Schlagwort-Archive: Zuständigkeit

Hinschauen und nachrechnen lohnt sich

habe ich gedacht, als ich auf den Beschluss des BGH v. 17.10.08.2010 – 3 StR 347/10 gestoßen bin. Hat man ja eher selten, dass die sachliche Zuständigkeit nicht passt. Hier war es aber so: Verfahren gegen vier Angeklagte, drei Erwachsene, ein Heranwachsender, zuständig wäre über §§ 107, 108, 33 JGG die Jugendkammer, verhandelt wird aber vor der großen Strafkammer. Damit greift § 338 Nr. 4 StPO. Kann passieren (?), vor allem, wenn der Heranwachsende so gerade eben noch herananwachsend war: Geboren im Januar 1985, erste Tat im November 2005. Da muss man schon hinschauen und nachrechnen…..

Wer müht sich nach Rechtskraft im Strafverfahren um den dinglichen Arrest?

Verfall, Einziehung, dingliche Arreste nehmen im Strafverfahren zu und die damit zusammenhängenden Fragen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Da sind dann schon zivilrechtliche und vollstreckungsrechtliche Kenntnisse gefragt, die Strafrichter häufig nicht mehr haben (ich denke da auch an mich…:-)). Deshalb kann man ja mal suchen, ob man die Sache nicht los wird. Das OLG Düsseldorf hat dazu in einem Beschluss vom 10.11.2008 (StV 2009, 233 f. die Auffassung vertreten, dass nach Rechtskraft des Urteils im Hauptsacheverfahren § 459g StPO der Anwendung von § 111f Abs. 5 StPO entgegenstünde, und deshalb ein Zivilgericht zur Entscheidung berufen sei. Das OLG Celle sieht das jetzt im Beschl. v. Beschl. v. 06.07.2010 – 2 Ws 236/10 – anders und meint:

Bereits der Wortlaut legt eine Anwendbarkeit des § 111f Abs. 5 StPO auch noch nach Rechtskraft des Urteils im zugrundeliegenden Strafverfahren nahe, wonach der Betroffen jederzeit die gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen in Vollziehung einer Beschlagnahme oder des Arrestes beantragen kann (vgl. dazu auch MeyerGoßner StPO, 52. Aufl., § 111f Rn. 15. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 111f Rn. 7). Daneben spricht gegen die Auffassung des OLG Düsseldorf auch die Gesetzesbegründung zur Einführung von § 111f Abs. 5 StPO. Dort ist ausdrücklich erwähnt, dass nach Rechtskraft das Gericht des ersten Rechtszuges für die Entscheidung nach § 111f Abs. 5 StPO zuständig sein sollte (BTDrucks. 16/700 S. 13). Demnach wollte der historische Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 111f Abs. 5 StPO auch noch nach Rechtskraft eines Urteils in der Hauptsache die Möglichkeit der gerichtlichen Entscheidung durch ein Strafgericht und nicht die Zuständigkeit eines Zivilgerichtes herbeiführen.“ 

Tapfer, tapfer, denn damit bleibt es auf den zivilrechtlichen Fragen hängen.

Bäumchen, Bäumchen wechsle dich, oder: Wer ist/wird zuständig für die Pflichtverteidigerbestellung

An den Kinderreim/das Kinderspiel: Bäumchen, Bäumchen wechsle dich, erinnert man sich, wenn man den Beschl. des OLG Rostock v. 05.08.2010 – 1 Ss 61/10 I 60/10 liest zur Frage der Zuständigkeit für die Pflichtverteidigerbestellung im Rechtsmittel/Revisionsverfahren, wenn der Wahlverteidiger seine Beiordnung erstmals mit der Rechtsmitteleinlegung und -begründung beantragt.

Das OLG sagt: Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Beiordnungsantrag bis zu dem Zeitpunkt der Abgabe einer möglichen Gegenerklärung und Weiterleitung der Akten durch die Staatsanwaltschaft liegt beim Vorsitzenden des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird. Mit Anhängigkeit der Sache beim Revisionsgericht geht die Zuständigkeit über die Entscheidung über den unerledigten Antrag auf den Vorsitzenden des Revisionsgerichts über, auch wenn noch keine Hauptverhandlung absehbar ist.

So ähnlich auch vor kurzem das KG; die Entscheidungen entsprechen auch wohl der h.M. in der Frage. Das OLG Rostock hat dann beigeordnet, allerdings birgt diese h.M. eine Gefahr. Denn die Revisionsbegründung ist, wenn die Sache beim Revisionsgericht anhängig wird, dann ja bereits erstellt, dann steht nur noch ggf. eine Hauptverhandlung an (was zumindest beim OLG selten ist). Schnell kann das Revisionsgericht dann auf die Idee kommen zu sagen, Revisionsbegründung liegt ja bereits vor, daher nicht mehr schwierig (vgl. dazu das KG). Das ist m.E. in den Fällen dann unzulässig, das Revisionsgericht muss m.E. aus der Sicht des ursprünglich befassten Gerichts urteilen. Der Verteidiger sollte seinen Antrag zudem nicht erst mit der Revisionsbegründung stellen, sondern schon mit der Rechtsmitteleinlegung. Dann bleibt für das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, mehr Zeit beizuordnen.

Königlich bayerisches Amtsgericht at its best, wirklich?

Und nochmal aus meiner Fundgrube. Es berichtet der Kollege, der auch mit dem befangenen LOStA und der „Sperrberufung“ zu tun hatte. Wenn man den nachfolgenden Prozessbericht liest, weiß man wirklich nicht, ob man lachen oder weinen soll.

„...das Forum soll ja nicht ausschließlich ein Ort sein, den man nur dann aufsucht, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß. Deshalb möchte ich gerne über meine jüngsten Erlebnisse an einem auswärtigen Amtsgericht berichten.
Mdt. wird fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (0,96 o/oo + angebl. Ausfallerscheinungen) vorgeworfen. Tatort, Wohnort des Mdt. und Ergreifungsort befinden sich in der Stadt X. Die Stadt X hat ein eigenes Amtsgericht, welches dem Mdt. über § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzieht.
Die StA Y beantragt einen Strafbefehl, allerdings nicht beim AG X, sondern beim AG Y.
Mdt. lässt durch einen Kollegen Einspruch einlegen. Mdt. wundert sich, weshalb die Sache beim AG Y und nicht beim AG X liegt. Der Kollege meint hierzu, er könne das auch nicht nachvollziehen, aber die Justiz wisse schon, was sie tue.
Ich habe am selben Tag, an dem ich die Sache übernommen habe, per Telefax Verfahrenseinstellung wegen örtlicher Unzuständigkeit beantragt, inkl. Kostenentscheidung. Dies war 5 Tage vor dem HV-Termin, abzüglich Wochenende drei volle Arbeitstage.
Anruf am Montag bei Gericht, ob der Termin abgesetzt wird. Antwort: Nein, weil der Richter nicht da wäre, das sei er Montags nie.
Also am Dienstag 70 km einfache Fahrt zum AG Y. Die HV verläuft wie folgt:
Beginn 9.00 Uhr.
Es erscheint ein gebeugtes Männlein mit einer Gesichts- und Nasenfarbe, die Rückschlüsse auf einen gewissen Alkoholkonsum zulässt.
Vors.: Name? Geburtsdatum? Beruf? Was verdienen Sie?
Vert.: Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen macht der Angekl. jetzt noch keine Angaben.
Vors.: Haben Sie Unterhaltsverpflichtungen?
Vert.: siehe oben. Ich denke, wir brauchen das heute sowieso nicht.
Vors.: Warum nicht?
Vert.: Kennen Sie meinen Schriftsatz nicht? Ich rüge die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts.
Vors.: Sie haben nur geschrieben, dass Sie die Verfahrenseinstellung beantragen.
Vert.: Der Schriftsatz hat drei Seiten.
Vors.: Ach so. Hmmm, ja das war ein Versehen der StA. Und ich habe es übersehen. Frau StA?
StA.: Kann ich den Strafbefehlsantrag noch zurücknehmen?
Vors.: Das weiß ich jetzt nicht.
Vors. schlägt Kommentar auf; StA schlägt Kommentar auf; Vert. tut nichts, da er die Antwort kennt.
Vors.: Ach Frau StA, schauen Sie das doch mal nach. Ich muss mal dringend telefonieren.
9.05 Uhr: Vors. verlässt ohne weiteres Wort den Sitzungssaal.
9:20 Uhr: Vors. kehrt zurück.
Vors.: Frau StA, haben Sie was gefunden?
StA: Ja, im Kommentar bei § … Rn …
Vert.: Es steht direkt im Gesetz. § 411 III 2 mit 303 StPO.
Vors.: Ach so! Frau StA?
StA: Ich nehme den Strafbefehl zurück.
Vors.: Herr Verteidiger, stimmen Sie zu?
Vert.: Nein.
Vors.: Gut, dann ergeht Beschluss: Das Verfahren wird gem. § 206 a StPO eingestellt.
Vert.: Ich hätte zwei Fragen. Warum kein Urteil?
Vors.: Wieso Urteil?
Vert.: Wir sind in der HV, da gilt § 206 a nicht, sondern § 260 III StPO.
Vors.: Wo steht das?
Vert.: Im Gesetz.
Vors.: Ach so!
Vert.: Und im Kommentar bei M-G 16/4.
Vors. (liest nach): Da steht aA Gössel, dem schließe ich mich an. Ihre zweite Frage?
Vert.: Was ist mit der Kostenentscheidung?
Vors.: Gibt es keine.
Vert.: Warum nicht?
Vors.: Das ist nicht vorgesehen.
Vert.: Doch.
Vors.: Wo steht das?
Vert.: Im Gesetz. § 464 StPO.
Vors.: Ich mache trotzdem keine.
Vert.: Ich bitte zu protokollieren, dass ich das Unterbleiben einer Kostenentscheidung rüge.
Vors.: Dafür gibt es keine Grundlage.
Vert.: Darüber wird das nächsthöhere Gericht befinden. Ich bitte um Protokollierung meines Kostenantrags: Kosten des Verfahrens § 467 I StPO. Notwendige Auslagen des Angekl. trägt die Staatskasse, da es sich um einen offensichtlichen Fehler von StA und Gericht handelt, und die örtliche Unzuständigkeit spätestens vor 5 Tagen durch meinen Schriftsatz bekannt ist. Im Übrigen ist es unbillig, den Angeklagten mit den Kosten einer HV zu belasten, wo der Vorsitzende die meiste Zeit abwesend ist, um zu telefonieren.
Vors.: Herr Rechtsanwalt, ich musste ein dringendes dienstliches Telefonat führen. Dafür frage ich nicht nach Ihrer Erlaubnis.
Vert.: Das brauchen Sie auch nicht. Aber der Angekl. muss das nicht bezahlen.
Vors.: Frau StA?
StA.: Ich gebe keine Stellungnahme ab.
Vors.: Dann ist die Sache hier erledigt.
Denkste! Ich habe schriftlich sofortige Beschwerde nach § 464 III StPO eingelegt.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Königlich bayerisches Amtsgericht at its best
.“

Habe ich zu viel versprochen? Ich denke, es geht wohl nicht nur in Bayern so zu. Und selbst auf die Gefahr, dass ich damit Kommentare hervorrufe: Ich bin schon ein wenig fassungslos 🙂

Der befangene LOStA

Ich schöpfe mal wieder aus meiner Fundgrube Forum bei LexisNexis Strafrecht. Ein Kollege teilt dort mit:

“ Hallo, in dieser Woche bleibt mir auch gar nichts erspart  🙁 In einer HV vor dem AG tritt der LOStA als Sitzungsvertreter auf. Es geht um ein Strafbefehlsverfahren wegen BtM. Mdt. ließ sich vertreten, da er seit 2 Wochen neuen Arbeitsplatz als Bauhelfer hat und keinen Urlaub bekommt, außerdem dem neuen Arbeitsgeber nicht gleich von einer Drogenanklage erzählen wollte.
Das Gericht zeigte hierfür Verständnis. Der LOStA meinte, der Angekl. habe offensichtlich keinerlei Interesse an der HV, was Einfluss auf die Strafzumessung nehmen könnte, und außerdem könne er auch anders blablabla, dann bleibe es nicht bei den 40 TS, sondern es gäbe eine Freiheitsstrafe.
In seinem Schlussvortrag wertete er allen Ernstes zu Ungunsten des Angekl., dass er der HV fern blieb. Zitat: „Dem Angekl. ist es offensichtlich lieber, auf der Baustelle Bierkisten rumzutragen.“
Ich habe mich in meinem Schlussvortrag auf den Hinweis beschränkt, dass ich die abschätzende Äußerung des LOStA über den Arbeitsplatz des Angekl. ungehörig finde.“

Dem Kollegen ging es um die „Ablehnung“ des LOStA, woran man ja nun wirklich denken kann. Die Frage hat sich aber wohl erledigt, da das Verfahren beendet ist. Zuständig dürfte aber der General sein (vgl. § 147 GVG).

Im Übrigen: „Ungehörig“ finde ich noch sehr maßvoll.

Ach so: Man fragt sich, warum ist ein LOStA beim AG. Dazu gleich mehr.