Archiv für den Monat: März 2015

Verständigung im Strafverfahren? Ich sagte doch: Mit mir nicht mehr …

© reeel - Fotolia.com

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Nach meinem ersten Beitrag zum „Verständigungswirrwarr“ ´betreffend den BGH, Beschl. v.02.12.2014 – 1 StR 422/14  (und dazuVerständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr …) dann hier gleich die zweite Entscheidung, die m.E. nicht unbedingt zur Klarheit führt, und  zwar der BGH, Beschl. v. 08.01.2015 – 2 StR 123/14 -, der auch noch einmal den „Mitteilungsinhalt zum Gegenstand hat.

Der Angeklagte hatte geltend gemacht, der Strafkammervorsitzende habe entgegen § 243 Abs. 4 StPO zu keinem Zeitpunkt Mitteilung darüber gemacht, ob und ggf. mit welchem Inhalt Verständigungsgespräche i.S. von § 257c StPO stattgefunden hätten. Tatsächlich habe es derartige Gespräche gegeben. Ein Verteidiger habe mit dem damaligen Vorsitzenden der Strafkammer eine mögliche Haftverschonung des Angeklagten unter Stellung einer Kaution von 50.000 € erörtert. Inhalt der Gespräche sei auch eine mögliche Bewertung des Tatverhaltens des Angeklagten gewesen, auch wenn die erörterten Zumessungserwägungen nicht zu einer Fixierung konkreter Zahlen geführt habe. Eine Vereinbarung hinsichtlich der Haftfrage sei an der Zustimmung der Staatsanwaltschaft gescheitert.

Das hat nicht zum Erfolg geführt. Der BGH hat eine dienstliche Äußerung des ehemaligen Vorsitzenden der Strafkammer eingeholt. Auf der Grundlage dieser dienstlichen Äußerung seien zwischen dem Verteidiger des Angeklagten und dem ehemaligen Vorsitzenden der Strafkammer lediglich Gespräche über eine Haftverschonung bei Kautionsstellung erfolgt. Solche Gespräche stellten keine Gespräche dar, über die gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Mitteilung zu machen wäre. Zwar könne die Frage der Fortdauer von Untersuchungshaft grundsätzlich Gegenstand einer Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 2 StPO sein (BGH NStZ 2014, 219). Erforderlich für ein auf Verständigung abzielendes Gespräch sei aber, dass die Frage der Untersuchungshaft mit einem für das Verfahren bedeutsamen Verhalten des Angeklagten verknüpft ist oder wird. In Betracht komme auch insoweit ein Geständnis, das regelmäßig Bestandteil einer Verständigung sein soll (§ 257c Abs. 2 Satz 2 StPO) und etwa die Verdunkelungsgefahr entfallen lassen kann. Denkbar sei aber auch ein sonstiges, für den Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens bedeutsames Prozessverhalten wie etwa der Verzicht auf Beweis-, Befangenheits-, Unterbrechungs- oder Aussetzungsanträge (vgl. Moldenhauer/Wenske, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 257c, Rn. 22). Das bloße Angebot, eine angemessene Sicherheit im Sinne von § 116 Abs. 1 Nr. 4 StPO zu stellen, reiche hierfür nicht. Es erschöpfe sich in seiner Bedeutung für die Klärung der Haftfrage und habe keine Auswirkungen auf den weiteren Gang des Verfahrens.

Tja: Mit der Entscheidung grenzt der BGH zwar noch einmal ab, was im Rahmen einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO mitgeteilt werden muss. Mitgeteilt werden müssen danach alle Gespräche/Erörterungen, die einen sog. Ergebnisbezug im Hinblick auf das Zustandekommen einer Verständigung haben können, die also „verständigungsorientiert“ sind. Das gilt im Übrigen auch für gescheiterte Verständigungsgespräche (BVerfG NJW 2013, 1058, 1064 f.). Auch hier ist aber der Grat, auf dem die Tatgerichte wandeln, schmal. Erforderlich ist, dass die erörterte Frage mit einem für das Verfahren bedeutsamen Verhalten des Angeklagten verknüpft ist oder wird. Wenn ich Vorsitzender wäre, würde ich – aus reiner Vorsicht – alles mitteilen, über das gesprochen worden ist. Sicher ist sicher.

Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr …

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Wenn man über die verfahrensrechtliche Rechtsprechung des BGH berichtet, kommt man im Moment an der Verständigung (§ 257c StPO) und der Mitteilungspflicht nicht vorbei. Und da ist es schon manchmal erstaunlich, wenn man die „Eiertänze“ sieht, die in meinen Augen der BGH veranstaltet, um das BVerfG Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – – 2 BvR 2883/10 – – 2 BvR 2155/11 nicht bzw. nicht so umzusetzen, wie das BVerfG es gern hätte, und um auch danach liegende Rechtsprechung des BVerfG zu umschiffen. Häufig ist es so, dass man beim Lesen einer BGH-Entscheidung denkt: Na, wenn das man beim BVerfG „hält“.

Und so ist es mir mit dem BGH, Beschl. v.02.12.2014 – 1 StR 422/14 – gegangen, der die Frage des „Mitteilungsinhalts“ zum Gegenstand hat, und zwar die Frage: Umfasst bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch die Frage, vom wem die Initiative zu dem Gespräch ausgegangen ist? Nun, der 1. Strafsenat sagt: Nein. Und wann man es liest, stutzt man. Denn der 1. Strafsenat hat bislang: Ja gesagt. Nun also, nein. und zwar mit der Begründung: Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, der die Mitteilungspflicht lediglich auf den „Inhalt“ des Gesprächs be­ziehe, nicht aber auf die Art und Weise, wie es zustande gekommen sei. Vom Begriff „Inhalt“ sei die Frage, auf wessen Initiative es zu einem Gespräch kam, nicht umfasst.

Nun ja, kann man so sehen, allerdings überrascht dann doch, dass der 1. Strafsenat nun den § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO offenbar zum ersten Mal richtig gelesen hat 🙂 . Denn der Wortlaut ist seit 2009 unverändert.

Noch gespannter bin ich darauf, was das BVerfG ggf. damit macht – wenn das Verfahren dort landen sollte. Denn das BVerfG hat in in seinem Urteil v. 19.03.2013 die Protokollierung zu der Frage verlangt, wer die Anregung zu den Verständigungsgeesprächen gegeben hat Zwar im Zusammenhang mit § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO, aber warum soll für die Mitteilung etwas anderes gelten, zumal das BVerfG formuliert: „Gleiches gilt für … § 243 Abs. 4…“. Die vom 1. Senat hier vorgenommene Differenzierung zwischen Mitteilungspflichten über außerhalb und Dokumentationspflichten bezüglich innerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ist also nicht zwingend und dürfte auch mit der vom BVerfG inzwischen sehr in den Vordergrund gerückten Öffentlichkeitskontrolle kollidieren.

Übrigens: Mir tun inzwischen die Gerichte leid, die sich in dem Rechtsprechungswirrwarr zu Recht finden müssen. Ich kann die Vorsitzenden/Amtsrichter verstehen, die mir sagen: Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr.

Die Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Bußgeldverfahren

FragezeichenMitwirkungspflicht im Bußgeldverfahren? Man stutzt, wenn man es liest und denkt gleich an den nemo-tenetur-Grundsatz. Allerdings: Es geht im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 (8) SsRs 662/14-AK 233/14 – um eine verfahrensrechtliche Problematik in Zusammenhang mit einem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG. Im Verfahren wird es nicht ganz klar, ob es sich bei vom Betroffenen und/oder seinem Verteidiger gestellten Anträgen um einen Terminsverlegungsantrag oder einen Entbindungsantrag handelt. Das AG geht von einem Verlegungsantrag aus und verwirft den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG, als der Betroffene dann nicht erscheint. Die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Dem Betroffenen obliegt hinsichtlich des Antrags auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung (§ 73 Abs. 2 OWiG) eine Mitwirkungspflicht.
  2. Ergibt sich aus einer Verfügung des Gerichts, dass dieses ein missverständlich formuliertes Schreiben des Betroffenen anders als von diesem gewollt nicht als Entbindungsantrag auslegt, ist er deshalb gehalten, das Missverständnis aufzuklären. Andernfalls muss er sich an dem Erklärungsgehalt, den das Gericht dem Schreiben beimisst, festhalten lassen.

Und:

„Im Hinblick auf die dem Betroffenen durch § 73 Abs. 2 OWiG auferlegte Mitwirkungspflicht (Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl. 2014, § 73 Rn. 13; Seitz a. a. O., § 73 Rn. 3) oblag es danach dem Betroffenen, nachdem durch das – im Hinblick auf die erteilte Vertretungsvollmacht zulässigerweise an den Verteidiger gerichtete – Schreiben vom 12.8.2014 offensichtlich wurde, dass das Amtsgericht dem Schriftsatz vom 8.8.2014 nicht einen vom Betroffenen gewollten Erklärungsinhalt beigemessen hatte, dieses Missverständnis auszuräumen. Indem er untätig blieb, brachte er jedoch zum Ausdruck, der vom Amtsgericht vorgenommenen – nach dem Inhalt der Erklärung möglichen – Interpretation, dass es sich bei dem Antrag vom 8.8.2014 um einen solchen auf Terminverlegung handelte, nicht entgegentreten zu wollen (vgl. BGH StV 2001, 436 und 504; 1989, 465 – jeweils zur Mitwirkungspflicht bei falsch verstandenen Beweisanträgen), so dass ein Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG, der der Verwerfung des Einspruchs entgegenstand, gerade nicht vorlag.“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

In Berlin darf es etwas mehr sein, oder: jedenfalls 31,95 € sind „geringwertig“

© mpanch - Fotolia.com

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Im Moment läuft in der Rechtsprechung mal wieder die Diskussion, ab/bis wann eine Sache als geringwertig i:S. des § 248a StGB anzusehen ist. Dazu hatte sich das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Urt. v. 02.12.2014 – 1 Ss 261/14 – geäußert; zu der Entscheidung gibt es leider bislang aber nur eine PM und noch keinen Volltext, jedenfalls habe ich ihn noch nicht gefunden. Nun habe ich aber „vorab“ den KG, Beschl. v. 08.01.2015 – 1 Ss 261/14 – erhalten, der sich auch eingehend – wie man es vom KG kennt – mit der Frage auseinandersetzt und die unterschiedlichen Auffassungen zur Wertgrenze – 50,00 €, 25,00 – 30,00 € oder was sonst noch – darlegt und aufdröselt. Dazu ist eine ganze Menge geschrieben, insowweit will/muss ich verweisen.Ich will dann nur die Begründung des KG zur eigenen Auffassung – jedenfalls 31,95 € sind gering – hier zitieren:

„Ohne dass der Senat eine rechnerische Ankoppelung der Geringwertigkeitsgrenze an irgendwelche Regelsätze befürworten würde, ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls eine Koppelung an die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in keiner Weise begründbar erscheint, weil diese schon im Ansatz keine verwertbare Bezugsgröße bilden kann. Denn bei der Bemessung dieser Entgeltgrenze sind nicht 

Die seither eingetretene weitere Preisentwicklung rechtfertigt es, jedenfalls den vorliegend zu beurteilenden Beutewert von 31,95 Euro als gering im Sinne des § 248a StGB anzusehen. Die Beachtung der Entwicklung der wirtschaftlichen Gegebenheiten seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die etwa in dem jeweiligen Verbraucherpreisindex erkennbar wird (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindizes für Deutschland, abrufbar unter www.destatis.de/DE/Publikationen/ Thematisch/Preise/Verbraucherpreise/VerbraucherpreisindexLangeReihenPDF_ 5611103.pdf; jsessionid=98372EABF8347E77B4C602B7E75121C7.cae1?_ blob=publicationFile), lässt die damit vorgenommene Anhebung des Grenzwertes im Umfang eines Drittels seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als angemessen erscheinen. Die vorliegende Bestimmung der Geringwertigkeitsgrenze ist im Übrigen auch mit der Rechtsprechung des BGH, der beispielsweise wiederholt zehn Schachteln Zigaretten als geringwertig angesehen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 1975 – 4 StR 62/75 – [juris]; insoweit in BGHSt 26, 104 ff. nicht abgedruckt; NJW 1964, 117; s. auch Vogel aaO Rn. 7), vereinbar. 

Also: In Berlin darf es etwas mehr sein 🙂 .

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Wie wird in der Hauptverhandlung ein Zeuge (richtig) belehrt?

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Die Entscheidung des 2. Strafsenats zur „qualifizierten Belehrung“ (vgl. BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 und dazu 2. Strafsenat des BGH – “Rebellensenat”? – nee, nur “Unruhestifter” und Kofferpacken für den Großen Senat – “wir folgen dem “Rebellensenat” nicht….) zieht Kreise. Jetzt hatte ein Verteidiger offenbar mit ihr argumentiert und eine nicht ausreichende Belehrung eines Zeugen in der Hauptverhandlung geltend gemacht. Der 1. Strafsenat erteilt dem Vorbringen im BGH, Beschl. v. 10.02.2015 – 1 StR 20/15 eine Absage:

„Soweit die Revision behauptet, die zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigten Zeugen seien anlässlich ihrer Vernehmung vor der Strafkammer vom Vorsitzenden nicht hinreichend darüber belehrt worden, welche Folgen eine Gestattung der Verwertung ihrer polizeilichen Vernehmungen habe, ist ein Rechtsfehler nicht ersichtlich.

Unabhängig von der Frage, ob diese Rügen im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig ausgeführt sind, sind sie jedenfalls unbegründet, denn die „qualifizierte“ Belehrung des Vorsitzenden entsprach den Anforderungen, die von der Rechtsprechung hierfür formuliert worden sind. Danach kann ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizei-lichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208; BGH, Beschlüsse vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353 und vom 13. Juni 2012 – 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 256).

Anders als die Revision meint, gehört zum Inhalt dieser Belehrung nicht, dass die Angaben des Zeugen vor dem Ermittlungsrichter auch ohne seine Zustimmung in der Hauptverhandlung verwertet werden können; eine solche „qualifizierte“ Belehrung soll nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs durch den Ermittlungsrichter bei der Vernehmung eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen erfolgen, damit diese Angaben trotz späte-rer Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung verwertet werden können (vgl. BGH, Anfragebeschluss vom 4. Juni 2014 – 2 StR 656/13, NStZ 2014, 596; abweichend hierzu BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2014 – 4 ARs 21/14, NStZ-RR 2015, 48, vom 8. Januar 2015 – 3 ARs 20/14 und vom 14. Januar 2015 – 1 ARs 21/14). In der Hauptverhandlung muss hingegen der dann das  Zeugnis verweigernde Zeuge lediglich ausdrücklich darauf hingewiesen wer-den, welche Konsequenzen die Gestattung der Verwertung seiner früheren vor der Polizei getätigten Angaben hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 2 StR 656/13, NStZ 2014, 596, 598). Dies ist vorliegend in vollem Umfang geschehen.“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…