Archiv für den Monat: September 2010

Das BVerfG wehrt sich – mit der Missbrauchsgebühr, das können andere Gerichte (leider?) nicht…

Das BVerfG berichtet heute über die Verhängung einer Missbrauchsgebühr von 1.100 € gegen zwei Kollegen, die in einem OWi-Verfahren nach 7-tägiger Hauptverhandlung eine rund 1.200 (!) Seiten dicke Verfassungsbeschwerde eingelegt haben (vgl. die Beschlüsse v. 06.07.2010 in 2 BvR  1354/10 und in 2 BvR 1465/10). Zu den Beschlüssen und zum Verfahren muss man m.E. nichts mehr sagen, das BVerfG hat mehr als deutliche Worte gefunden und das haben ja auch schon einige Kollegen treffend kommetiert (vgl. hier, hier und hier).

Als ich die Beschlüsse gerade so las, habe ich nur gedacht: Manchmal hätte ich mir eine solche Missbrauchsgebühr im OWiG als OLG-Richter auch gewünscht (ich weiß, jetzt gibt es sicherlich böse Kommentare), denn auch da habe ich mich manchmal gefragt: Merkt der Betroffene bzw. sein Verteidiger es eigentlich noch, um die Überschrift des Kollegen Melchior aufzunehmen.

Ich erinnere mich noch gut an einen Kollegen, also einen Rechtsanwalt, der immer in der Nähe seiner Kanzlei verbotswidrig parkte, dafür ein Knöllchen von 10 oder 15 € bekam und dann das ganze Programm abzog, also Einspruch, AG  und OLG, das ihm in der ersten Sache in einem umfangreichen Beschluss bescheinigt hat, dass er da nicht parken darf, wo er seinen Pkw immer abstellte. Aber das hat den Kollegen nicht gestört. Er hat dort weiter geparkt und weiter die Verfahren betrieben bis zum OLG. Natürlich kann man sagen, schnelle Erledigung und tut ja auch der Statistik gut. Aber da werden Ressourcen vertan, die man gut an anderer Stelle einsetzen könnte. Und da denkt man dann bei der 4 oder 5 Rechtsbeschwerde schon mal: Schade, dass es keine Missbrauchsgebühr im OWiG gibt.

Aber ich räume ein, zumindest reingeschrieben worden ist in den Verwerfungsbeschluss: Nur der Umstand, dass das OWiG eine Missbrauchsgebühr nicht vorsieht, hat den Senat davon abgehalten, eine solche festzusetzen. Nur: Mehr als ein Versuch, sich zu wehren :-), war es nicht. Geholfen hat es übrigens auch nicht. 🙁

Immer wieder: Die nicht prozessordnungsgemäße Bezugnahme

Die Täteridentifizierung anhand eines von einem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes spielt in der Praxis eine erhebliche Rolle. Nur, wenn auf das Lichtbild prozessordnungsgemäß i.S. des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen worden ist, kann sich das Rechtsbeschwerdegericht selbst einen Eindruck von dem Lichtbild verschaffen und ist demgemäß der Begründungsaufwand für den Tatrichter gemindert. Entscheidend ist, dass das Lichtbild inhaltlich zum Gegenstand des Urteils gemacht wird, er also Bestandteil der Urteilsgründe sein soll.

Als dafür nicht ausreichend ist jetzt vom OLG Koblenz im Beschl. v. 17.08.2010 – 1 SsBs 97/10 angesehen worden der Hinweis auf die „in der Akte befindlichen Lichtbilder. Ebenfalls nicht ausreichend ist die Formulierung „Verwertung des Passfotos Blatt 8 der Akten“ bzw. „der Verwertung des von dem Zeugen B. überreichten Hochglanzfotos (OLG Hamm VA 2008, 16 = VRR 2008, 76; vgl. auch noch OLG Hamm VA 2008, 33) oder die bloße Mitteilung der Fundstelle in der Akte (OLG Bamberg NZV 2008, 211; zuletzt u.a. OLG Koblenz VA 2010, 13 = NZV 2010, 212). Folge ist, dass der Tatrichter dann durch eine ausführliche Beschreibung der Bildqualität und der charakteristischen ldentifizierungsmerkmale der abgebildeten Person dem Rechtsbeschwerdegericht in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglichen muss, dass dieses zur Identifizierung geeignet ist.

Also: Erhöhter Begründungsaufwand, der dann häufig von den Amtsrichtern nicht erbracht wird und der dann zur Aufhebung führt. Die Rechtsbeschwerden sind dann Selbstläufer.

Der Igel und die Waffengleichheit im Strafverfahren

Der Kollege Siebers berichtet unter der Überschrift „Igelplage“ mal wieder über einen „Igel“ 🙂 = eine nicht erfolgte Pflichtverteidigerbestellung, obwohl beim Vorwurf der gefährlichen, weil gemeinschaftlichen, Körperverletzung mehrere der mitangeklagten Heranwachsenden verteidigt sind.

Wenn man das liest, fragt man sich, wenn nicht jetzt, wann dann? Das ist doch wohl inzwischen einer der klassischen Fällen, in denen beizuordnen ist. Verwiesen sei dazu auf:  LG Kassel, Beschl. v. 11. 2. 2010 – 3 Qs 27/10; LG Kiel StV 2009, 236 und LG StV 2001, 107; Beck-OK-Wessing § 140 StPO, Rdn. 17). Von Bedeutung sind in dem Zusammenhang aber auch noch OLG Celle StV 2006, 686; OLG Hamm StRR 2008, 346 = StV 2009, 85; LG Freiburg vom 12.03.2008 – 6 Qs 12/08 E. Hw.; LG Köln, Beschl. v. 24.06.2009, 111 Qs 312/09) Abgestellt wird in diesen Entscheidungen i.d.R. auf das Prinzip der Waffengleichheit. Ein Teil diser Entscheidungen ist auch gerade im JGG-Verfahren ergangen (so z.B. OLG Hamm, a.a.O.). Man fragt sich: Wird das alles nicht gelesen?.

Und einer der Kommentatoren bei dem Kollegen meint:

Der Igel gehört da auch hin. Großzügigkeit nach dem Motto „Ist doch nicht mein Geld“ ist jedenfalls fehl am Platze.“

Die Frage der Beiordnung hat doch nichts mit Großzügigkeit zu tun, sondern damit, ob der Pflichtverteidiger notwendig ist. Im Übrigen. Hier kehrt sich die „Sparsamkeit“ um. Denn das nun anstehende Beschwerdeverfahren kostet Geld, das man sich gut und gerne sparen könnte.

Ach so: Wahrscheinlich kommen jetzt wieder Kommentare, dass Amtsrichter das nicht alles lesen können. Die kann man sich sparen. Ich meine, sie müssen ( (ich verweise ja gar nicht auf mein Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1248 m.w.N.). 🙂

Und es bewegt sich doch was: Beweisverwertungsverbot, wenn aufgrund genereller Anordnung gehandelt wird

Da ist mal wieder ein OLG, das zu einem Beweisverwertungsverbot bei Verletzung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO) kommt, und zwar das OLG Brandenburg in seinem Beschl. v. 13.08.2010 – (2) 53 Ss 40/10.

Die Polizeibeamten hatten sich bei der Blutentnahme auf einen Erlass des Ministeriums des Innern bezogen, der die Anweisung enthielt, dass der vor Ort befindliche Polizeibeamte auf Grund eigener Eilkompetenz wegen der Geschwindigkeit des Alkoholabbaus im Blut die Ent­nahme einer Blutprobe selbst anzuordnen habe. Das OLG sagt, die Verwaltung handelt willkürlich, wenn sie solche Anweisungen herausgibt, da die Frage der Zuständigkeit für die Anordnung der Blutentnahme eine Einzelfallentscheidung ist. Ebenso bereits in der Vergangenheit das OLG Karlsruhe (StRR 2009, 262 = VRR 2009, 273) und das OLG Oldenburg (VRR 2009, 438 = StRR 2009, 467).  Auch das BVerfG hatte ja in seinem Beschluss v. 11. 6. 2010 (VRR 2010, 309 = StRR 2010, 302) die Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung und – entscheidung betont.

Erwähnenswert ist die Entscheidung des OLG Brandenburg auch deshalb, weil das OLG im Grunde die Frage gar nicht hätte entscheiden müssen, weil bereits die Sachrüge zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils führte.

Also: Alle Achtung. Allerdings hat das OLG sich damit dann aber auch eine weitere Revision erspart.

Und nochmal: Der Laptop in der Hauptverhandlung – dieses Mal in Kombination mit der Befangenheitsablehnung

Wir hatten ja vor einiger Zeit um Hilfe gefragt beim Laptop in der Hauptverhandlung (vgl. hier) und dazu auch einiges an Hilfestellung bekommen. Jetzt hat mir ein Kollege noch einen Beschluss des AG Freiberg v. 18.08.2010 – 4 C 255/10 – übersandt. Zwar aus einer Zivilsache, aber die Entscheidung kann man m.E. auch im Strafverfahren anwenden. Der Amtsrichter sagt dort: Unbestimmte Sicherheitsbedenken genügen nicht, einem Rechtsanwalt den Gebrauch eines Laptops während der laufenden mündlichen Hauptverhandlung zu untersa­gen. Geschieht dies dennoch, kann sich daraus gegenüber dem die Besorgnis der Befangenheit ergeben. Und das ist m.E. auch richtig. Zu den Fragen dann auch noch hier, allerdings auch hier und hier :-(.