Archiv für den Monat: August 2011

Der Briefschlitz im Mehrfamilienhaus

Manchmal haben zivilverfahrensrechtliche Entscheidungen auch Auswirkungen auf das Straf- bzw. Bußgeldverfahren. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn es um Zustellungsfragen geht. So daher auch der BGH, Urt. v. 16.06.2011 – III ZR 342/09, in dem es um die Frage der Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ging. Die Frage kann im Bereich der Problematik: Frist versäumt und/oder Wiedereinsetzung erforderlich oder nicht, Bedeutung erlangen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall heißt es zur Zustellung:

In dem Haus B. Straße 8 hatten außer der Beklagten noch zwei weitere Parteien eine Wohnung beziehungsweise Geschäftsräume. In der Außentür des Hauses befand sich ein einzelner Briefschlitz, in den die Post für alle drei Parteien eingeworfen wurde. Da innen ein Behältnis nicht angebracht war, fielen die Sendungen hinter der Tür auf den Boden des Hausflurs. Die Beklagte macht geltend, sie habe am 3. September 2007 ihre Geschäftsräume dort aufgegeben und ihren Sitz an einen neuen Standort verlegt. Ihr Vorstand habe bereits am 29. August 2007 die Schilder mit ihrem Namen an der Hauseingangstür und am Briefeinwurf abmontiert. Sie ist deshalb der Auffassung, der Vollstreckungsbescheid sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.“

Der BGH befasst sich in Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit der Ersatzzustellung (§ 178 ff. ZPO) zunächst mit dem Begriff der „Wohnung“ oder des „Geschäftsraums“. Dazu heißt es:

„Die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (z.B. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2009 – IX ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn. 15 und vom 2. Juli 2008 – IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7 und Urteil vom 19. März 1998 – VII ZR 172/97, ZIP 1998, 862, 863). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Dies ergibt sich aus dem unmissverständlichen Wortlaut der §§ 178 bis 181 ZPO, nach dem nur in der Wohnung beziehungsweise den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden kann, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht.“

In einer Segelanweisung definiert/erläutert er dann den Begriff „Geschäftslokal“ näher.

In einem zweiten Schritt setzt er sich dann mit der Art der Zustellung auseinander. Dazu heißt es:

Die Wirksamkeit der Zustellung scheiterte, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht daran, dass der Vollstreckungsbescheid in den in der Außentür des Hauses B. Straße 8 befindlichen Briefschlitz eingeworfen wurde, obgleich es sich um eine von drei Parteien gemeinschaftlich genutzte Vorrichtung handelte und sich auf der Innenseite der Tür keine geschlossene Auffangvorrichtung für die eingeworfene Post befand. Der gemeinsame Briefschlitz in der Haustür eines Mehrparteienhauses ist jedenfalls dann eine „ähnliche Vorrichtung“ im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO, die eine Zustellung ermöglicht, wenn, wie hier, in dem betreffenden Gebäude lediglich drei Parteien wohnen beziehungsweise Geschäftsräume unterhalten, der Zustellungsadressat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf erhält und – etwa aufgrund einer entsprechenden Beschriftung – eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten möglich ist.“

Die Frage ist in der Rechtsprechung bislang nicht ganz eindeutig gesehen worden.

Entziehung der Fahrerlaubnis – nicht mehr über 2 Jahre nach der Tat

Vor kurzem haben wir erst über den Beschl. des LG Kleve v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 berichtet, mit dem das LG Kleve einen § 111a-Beschluss, der sieben Monate nach der Tat ergangen war, „gehalten“ hat. Jetzt übersendet mir ein Kollege vom KG den Beschl. des KG v. 01.04.2011 -3 Ws 153/11, in dem das KG eine grundsätzlich ähnliche Konstellation zu entscheiden hatte, allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Hier lag die Tat nämlich bereits über zwei Jahre zurück. Zu der beantragten Entziehung sagt das KG.

„Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO unterliegt als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebots. Sie ist daher nicht mehr rechtlich vertretbar, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliegt, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft gestellt wird und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere fünf Monate vergehen lässt.“

Gefährliche Körperverletzung mit einem Pkw?

Gefährliche Körperverletzung mit einem Pkw?, geht das und wie geht das, fragt man immer wieder. Es geht, aber die entsprechenden Verurteilungen werden vom BGH immer wieder aufgehoben.

Der BGH hat ja zwar vor einiger Zeit entschieden, dass ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist, aber: Den tatrichterlichen Feststellungen lässt sich häufig nicht hinreichend entnehmen, dass die Körperverletzung „mittels“ dieses gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist. Dazu der BGH, Beschl. v. 30.06.2011 – 4StR 266/11:

…Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass die Verletzungen des Polizeibeamten durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht worden sind. Soweit er sich diese – was unklar bleibt – bei dem Sturz auf den Asphalt zugezogen hat, wäre der Körperverletzungserfolg nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eingetreten (Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405 und vom 10. Juli 2008 – 4 StR 220/08).

bb) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen auch nicht die Tatvariante „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Zum einen lässt sich den Urteilsgründen auch insoweit nicht entnehmen, dass die Verletzungen des Geschädigten „mittels“ der Tathandlung und nicht erst durch dessen Abspringen vom Fahrzeug verursacht worden sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. Juni 2006 – 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34, 35, und vom 5. Januar 2010 – 4 StR 478/09, NStZ 2010, 276; Fischer, StGB, 58. Aufl. § 224 Rn. 12 m.w.N.). Zum anderen kann das hier festgestellte langsame Zufahren auf den Geschädigten nicht generell als lebensbedrohlich angesehen werden. Für die vom Landgericht angenommene Gefahr, ihn zu überrollen oder zu überfahren und dadurch lebensgefährliche Verletzungen hervorzurufen, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten...“