Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr …

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Wenn man über die verfahrensrechtliche Rechtsprechung des BGH berichtet, kommt man im Moment an der Verständigung (§ 257c StPO) und der Mitteilungspflicht nicht vorbei. Und da ist es schon manchmal erstaunlich, wenn man die „Eiertänze“ sieht, die in meinen Augen der BGH veranstaltet, um das BVerfG Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – – 2 BvR 2883/10 – – 2 BvR 2155/11 nicht bzw. nicht so umzusetzen, wie das BVerfG es gern hätte, und um auch danach liegende Rechtsprechung des BVerfG zu umschiffen. Häufig ist es so, dass man beim Lesen einer BGH-Entscheidung denkt: Na, wenn das man beim BVerfG „hält“.

Und so ist es mir mit dem BGH, Beschl. v.02.12.2014 – 1 StR 422/14 – gegangen, der die Frage des „Mitteilungsinhalts“ zum Gegenstand hat, und zwar die Frage: Umfasst bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch die Frage, vom wem die Initiative zu dem Gespräch ausgegangen ist? Nun, der 1. Strafsenat sagt: Nein. Und wann man es liest, stutzt man. Denn der 1. Strafsenat hat bislang: Ja gesagt. Nun also, nein. und zwar mit der Begründung: Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, der die Mitteilungspflicht lediglich auf den „Inhalt“ des Gesprächs be­ziehe, nicht aber auf die Art und Weise, wie es zustande gekommen sei. Vom Begriff „Inhalt“ sei die Frage, auf wessen Initiative es zu einem Gespräch kam, nicht umfasst.

Nun ja, kann man so sehen, allerdings überrascht dann doch, dass der 1. Strafsenat nun den § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO offenbar zum ersten Mal richtig gelesen hat 🙂 . Denn der Wortlaut ist seit 2009 unverändert.

Noch gespannter bin ich darauf, was das BVerfG ggf. damit macht – wenn das Verfahren dort landen sollte. Denn das BVerfG hat in in seinem Urteil v. 19.03.2013 die Protokollierung zu der Frage verlangt, wer die Anregung zu den Verständigungsgeesprächen gegeben hat Zwar im Zusammenhang mit § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO, aber warum soll für die Mitteilung etwas anderes gelten, zumal das BVerfG formuliert: „Gleiches gilt für … § 243 Abs. 4…“. Die vom 1. Senat hier vorgenommene Differenzierung zwischen Mitteilungspflichten über außerhalb und Dokumentationspflichten bezüglich innerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ist also nicht zwingend und dürfte auch mit der vom BVerfG inzwischen sehr in den Vordergrund gerückten Öffentlichkeitskontrolle kollidieren.

Übrigens: Mir tun inzwischen die Gerichte leid, die sich in dem Rechtsprechungswirrwarr zu Recht finden müssen. Ich kann die Vorsitzenden/Amtsrichter verstehen, die mir sagen: Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr.

6 Gedanken zu „Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr …

  1. Miraculix

    Nur mal eine Frage vom Nicht-Juristen:
    Sind die Entscheidungen des BVerfG nicht für alle anderen Gerichte bindend?

  2. Pingback: Verständigung im Strafverfahren? Ich sagte doch: Mit mir nicht mehr … – Burhoff online Blog

  3. Mattes

    Irgendwie sägen die Verteidiger bzgl. Verständigung an ihrem eigenen Ast (bzw. an dem ihrer künftigen Mandanten) und merken es nicht einmal.

  4. Martin Overath

    Das handwerklich miserable Verständigungsgesetz führt nicht zur Prozessökonomie, im Gegenteil – wie man an den höchstrichterlichen Eiertänzen sieht.

  5. Pingback: Selbstleseverfahren, Band 101 - Strafakte.de

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