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Unnötiger Anfängerfehler, oder: Warum ein Zeuge schweigt, geht das Gerichts nichts an

© Corgarashu – Fotolia.com

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Sorry, aber manchmal versteht man es wirklich nicht bzw. ist erstaunt, zu welchen Fragen der BGH Stellung nehmen muss. Der ein oder andere Leser des BGH, Beschl. v. 20.03.2014 – 3 StR 353/13 – wird es anders sehen und wahrscheinlich bekomme ich auch Kommentare. Aber ich war jedenfalls mehr als irritiert über die Beweiswürdigung des LG Stralsund, die der BGH als rechtsfehlerhaft beanstandet hat. M.E. ein landgerichtlicher „Anfängerfehler“, den man so nicht erwartet. Die Gründe des BGH, Beschlusses sprechen für sich:

II. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil sich die Beweiswürdigung im Fall II. 2. der Urteilsgründe als rechtsfehlerhaft erweist; dies entzieht dem Schuldspruch in allen abgeurteilten Fällen die Grundlage.

1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von den getroffenen Feststellungen in erster Linie aufgrund der Angaben des Zeugen W. gewonnen. Dieser machte zu allen abgeurteilten Fällen Angaben, die die schweigenden Angeklagten belasteten. Zu Fall II. 2. der Urteilgründe gab er unter anderem an, einem Auftrag des Angeklagten L. entsprechend den Angeklagten B. am Tag der gefährlichen Körperverletzung, dem 6. Juli 2012, von D. nach S. in die Nähe des Tatorts gefahren zu haben. Die den entgegenstehenden Angaben der Eltern des Angeklagten B. , dieser habe sich zur Tat-zeit auf dem elterlichen Grundstück aufgehalten, hat die Kammer als vorsätzliche Falschaussage gewertet. Diesen Schluss hat sie „vor allem“ aus dem langen, von beiden Zeugen nicht plausibel erklärten Schweigen zum Alibi ihres Sohnes gezogen. Es widerspräche jeglicher Lebenserfahrung, dass Eltern einen entlastenden Umstand gegenüber den Strafverfolgungsbehörden verschweigen und ihren Sohn über sechs Monate in Untersuchungshaft verbringen lassen. Auf Frage, warum sie diese Angaben nicht früher gemacht habe, habe die Mutter des Angeklagten B. mit der Gegenfrage geantwortet, warum man sie nicht früher gefragt habe.

2. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Die Eltern eines Angeklagten sind zur Aussage nicht verpflichtet, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der verweigerungsberechtigte Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste (BGH, Beschluss vom 2. April 1968 – 5 StR 153/68, BGHSt 22, 113, 114). Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur anfänglichen Zeugnisverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden (BGH, Urteil vom 18. September 1984 – 4 StR 535/84, NStZ 1985, 87). Letzterem steht es gleich, wenn es ein zur Zeugnisverweigerung Berechtigter zunächst unterlässt, von sich aus Angaben zu machen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 1986 – 4 StR 569/86, NStZ 1987, 182, 183). Einer Würdigung zugänglich ist allein das nur teilweise Schweigen des Zeugen zur Sache (BGH, Urteil vom 2. April 1987 – 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327 ff.).

Ein solches teilweises Schweigen liegt nicht vor. Da sich dies aus den Urteilsgründen selbst ergibt, ist der Fehler auf die Sachrüge hin zu beachten (vgl. zum Schweigen des Angeklagten BGH, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 3 StR 248/96, NStZ 1997, 147; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 30). Die im Urteil mitgeteilte Erklärung der Mutter des Angeklagten B. anlässlich eines Haftprüfungstermins, in dem Betrieb der Eltern sei eine Beschäftigung des Sohnes sichergestellt, sollte ersichtlich der Entkräftigung eines Haftgrundes dienen. Eine Äußerung zu den gegen den Sohn erhobenen Tatvorwürfen lag darin nicht.“

Sollte man als Strafkammer wissen bzw. muss doch nicht sein.

Klassischer Fehler VI: „Tretmine“ – Entlassung des Zeugen ohne den Angeklagten – oder: zweimal geschlampt

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Im Verfahren der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach § 247 StPO schlummern Tretminen, die in der Revision dann explodieren. Und: Es sind m.E. bekannte Tretminen, die man in der Hauptverhandlung an sich ohne große Probleme aus dem Weg räumen können müsste. Warum das nicht passiert, leuchtet mir nicht ein. Denn immer wieder muss der BGH zu dem Klassiker „Entlassung des Zeugen ohne den aus der Hauptverhandlung Angeklagten“ Stellung nehmen. So dann jetzt auch im BGH, Beschl. v. 11.03.2014 – 1 StR 711/13 (vgl. dazu u.a. auch Klassischer Fehler II – klassischer geht es nicht – dem BGH fehlen die Worte? zum BGH, Beschl. v. 05.12.2013 – 2 StR 387/13). 

Da war in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung die Nebenklägerin zweimal als Zeugin vernommen worden. Während der Vernehmungen wurde der Angeklagte jeweils gemäß § 247 StPO aus dem Sitzungssaal entfernt. Auch die Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin erfolgte jeweils in Abwesenheit des Angeklagten. Nach der ersten Vernehmung der Nebenklägerin wurde sie im allseitigen Einverständnis entlassen. Erst dann wurde der Angeklagte wieder in den Sitzungssaal gelassen und vom Vorsitzenden über den Inhalt der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin informiert. Nach der Vernehmung der Mutter der Nebenklägerin wurde die Nebenklägerin erneut vernommen. Auch bei dieser zweiten Vernehmung und der anschließenden Verhandlung über die Entlassung der Zeugin war der Angeklagte nach § 247 StPO ausgeschlossen.

Die Rüge des absoluten Revisionsgrundes gem. § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin hat durchgegriffen. Und wir lesen dazu dann beim BGH – schon wieder:

aa) Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder Satz 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund zu begründen (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Ob ein Verfahrensteil als wesentlich einzuordnen ist, bestimmt sich nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann. Nach dem Zweck des § 247 StPO ist aber die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten grundsätzlich als wesentlich anzusehen. Die das Anwesenheitsrecht und die  Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezwecken auch, dem Angeklagten eine allseitige und uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere durch Vornahme von Verfahrenshandlungen aufgrund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung. Das wird dem Angeklagten durch seinen Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen erschwert, weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen können (BGHSt, aaO). Einer besonderen Darlegung, dass es sich bei der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelt, bedarf es da-her nicht.

bb) Ein Fall, in dem die Verhandlung über die Entlassung einer Zeugin ausnahmsweise nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung angesehen werden könnte, liegt hier auch nicht darin, dass es sich bereits um die zweite Vernehmung der Zeugin handelte.

Auch einer ergänzenden Vernehmung einer Opferzeugin kommt grundsätzlich erhebliche Bedeutung für das Verfahren zu, sodass der Angeklagte auch nach einer solchen stets die Möglichkeit haben muss, ergänzende Fragen oder Anträge zu stellen, die das Verfahren beeinflussen können (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Beim Vorwurf von Sexualstraftaten liegt es sogar nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Vernehmung der Opferzeugin kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende – also den gesamten Anklagevorwurf betreffende – Fragen zu stellen (vgl. zu § 171b GVG: BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06 Rn. 9, in BGHSt 51, 180 nicht abgedruckt). Bei der Vernehmung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es daher auch im Falle einer wiederholten Vernehmung für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO grundsätzlich nicht der Darlegung des wesentlichen Inhalts der Aussage der Zeugin.

Hier kam der Möglichkeit, an die Opferzeugin nach deren zweiter Ver-nehmung ergänzende Fragen stellen zu können, sogar gesteigerte Bedeutung zu. ….“

Ich könnte ja noch verstehen, dass man bei der zweiten Vernehmung „schlampt“, weil man davon ausgeht – „nicht mehr wesentlicher Teil“ -, obwohl auch schon das fraglich ist. Bei der ersten Vernehmung versteht man aber gar nicht, warum der Fehler gemacht wird.

Richterliche Vernehmung einer Zeugin – Ausschluss des Beschuldigten?

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Gegen den Beschuldigten ist ein Ermittlungsverfahren anhängig wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung in zwei Fällen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft soll die Zeugin S. richterlich vernommen werden. Das AG Waldshut-Tiengen hat den Beschuldigten von der richterlichen Vernehmung der Zeugin gemäß § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen, da zu befürchten sei, dass die Zeugin in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen und von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werde. Der LG Waldhut-Tiengen. Beschl. v. 09.10.2013 – 1 Qs 68/13 – sieht das anders:

„Wegen der Bedeutung des Anspruchs auf Anwesenheit ist die Ausschließungsmöglichkeit eng auszulegen (Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 168c Rn. 16). Es soll verhindert werden, dass im vorbereitenden Verfahren unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) und unter Außerachtlassung des Grundsatzes der Waffengleichzeit zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem ein für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens möglicherweise entscheidendes Beweisergebnis herbeigeführt werden kann, ohne dass dem Beschuldigten und/oder seinem Verteidiger zuvor Gelegenheit gegeben war, hierauf Einfluss zu nehmen (Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 168c Rn. 1; BGHSt 26, 332, 335).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein Ausschluss des Beschuldigten nur dann möglich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Zeuge in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen werde oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Beschuldigte seine Anwesenheit oder sein durch die Anwesenheit erlangtes Wissen dazu missbrauchen würde, durch Verdunkelungshandlungen — etwa durch Beseitigung oder Verfälschung von Beweismitteln oder durch unzulässige Beeinflussung von Zeugen oder Sachverständigen — die Ermittlung des Sachverhalts zu erschweren (Löwe-Rosenberg, aaO., § 168c Rn. 15; Karlsruher Kommentar, aaO., § 168c Rn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 168c Rn. 3). Dies gilt auch dann, wenn konkreter Anlass für die Befürchtung besteht, der Zeuge werde bei Anwesenheit des Beschuldigten voraussichtlich von seinem Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen (Karlsruher Kommentar, aaO., § 168c Rn. 6; Löwe-Rosenberg, aaO, § 168c Rn. 16a).

Nach Aktenlage ist nicht erkennbar, dass ein solcher Ausschlussgrund vorliegt. Die Aussagebereitschaft der 20-jährigen Zeugin hat im Laufe des Ermittlungsverfahrens bereits mehrfach geschwankt, ohne dass dies gerade auf eine Anwesenheit des Beschuldigten hätte zurückgeführt werden können, zumal er bei den bisherigen polizeilichen Vernehmungen ohnehin nicht anwesend war. Bereits nach der Anzeigeerstattung am 26.04.2013 hatte die Zeugin angekündigt, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (AS 59a), war dann aber doch zu einer weiteren kriminalpolizeilichen Vernehmung am 30.04.2013 bereit gewesen, bevor sie — noch vor der Durchführung der bereits Anfang Mai 2013 erstmals beantragten richterlichen Vernehmung — am 03.05.2013 erklärte, ihre Anzeige zurückzuziehen (AS 105 f.). Der Umstand, dass die Zeugin in ihrer E-Mail an die Kriminalpolizei vom 03.05.2013 erklärte, dass sie „gerade mit den Nerven am Ende“ sei und „mit der Sache nix zu tun haben“ wolle, lässt eher darauf schließen, dass sie wegen der allgemeinen Belastungen, denen sie als Zeugin in einem Ermittlungsverfahren wegen möglicherweise zu ihrem Nachteil begangener Sexualdelikte ausgesetzt ist, keine Aussage machen wollte, und zwar unabhängig von der Anwesenheit des Beschuldigten bei einer Vernehmung. Als sie sich schließlich am 31.05.2013 wieder telefonisch bei KOK’in von G. meldete und erklärte, dass sie jetzt doch bereit sei auszusagen, begründete sie dies auch damit, dass ihre Cousine sie inzwischen unterstütze (AS 215). Konkrete Ankündigungen der Zeugin , wonach sie in Anwesenheit des Beschuldigten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werde, sind bislang nicht bekannt.

Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Beschuldigte die Zeugin im Laufe des Ermittlungsverfahrens bedroht oder anderweitig beeinflusst haben könnte. Soweit er bereits im Rahmen des von der Zeugin geschilderten Tatgeschehens geäußert haben soll, dass er — wenn sie ihn anzeige — die Familie auseinander bringen werde, indem er den Großvater und die Eltern der Zeugin gegeneinander aufhetze, ist das damit verbundene Drohpotential dadurch erledigt, dass die Zeugin ungeachtet dieser Drohung Anzeige erstattet hat.“

Gut Ding will Weile haben, aber muss es so klüngelig gehen?

Der ein oder andere, der den OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013, 1 RVs 18/13 – liest, wird sich fragen: Sicherlich will gut Ding Weile haben, aber muss es so langsam gehen mit einem Strafverfahren? Das OLG beschreibt nämlich im Beschluss die zögerliche Erledigung eines Strafverfahrens, das bei der StA Dortmund und beim AG und LG Dortmund anhängig war.

Das OLG kommt – ich verweise wegen der Einzelheiten auf den Beschluss – zu einer Verfahrensverzögerung von einem Monat bei der StA bis zur Anklageerhebung. So weit so gut, oder auch nicht, wenn man den Verfahrensablauf liest.

Bei der Berufungskammer dauert es dann vom Eingang der Akten dort am 26.05.2011 bis zum 16.07.2012, um endlich die Hauptverhandlung anzuberaumen. Das ist dem OLG zu lang. Zu Recht moniert es das und meint, die Terminierung häte schon sechs bis sieben Monate früher vorgenommen worden können.

Ein wenig erstaunt hat mich eine weitere Verzögerung, in der das OLG eine der Justiz vorwerfbare Verzögerung nicht gesehen hat:

(Noch) keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sieht der Senat hingegen in dem Umstand, dass in dem Verfahren vor dem Amtsgericht der zunächst auf den 25.11.2010 anberaumte Hauptverhandlungstermin wegen Verhinderung von drei Zeugen auf Anfang April 2011 verlegt worden ist. Ein Zeuge hatte berufliche Probleme als Hinderungsgrund geltend gemacht, zwei andere Zeugen finanzielle Probleme, da sie aus K hätten anreisen müssen. Auch wenn grundsätzlich die Zeugenpflicht beruflichen Pflichten vorgeht (vgl. OLG Jena NStZ 1997, 333), wenn dem Zeugen nicht unzumutbare Nachteile drohen (vgl. OLG Düsseldorf, StraFo 2011, 133 für die ähnlich gelagerte Problematik bei Unzumutbarkeit wegen privater Belange), welche hier aber nicht dargetan waren, so hält der Senat die Verlegung nicht für unvertretbar. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat ein Zeuge Anspruch auf eine angemessen Behandlung seines Anliegens und darf nicht zum Verfahrensobjekt gemacht werden (BVerfG NStZ-RR 2002, 11). Insoweit ist dem Gericht ein gewisser Beurteilungsspielraum einzuräumen. Vor diesem Hintergrund hält der Senat es noch für hinnehmbar, wenn der Tatrichter das Nichterscheinen eines Zeugen akzeptiert und den Termin um einen Zeitraum von etwa vier bis fünf Monaten verlegt, auch wenn der Umstand, dass (unter Berücksichtigung der Anreise) ein „ganzer Arbeitstag drauf gehen würde“ und der Zeuge in einem kleinen Betrieb arbeitete, in dem der Lehrling Schule hatte, an sich für eine Entschuldigung i.S.v. § 51 StPO nicht ausreichend gewesen wäre. Da die Terminsverlegung auch im Hinblick auf diesen Zeugen erfolgte, kann dahinstehen, ob eine Terminsverlegung nur wegen der fehlenden Mittel zur Anreise der beiden weiteren Zeugen aus K angemessen gewesen wäre. Dem hätte man durch Gewährung entsprechender Reisekostenvorschüsse an die (anreisewilligen) Zeugen begegnen können.

Verlegung um vier bis fünf Monate in einem Verfahren, dass so oder so schon klüngelig geführt worden ist? M.E. sehr großzügig.

Und: Der Angeklagte muss sich mit der Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zufrieden geben. Einen Strafabschlag gibt es nicht. Hätte man auch anders sehen/entscheiden können, ist aber sicherlich angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte nun selbst auch nicht besonders schnell auf Anfragen geantwortet hat, vertretbar.

Nicht nur Verteidiger machen Fehler – Hier ein „Klassiker“Fehler eines LG: Die Abwesenheit des Angeklagten…..

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Nach dem gestrigen „Verteidigerfehler“ (vgl. hier: Und wieder “Verteidigerfehler” Verfahrensrüge – was ist daran denn so schwer?) ist heute über den Fehler einer Strafkammer des LG Konstanz zu berichten. In meinen Augen ein „Klassiker“, da schon der Große Senat für Strafsachen mit der Frage befasst war (vgl. vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Von daher – ich will es moderat formulieren, bin also nicht „fassungslos“: Sollte man wissen (und selbst die Formulierung wird mir wahrscheinlich den ein oder anderen böseren Kommentar einbringen).

Was ist passiert?  Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Während der Vernehmung einer der Geschädigten wird der Angeklagte gem. § 247 Abs. 1 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt. Er nimmt an ihr auch nicht wieder teil, als nach der Vernehmung der Zeugin über deren Entlassung verhandelt wird. Und das war es dann. Das ist ein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO. Dazu der BGH, Beschl. v. 10.04.2013 – 1 StR 11/13 kurz und zackig, da eben „Klassiker“:

„1. Mit Recht rügt die Verteidigung die Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO, weil der Angeklagte bei der Entscheidung über die Entlassung der Zeugin B. , der Geschädigten im Fall 1 der Urteilsgründe, nicht im Sitzungssaal anwesend war. Zwar hatte das Landgericht gemäß § 247 Satz 1 StPO angeordnet, dass sich der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen hat. Die Entscheidung über die Entlassung der Zeugin war indes nicht mehr Teil der Vernehmung, sondern bildete einen eigenständigen wesentlichen Bestandteil der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92), während dessen der Angeklagte nicht im Sitzungssaal anwesend war. Besondere Umstände, etwa eine Bild-Ton-Übertragung in einen Nebenraum mit Gegensprechanlage, die dem Angeklagten während seiner Abwesenheit vom Sitzungssaal ermöglicht hätten, entweder seine Zustimmung zur Entlassung der Zeugin zu erklären oder sein Fragerecht weiter auszuüben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – 5 StR 387/10, NStZ 2011, 534), lagen hier nicht vor. Auch ist der Fehler, der vom Landgericht unbemerkt blieb, nicht im Laufe des weiteren Verfahrens geheilt worden (vgl. zur Möglichkeit einer Heilung BGH, Großer Senat für Strafsachen aaO S. 94).“

Und retten kann (selbst) der 1. Strafsenat des BGH über die Beruhensfrage nichts mehr:

„Zwar darf auch bei einem absoluten Revisionsgrund von einer Urteilsaufhebung abgesehen werden, wenn und soweit ausnahmsweise das Be-ruhen des Urteils denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 338 Rn. 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das Landgericht hat die Zeuginnen B. und C. zwar zu unterschiedlichen Tatvorwürfen vernommen; diese Vorwürfe konnten jedoch nicht völlig isoliert voneinander beurteilt werden. Das zeigt sich hier bereits darin, dass das Landgericht bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben beider Zeuginnen ausdrücklich in den Blick genommen hat, dass deren Aussagen bemerkenswerte Ähnlichkeiten hinsichtlich des Verhaltens des Angeklagten aufwiesen, obwohl sich die Zeuginnen nicht absprechen konnten (UA S.10).“

Das Verfahren nach § 247 StPO ist für die Tatgerichte nicht ungefährlich. Da muss/sollte man sich aber schon auskennen.