahmen der üblichen Verrichtungen durchgeführt wird, die der Bewirtschaftung der anliegenden landwirtschaftlichen Grundstücke dienen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25.02.1982, Az.: 1 Ob OWi 40/82; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.1990, Az.: 1 Ss (OWi) 96/90; OLG Köln, Beschluss vom 18.04.1986).

Das Jagdrecht ist als Nutzungsrecht am freilebenden Wild den land- und forstwirtschaftlichen Flächen zugeordnet. Gem. § 1 Abs. 2 BJagdG ist der Wildbestand unter besonderer Berücksichtigung der ökologischen Ausgleichsfunktion des ländlichen Raumes auszurichten und an die land- und forstwirtschaftlich genutzte und betreute Landschaft anzupassen. Die Hege ist dabei so durchzuführen, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden reduziert bzw. verhindert werden, so dass die Jagd unmittelbar sowohl land- als auch forstwirtschaftlichen Zwecken dient und demzufolge sowohl der Land- als auch der Forstwirtschaft zuzuordnen ist. Dies spricht für eine Einordnung der Jagd als Landwirtschaft, die als Wildbewirtschaftung ein Wirtschaftszweig der Land- und Forstwirtschaft ist (vgl. Pardey, Niedersächsisches Jagdgesetz – Kommentar, § 1 BJagdG, Anm. 1, § 7 BJagdG, Anm. 5; i.E. ebenso Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 22. Auflage 2012, § 2 StVO, Rn. 88).

b) Die Einordnung der Jagd in den Bereich der Landwirtschaft folgt auch aus der Koppelung des Jagdrechts an die jeweiligen Eigentumsverhältnisse von Grund und Boden, wie sie sich aus § 3 BJagdG ergibt und an die Nutzungsrechte für Grundflächen, wie sie etwa in §§ 6 ff, NJagdG angesprochen sind.

Daraus folgt weiter, dass eine Differenzierung zwischen. der Freigabe für landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Verkehr bei Fahrten im Rahmen der Jagdausübung nicht gerechtfertigt ist…..“