Archiv für den Monat: August 2012

Die Rechtsbeugung des Proberichters – hier ist dann der Volltext

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Ende Mai 2012 hatte u.a. auch die Blogs das BGH, Urt. v. 31.05.2012 – 2 StR 610/11 – beschäftigt. Das was/ist der Fall des Freispruchs eines Proberichters vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Aussageerpressung.Nochmal zum Sachverhalt – entnommen der PM des BGH v. 31.05.2012:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.

Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.

Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht.“

Die Strafkammer hatte den Proberichter frei gesprochen und dabei den Rechtsbeugungsvorsatz verneint. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH aufgehoben. Er sieht einen Verstoß gegen § 261 StPO und rügt die mangelhaft Beweiswürdigung der Strafkammer:

Es mag dahinstehen, ob dies schon deshalb der Fall ist, weil der Tatrichter – worauf der Generalbundesanwalt vor allem in seiner Begründung des Rechtsmittels abstellt – bei seiner Annahme, der Angeklagte sei von einem beschränkten Einspruch des D. ausgegangen und habe deshalb mit der Erzwingung des Geständnisses keinen unrechtmäßigen prozessualen Nachteil für diesen herbeiführen wollen, keine erschöpfende (und widerspruchsfreie) Würdigung der Beweise vorgenommen hat. Jedenfalls fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit der nach den Feststellungen in Betracht kommenden Möglichkeit, der Angeklagte habe nicht nur ein Geständnis des D. , sondern auch einen Rechtsmittelverzicht sowie eine Einwilligung in eine Therapieweisung und insoweit die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Nachteils an-gestrebt und damit vorsätzlich gehandelt.

Damit darf sich dann jetzt das LG Kassel noch einmal befassen.

Punkteregen bei Tempokontrolle

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Meldungen, die mit „Punkteregen bei Tempokontrolle im Schaumburger Land“ überschrieben sind, erregen Aufmerksamkeit, zumindest bei mir (vgl. dazu heute in der Tagespresse hier). Dahinter versteckt sich dann:

„Einen wahren Punkteregen haben Polizisten bei einer Tempokontrolle auf der B 65 im Schaumburger Land ausgelöst. Alle zwei Minuten erfassten die Beamten einen Wagen, der deutlich schneller als erlaubt durch die Ortschaft Gelldorf rauschte, teilte die Polizei am Mittwoch mit.

Gelldorf. 93 Raser wurden binnen drei Stunden bei erlaubten 50 Stundenkilometern geblitzt. Spitzenreiter war ein Fahrer mit Tempo 109. Er muss nun zwei Monate ohne Auto auskommen, 500 Euro berappen und darf sich über vier Punkte in Flensburg ärgern.“

Eine schöne (?) Ausbeute :-(.

Ist Schwangerschaft eine Krankheit? Nein, aber…

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Die Frage, ob Schwangerschaft eine Krankheit ist, ist eine Frage, die Strafkammern sicherlich schon häufiger beschäftigt hat. Eine Antwort auf die Frage gab es – so weit ich das übersehe – bisher nicht. Nun gibt es aber den LG Bremen,  Beschl. v. 28.04.2010 – 22 Ks 210 Js 2251/09 -, auf den ich bei openjur gestoßen bin. Da spielte die Frage eben für die zulässige Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 3 StPO eine Rolle. Nämlich für die Frage, ob die Unterbrechungsfrist während der Mutterschutzfrist gehemmt ist, oder nicht. Das LG Bremen hat das bejaht und somit § 229 Abs. 3 StPO entsprechend angewendet.

„Die in § 229 Abs. 3 StPO getroffene Regelung einer Hemmung der Unterbrechungsfristen gilt seit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004 (BGBl. I, 2198) nicht nur für Angeklagte, sondern auch für zur Urteilsfindung berufene Personen. Weitere Änderungen wurden durch das Gesetz an dem Absatz 3 nicht vorgenommen. Mit dieser Ausdehnung der Hemmungsregelung sollte vermieden werden, dass Verfahren nach mehreren Verhandlungstagen wegen der Erkrankung von Richtern und Schöffen ausgesetzt werden müssen. Bei mehrtägigen, jedoch nicht langwierigen Verfahren vor dem Landgericht sollte dem Erfordernis einer Neuverhandlung des gesamten Prozesses im Fall des „Ausfall(s) einzelner Mitglieder des Gerichts“ entgegen gewirkt werden. Die Neuregelung sollte sicherstellen, dass die von § 192 GVG vorgesehene Möglichkeit der Bestellung von Ergänzungsrichtern und –schöffen auf die vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmefälle beschränkt bleibt (vgl. zu den Begründungen der Entwürfe BTagDrs. 15/1508, 25; 15/999, 25).

Bei dieser Neufassung ging es mithin darum, Neuverhandlungen möglichst zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat ersichtlich dabei nicht geprüft, ob es – außerhalb der Krankheit – andere ähnliche Sachlagen geben könnte, auf die der Regelungszweck ebenso zutreffen und der Sachverhalt daher in gleicher Weise geregelt werden könnte. Diese Ähnlichkeit liegt bei einem gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beschäftigungsverbot nach Entbindung im Fall der zur Entscheidung berufenen Personen offen zu Tage. Im Geltungsbereich der früheren Gesetzeslage, wo die Hemmungsmöglichkeit nur für Angeklagte galt, musste sich der Gesetzgeber hingegen nicht veranlasst sehen, über die Möglichkeit der Hemmung bei Verhandlungen gegen insoweit betroffene Angeklagte zu befinden, da angesichts der völlig anderen prozessualen Stellung niemand auf den Gedanken kommen würde, überhaupt gegen eine hochschwangere Angeklagte eine längere, mehr als 10 Tage dauernde Verhandlung durchzuführen. Anderes galt und gilt bei Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, die etwa wegen Schwangerschaft nicht zu Gericht erscheinen können, wo § 223 StPO die kommissarische Vernehmung neben den Fällen der Krankheit und Gebrechlichkeit auch bei „andere(n) nicht zu beseitigende(n) Hindernisse(n)“, zu denen die Schwangerschaft zählt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 223 Rz. 6), ermöglicht.

Der Gesetzeszweck zur Vermeidung von Neuverhandlungen erfordert es auch, die Regelung für den Bereich des Beschäftigungsverbotes infolge einer Entbindung anzuwenden. Denn gerade der vorliegende Fall mit all den dargestellten, nicht vorhersehbaren Entwicklungen eines Strafprozesses zeigt, dass ansonsten bei auch nur denkbaren Verhandlungen über längere Zeiten im Fall des Einsatzes von gebärfähigen Frauen im richterlichen Bereich – dieses ist in den letzten Jahren auf Grund der geänderten Einstellungspraxis zunehmend der Fall – bei normaler Entwicklung von Schwangerschaft und Entbindung, also ohne Entwicklungen im Sinne eines krankhaften körperlichen Zustands, regelmäßig die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 GVG angeordnet werden müsste. Gerade dieses sollte, wie dargelegt, die Neuregelung aber verhindern.“

Was mich wundert: Zu der Problematik gibt es keine nachfolgende BGH-Entscheidung. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Verteidiger diese „Steilvorlage“ nicht zum BGH getragen haben. Aber möglicherweise eine der vielen Sachen, in denen der BGH schon auf die Sachrüge hin aufgehoben hat und es somit auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankam. Andererseits kann ich mir nun aber auch nicht vorstellen, dass der BGH die Frage unentschieden gelassen hat.

 

Wer (unter)schreibt, der bleibt, auch wenn es nur ein „Schriftgebilde“ ist

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Nach getaner Arbeit steht für den Rechtsanwalt die Abrechnung ins Haus. Fordern kann der Rechtsanwalt/Verteidiger die Vergütung vom Mandanten nach § 10 RVG nur aufgrund „einer von ihm unterzeichneten … Berechnung“. Mit den Anforderungen an diese Berechnung befasst sich das OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.04.2012 – I 24 U 166/11. Da hatte der Rechtsanwalt nämlich die Berechnung nicht „schon“ unterschrieben. Und es war Streit entstanden, ob die „Unterschrift“ des Rechtsanwalts den Anforderungen an eine „Unterschrift“ erfüllte. Das OLG wendet die Rechtsprechung zu den Anforderungen  an eine Unterschrift bei prozessbestimmenden Schriftsätzen (§§ 129, 130 Nr. 6 ZPO) an. Der Leitsatz:

Eine i.S. des § 10 RVG ordnungsgemäße Berechnung der anwaltlichen Vergütung liegt nur vor, wenn die Kostenrechnung eine Unterschrift erkennen lässt. Erforderlich, aber auch genügend, ist das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechende charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt.

Und den Anforderungen war genüge getan:

„b) Das Schriftgebilde unter der Kostenrechnung erfüllt entgegen der Auffassung der Beklagten die an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen. Sein Beginn lässt sich bei Kenntnis des – unmittelbar darunter in Maschinenschrift mitgeteilten – Namens ohne weiteres als eine vereinfachte Form des großen Anfangsbuchstabens G deuten. Der Schriftzug geht danach in eine Linie über, die nur leicht gewellt ist. Sieht man auch diesen Teil des Schriftzugs in Verbindung mit dem Namen, so ergibt sich: Beim Namen des unterzeichnenden Anwalts G. folgen dem Anfangsbuchstaben G noch insgesamt vier weitere Buchstaben, die sich alle außer im Schriftbild auf das Mittelband beschränken, also keine Ober- und Unterlängen aufweisen (…..). Eine derartige Buchstabenfolge unterliegt bei Unterschriften häufig einem Abschleifungsprozess, dessen Ergebnis schließlich nur noch eine durchgehende Wellen- oder Fadenlinie ist. Dem Gesamtschriftzug kann ein individuell stilisierter, unverwechselbarer Charakter nicht abgesprochen werden. Die hinreichende Länge der auslaufenden Fadenlinie macht deutlich, dass es sich nicht nur um ein abgekürztes Handzeichen, sondern um eine vollständige Unterschrift handeln soll (vgl. a. BGH, NJW 1992, 243). Gegen das Vorliegen einer bloßen Paraphe spricht, dass sich an das große „G“ noch eine Linie anschließt und dass der Unterzeichnende keinen Punkt gesetzt hat. Berücksichtigt man, dass der Schriftzug mit dem in Maschinenschrift eingesetzten vollen Namen des Rechtsanwalts G. unterlegt worden ist, die Autorenschaft unstreitig ist und Rechtsanwalt G. immer in dieser Weise unterschreibt, so ist bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs das Erfordernis einer Unterschrift noch erfüllt. Der Schriftzug ist zwar einfach strukturiert, aber dennoch so individuell ausgeführt, dass ihm der Charakter einer Unterschrift nicht abgesprochen werden kann.“ 

 

HIV infiziert? Ist eine Blutentnahme zulässig?

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In der Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden ist eine Fallkonstellation, die in einem brandneuen Beschluss das LG Aurich entschieden hat.

Zum Sachverhalt: Die Beschuldigten werden verdächtigt, den Anzeigenerstatter durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit HIV infiziert zu haben.  Zwischen dem Anzeigenerstatter und den beiden Beschuldigten war es über einen längeren Zeitraum zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr gekommen.  Im Zuge eines Blutspendetermins erhielt der Anzeigenerstatter Kenntnis von seiner – allerdings bislang noch nicht belegten – HIV-Infektion. Die daraufhin vom Anzeigenerstatter zur Rede gestellten Beschuldigten bestritten indes, mit HIV positiv infiziert zu sein. Im Rahmen des weiteren Ermittlungsverfahrens gab der Anzeigenerstatter an, dass weder sein früherer Partner noch derjenige, mit dem er im Anschluss an die hiesigen Vorfälle sexuell verkehrt habe, infiziert gewesen seien. Überdies habe er mit keinem weiteren Dritten verkehrt, noch sei er sonst mit Körperflüssigkeiten und/oder mit verunreinigten Spritzen in Kontakt gekommen.  Nachdem die beiden Beschuldigten die Entnahme einer Blutprobe zur Feststellung einer etwaigen HIV-Infizierung abgelehnt hatten, ordnete das Amtsgericht Aurich gegenüber beiden Beschuldigten gem. § 81a StPO die Blutentnahme sowie den Vergleich der Virussubtypen an.

  1. Dagegen die Beschwerde der Beschuldigten, die im LG Aurich, Beschl. v. 30.07.2012 – 12 Qs 97/12 – Erfolg hatte. Das LG stützt die Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung auf zwei Punkte:
  1. Ein positiver HIV-Test  sei weder geeignet, eine (vollendete) gefährliche Körperverletzung  noch eine versuchte gefährliche Körperverletzung nachzuweisen, so dass die durch die Austestung zu belegenden Tatsachen für das  Verfahren nicht verfahrenserheblich sind.
  2. Die angeordnete Maßnahme entspricht auch nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die angeordnete Blutentnahme stelle sich im Hinblick auf eine allenfalls noch in Betracht kommende Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB als unverhältnismäßig dar. Dazu das LG:

 aa)  Denn auch insoweit ist ein HIV-Test nicht zum Tatnachweis geeignet. Selbst bei positivem Testergebnis bleiben nämlich – nach derzeitigem Erkenntnisstand – unwiderlegbare Restzweifel, ob eine mögliche Infizierung des Anzeigenerstatters nicht durch andere Sexualpartner hervorgerufen sein kann bzw. ob die bzw. der Beschuldigte(n) nicht doch erst zu einem späteren Zeitpunkt selber infiziert wurden, zumal das Tatgeschehen mittlerweile mehr als 1 ½ Jahre zurückliegt.

 bb) Darüber hinaus erscheint die Anordnung der Blutentnahme für beide Beschuldigte auch im Rahmen einer Güterabwägung als unverhältnismäßig im engeren Sinne. Das hierbei zu berücksichtigende Individualinteresse an der Nichtaufklärung über die eigene Infektiosität hat zwar grundsätzlich dem höherwertigen Rechtsgut „Gesundheitsschutz der Allgemeinheit“ zu weichen (Mayer, JR 1990, 358, 360; Penning/Spann, MedR 1987, 171, 173). Im Anwendungsbereich der §§ 81a, 81c StPO ist der Gesundheitsschutz der Allgemeinheit im Hinblick auf die Zulässigkeit des Eingriffs indes kein zu beachtendes Rechtsgut; gegenüber den Grundrechten des von dem Eingriff Betroffenen – hier der Beschuldigten – auf Schutz der Privat- und Intimsphäre nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und der körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darf – wenn es um die Zulässigkeit des Eingriffs geht – lediglich das Aufklärungsinteresse des Staates an Straftaten in die Abwägung einbezogen werden (zutreffend Mayer, JR 1990, 358, 360 m.w.N.). Das berechtigte Aufklärungsinteresse des Staates hat indes unter Abwägung mit folgenden Gesichtspunkten im vorliegenden Einzelfall zurückzutreten:

 (i) Zum einen wiegt der Schuldvorwurf hier gering, was sich nicht zuletzt daran festmachen lässt, dass die Staatsanwaltschaft Aurich von sich aus bereits in einem früheren Verfahrensstadium die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO angeregt hat. Denn der Tatverdacht lässt sich allenfalls auf den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung beschränken, der sich dazu noch gegen zwei bislang nicht vorbestrafte Beschuldigte richtet.

 (ii) Hinzu kommt, dass selbst der Tatverdacht einer fahrlässigen Körperverletzung bislang kaum erhärtet ist. Denn ein fahrlässiges Verhalten setzt – neben der noch festzustellenden Tatsache , dass das Opfer mit HI-Viren infiziert ist – voraus, dass aus Sicht des Täters objektiv tatsächliche Anhaltspunkte für einen konkreten Anfangsverdacht einer eigenen HIV-Infektiosität bestanden, der Täter also schon zum Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Geschlechtsverkehrs etwa an Anzeichen des ARC-Syndroms oder des Aids-Vollbildes gelitten hat (vgl. hierzu eingehend Mayer, JR 1990, 358, 361 [Fn. 37]). Das vorliegende Ermittlungsverfahren bietet hierfür aber nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte.

 (iii) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist schließlich der Umstand zu berücksichtigen, dass die mit der Blutentnahme einhergehende Kenntnis von einer möglichen HIV-Infektiosität – hier der Beschuldigten – schwere seelische Beeinträchtigungen bis hin zur Suizidalität auslösen kann (vgl. VGH München, Beschluss v. 19.05.1988 – 25 CS 8800312, NJW 1988, 2318, 2319; Penning/Spann, MedR 1987, 171, 173; Helmrich, NVwZ 2008, 162, 163 m.w.N.). Zwar ist in diesem Kontext umstritten, ob seelische Belastungen zu berücksichtigende Gesundheitsnachteile i.S.d. § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO darstellen (dafür etwa Bosch, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 61. EL, § 81a Rn. 24; Mayer, JR 1990, 358, 359 f; dagegen Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 81a Rn. 17; Michel, JuS 1993, 591, 592). Gleichwohl wird dieser Gefährdung jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation Rechnung zu tragen und ihr ein hohes Gewicht beizumessen sein. Denn die Erhärtung des Tatverdachts ist – zumindest bei derzeitigem Verfahrensstand – derart ungewiss bzw. der Beweiswert des HIV-Testes so gering, dass es den Beschuldigten schlechterdings nicht zugemutet werden kann, aufgrund der Kenntnisnahme einer etwaigen eigenen HIV-Infektiosität der Gefahr psychischer Schädigungen ausgesetzt zu sein.