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Streng ist man mit dem Zeugen, der nicht erscheint

© sss78 – Fotolia.com

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Der Zeuge, der nicht zur Hauptverhandlung erscheint, muss mit Sanktionen – Ordnungsgeld und – ggf. haft (§ 51 StPO) rechnen. Das weiß im Grunde jeder. Nicht so bekannt ist wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung im Hinblick auf eine Entschuldigung für das Ausbleiben recht streng ist. Den sicherlich meinen viele Zeugen, dass z.B. eine Urlaubsreise ihr Frenbleiben entschuldigt. Das ist aber so nicht richtig. Denn die Gerichte, insbesondere auch die Obergerichte sind da sehr streng und gehen davon aus, dass auch eine Urlaubsreise den Zeugen grundsätzlich nicht von seiner Pflicht, zur Vernehmung vor Gericht zu erscheinen, entbindet. Das hat vor kurzem noch einmal das OLG Dresden im OLG Dresden, Beschl. v. 24.02.2015 – 2 Ws 82/15 – festgestellt:

„Die Pflicht eines Zeugen, vor Gericht zu erscheinen, ist eine von der Strafprozessordnung vorausgesetzte allgemeine Staatsbürgerpflicht, bei deren Nichterfüllung § 51 StPO verfassungsrechtlich unbedenklich die Möglichkeit gibt, dem ordnungsgemäß geladenen und nicht genügend entschuldigten Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen und gegen ihn ein Ordnungsgeld festzusetzen (BVerfG NJW 2002, 955 m.w.N.).

Private und berufliche Pflichten haben gegenüber dieser staatsbürgerlichen Pflicht grundsätzlich zurückzutreten. Der Zeuge ist daher verpflichtet, der Ladung auch dann zu folgen, wenn dies für ihn Unannehmlichkeiten mit sich bringt oder wenn er zur zeitweisen Umgestaltung seines Organisationskreises gezwungen ist. Eine Geschäfts- oder Urlaubsreise muss er notfalls verlegen oder vorzeitig abbrechen, wenn dringende Hinderungsgründe nicht entgegenstehen und dies nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen führt (vgl. Thüringer Oberlandesgericht NStZ-RR 1997, 333; Meyer-Goßner/Schmitt, § 51 Rdnr. 12 m.w.N.).

Dringende Hinderungsgründe oder unverhältnismäßige Nachteile lagen indes nicht vor. Der Termin zur Hauptverhandlung fand nur einen Tag vor dem ohnehin geplanten Ende des 14-tägigen Urlaubs statt, sodass einem unterbrochenen Erholungseffekt schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Der Zeuge hätte auch lediglich aus Schwerin zum Termin nach Chemnitz anreisen müssen; die Kosten für diese Anfahrt wären erstattungsfähig gewesen (§§ 5 Abs. 5, 19 Abs. 1 Nr. 1 JVEG). Zudem fand der Termin vor dem Landgericht des Ortes statt, in dem der Zeuge wohnt. Der Zeuge hätte seine Urlaubsreise deshalb unterbrechen oder abbrechen müssen.“

Toll, wenn man das so liest: „Allgemeine Staatsbürgerpflicht“ macht sich immer gut als Argument und hier kann man die Entscheidung auch noch, da es der letzte Tag war, einigermaßen nachvollziehen. Nur: Was ist, wenn der Termin mitten im Urlaub liegt? Muss ich dann auch in jedem Fall unterbrechen? Egal, wo ich bin? M.E. wohl kaum. Und wie ist es, wenn die ganze Familie mit dem Auto unterwegs ist? Müssen dann alle mitzurückfahren oder bleibt die Familie am Urlaubsort? Darum müsste man sich sicherlich auch mal Gedanken machen. Alles in allem: So einfach ist es m.E. nicht, aber so natürlich einfach für die Gerichte. Vor allem, wenn man – wie das OLG Dresden – davon ausgeht, dass man als Zeuge beim Schweigen des Gerichts nachfragen muss. Warum eigentlich muss eigentlich ich als Zeuge nachfragen? Das Gericht will doch was von ihm. Ach so, sicher. Staatsbürgerliche Pflicht.

Rettung in solchen Fällen kommt dann allerdings häufig über § 153 StPO. Die Gerichte stellen das Verfahren ggf. entsprechend dieser Vorschrift ein. Aber: Nach Auffassung des OLG Dresden erfasst die Einstellung des Verfahrensneben den Ordnungsmitteln nicht auch die Kostenüberbürdung . Auf denen bleibt der Zeuge dann ggf. „hängen“.

Wenn sich der Polizeibeamte als Zeuge nicht mehr erinnern kann

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Der Kollege Müller hat in der vergangenen Woche in seinem Posting: „Wo “Polizist” draufsteht, ist nicht unbedingt „guter Zeuge“ drin“ den Umgang der Gerichte mit polizeilichen Zeugen beklagt. Teilweise kann man sicherlich von einer gewissen „Polizeihörigkeit“ sprechen, um nicht das Bild/Dogma von der „Unfehlbarkeit des polizeilichen Zeugen“ zu bemühen. Zu den Fragen passt dann m.E. ganz gut der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.04.2014 – IV-2 RBs 37/14, in dem sich das OLG mit der Frage auseinandersetzt, wie denn nun ggf. mit dem Umstand umzugehen ist, wenn sich ein Polizeibeamter als Zeuge an einem Vorfall nicht mehr so genau erinnern kann:

„Das Amtsgericht hat hinreichend begründet, wie es aufgrund der Aussage des vernommenen Zeugen zu der von ihm gebildeten Überzeugung darüber, dass der Betroffene ein Mobiltelefon während der Fahrt benutzt hat, gelangt ist. Zutreffend weist die Verteidigung allerdings darauf hin, dass, wenn ein Polizeibeamter sich an einen Vorfall nicht mehr erinnern kann und auf die von ihm erstattete Anzeige Bezug nimmt, der Tatrichter klären muss, ob der Polizeibeamte die volle Verantwortung für den Inhalt der Anzeige übernimmt, in welcher Weise er bei der Anzeigeerstattung beteiligt gewesen ist und ob und inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist und warum es verständlich erscheint, dass der Polizeibeamte den Vorfall nicht mehr in Erinnerung hat, falls insoweit Zweifel einsetzen können (OLG Düsseldorf NZV 1999, 348). Das indes ergibt sich aus den Ausführungen im angefochtenen Urteil. Dort heißt es im dritten Absatz im Abschnitt III., dass der Zeuge die in der Anzeige gemachten Daten bestätigt habe, womit er die volle Verantwortung für deren Inhalt übernommen hat. Aus den Ausführungen ergibt sich ferner, dass er der beobachtende und zugleich die Anzeige aufnehmende Beamte war. Auch mit der Frage, inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist, hat sich das Amtsgericht befasst, wenn es ausführt, der Zeuge habe bekundet, bei der Verfolgung wegen „Handyverstößen“ nur dann eine Anzeige zu schreiben, wenn er sich absolut sicher sei. Anlass dazu zu hinterfragen, warum der Polizeibeamte an den Vorfall keine Erinnerung mehr hatte, bestand nach den getroffenen Feststellungen nicht.“

Also im Grunde genommen ganz einfach: Der Polizeibeamten bestätigt die ggf. in einer Anzeige gemachten Angaben. M.E. macht es sich die Rechtsprechung an der Stelle aber ein wenig zu einfach. Denn offen ist dann immer noch die Frage, ob denn nun der Zeuge nach Vorhalt der Angaben der Anzeige eine eigene Erinnerung hat oder nicht. Es reicht nicht aus, wenn der Polizeibeamte auf seine Anzeige nur „Bezug nimmt“ (so auch das OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Der unerreichbare Zeuge – ist er wirklich unerreichbar?

© Dan Race - Fotolia.com

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In einem BtM-Verfahren stellt der Verteidiger einen Beweisantrag auf Vernehmung einer Zeugin. Die Strafkammer lehnt den Antrag wegen Unerreichbarkeit der Zeugin ab (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Zur Begründung bezieht sie sich auf ein ärztliches Attest betreffend die Zeugin, wonach aktuell eine Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben sei , da die Zeugin dem Verhandlungsverlauf u.a. wegen Konzentrationsprobleme  nicht folgen könne. Dem BGH greift diese Begründung zu kruz und er hebt im BGH, Beschl. v. 07.05.2014 – 2 StR 506/13 – auf:

„3. Das Landgericht, das die Zeugin H. zunächst von Amts wegen hatte vernehmen wollen, darauf aber nach Eingang der ärztlichen Bescheinigungen verzichtet hatte, durfte den Beweisantrag nicht mit der mitgeteilten Begründung zurückweisen. Es hätte sich im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht mit der Frage auseinander setzen müssen, ob nicht zumindest eine kommissarische Vernehmung der Zeugin für eine Sachaufklärung geboten gewesen wäre.

a) Es liegt ein Beweisantrag vor. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts handelte es sich bei den unter Beweis gestellten Umständen (noch) um hinreichend bestimmte Beweistatsachen, nicht lediglich um ein Beweisziel. Dass der Zeuge W. zum Zeitpunkt der Tat (II. 3 der Urteilsgründe) als  Verkäufer von Crystal aufgetreten ist, ist ein der Wahrnehmung der Zeugin H. zugänglicher Umstand, über den sie als damalige Lebensgefährtin des Zeugen Angaben machen kann. Dies gilt ohne Weiteres auch, soweit der An-trag – wie sich im Wege der Auslegung entnehmen lässt – weiter unter Beweis stellt, die Zeugin habe gegenüber dem Zeugen K. angegeben, W. habe Betäubungsmittel verkauft.

b) Die Ablehnung des Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit der Zeugin hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar durfte die Strafkammer aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen davon ausgehen, dass sie für eine zeugenschaftliche Vernehmung in der Hauptverhandlung auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen würde. Mit dieser Feststellung durfte sie sich allerdings mit Blick auf den ergänzenden ärztlichen Hinweis, eine Vernehmung der Zeugin könne im privaten Umfeld oder auf der Polizeistation A. ärztlicherseits verantwortet werden, nicht begnügen. Das Landgericht hätte sich nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine danach grundsätzlich mögliche kommissarische Vernehmung der Zeugin zur Sachaufklärung geeignet und geboten erscheint (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., 2014, § 244, Rn. 65 mwN zur Rspr.). Es hätte eine umfassende Abwägung vornehmen müssen, bei der neben dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme und dem zeitlichen und organisatorischen Aufwand einer solchen Vernehmung insbesondere die Qualität des angebotenen Beweismittels, die Bedeutung des Beweisthemas für das Verfahren sowie die Frage zu berücksichtigen gewesen wäre, ob es erforderlich ist, zu Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin einen persönlichen Eindruck von ihr zu erhalten (vgl. BGH NJW 2010, 2365, 2368; NStZ 2011, 422). Die Strafkammer war sich der Notwendigkeit dieser Überlegungen ersichtlich nicht bewusst und hat deshalb den Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt.“

Unnötiger Anfängerfehler, oder: Warum ein Zeuge schweigt, geht das Gerichts nichts an

© Corgarashu – Fotolia.com

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Sorry, aber manchmal versteht man es wirklich nicht bzw. ist erstaunt, zu welchen Fragen der BGH Stellung nehmen muss. Der ein oder andere Leser des BGH, Beschl. v. 20.03.2014 – 3 StR 353/13 – wird es anders sehen und wahrscheinlich bekomme ich auch Kommentare. Aber ich war jedenfalls mehr als irritiert über die Beweiswürdigung des LG Stralsund, die der BGH als rechtsfehlerhaft beanstandet hat. M.E. ein landgerichtlicher „Anfängerfehler“, den man so nicht erwartet. Die Gründe des BGH, Beschlusses sprechen für sich:

II. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil sich die Beweiswürdigung im Fall II. 2. der Urteilsgründe als rechtsfehlerhaft erweist; dies entzieht dem Schuldspruch in allen abgeurteilten Fällen die Grundlage.

1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von den getroffenen Feststellungen in erster Linie aufgrund der Angaben des Zeugen W. gewonnen. Dieser machte zu allen abgeurteilten Fällen Angaben, die die schweigenden Angeklagten belasteten. Zu Fall II. 2. der Urteilgründe gab er unter anderem an, einem Auftrag des Angeklagten L. entsprechend den Angeklagten B. am Tag der gefährlichen Körperverletzung, dem 6. Juli 2012, von D. nach S. in die Nähe des Tatorts gefahren zu haben. Die den entgegenstehenden Angaben der Eltern des Angeklagten B. , dieser habe sich zur Tat-zeit auf dem elterlichen Grundstück aufgehalten, hat die Kammer als vorsätzliche Falschaussage gewertet. Diesen Schluss hat sie „vor allem“ aus dem langen, von beiden Zeugen nicht plausibel erklärten Schweigen zum Alibi ihres Sohnes gezogen. Es widerspräche jeglicher Lebenserfahrung, dass Eltern einen entlastenden Umstand gegenüber den Strafverfolgungsbehörden verschweigen und ihren Sohn über sechs Monate in Untersuchungshaft verbringen lassen. Auf Frage, warum sie diese Angaben nicht früher gemacht habe, habe die Mutter des Angeklagten B. mit der Gegenfrage geantwortet, warum man sie nicht früher gefragt habe.

2. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Die Eltern eines Angeklagten sind zur Aussage nicht verpflichtet, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der verweigerungsberechtigte Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste (BGH, Beschluss vom 2. April 1968 – 5 StR 153/68, BGHSt 22, 113, 114). Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur anfänglichen Zeugnisverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden (BGH, Urteil vom 18. September 1984 – 4 StR 535/84, NStZ 1985, 87). Letzterem steht es gleich, wenn es ein zur Zeugnisverweigerung Berechtigter zunächst unterlässt, von sich aus Angaben zu machen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 1986 – 4 StR 569/86, NStZ 1987, 182, 183). Einer Würdigung zugänglich ist allein das nur teilweise Schweigen des Zeugen zur Sache (BGH, Urteil vom 2. April 1987 – 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327 ff.).

Ein solches teilweises Schweigen liegt nicht vor. Da sich dies aus den Urteilsgründen selbst ergibt, ist der Fehler auf die Sachrüge hin zu beachten (vgl. zum Schweigen des Angeklagten BGH, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 3 StR 248/96, NStZ 1997, 147; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 30). Die im Urteil mitgeteilte Erklärung der Mutter des Angeklagten B. anlässlich eines Haftprüfungstermins, in dem Betrieb der Eltern sei eine Beschäftigung des Sohnes sichergestellt, sollte ersichtlich der Entkräftigung eines Haftgrundes dienen. Eine Äußerung zu den gegen den Sohn erhobenen Tatvorwürfen lag darin nicht.“

Sollte man als Strafkammer wissen bzw. muss doch nicht sein.

Klassischer Fehler VI: „Tretmine“ – Entlassung des Zeugen ohne den Angeklagten – oder: zweimal geschlampt

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Im Verfahren der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach § 247 StPO schlummern Tretminen, die in der Revision dann explodieren. Und: Es sind m.E. bekannte Tretminen, die man in der Hauptverhandlung an sich ohne große Probleme aus dem Weg räumen können müsste. Warum das nicht passiert, leuchtet mir nicht ein. Denn immer wieder muss der BGH zu dem Klassiker „Entlassung des Zeugen ohne den aus der Hauptverhandlung Angeklagten“ Stellung nehmen. So dann jetzt auch im BGH, Beschl. v. 11.03.2014 – 1 StR 711/13 (vgl. dazu u.a. auch Klassischer Fehler II – klassischer geht es nicht – dem BGH fehlen die Worte? zum BGH, Beschl. v. 05.12.2013 – 2 StR 387/13). 

Da war in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung die Nebenklägerin zweimal als Zeugin vernommen worden. Während der Vernehmungen wurde der Angeklagte jeweils gemäß § 247 StPO aus dem Sitzungssaal entfernt. Auch die Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin erfolgte jeweils in Abwesenheit des Angeklagten. Nach der ersten Vernehmung der Nebenklägerin wurde sie im allseitigen Einverständnis entlassen. Erst dann wurde der Angeklagte wieder in den Sitzungssaal gelassen und vom Vorsitzenden über den Inhalt der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin informiert. Nach der Vernehmung der Mutter der Nebenklägerin wurde die Nebenklägerin erneut vernommen. Auch bei dieser zweiten Vernehmung und der anschließenden Verhandlung über die Entlassung der Zeugin war der Angeklagte nach § 247 StPO ausgeschlossen.

Die Rüge des absoluten Revisionsgrundes gem. § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin hat durchgegriffen. Und wir lesen dazu dann beim BGH – schon wieder:

aa) Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder Satz 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund zu begründen (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Ob ein Verfahrensteil als wesentlich einzuordnen ist, bestimmt sich nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann. Nach dem Zweck des § 247 StPO ist aber die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten grundsätzlich als wesentlich anzusehen. Die das Anwesenheitsrecht und die  Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezwecken auch, dem Angeklagten eine allseitige und uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere durch Vornahme von Verfahrenshandlungen aufgrund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung. Das wird dem Angeklagten durch seinen Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen erschwert, weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen können (BGHSt, aaO). Einer besonderen Darlegung, dass es sich bei der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelt, bedarf es da-her nicht.

bb) Ein Fall, in dem die Verhandlung über die Entlassung einer Zeugin ausnahmsweise nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung angesehen werden könnte, liegt hier auch nicht darin, dass es sich bereits um die zweite Vernehmung der Zeugin handelte.

Auch einer ergänzenden Vernehmung einer Opferzeugin kommt grundsätzlich erhebliche Bedeutung für das Verfahren zu, sodass der Angeklagte auch nach einer solchen stets die Möglichkeit haben muss, ergänzende Fragen oder Anträge zu stellen, die das Verfahren beeinflussen können (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Beim Vorwurf von Sexualstraftaten liegt es sogar nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Vernehmung der Opferzeugin kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende – also den gesamten Anklagevorwurf betreffende – Fragen zu stellen (vgl. zu § 171b GVG: BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06 Rn. 9, in BGHSt 51, 180 nicht abgedruckt). Bei der Vernehmung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es daher auch im Falle einer wiederholten Vernehmung für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO grundsätzlich nicht der Darlegung des wesentlichen Inhalts der Aussage der Zeugin.

Hier kam der Möglichkeit, an die Opferzeugin nach deren zweiter Ver-nehmung ergänzende Fragen stellen zu können, sogar gesteigerte Bedeutung zu. ….“

Ich könnte ja noch verstehen, dass man bei der zweiten Vernehmung „schlampt“, weil man davon ausgeht – „nicht mehr wesentlicher Teil“ -, obwohl auch schon das fraglich ist. Bei der ersten Vernehmung versteht man aber gar nicht, warum der Fehler gemacht wird.