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Wohnung in der „Wärmestube“?, oder: Vielleicht hätte der Verteidiger besser geschwiegen…

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Bei der zweiten Entscheidung, auf die ich heute eingehe, handelt es sich – noch einmal – um den OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2018 – 1 RVs 107/18, über den ich ja schon berichtet habe. Das Posting vom vergangenen Donnerstag bezog sich auf die Vollmachtsproblematik, die der Beschluss (auch) behandelt (vgl. hier Vollmacht II: Erlöschen der Vertretungsvollmacht, oder: Verteidiger aufgepasst.). Heute geht es um die im Beschluss auch angesprochenen Zustellungsfragen. Der Beschluss behandelt zwar eine Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO – also Strafverfahren, was ja an sich nicht in den „Kessel Buntes“ gehört. Die in dem Zusammenhang mit der Frage, ob dem Angeklagten die Ladung zum HV-Termin ordnungsgemäß zugestellt worden ist, er also, was Voraussetzung für die Berufungsverwerfung ist, ordnungsgemäß geladen war, angesprochenen Zustellungsfragen, haben aber über das Strafverfahren hinaus Bedeutung und passen also deshalb ganz gut in die samstägliche Berichterstattung.

Die Zustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin ist nach den Gründen des OLG Beschlusses folgendermaßen erfolgt.

„a) Diese ist dem Angeklagten unter der im Rubrum angegebenen Anschrift in der Weise zugestellt worden, dass die Ladung selbst in einer Postfiliale hinterlegt und eine Benachrichtigung hierüber in den zu der Anschrift gehörenden Briefkasten eingelegt worden ist. Unter der Anschrift „H 1 – 3“ betreibt der X e. V., ein Verein zur Unterstützung von Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, eine sog. „Wärmestube“, die als Anlaufstelle für ansonsten obdachlose Männer und Frauen vormittags Aufenthaltsmöglichkeiten, die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, Gesundheitsvorsorge, die Verwahrung von Wertsachen und namentlich auch die Erreichbarkeit durch Einrichtung einer Postadresse anbietet.

Dem zuvor obdachlosen Angeklagten, der am 30. März 2017 – ausschließlich, um eine im Vollzug nicht mögliche medizinische Anschlussbehandlung nach einem Herzinfarkt durchführen lassen zu können – aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, war im Haftverschonungsbeschluss aufgegeben worden, sich unverzüglich um eine Wohnung zu bemühen, entsprechende Bemühungen dem Gericht unaufgefordert nachzuweisen und die Adresse seiner gefundenen Wohnung mitzuteilen. Unter dem 10. April 2017 richtete der Abteilungsrichter an den Verteidiger die Anfrage, ob von dort die neue Anschrift des Beschuldigten mitgeteilt werden könne und versah diese Anfrage mit dem Zusatz: „Auf Ziffer a des Außervollzugsetzungsbeschlusses vom 28.03.2017 wird Bezug genommen“. Hiermit bezog er sich auf die vorstehend dargelegte Auflage. Mit Schriftsatz vom 21. April 2017 teilte der Verteidiger die „neue Anschrift“ wie im Rubrum angegeben mit. Freibeweisliche Ermittlungen der Berufungsstrafkammer im Hauptverhandlungstermin ergaben, dass der Angeklagte vom 10. April bis 28. Juli 2017 unter der angegebenen Anschrift eine Postadresse besaß.“

Das OLG sieht die Zustellung der Terminsladung als wirksam an. Es geht den Weg über § 37 Abs. 1 StPO i.V.m.§§ 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO, 181 Abs. 1 ZPO, § 181 Abs.1 S. 4 ZPO, also über die Gemeinschaftseinrichtung:

aa) Bei der Wärmestube der X e.V. handelt es sich zunächst um eine vom Gesetz gemeinte Gemeinschaftseinrichtung, hierzu zählen grundsätzlich auch Obdachlosenunterkünfte (MüKo-StPO-Valerius, § 37 Rz. 27; SSW-StPO-Mosbacher/Claus, 3. Auflage 2018, § 37 Rz. 35).

bb) Der Angeklagte hat unter der Anschrift der Wärmestube auch im Zeitpunkt der Zustellung im Sinne der Zustellungsvorschriften „gewohnt“.

Der Begriff der Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts ist geprägt durch das Interesse des Zustellungsveranlassers an zeitnaher Kenntnisnahme des Inhalts des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zustellungsempfänger bei gleichzeitiger Wahrung der Belage des Adressaten. Diese gebieten es, im Ausgangspunkt auf die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. dessen räumlichen Lebensmittelpunkt abzustellen. Nicht maßgebend ist daher der Wohnsitzbegriff des § 7 BGB oder die polizeiliche Meldung. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die tatsächliche Benutzung einer Wohnungweil damit grundsätzlich auch die Möglichkeit einhergeht, in zumutbarer Weise von zugestellten Sendungen Kenntnis zu nehmen (so insgesamt MüKo-ZPO-Häublein, 5. Auflage 2016, § 178 Rz. 5 m N.; Wieczorek/Schütze-Rohe, ZPO, 4. Auflage 2013, § 178 Rz. 22). Für die Erfüllung des Begriffs „Wohnen“ ist es zwar typisch, nicht aber unabdingbar, dass der Zustellungsempfänger an der angegebenen Anschrift auch übernachtet (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 23. Auflage 2016, § 178 Rz. 6; MüKo-ZPO-Häublein a.a.O.). Sieht – wie hier – die Gemeinschaftseinrichtung eine Übernachtungsmöglichkeit nicht vor, kann der Zustellungsadressat nach Auffassung des Senats daher dort gleichwohl seinen Lebensmittelpunkt im vorstehend gekennzeichneten Sinne haben.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier zunächst von Bedeutung, dass die Wärmestube postalische Erreichbarkeit als eine ihrer Leistungen anbietet. Der Angeklagte selbst hatte – über seinen Verteidiger – ohne jegliche Einschränkung seine „neue Anschrift“ mit der aus dem Rubrum ersichtlichen Adresse mitgeteilt (vgl. a. SSW-StPO-Mosbacher/Claus, a.a.O., § 37 Rz. 29). Dabei war umso mehr von einem „Wohnen“ auszugehen, als die entsprechende gerichtliche Anfrage auch ausdrücklich auf die auf die Wohnsitznahme abstellende Auflage aus dem Verschonungsbeschluss Bezug nahm. Entsprechend war denn auch die postalische Erreichbarkeit des Angeklagten bis Ende Juli 2017 – also auch im Zustellungszeitpunkt – unter dieser Anschrift gegeben, eine anderweitige Erreichbarkeit hingegen – namentlich auch angesichts der Obdachlosigkeit vor seiner Festnahme – nicht bekannt.

Dieser Befund wird nicht durch die weiteren mit der Revisionsbegründung vorgetragenen Umstände infrage gestellt. Dass der Angeklagte um den Zustellungszeitpunkt herum den Kontakt mit seiner Bewährungshelferin abbrach und auch der polizeilichen Meldeauflage nicht mehr nachkam, nötigt angesichts der noch bis Ende Juli 2017 bestehenden Postadresse nicht zu der Schlussfolgerung, dass er ab diesem Zeitpunkt auch seinen – im obigen Sinne gekennzeichneten – Lebensmittelpunkt nicht mehr unter der im Rubrum angegebenen Anschrift hatte. Zutreffend weist nämlich die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass dann mit einer früheren Auflösung der Postanschrift zu rechnen gewesen wäre.

Wollte man in dieser Frage anders entscheiden und davon ausgehen, der Angeklagte habe unter der Anschrift „H 1 – 3“ nicht im Sinne der Zustellungsvorschriften gewohnt, wäre zu bedenken, dass er in diesem Falle – das Vorliegen der Voraussetzungen Übrigen unterstellt – durch öffentliche Zustellung zur Berufungshauptverhandlung hätte geladen werden können und müssen. Den oben erwähnten Belangen des Zustellungsadressaten wird in höherem Maße Rechnung getragen, nimmt man demgegenüber an, der Angeklagte habe unter der angegebenen Anschrift gewohnt, bietet die Zustellung durch Niederlegung doch jedenfalls die Chance, dass ihn das zuzustellende Schriftstück auch tatsächlich erreicht……“

Fazit: Vielleicht hätte der Verteidiger auf die Anfrage besser geschwiegen. Dann wäre dem OLG die Argumentation mit: Über den Verteidiger selbst neue Anschrift mitgeteilt, nicht möglich gewesen. Ob es im Ergebnis etwas gebracht hätte, ist eine andere Frage, aber es hätte zumindest die Argumentation erschwert.

Wo wohnt ein Student?, oder: Keine schriftliche Vollmacht

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Und als zweite Entscheidung am Ostermontag der AG München, Beschl. v. 02.03.2017 – 1013 OWi 456 Js 239910/16 jug – schon etwas älter, aber der Kollege hat sie erst vor kurzem geschickt. Ich bringe die Entscheidung aber schon allein deshalb, weil sie ein schööne Beweis dafür ist, dass man als Verteidiger eine schriftlich Vollmacht nicht vorlegt. Und dass mauss man ja auch nicht. Und: Das hat nun gar nichts mit irgendwelchen Tricksereien zu tun. Im Übrigen: Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig isch dieser Umstand doch herumgesprochen hat, und zwar sowohl bei den Ermittlungs-/Bußgeldbehörden, die immer wieder meinen, in Zusammenhnag mit Akteneinsicht schriftliche Vollmachten anfordern zu müssen, aber auch bei Kollegen, die immer wieder ohne Not schriftliche Vollmachten vorlegen.

In dem Beschluss vom 02.03.2017 hat das AG München des Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen eingestellt, und zwar wegen Verjährung:

„Die Ordnungswidrigkeit vom 14.08.2016 ist verjährt.

Eine Unterbrechung der 3-monatigen Verjährungsfrist erfolgte wirksam durch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen am 14.09.2016 gemäß § 33 Abs.1 Nr.1, 3. Alt. OWiG. Eine weitere wirksame Unterbrechungshandlung ist bis Eintritt der Verjährung am 14.12.2016 nicht mehr erfolgt.

Insbesondere erfolgte keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheids der Verwaltungsbehörde vom 9.11.2016.

Die am 11.11.2016 bewirkte Ersatzzustellung des Bescheids an der Anschrift „ppp.“ war unwirksam, da der Betroffene zu diesem Zeitpunkt unter dieser Anschrift nicht mehr dauerhaft wohnte. Vielmehr hielt er sich seit spätestens 1.10.2016 als Student während des Semesters dauerhaft in Klagenfurt unter der Anschrift „pppp. 9020 Klagenfurt“ auf. Dies ergibt sich aus dem vom Verteidiger vorgelegten Mietvertrag vom 1.10.2016, dem Stromlieferungsvertrag mit dem örtlichen Energieversorger vom 3.10.2016 und dem Vertrag mit einem örtlichen Telefonanbieter vom 1.10.2016. Der Begriff der Wohnung ist insoweit dadurch gekennzeichnet, dass sich die betreffende Person dort tatsächlich dauerhaft aufhält – unabhängig von einer polizeilichen Meldung. Ein Student hat jedenfalls in der Vorlesungszeit seine Wohnung am Studienort. Die Vorlesungszeit begann für das Wintersemester 2016 in Klagenfurt am 1.10.16.

Eine Zustellung an den Verteidiger des Betroffenen ist nicht erfolgt. Die formlose Mitteilung des Bescheids an diesen erfolgte nicht mit Zustellungswillen der Behörde.

Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 51 Abs.1 i.V.m. Art. 9 VwZVG durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheids liegt nicht vor – kann jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Hierfür genügt jedenfalls nicht die bloße Kenntnis von der Existenz eines Bußgeldbescheids; erforderlich ist vielmehr die zuverlässige Kenntnisnahme des Inhalts des Bußgeldbescheids. Vorlie-gend ist nicht nachweisbar, dass der Betroffene tatsächlich zuverlässige Kenntnis vom Inhalt des Bescheids vom 9.11.2016 – sei es per Fax oder per Mail – erlangt hat. Dafür reicht auch nicht der Umstand , dass der Verteidiger des Betroffenen in dessen Namen und in dessen Auftrag mit Schrieben vom 15.11.2016 gegen des Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hat, da der Verteidiger bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahren mandatiert worden ist und dies bereits mit Schreiben vom 20.09.2016 angezeigt hat.

Der Eingang der Akte beim Amtsgericht München am 16.12.2016 konnte keine Unterbrechung der Verjährung mehr bewirken da diese bereits eingetreten war.“

Wäre eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei der Akte gewesen…….

Zustellung: Mehrere Verteidiger und Fristbeginn und Fristablauf

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Den Wochenauftakt – ich verbringe ihn auf dem Weg von den Malediven nach Malysia 🙂 – macht dann heute der BGH, Beschl. v. 12.09.2017 – 4 StR 233/17, in dem der BGH zu einer in der Praxis sicherlich häufiger auftretenden Zustellungsproblematik Stellung genommen hat. Nein, kein Vollmachtsproblem, sondern „mehrfache Verteidigung und Fristbeginn“, und zwar:

„Die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Dr. P. vom 12. April 2017, in welcher erstmals ein Verfahrensverstoß geltend gemacht wurde, ist verspätet.

Bei mehrfacher Verteidigung genügt grundsätzlich die förmliche Zustellung des Urteils an einen der Verteidiger; hierdurch beginnt für alle Verteidiger die Revisionsbegründungsfrist (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2001 – 2 BvR 2058/00, NJW 2001, 2532, und vom 12. Juni 2014 – 2 BvR 1004/13 [juris Rn. 7]; BGH, Beschlüsse vom 12. September 2012 – 2 StR 288/12; vom 17. September 2008 – 1 StR 436/08 und vom 12. August 1997 – 4 StR 329/97, NStZ-RR 1997, 364, jeweils mwN). Wird das Urteil mehreren Empfangsberechtigten (förmlich) zugestellt, beginnt die Revisionsbegründungsfrist zwar grundsätzlich nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem eine wirksame Zustellung an den letzten Zustellungsempfänger vollzogen wurde (BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 [juris Rn. 23] mwN). Ist aber die Revisionsbegründungsfrist aufgrund der ersten Zustellung(en) bei einer der weiteren Zustellungen bereits abgelaufen, wird durch diese keine neue Frist in Gang gesetzt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2015 – 4 StR 21/15, NStZ 2015, 540 und vom 27. Juli 2012 – 1 StR 238/12, wistra 2012, 435, 436, jeweils mwN).

So lag der Fall hier. Das angefochtene Urteil wurde der damaligen Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin K. , am 16. Juni 2016 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief mithin am 18. Juli 2016 (der 16. Juli 2016 war ein Samstag) ab. Durch die vom Vorsitzenden am 14. März 2017 verfügte erneute Zustellung des Urteils an Rechtsanwalt Dr. P. konnte trotz des Zusatzes „Die Zustellung erfolgt zur Ingangsetzung der Revisionsbegründungsfrist“ die Revisionsbegründungsfrist nicht erneut in Gang gesetzt werden.

3. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen zur Anbringung der in der Revisionsbegründung vom 12. April 2017 erhobenen Verfahrensrüge der verspäteten Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO) kommt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht in Betracht. Die Revision des Angeklagten ist mit der allgemeinen Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46). Nur bei besonderen Verfahrenslagen, in denen es zur Wahrung des An-spruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2012 – 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316; vom 10. Juli 2008 – 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14; vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8, jeweils mwN). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt hier nicht vor. Aus den Akten ist nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte auf eine (weitere) rechtzeitige Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt Dr. P. vertraut hat. Der seinerzeit als Wahlverteidiger neben der Pflichtverteidigerin tätige Rechtsanwalt Dr. P. konnte nicht davon ausgehen, dass ihm das Urteil zwecks Ingangset- zung der Revisionsbegründung zugestellt (werden) würde, zumal ihm die mit einem entsprechenden Vermerk vom Vorsitzenden angeordnete erste Urteils-zustellung nach seinen Angaben nicht zugegangen ist. Jedenfalls aber hatte Rechtsanwalt Dr. P. am 29. August 2016 Akteneinsicht und konnte erken- nen, dass die Urteilszustellung an die Pflichtverteidigerin erfolgt und die Revisi-onsbegründungsfrist daher abgelaufen war. Aus den Akten ist mithin nicht zu entnehmen, dass die erst am 13. April 2017 bei Gericht eingegangene Revisi-onsbegründung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nachgeholt worden ist.

Im „Kessel Buntes“: Darf ein Referendar ein EB unterschreiben? oder: Nein, aber

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Im „Kessel Buntes“ ist heute zunächst der OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.02.2017 – OVG 3 N 137.16. In ihm geht es um die Frage der Zulässigkeit eines Antrags auf Zulassung der Berufung. In dem Zusammenhang hat die Frage eine Rolle gespielt, wann das VG-Urteil, das angegriffen werden soll, wirksam zugestellt worden war. Unterschriebenw ar das „Zustellungs-EB“ nämlich von einem Referendar. Dazu das OVG:

a) Das am 23. August 2016 an das Verwaltungsgericht per Telefax zurückgesandte Empfangsbekenntnis ist allerdings nicht vom anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten des Klägers unterschrieben worden, sondern einem Rechtsreferendar, der dem Verfahrensbevollmächtigten nach dessen Angaben zur Ausbildung zugewiesen sei. Ein Rechtsreferendar ist ein Rechtskandidat im Vorbereitungsdienst (vgl. § 10 Abs. 1 Berliner JAG) und keine der in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen, bei denen die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis zulässig ist. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers hat dem Rechtsreferendar zwar eine Generaluntervollmacht zur Wahrnehmung aller bei der Führung seiner Mandate und in der Kanzlei anfallenden Tätigkeiten erteilt, doch steht die Befugnis, eine Zustellung im Wege des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses zu beurkunden, nur dem Rechtsanwalt und den weiteren in § 174 Abs. 1 ZPO Aufgeführten zu; sie ist ein Bestandteil der privilegierten Stellung, die ein Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege hat. Aus diesem Grund kann sie nicht in beliebiger Weise auf Nichtanwälte – weder auf Büropersonal noch außenstehende Dritte – übertragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1994 – XII ZB 159/93 – juris Rn. 5). Der Rechtsreferendar des Verfahrensbevollmächtigten ist auch nicht nach § 53 Abs. 4 Satz 2 Alternative 2 BRAO als dessen Vertreter bestellt worden. Anderenfalls wäre im Hinblick auf § 53 Abs. 7 BRAO die Erteilung der Generalunteruntervollmacht überflüssig gewesen. Zudem ist der Rechtsreferendar dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers ausweislich der Generaluntervollmacht zur Ausbildung zugewiesen worden, das heißt, nicht nach § 53 BRAO bestellt worden. Außerdem setzt die Bestellung nach § 53 BRAO voraus, dass der Rechtsanwalt länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben, oder sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will (§ 53 Abs. 1 BRAO). Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers war nach eigenen Angaben in der 37. Kalenderwoche kanzleiabwesend, mithin nicht länger als eine Woche. Er hat auch nicht erklärt, beabsichtigt zu haben, sich für einen längeren Zeitraum von seiner Kanzlei zu entfernen.

Zur Wirksamkeit der Zustellung dann aber:

b) Der Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten des Klägers vom 26. September 2016 enthält das Empfangsbekenntnis des Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt kann seinen Annahmewillen auf beliebige Weise schriftlich betätigen. Dies kann – auch rückwirkend (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juni 1961 – IV ZR 56/61BGHZ 35, 236 [239] und vom 13. Mai 1992 – VIII ZR 190/91 – juris Rn. 12) – in einem Schriftsatz geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2000 – XII ZB 211/99 – juris Rn. 10). Im Schriftsatz vom 26. September 2016, der mit seiner Unterschrift versehenen ist, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, das angefochtene Urteil sei am 23. August 2016 zugestellt worden. Hiermit hat er bekundet, dass er an diesem Tag das Urteil entgegengenommen habe und zur Entgegennahme bereit gewesen sei. Der Empfangswille findet in der Formulierung „zugestellt am 23. August 2016“ sinnfälligen Ausdruck (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 – VIII ZR 190/91 – juris Rn. 13). Hiernach ist die Zustellung als an diesem Tag bewirkt anzusehen. Ein Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde im Sinne von § 416 ZPO grundsätzlich Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit die Zustellung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – juris Rn. 6).

Wo man nur „vorbeikommt“, wohnt man nicht, oder: Ersatzzustellung?

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

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Ein Zustellungsproblem, mit dem die Praxis es m.E. häufiger zu tun haben wird, behandelt der LG Berlin, Beschl. v. 19.08.2016 – 537 Qs 47/16. Im entschiedenen Fall hatte die Problematik für den Angeklagten dann auch weit reichende Folgen. Es ging nämlich um die Wirksamkeit der Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung. Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Das AG hat dann Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn erlassen und sich wegen der Zustellung der Ladung auf das Zustellungs- und Empfangbekenntnis des zuständigen Polizeibeamten verlassen, über den die Ladung, nachdem diese dem Angeklagten zunächst nicht am angegebenen Wohnort zugestellt werden konnte, gelaufen war. Der Polizeibeamten hatte die Ladung in den Briefschlitz der Wohnungstür unter der Anschrift, unter der der Angeklagte melderechtliche erfasst war, eingeworfen und in einem Schreiben dem AG mitgeteilt, dass sich nach den Hausermittlungen der Angeklagte (zwar) nur zeitweise dort aufhalte, aber regelmäßig komme und sich die Post abhole, der Aufenthaltsort sei unbekannt. Das genügt dem LG Berlin im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl nicht:

„Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO ist, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ausbleibt. Der Mangel einer genügenden Entschuldigung setzt voraus, dass der Angeklagte ordnungsgemäß gemäß §§ 35 Absatz 2 iVm 217 Absatz 1 StPO zu dem Termin zur Hauptverhandlung geladen wurde. Die Zustellung ist nach § 37 Absatz 1 StPO nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zu bewirken. Grundsätzlich erfolgt die Zustellung durch Übergabe einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks an dem Ort, an dem die Person, der zugestellt werden soll, angetroffen wird, § 177 ZPO. Ersatzzustellungen sind unter den Voraussetzungen der §§ 178, insbesondere 180 ZPO, zulässig. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass die Zustellung an der Wohnung des Zustellungsadressaten erfolgt. Der Zustellungsadressat muss diese Wohnung zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich für eine gewisse Zeit schon und noch bewohnen, d.h. dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt haben. Auf die Meldeverhältnisse kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, Rdnr. 5, 6, 8, 9 zu § 37 StPO; Kammergericht, Beschluss vorn 1. November 2001 zu 2 AR 146/01, bei juris; Kammergericht, Beschluss vom 29. Oktober 2010 zu 3 Ws (B) 508/10 bei juris).

Es soll gewährleistet werden, dass der Adressat sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine rechtlichen Interessen unverzüglich wahrzunehmen.

So liegen die Dinge hier aber nicht.

Das zuzustellende Schriftstück, die Ladung zu dem Termin zur Hauptverhandlung, wurde dem Angeklagten nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefschlitz einer Wohnung eingeworfen, in der er nicht seinen Lebensmittelpunkt hatte, mithin nicht wohnte. Die Hausermittlungen ergaben vielmehr, dass der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist. Selbst wenn er regelmäßig an der Adresse „vorbeikommt“, wie der ermittelnde Polizeibeamte es niedergelegt hat, und seine Post abholt, ist damit eben nicht gewährleistet, dass der Angeklagte sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt.“

Also: Wo man nur „vorbeikommt“, wohnt man nicht…..