Archiv für den Monat: Februar 2013

Aktenversendungspauschale – auch wenn der Rechtsanwalt die Akte abholt?

© Gina Sanders – Fotolia.com

Häufig sind es im Gebühren-/Kostenrecht die kleinen beträge, die viel Arbeit bzw. auf die viel Arbeit verwendet wird bzw. verwendet werden muss. Eine dieser „Baustellen“ ist die Aktenversendungspauschale, die immer wieder zu langen/tief schürfen Beschlüssen auch von OLG führt. So der OLG Koblenz, Beschl. v.  14.01.2013, 14 W 19/13 -, der sich mit der Frage befasst, ob die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG auch entsteht bei Abholung über das Gerichtsfach.Dazu gibt es eine ganze Reihe von Entscheidungen, die das verneint (vgl. die Zitate im Beschluss)., ebenso wie die Literatur.

Das OLG Koblenz sieht es nun anders und setzt die Pauschale an:

„Dementsprechend fällt die Aktenversendungspauschale auch dann an, wenn die Akten zur Einsichtnahme durch den Anwalt zwischen verschiedenen Dienstgebäuden desselben Gerichts transportiert werden müssen, wie etwa beim Oberlandesgericht Koblenz, wo die Abholfächer der Anwälte im Dienstgebäude I eingerichtet sind, das in der Stresemannstrasse liegt, während sich die Geschäfts- stellen der Strafsenate und einiger Zivilsenate auf der gegenüberliegenden Straßenseite in dem in der Regierungsstraße gelegenen Dienstgebäude II befinden. …..

Welchen Aufwand Nr. 9003 KV-GKG pauschaliert, erschließt sich aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung zur noch heute maßgeblichen Fassung von Nr. 9003 KV-GKG heißt es (BT-Drucksache 12/6962, S. 87), dass durch den Auslagentatbestand pauschal die Abgeltung von Aufwendungen ermöglicht werden soll, die dadurch entstehen, dass Akteneinsichten an einem anderen Ort als dem der aktenführenden Stelle gewünscht und dadurch Versendungen notwendig werden. Es bestehe kein Anlass, die durch solche besonderen Serviceleistungen der Justiz entstehenden zusätzlichen Aufwendungen unberücksichtigt zu lassen.

Indem die Gesetzesmaterialien von „zusätzlichen Aufwendungen“ und nicht lediglich von Portokosten sprechen, wird hinreichend deutlich, dass die pauschalierende Regelung keineswegs Fälle ausklammert, in denen keine Porto- oder sonstigen Transportkosten anfallen. Das ergibt sich auch ohne weiteres daraus, dass die Portokosten für den Paketversand durchweg deutlich niedriger sind als der Pauschbetrag von 12 EUR. Auch dass erhellt, dass die Pauschale mehr abgelten soll als die reinen Versandkosten.“

Die Justiz achtet schon darauf, dass sie zu Ihrem „Recht“ kommt.

 

Wenn erst mal der Wurm drin ist – Fristversäumung und dann auch noch nicht ausreichender Wiedereinsetzungsantrag

© a_korn – Fotolia.com

Ein wenig durcheinander scheint es mir in einem Verteidigerbüro gegangen zu sein. Der BGH teilt zum Sachverhalt im BGH, Beschl. v. 08.01.2013 – 1 StR 621/12 – in dem es u.a. um Gewährung von Wiedereinsetzung ging, mit:

Mit einem am 22. Oktober 2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Mit am 30. Oktober 2012 eingegangenem Schriftsatz hat er Wiedereinsetzung für den Fall beantragt, dass die Revisionsbegründung unvollständig sei. Am 26. November 2012 hat sich ein Wahlverteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt, die ihm gewährt worden ist. Mit einem am 28. Dezember 2012 ein-gegangenen Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Wiedereinsetzung beantragt.“

Dazu der BGH:

„2. Da die Revisionsbegründung nicht unvollständig, sondern verspätet ist, mithin die Bedingung, unter der Wiedereinsetzung beantragt worden ist, nicht eingetreten ist, ist schon aus diesem Grund über den am 30. Oktober 2012 eingegangenen Antrag nicht zu entscheiden.“

Und, wenn erst mal der Wurm drin ist, dann geht häufig alles schief. So dann auch hier.

3. Die am 28. Dezember 2012 eingegangenen Anträge sind unzulässig, da die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten worden sind. Die jeweilige Antragsbegründung äußert sich nicht dazu, wann die Hindernisse, die einer rechtzeitigen Revisionsbegründung und einem rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag entgegenstanden, weggefallen sind. Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist – wie hier, da der Angeklagte z. B. durch den Wahlverteidiger oder den Antrag des Generalbundesanwalts von den versäumten Fristen hätte erfahren können – , gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, 54 f.; NStZ-RR 2010, 378). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 365/10; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 45 Rn. 5). Erforderlich war demnach die Mitteilung, wann der Angeklagte von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und der Frist des § 45 StPO Kenntnis erhalten hat. An einem entsprechenden Vortrag fehlt es aber.

Tja, das war es dann. Musste nicht sein.

 

Standardisiertes Messverfahren – nicht, wenn am „37.12.2010“ gemessen worden ist

Der Begriff des standardisierten Messverfahrens spielt im Bußgeldverfahren eine große Rolle. Hängt von ihm doch das Verteidigerverhalten im Verfahren aber vor allem auch der Umfang der Urteilsgründe ab. Auf letzteres weist jetzt noch einmal der OLG Celle, Beschl. v. 10.01.2013 – 322 SsBs 356/12 hin. Da hatte der Tatrichter bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem System VKS 3.0 ‑ Softwareversion 3.1 – einen Eingabefehler bei der manuellen Auswertung festgestellt, und zwar die Eingabe eines offensichtlich falschen Datums. Es hatte dann selbst gerechnet und war von der Richtigkeit der Messung ausgegangen. Das hat dem OLG so nicht gereicht.

Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens setzt insbesondere nicht voraus, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfindet (OLG Dresden, a.a.O.). Die Richtigkeit des Messergebnisses, das – wie bei dem System VKS 3.0 – erst nach Auswertung der technischen Videoaufzeichnung mittels einer geeichten Auswerteeinheit durch einen Beamten erfolgt, kann deswegen in der Regel darauf gestützt werden, dass sich der Tatrichter von der ausreichenden Schulung des Messbeamten in der Anwendung der Auswerteeinheit überzeugt.

Jedoch ist der Tatrichter auch bei standardisierten Messverfahren gehalten, Fehlerquellen nachzugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Messung begründen. Derartige Anhaltspunkte hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil aufgezeigt, ohne zugleich darzustellen, anhand welcher Beweismittel es dennoch von der Richtigkeit der Messung überzeugt ist.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts enthält das Ergebnis der Anwendung der Auswerteeinheit (das Datenfenster des „Fallprotokolls Geschwindigkeit“) ein unzutreffendes Datum („37.12.2010“ statt des in der Videoaufzeichnung festgehaltenen, als Tatzeit festgehaltenen Datums „31.10.2011“). Nach „Einschätzung“ des Amtsgerichts handelt es sich dabei um das Resultat eines Eingabefehlers, der dem Messbeamten bei der EDV-gestützten Wiedergabe der Fotos unterlaufen sein muss. Diese durch kein Beweismittel untermauerte Vermutung des Amtsgericht kann zutreffend sein; in diesem Fall müssen die Urteilsgründe jedoch erkennen lassen, warum das Amtsgericht davon überzeugt ist, die weiteren Ergebnisse der Auswertung der Videoaufzeichnung seien fehlerfrei.

Zwar hat das Amtsgericht hier schlüssig anhand einer Weg-Zeit-Berechnung die Richtigkeit der sich aus dem Messdatenblatt sowie der Videoaufzeichnung ergebenden Geschwindigkeit aufgezeigt. Damit hat das Amtsgericht jedoch – gewissermaßen an dem standardisierten Messverfahren vorbei – die Berechnung nachvollzogen, die nach dem durch die PTB zugelassenen System gerade durch die Auswerteeinheit erfolgen muss. Insbesondere hat das Amtsgericht bei dieser Berechnung Anknüpfungstatsachen – nämlich die genauen Wegmarken – herangezogen, die sich erst aus der Anwendung der Auswerteeinheit ergeben konnten.

Das Amtsgericht war deswegen zumindest gehalten, den Messbeamten zum Vorgang der Auswertung der Videoaufzeichnung zu vernehmen, um ausschließen zu können, dass sich der Übertragungsfehler auf das Datum beschränkt hat. Gegebenenfalls wäre ansonsten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit geboten.

Kleinigkeiten können also das Verfahren entscheiden – bzw. Zeitgewinn bringen.

12 € Aktenversendungspauschale? Nur für die vollständige (elektronische) Akte

© Gina Sanders – Fotolia.com

Die elektronische Akte (§§ 110a ff. OWiG), noch nicht so ganz verbreitet, aber im Vordringen. Deshalb sollte man als Verteidiger ggf. den AG Osnabrück, Beschl. v. 18.01.2013 – 201 OWi 570/12 – im Auge behalten. Da war im Verfahren von der Verwaltungsbehörde die Aktenversendungspauschale erhoben worden. Der Verteidiger hat sich gegen deren Ansatz gewandt und beim AG Osnabrück Recht bekommen: Denn:

„Die Erhebung der Auslagenpauschale kann nämlich nur verlangt werden, wenn die Akteneinsicht vollständig erfolgt, was bisher hier nicht der Fall ist. Die Akte, in die der Verteidiger Einsicht begehrt, wird bei der Stadt Osnabrück in elektronischer Form geführt, weshalb sich die Akteneinsicht – jedenfalls wenn der Verteidiger sich nicht mit einer anderen Form begnügt – nach § 110d OWiG richtet und insoweit auch nur in dieser Form ein Aktenausdruck erfolgen kann. Ein zur Akteneinsicht bestimmter Aktenauszug muss gemäß § 110d Abs. 1 Satz 3 OWiG vorhandene Vermerke gemäß § 110b Abs. 2 Satz 2 OWiG wiedergeben. Darüber hinaus bedarf es eines zusätzlichen Vermerks betreffend die qualifizierte Signatur des elektronischen Dokuments gemäß § 298 Abs. 2 BGB.

Diesen Anforderungen genügt die dem Gericht vorliegende Akte nicht. So tragen die Dokumente schon keine Vermerke, aus denen sich das Datum des Einscannens und der Name des Arbeitsplatzes ergibt (vgl. Amtsgericht Duderstadt, Beschluss vom 01.02.2012, Aktenzeichen 3 OWi 366/11; Amtsgericht Eutin, Beschluss vom 15.06.2009, Aktenzeichen 36 OWi 4/09). Auch ein Vermerk i. S. des § 298 Abs. 2 ZPO fehlt.“

 

AG Lüdinghausen: Kurz und zackig, aber m.E. falsch – das beschränkte Fahrverbot

© rcx – Fotolia.com

Das AG Lüdinghausen verurteilt mit dem AG Lüdinghausen, Urt. v. 14.01.2013 – 19 OWi-89 Js 1648/12-197/12 – den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 500,00 €. Zum Fahrverbot heißt es kurz und zackig:

Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge mit mehr als 100 PS Motorkraft im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.“

Doppeltes Erstaunen, denn:

1.  Vom Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG  ist diese Entscheidung nicht gedeckt. Danach kann das Fahrverbot auf Kfz „einer bestimmten Art“ beschränkt werden. Maßgebend ist dabei nach h.M. in erster Linie die Einteilung der Fahrerlaubnisklassen in § 6 FeV. Beschränkt werden kann daher nur auf eine Fahrzeugklasse oder eine Unterart innerhalb einer Klasse. Der Verwendungszweck kann darüber hinaus nur dann als Abgrenzungskriterium berücksichtigt werden, wenn er sich eindeutig in der Bauart niederschlägt und damit eine eindeutige Abgrenzung zu anderen Fahrzeugen dieser Fahrzeugklasse ermöglicht. Nach der insoweit einhelligen Rechtsprechung ist daher eine Beschränkung etwa zulässig bei einem Einsatzfahrzeug der Feuerwehr (so vor einiger Zeit das OLG Düsseldorf). Eine Beschränkung ist hingegen nicht möglich auf ein bestimmtes Fahrzeug, Fahrzeuge eines bestimmten Eigentümers, Fahrten in bestimmten Regionen, zu bestimmten Zwecken oder bestimmten Tageszeiten (näher m. Deutscher in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren, 3. Aufl. 2012, Rn. 1013 ff). In diese letzte Gruppe fällt aber die Beschränkung, die das AG ausgesprochen hat, denn die Motorstärke eines Fahrzeugs ändert als solche offensichtlich nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fahrzeugklasse und schlägt sich auch nicht in der Bauart nieder.

Zu all dem und der Abweichung von der h.M. leider nichts in der AG-Entscheidung; die Entscheidung hat keine Gründe. Und auch kein Wort, warum denn die Grenze gerade bei 100 PS (!!) gezogen wird. Warum nicht bei 90 oder bei 110. Art 3. GG und das Willkürverbot lassen grüßen.

2. Zweiter Grund für mein Erstaunen: Das Urteil ist rechtskräftig. Nun, dass der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist nachvollziehbar, aber die Staatsanwaltschaft auch nicht? Von dort aus wird doch sonst i.d.R. jedes Absehen vom Fahrverbot zur Überprüfung beim OLG gestellt. Dieses aber nicht? Das verstehe, wer will.