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Mama als Entlastungszeugin, oder: Erstmals in der Hauptverhandlung vernommen?

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Der BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 107/17 – macht noch einmal auf einen (potentiellen) Fehler bei der Beweiswürdigung aufmerksam, der in der Praxis häufiger festzustellen ist. Es geht um eine Verurteilung wegen Vergewaltigung. In der Hauptverhandlung ist die Mutter des Angeklagten als (Entlastungs)Zeugin vernommen worden. Die hat dabei – erstmals – ein „wichtiges Detail“ bekundet. Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung des LG nicht:

„1. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung stößt es auf rechtliche Bedenken, dass die Jugendkammer im Zusammenhang mit der Würdigung der den Angeklagten entlastenden Angaben seiner Mutter, denen die Jugendkammer nicht gefolgt ist, ausgeführt hat, es falle zunächst auf, dass die Mutter des Angeklagten diese Angaben erstmals bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung gemacht habe, während es nahe gelegen hätte, das betreffende „wichtige Detail, wenn es denn der Wahrheit entsprechen würde“, bereits im Ermittlungsverfahren ungefragt bei der Polizei anzugeben. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass das Landgericht gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz verstoßen hat, wonach die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen bzw. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich erst in der Hauptverhandlung in einer den Angeklagten entlastenden Weise eingelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 298/15, NStZ 2016, 301 mwN).“

Allerdings:

„Dies gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, weil nicht feststeht, dass der Rechtsfehler tatsächlich vorliegt. Denn den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die Mutter des Angeklagten im Ermittlungsverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, und eine diesbezügliche Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden. Den Entscheidungsgründen zufolge ist es vielmehr möglich, dass die Mutter des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt und lediglich das den Angeklagten entlastende „wichtige Detail“ erstmals in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat; in diesem Fall ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, ihr Aussageverhalten bei der Beweiswürdigung zu Ungunsten des Angeklagten zu werten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. April 1987 – 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327 ff.).“

Der erregte Zeuge, oder: Der Staatsanwalt hat hier gar nichts zu sagen

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Ich eröffne die Woche dann mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.05.2017 – 1 Ws 245/17. Das ist die Sache mit dem „erregten Zeugen“. Über den Beschluss haben auf der Grundlage der PM des OLG ja auch schon einige andere Blogs berichtet, ich habe mir dann erst mal den Volltext besorgt. Ist mir immer lieber als (nur) die Pressemitteilungen der Gerichte 🙂 .

Nach dem Sachverhalt des OLG-Beschlusses muss es etwas hitziger zugegangen sein in der Hauptverhandlung des Amtsgericht, als der Zeuge vernommen wurde. Der Zeuge wird vernommen, am Ende seiner Aussage will er noch etwas sagen, was die Richterin aber „unterbinden“ will. Dann:

„Als sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft äußern wollte, wurde der Zeuge W……. laut und aggressiv und erwiderte, er hätte sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen.“

Aus der Äußerung wird dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 €, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft. Nach Erlass des Ordnungsbeschlusses verlässt der Zeuge „wütend und abrupt den Sitzungssaal mit einem lauten Türknallen“. Gegen den Ordnungsgeldbeschluss des AG dann die Beschwerde des Zeuge, die beim OLG keinen Erfolg hat.

„Die Erklärung des Beschwerdeführers ist als Beschwerde im Sinne von § 181 GVG auszulegen und als solche zulässig, aber unbegründet.

Zwar ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer vor der Beschlussfassung rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Absehen von einer vorherigen Anhörung des Betroffenen ist aber ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Ungebühr und der Ungebührwille völlig außer Frage stehen und die Anhörung nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit gäbe (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 178 GVG Rn. 14).

So ist es hier. Der Beschwerdeführer hat den protokollierten Geschehensablauf in seinem Schreiben vom 16. März 2017 bestätigt. Der im Protokoll weiter angeführte Erregungszustand des Beschwerdeführers („laut und aggressiv“)  barg die Gefahr, dass dieser bei einer Gelegenheit zur Äußerung vor Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses erneut die Würde des Gerichts oder des Vertreters der Staatsanwaltschaft angreifen könnte.

Diese Einschätzung lässt sich zudem auf das Folgegeschehen stützen, als der Beschwerdeführer ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nach Verkündung des Ordnungsgeldbeschlusses „wütend und abrupt den Sitzungssaal mit einem lauten Türknallen“ verließ.

Auch inhaltlich ist der Beschluss nicht zu beanstanden.

Nach § 178 GVG kann gegen Zeugen, die sich in der Sitzung der Ungebühr schuldig machen, ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden.

Hierbei ist nach § 182 GVG bei einem Ordnungsmittel wegen Ungebühr sowohl der darüber gefasste Beschluss mitsamt Begründung und auch dessen Veranlassung in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen, um so dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und umfassendes Bild des Vorgangs zu vermitteln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 182 GVG Rn. 1).

Zwar enthält das Hauptverhandlungsprotokoll vom 16. März 2017 keine ausdrückliche Begründung des Ordnungsgeldbeschlusses. Das Fehlen einer solchen Begründung ist aber ausnahmsweise dann unschädlich, wenn aufgrund des Protokollvermerks über die Veranlassung des Beschlusses davon auszugehen ist, dass die Gründe hierfür auch für den Beschwerdeführer außer Zweifel standen und der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Beschlusses ermöglicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 183 GVG Rn. 4).

So liegt es hier. Im Protokoll ist vermerkt, dass der Beschwerdeführer, als der Vertreter der Staatsanwaltschaft sich äußern wollte, laut und aggressiv erwiderte, er – der Staatsanwalt – hätte sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen.

Dieses Verhalten stellt eine Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG dar. Danach ist Ungebühr ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 178 GVG Rn. 2).

Selbst wenn der Beschwerdeführer sich aufgrund des Gegenstands der Verhandlung und seiner Vernehmung in einem Zustand emotionaler Erregung befunden haben sollte, ist es für ein Gericht nicht hinnehmbar, wenn ein Zeuge in aggressiver Weise versucht, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu maßregeln.

So obliegt die Verhandlungsleitung gemäß § 238 Abs. 1 StPO ausschließlich dem oder der Vorsitzenden. Die Äußerung des Beschwerdeführers in Richtung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, er habe sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen, zielt darauf ab, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft sein Fragerecht abzuschneiden. Insbesondere den Zeitpunkt der Ausübung des Fragerechts gemäß § 240 Abs. 2 StPO bestimmt aber der oder die Vorsitzende (vgl. Meyer-Goßner/Meyer-Goßner, aaO., § 240 StPO Rn. 6). Dem Beschwerdeführer als Zeugen steht dies hingegen nicht zu.

Selbst der in zeitlicher Hinsicht früher einsetzende vom Beschwerdeführer geschilderte Geschehensablauf rechtfertigt ein Ordnungsmittel wegen Ungebühr. Danach habe er am Ende seiner Zeugenaussage noch zwei Sätze sagen wollen, was die Vorsitzende versucht habe zu unterbinden. Als der Staatsanwalt sich  eingemischt habe, habe er diesem erwidert, er solle ruhig sein, er – der Staatsanwalt – sei von der Richterin nicht zum Sprechen aufgefordert worden.

Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Vorsitzende dem Beschwerdeführer zumindest schlüssig das Wort entzogen hatte, weshalb dieser zu weiteren Ausführungen nicht berechtigt gewesen ist. Schon ein Weitersprechen seinerseits stellte eine Missachtung der richterlichen Verhandlungsleitung dar. Hingegen war das Zulassen der Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft als zumindest schlüssige Anordnung zu verstehen, dem Sitzungsvertreter das Wort zu erteilen. Die an den Staatsanwalt gerichtete maßregelnde Erwiderung des Beschwerdeführers stellte insofern zugleich eine Missachtung des Gerichts dar.

Die Höhe des gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Ordnungsgeldes und die Dauer der ersatzweise festgesetzten Ordnungshaft, denen der Beschwerdeführer nicht näher entgegengetreten ist, sind nicht zu beanstanden.“

Nun ja. Ob das AG da nun gleich mit einem Ordnungsbeschluss reagieren musste. Gut, wir kennen die genauen Umstände nicht, aber vielleicht hätte man ja auch erst mal „deeskalieren“ können. Und das OLG arbeitet mir mit ein bisschen viel „schlüssig“. „Schlüssig“ das Wort entzogen, „schlüssig“ das Wort erteilt. Und wenn ich Richter gewesen wäre, hätte ich durch die mitgeteilte Äußerung des Zeugen meine „Würde des Gerichts“ nicht angegriffen gefühlt.

Lachen während der Hauptverhandlung – das kostet dann ggf. 150 EUR, oder: Teures Lachen

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Vor einiger Zeit ist in einigen anderen Blogs schon über den OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.02.2017 – 1 Ws 50/17 – berichtet worden, allerdings nur auf der Grundlage der dazu vom OLG herausgegebenen PM. Mir reicht(e) das – i.d.R. – nicht aus und daher habe ich den Volltext beim OLG angefordert. Und der ist dann in der vergangenen Woche eingegangen.

Es geht um die Verhängung eines Ordungsgeldes gegen eine Zeugin. Die war nach ihrer Vernehmung noch als Zuschauerin im Gerichtssaal geblieben. Als der nächste Zeuge an der Reihe war, kommentierte die Zeugin dessen Aussage durch mehrfaches Lachen und Zurufe, wie „Das stimmt nicht!“. Zwei Ermahnungen durch die Amtsrichterin halfen nichts. Die Frau lachte ein weiteres Mal. Hierfür verhängte die Richterin dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR ersatzweise drei Tage Ordnungshaft. Die Zeugin ist mit ihrer Beschwerder beim OLG gescheitert;

„Auch inhaltlich ist die Entscheidung nicht zu beanstanden.

Gemäß § 178 GVG kann u.a. gegen Zeugen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Ungebühr ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 178 GVG Rn. 2). Nach dem Protokoll der Hauptverhandlung hatte die zuvor als Zeugin vernommene und nun als Zuhörerin anwesende Beschwerdeführerin, nachdem sie zuvor zwei Mal ermahnt worden war, Zurufe und Lachen zu unterlassen, erneut gelacht. Das Protokoll ist von der Protokollführerin und der Vorsitzenden unterschrieben worden, so dass kein Anlass zu Zweifeln daran besteht, dass der Sachverhalt sich so zugetragen hat.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die den Sachverhalt davon teilweise abweichend dargestellt hat, folgt der Senat deshalb nicht.

Ein derartiges Verhalten stellt eine Ungebühr gegenüber dem Gericht dar. Auch wenn die Beschwerdeführerin aufgrund der Prozesssituation möglicherweise einer emotionalen Belastung ausgesetzt war, so war es für das Gericht nicht hinnehmbar, dass der ordnungsgemäße Ablauf der Verhandlung seitens der Beschwerdeführerin durch Zurufe, wie etwa „Das stimmt nicht!“ und Lachen fortwährend gestört wurde, zumal nicht auszuschließen war, dass diese Störungen das Aussageverhalten des Zeugen beeinflussen. Die Vernehmung von Zeugen in einem Gerichtsverfahren erfolgt ausschließlich durch den Gerichtsvorsitzenden und anschließend durch Befragung durch weitere Prozessbeteiligte und keineswegs durch Zurufe oder anderweitige Unmutsäußerungen aus dem Zuhörerraum, mögen sie auch aus deren subjektiver Sicht ein berechtigtes Anliegen verfolgen.

Auch stellt sich die Verhängung des Ordnungsgeldes als angemessene Reaktion auf das Verhalten der Beschwerdeführerin dar. Bei einer einmaligen Entgleisung hätte ein Ordnungsmittel nach § 178 GVG möglicherweise noch entbehrlich sein können. Da sich die Beschwerdeführerin jedoch trotz mehrfacher Ermahnungen nicht von weiteren Störungen abhalten ließ, verblieb als letztes Mittel die Verhängung eines Ordnungsmittels, das auch in der festgesetzten Höhe angemessen erscheint.“

Vorschnell, oder: Ist der nicht erschienene Zeuge wirklich unerreichbar?

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Ein wenig früh/vorschnell hatte in einem beim LG Aachen anhängigen Verfahren mit dem Vorwurf der besonders schweren räuberischen Erpressung die Strafkammer die Flinte in Korn geworfen, als es ihr trotz aller Bemühungen um die Ladung eines Zeugen nicht gelungen ist, den in die Hauptverhandlung zu bekommen und den vermeintlich einfacheren Weg über die Ablehnung des entsprechenden Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit gegangen. Das Verfahrensgeschehen war wie folgt:

In der Hauptverhandlung vom 07.04.2015 stellte der Verteidiger des Angeklagten G. einen Beweisantrag, der sich aus einer Vielzahl von unter Beweis gestellten Behauptungen zusammensetzte und unmittelbar auf das Tatgeschehen auf einem Parkplatz bezog, auf dem sich neben dem Angeklagten „mehrere andere Personen“, die nur teilweise mit vollständigem Namen bekannt seien, aufhielten. Im Beweisantrag selbst war zunächst nur ein Zeuge namentlich aufgeführt. Später wurden drei weitere als Zeugen in Betracht kommende Personen benannt, darunter ein „M. “ (Nachname nicht bekannt), H. straße, E., genannt „P.“. Der Vorsitzende erklärte nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, dass die zum Beweisantrag genannten Zeugen zum nächsten Hauptverhandlungstermin geladen würden. Am darauf folgenden Hauptverhandlungstag, dem 10.04.2015, wurden – mit Ausnahme des „M. “ – die als Zeugen im Beweisantrag aufgeführten Personen in der Hauptverhandlung vernommen. Der noch am 08.04.2015 geladene Zeuge M. D. , der der „P. “ sein solle, erschien nicht. Es gelang in der Folgezeit nicht, diesen Zeugen zu laden. Auch eine Einwohnermeldeamtsanfrage bzgl. „M. B., E., alternative Schreibweisen M. B., M. B., M. B. “ bzw. „M. D. “ blieb erfolglos. Es gelang auch nicht den Zeugen unter anderen Anschriften zu laden. Ein als Zeuge geladener M.D. erschien nicht in der Hauptverhandlung. Die Strafkammer hat dann den auf den Zeugen „M. “ bezogenen Beweisantrag zurückgewiesen. Dieser sei unerreichbar.

Das BGH, Urt. v. 02.11.2016 – 2 StR 556/15 – hebt das landgerichtliche Urteil mit einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren auf. Begründung: Vorschnelle Ablehnung des Beweisantrages. Dazu:

  • Der BGH bejaht (zunächst) das Vorliegen eines Beweisantrages. Der als Zeuge benannte „M. “ sei durch die Angabe der genauen ladungsfähigen Anschrift, unter der nur eine Person mit diesem Vornamen gemeldet war, sowie durch die Angabe des Spitznamens hinreichend individualisiert. Es fehle auch nicht an der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel. Nach dem Inhalt des Beweisantrags seien als Zeugen für den unter Beweis gestellten Sachverhalt ersichtlich jeweils nur Personen benannt, die vor Ort anwesend gewesen seien und das Geschehen insgesamt beobachtet haben sollten. Es liege angesichts dessen auf der Hand, dass sie und damit auch der Zeuge „M. “ zu den unter Beweis gestellten Tatsachen Angaben machen können.
  • Nach Auffassung des BGH hat das LG den Beweisantrag nicht mit der gegebenen Begründung zurückweisen dürfen. Der Zeuge „M. “ sei nicht unerreichbar gewesen. Unerreichbar sei ein Zeuge, wenn alle Bemühungen des Gerichts, die der Bedeutung und dem Wert des Beweismittels entsprechen, zu dessen Beibringung erfolglos geblieben sind und keine begründete Aussicht besteht, es in absehbarer Zeit herbeizuschaffen. Und an der Stelle nimmt der BGH das LG in die (weitere) Pflicht und verlangt weitere Anstrengungen des LG, die nach seiner Auffassung auch nicht von vornherein aussichtslos gewesen wären. Der Zeuge habe offensichtlich in der Wohnung gelebt, ohne dass es einen Anhalt für ein mögliches Verschwinden gegeben hätte. Versuche der Polizei, ihn vor Ort aufzusuchen, ggf. eine weitere Vorführungsanordnung oder die Androhung von Maßnahmen zur Erzwingung des Zeugnisses wären nicht von vornherein vergebliche Schritte gewesen, die beantragte Beweiserhebung in einer überschaubaren Zeitspanne zu ermöglichen. Der voreilige Verzicht hierauf lasse – so der BGH – besorgen, dass das LG die Bedeutung des Beweismittels, die der BGH, da es sich um einen unmittelbaren Tatzeugen gehandelt haben soll, unzutreffend eingeschätzt und damit vorschnell vom Vorliegen von Unerreichbarkeit ausgegangen sei.

Dolmetscher/Sachverständiger im Ermittlungsverfahren – Zeuge im Strafprozess, oder: Das geht…-,

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Folgender Sachverhalt lag dem BGH, Beschl. v. 20.01.2016 – 4 StR 376/15 – zugrunde: In einem BtM-Verfahren werden im Ermittlungsverfahren zwei Dolmetscher beschäftigt. und zwar als Sachverständige. In der Hauptverhandlung werden sie dann „nur“ als Zeugen vernommen. Das wird mit der Verfahrensrüge geltend gemacht. Der BGH sagt dazu geht und im Übrigen Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet:

„Entgegen der Auffassung der Revisionen ist die Strafkammer durch den Umstand, dass die beiden Übersetzer im Ermittlungsverfahren bei der Übertragung aufgezeichneter Telefongespräche in die deutsche Sprache als Sachverständige tätig waren, nicht gehindert gewesen, sie in der Hauptverhandlung ausschließlich als Zeugen zum Gegenstand ihrer sinnlichen Wahrnehmung zu vernehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, NJW 2003, 150, 151; Trück in MüKo-StPO, § 85 Rn. 15; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. Mai 1965 – 2 StR 92/65, BGHSt 20, 222, 223 f.; Beschlüsse vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44; vom 18. März 2010 – 3 StR 426/09, NStZ-RR 2010, 210 [Ls]).Die Rüge, mit welcher der Angeklagte P. beanstandet, dass die beiden Übersetzer vor ihrer zweiten Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung auf Veranlassung des Gerichts einzelne Telefongespräche erneut anhörten, ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dabei kann dahinstehen, ob der pauschale Verweis der Revision auf eine Vorgabe „des Gerichts“ den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, weil sich aus den Urteilsgründen, die der Senat aufgrund der gleichfalls erhobenen Sachrüge zur Kenntnis nimmt, ergibt, dass die Aufforderung zum erneuten Abhören einiger Telefongespräche durch den Vorsitzenden der Strafkammer am 16. Hauptverhandlungstag erfolgte. Die Rüge ist aber unzulässig, weil dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer die Aufforderung des Vorsitzenden, bei der es sich um eine auf die Sachleitung bezogene Anordnung handelte (vgl. Schneider in KK-StPO, 7. Aufl., § 238 Rn. 11), nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat. …

Interessant auch das, was der BGH offen gelassen hat:

„Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob die Grundsätze, die für die Vorbereitung von Zeugenvernehmungen zu in amtlicher Eigenschaft gemachten Wahrnehmungen gelten (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 1950 – 2 StR 50/50, BGHSt 1, 4, 8; vom 11. November 1952 – 1 StR 465/52, BGHSt 3, 281, 283; vom 21. März 2012 – 1 StR 43/12, NStZ 2012, 521, 522 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 69 Rn. 8; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 69 Rn. 9; Franke in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl., § 69 Rn. 4), auf von der Polizei im Ermittlungsverfahren hinzugezogene sachverständige Hilfspersonen übertragen werden können.“