Archiv für den Monat: Juli 2011

Wochenspiegel für die 26 KW., oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten über:

  1. Die Nachbereitung von Kachelmann, hier, hier und hier.
  2. Mal wieder: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
  3. Immer wieder schön: Der schlafende Richter.
  4. Eine besondere Art der Belehrung.
  5. Über die Unfallflucht eines Rechtsanwaltes
  6. Immer wieder ein Theman: Der Fahrradfahrer ohne Helm.
  7. Über die Facebook-Ermittlungen der Polizei.
  8. Über den schiebenden Radfahrer – in Münster besonders aktuell.
  9. Über ein Urteil betreffend eine Vergütungsvereinbarung.
  10. Und dann war da noch mal wieder eine Vollmachtsfrage.

Auslieferungsverfahren: Der notwendige Beistand

Machen wir heute mal einen KG-Tag mit ausländischem Recht bzw. Berühungspunkten dorthin.

Übersehen wird häufig, dass es auch im Auslieferungsverfahren den „Pflichtverteidiger“ gibt, dort heißt er allerdings Beistand. Geregelt sind die damit zusammenhängenden Fragen in § 40 IRG. Die Beiordnung erfolgt u.a. auch dann, wenn die Sach oder Rechtslage schwierig ist. Dazu das KG, Beschl. v. 14.03.2011  –  (4) Ausl. A. 4/11 (30/11):

„1. Die Sach- oder Rechtslage ist mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht schwierig (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG). Der Umstand, dass nunmehr über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 29 IRG zu entscheiden ist, führt entgegen der Auffassung des Verfolgten zu keiner anderen Beurteilung. Die in anderem Zusammenhang ergangene Entscheidung BGHSt 32, 221 ff., die die Frage der Erstattungsfähigkeit notwendiger Auslagen in Fällen unberechtigter Verfolgung betrifft, enthält den ihr vom Beistand des Verfolgten beigemessenen Rechtssatz, wonach allein die Antragstellung nach § 29 IRG zur notwendigen Beistandschaft führe, nicht (gegen eine solche Ansicht zutreffend Vogler, IRG 2. Aufl. 24. Lfg., § 40 Rdn. 24). Im Übrigen ist zwar bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Auslieferung die Bestellung eines Beistandes geboten (vgl. OLG Karlsruhe StV 2005, 676 bei formeller Unklarheit über die Einordnung einer ausländischen Strafbestimmung). In einem auslieferungsrechtlich tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Fall wie dem vorliegenden aber ist – ungeachtet des regelmäßig gestellten Antrages nach § 29 IRG – die Bestellung eines Beistandes nicht erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf StV 1983, 453; OLG Karlsruhe GA 1987, 514; OLG Köln NStZ-RR 2010, 377; Vogler aaO., Rdn. 17ff.), zumal wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt. Weder der Wortlaut des § 40 IRG noch die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucksachen 9/1338, 60 und 9/2137, 23ff.) sprechen für das Erfordernis einer regelmäßigen Beistandsbestellung im Falle einer nach § 29 IRG anstehenden Entscheidung. Der Gesetzgeber hat eine solche vielmehr von den weiteren in § 40 Abs. 2 IRG abschließend genannten Umständen (vgl. Vogler aaO., Rdn. 26) abhängig gemacht. Auch enthält    § 29 IRG keine Verweisung auf § 40 IRG. Vielmehr verweist das Gesetz lediglich im Falle der Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf das Erfordernis der Hinzuziehung eines Beistandes (§ 31 Abs. 2 IRG). Eine solche ist jedoch regelmäßig nur bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Auslieferung und damit bei Vorliegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten angezeigt (vgl. BT-Drucksache 9/1338, S. 60; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl.,  § 30 Rdn. 30). Auch bringt das Gesetz in § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG beispielhaft zum Ausdruck, dass bei Zweifeln, ob die Voraussetzungen der §§ 80, 81 Nr. 4 IRG vorliegen, eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliegt, die die Bestellung eines Beistandes erfordert. Vorliegend sind den vorgenannten Fällen vergleichbare Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung und damit eine schwierige Sach- oder Rechtslage begründende Umstände weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

2. Es ist auch unverändert nicht erkennbar, dass der Verfolgte seine Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 IRG). Etwaige Verständigungsschwierigkeiten, welche bei dem Verfolgten angesichts seiner in deutscher Sprache zu den Akten gereichten Eingabe vom 25. Februar 2011, nach der er sich bereits seit 1969 in Deutschland aufzuhalten scheint, jedenfalls nicht ausgeprägt sein können, könnten – falls überhaupt vorhanden – durch die Beiziehung eines Dolmetschers behoben werden. Auch die im Hinblick auf § 77 Abs. 1 IRG in Verbindung mit § 147 Abs. 1 StPO fehlende Möglichkeit, Akteneinsicht selbst nehmen zu können, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Verfolgte die vollständige Aktenkenntnis zur hinreichenden und sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte benötigt. Soweit der Beistand „sämtliche Verfahrensakten“ im Auge hat, übersieht er ersichtlich, dass die Akten hier im Wesentlichen aus den Auslieferungsunterlagen bestehen.“

Habeas-Corpus-Anordnung nach brasilianischem Recht…

und die Auswirkungen auf ein deutsches Strafverfahren spielten in KG, Beschl. v. 28.04.2011 – 2 Ws 558/10 eine Rolle.

Sicherlich ein nicht alltäglicher Sachverhalt:

Der Verurteilte wird in Brasilien wegen einer Straftat (Verstoß gegen das BtMG) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Verurteilung wird rechtskräftig. Dann gibt es eine Gesetzesänderung in Brasilien, die zu einer milderen Strafe führen würde. Dem Verurteilten gelingt es dann, eine Habeas-Corpus-Anordnung nach brasilianischem Recht zu erlangen, die dazu führt, dass die gegen den Verurteilten festgesetzte Freiheitsstrafe reduziert wird. Die hat er dann in Brasilien vollständig verbüßt.

In Deuschland läuft gegen den Verurteilten ein anderes Verfahren, in dem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und angeordnet worden ist, daß die in Brasilien vollzogene Auslieferungshaft im Maßstab 1 : 3 auf die Strafe anzurechnen ist. Nun geht es um die Anrechnung der Haft in Brasilien auf dieses deutsche Verfahren.

Dazu das KG:

Die nachträgliche Teilaufhebung einer in einem brasilianischen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe durch eine Habeas-Corpus-Anordnung nach brasilianischem Recht führt nicht zur Anrechenbarkeit der für jenes Verfahren verbüßten Untersuchungs- und Strafhaft auf ein deutsches Strafverfahren, für das Auslieferungshaft notiert war

Wie gesagt: Nicht so ganz einfach.

Revisionsrücknahme und das liebe Geld

Zum Wochenende dann noch eine gebührenrechtliche Entscheidung des LG Braunschweig, Beschl. v.08.06.2011 – 2 KLs 63/10, und zwar (mal wieder) zur leidigen Frage, ob der Rechtsanwalt bei Rücknahme der Revision eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG verdient (die Frage gilt für die Rücknahme der Rechtsbeschwerde und die Nr. 5115 Anm. 1 Ziff. 4 VV RVG entsprechend).

Die wohl h.M. bejaht das nur in Ausnahmefällen und verlangt, dass ein Hauptverhandlungstermin anberaumt war bzw. nahe gelegen hat. M.E. nicht zutreffend. Sondern: Die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG entsteht (zumindest) immer dann, wenn der Rechtsanwalt eine eingelegte Revision begründet hat. So zutreffend das LG Braunschweig (und auch einige anderes OLGs; weitere Nachweise dazu auf meiner HP). D.h. also: Zumindest die allgemeine Sachrüge sollte man bei Einlegung erheben.

Die Fernwirkung einer Durchsuchungsanordnung

Liegt eine Tat lange/länger zurück, kann man als Verteidiger ja schon auf die Idee kommen, die „Verjährungseinrede zu erheben“. So auch in BGH, Beschl. v. 03.05.2011 – 3 StR 33/11, der allerdings nicht mitteilt, wie lange die Tat schon zurücklag. Jedenfalls ist um die Verjährung gestritten worden. Das LG und ihm folgend der BGH haben aber eine Unterbrechung der Verjährung angenommen und die mit einer gegen Mitbeschuldigte erwirkten Durchsuchungsanordnung begründet. Dazu der BGH:

„Gemäß § 78c Abs. 4 StGB wirkt die Verjährungsunterbrechung nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Die Handlung muss daher gegen eine bestimmte Person als Täter oder Teilnehmer gerichtet sein. Dies ist zu bejahen, wenn sie dazu dient, das den Täter oder Teilnehmer betreffende Verfahren fortzusetzen.

Hierfür ist es jedenfalls nicht allein maßgebend, wer von einer Durchsuchung oder Beschlagnahme unmittelbar betroffen ist. Dies zeigt sich schon daran, dass die Strafprozessordnung einerseits in § 103 StPO Durchsuchungen auch zu Lasten nicht tatverdächtiger Dritter zulässt, während andererseits § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB jede Durchsuchungsanordnung für die Verjährungsunterbrechung genügen lässt. Sogar eine Maßnahme, die ausschließlich nicht tatverdächtige Dritte unmittelbar betrifft, ist daher grundsätzlich geeignet, die Verjährung gegenüber einem Beschuldigten zu unterbrechen (BGH, Beschluss vom 1. August 1995 – 1 StR 275/95, StV 1995, 585).

Bei mehreren Tatverdächtigen kann sich eine Unterbrechungshandlung, von der nur ein Beschuldigter unmittelbar betroffen ist, dennoch nach Lage der Umstände ebenfalls auf die übrigen Beteiligten beziehen, indem sie deren Verfolgung erkennbar in den Blick nimmt (vgl. schon RG, Urteil vom 10. Juli 1903 – Rep. 2206/03, RGSt 36, 350, 351). Deshalb werden über unmittelbar Betroffene hinaus auch andere an der Straftat Beteiligte erfasst, wenn die Handlung erkennbar bezweckt, auch deren Tatbeitrag aufzuklären. Dies ist bei Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen regelmäßig der Fall. Diese Unterbrechungshandlungen beziehen sich – anders als etwa eine Beschuldigtenvernehmung (BGH, Beschluss vom 2. September 1992 – 3 StR 110/92, StV 1993, 71) – nicht ihrer Natur nach lediglich auf den unmittelbar Betroffenen. Sie dienen vielmehr in der Regel einer umfassenden Sachaufklärung und richten sich daher, soweit keine Einschränkung ersichtlich ist, grundsätzlich gegen alle Tatverdächtigen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 1987 – 3 Ss 190/86, wistra 1987, 228, 229; OLG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 1993 – 1 Ss 8/93, wistra 1993, 272, 273; LK/Schmid, StGB, 12. Aufl., § 78c Rn. 7; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl., § 78c Rn. 24 f.).“

Auf der Grundlage: Zu früh gefreut.