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Verfahrensverzögerung durch Rechtsmittel, ok, beim Fahrverbot zählt das aber nicht…

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Der Kollege, der in dem dem AG Schwerte, Urt. v. 05.06.2014 – 10 Owi 573 Js 42/13 – verteidigt hat, hat mir das AG-Urteil mit der Anmerkung übersandt, dass er Rechtsbeschwerde eingelegt hat, weil anch seiner Auffassung 1 1/2 Jahre nach dem Verkehrsverstoß ein Fahrverbot nicht mehr erforderlich sei. Nun, darum kann man angesichts der Gesamtumstände streiten. Ich neige eher dazu, dass derzeit wohl von einem Fahrverbot nicht abzusehen ist – Vorsatz, Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung. Unzutreffend sind m.E. aber die Ausführungen des AG betreffend die Frage „auf welchen Umständen beruht der lange Zeitablauf?“. Da führt das AG aus:

Vorliegend hält das Gericht die Anordnung des Fahrverbots trotz der langen Verfahrensdauer aus erzieherischen Gründen für geboten.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auf welchen Umständen, die lange Verfahrensdauer beruht. Zwar waren Terminsverlegungen z.T. auch durch Verhinderung von Zeugen notwendig, Verzögerungen sind aber schließlich auch durch die Einlegung des Rechtsmittels eingetreten. Zwar muss es dem Betroffenen unbenommen bleiben, sich aller zu seiner Verteidigung für notwendig erachteten zulässigen prozessualen Mittel zu bedienen, andererseits würde es aber dem Zweck der BKatV zuwiderlaufen, wenn ein Betroffener durch sein Prozessverhalten die vom Verordnungsgeber bei bestimmten schwerwiegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten für notwendig erachtete Nebenfolge des Fahrverbots dadurch unterlaufen könnte, dass er gezielt zu einer möglichst späten Entscheidung über seinen Einspruch beiträgt, um sich sodann darauf zu berufen, das Fahrverbot sei infolge lange zurückliegender Tat nicht mehr gerechtfertigt (OLG Köln NZV 2000, 217).

Die Auffassung des AG zur Berücksichtigung von „Zeitverlust“, der durch Rechtsmittel eingetreten ist, entspricht m.E. nicht der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 933). Jedenfalls muss man m.E. die Zeit, die durch Einlegung von Rechtsmittel – verfassungsmäßiges Recht des Betroffenen – verloren gegangen ist berücksichtigen (so auch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 25.08.2011 – 1 SsBs 24/11). Entscheiden wird das OLG die Frage aber im Zweifel nicht, sondern sich auf die anderen Umstände zurückziehen. Aber vielleicht überrascht es uns ja auch und es gibt ein „obiter dictum“.

Fahrtenbuch 18 Monate nach der Tat, aber: Was habe ich mit Personalmangel bei der Behörde zu tun?eht das?

Der Kläger in dem dem OVG Niedersachsen, Urt. v. 23.01.2014 – 12 LB 19/13 – zugrunde liegenden Verfahren ist Halter eine Motorrads, mit dem am 21.07.2009 eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden ist. Das gegen den Kläger eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren wird am 19.10. 2009 eingestellt. Nach Anhörung erteilt die Verwaltungsbehörden dem Kläger dann (erst)  mit Bescheid vom 04.04.2011 die Auflage, ein Fahrtenbuch für die Dauer von 18 Monaten zu führen.

Die Frage, die der Kläger dann beim OVG Niedersachsen u.a. zum Spruch stellt: Geht das noch oder ist das nicht zu spät? Das OVG sagt: Geht noch:

Anders als der Kläger meint, hat der zwischen dem Verkehrsverstoß und der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum nicht die Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchauflage zur Folge. Zwar ist denkbar, dass für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286) und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Ablauf eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen ist. Welche Fristen hierfür in Erwägung zu ziehen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten. Dabei sind etwa die Dauer der notwendigen Ermittlungen, die Geschäftsbelastung der betroffenen Behörde und das Verhalten des Fahrzeughalters zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286, […] Rdn. 3). Da bei der Berechnung des Zeitraums diejenigen Zeiten außer Acht bleiben, in denen der Fahrzeughalter etwa die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpft und dadurch selbst Anlass zu einer Verzögerung des Erlasses der Fahrtenbuchauflage bietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1995 – 11 C 3.94 -, NZV 1995, 370, […] Rdn. 9; Beschl. v. 12.7.1995 – 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402, […] Rdn. 3; Beschl. d. Sen. v. 14.1.2013 – 12 LA 299/11 -, m.w.N.), ist entgegen der Annahme des Klägers hier maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzustellen. Die zwischen der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens (19. Oktober 2009) und Erlass des angefochtenen Bescheids (4. April 2011) verstrichene Zeit von knapp 18 Monaten, kann (noch) nicht als derart erheblich angesehen werden, dass sich schon deswegen die erlassene Fahrtenbuchauflage als unverhältnismäßig darstellte (vgl. etwa Beschl. d. Sen. v. 14.1.2013 – 12 LA 299/11 -, der ebenfalls einen Zeitraum von ca. 18 Monaten zwischen Verfahrenseinstellung und Fahrtenbuchauflage betraf; Beschl. v. 23.8.2013 -12 LA 156/12 – gut 16 Monate). Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrtenbuchanordnung zwischenzeitlich funktionslos geworden sein oder eine Verwirkung vorliegen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auf die Frage, ob ein Organisationsverschulden vorliegt, kommt es nicht weiter an. Unabhängig davon dürfte ein solches auch nicht festzustellen sein. Der Senat sieht keinen Anlass an der Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu der besonderen personellen Situation in seiner Straßenverkehrsbehörde in 2010 und 2011 zu zweifeln, die zu einer atypischen Geschäftsbelastung des einzig verbliebenen Sachbearbeiters geführt hat. In einer solchen Lage kann es für eine gewisse Übergangszeit hinnehmbar sein, dass es zu längeren Zeiträumen zwischen dem Verkehrsverstoß bzw. der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens und dem Ergehen der Fahrtenbuchauflage kommt. In dieser Übergangszeit wird – entgegen der Annahme des Klägers – regelmäßig nicht von einem beachtlichen behördlichen Organisationsverschulden auszugehen sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Fahrtenbuchangelegenheiten nicht um fristgebundene Sachen handelt, die von vornherein besondere organisatorische Vorkehrungen bedingen. Auf die Frage der Ausgestaltung der Vertretung kommt es dabei ebenfalls nicht an.

Na ja, ist mir ein wenig lang. Kann doch nicht das Problem des Klägers sein, wenn die Straßenverkehrsbehörde nicht genug Leute hat.

Fahrtenbuchauflage: Wann wird sie unverhältnismäßig?

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Gegen einen Kraftfahrzeughalter wird eine Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) festgesetzt: Grund: Mit seinem Pkw wurde ein Geschwindigkeitsverstoß – innerhalb geschlossener Ortschaft mehr als 25 km/h über den zulässigen 50 km/h – begangen, der Fahrzeugführer konnte nicht ermittelt werden. Dagegen klagte der Kraftfahrzeughalter, hatte damit aber weder beim VG noch beim OVG Erfolg. Der Halter hatte geltend gemacht, dass zwischen dem Verkehrsverstoß bzw. der Einstellung des Bußgeldverfahrens und dem angefochtenen Bescheid mehr als 15 Monate verstrichen seien, deshalb sei die Fahrtenbuchanordnung nicht mehr zulässig gewesen.

Dazu der OVG Niedersachsen, Beschl. v. 23.08.2013 – 12 LA 156/12:

Dieser Vortrag verhilft dem Antrag nicht zum Erfolg. Zwar trifft der Einwand des Klägers zu, dass die vom Verwaltungsgericht genannten Entscheidungen des Senats (Urt. v. 13.9.1993 – 12 L 7041/91 – und v. 12.6.1995 – 12 L 3139/95 -) vorliegend nicht einschlägig sind. In den Fällen, in denen wegen der Erhebung der Klage gegen den Bescheid und ggf. des anschließenden Rechtsmittelverfahrens ein erheblicher Zeitraum seit Tatbegehung bis zur endgültigen Entscheidung verstreicht, wird die weiter bestehende Verhältnismäßigkeit nämlich insbesondere damit begründet, dass es anderenfalls der Kläger in der Hand hätte, allein durch das Ausschöpfen von Rechtsmitteln die streitige Anordnung zu Fall zu bringen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.7.1995 – 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402 für einen Zeitraum von fast 3 1/2 Jahren zwischen Verkehrsverstoß und Berufungsverhandlung). Dagegen ist denkbar, dass für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit/Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286) und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Vergehen eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen ist. Dieses ist aber vorliegend, da zwischen der Begehung des mit einem Punkt zu wertenden Verkehrsverstoßes (6. August 2009) und dem angefochtenen Bescheid (16. März 2011) gut 19 Monate und zwischen der Einstellung des Bußgeldverfahrens (5. November 2009) und der Fahrtenbuchanordnung gut 16 Monate liegen, (noch) nicht der Fall. Der zeitliche Abstand hält sich vielmehr im Rahmen dessen, was der Senat in vergleichbaren Konstellationen als (noch) verhältnismäßig angesehen hat (zu einem Zeitraum v. 18. Monaten vgl. Beschl. v. 23.7.2013 – 12 LA 154/12 -; v. 16 Monaten: Beschl. d. Sen. v. 26.4.2013 – 12 LA 267/12 -, v. 31.1.2013 – 12 LA 149 /12 – und v. 6.2.2012 – 12 LA 74/11 -; v. 15 Monaten: Beschl. d. Sen. v. 12.8.2013 – 12 LA 253/12 -; v. 13.11.12 – 12 LA 22/12 – und v. 21.3.2012 – 12 LA 71/11 -). Der Umstand, dass es innerhalb dieses Zeitraums offenbar nicht zu einem weiteren vergleichbaren Vorfall gekommen ist, erlaubt nicht die Annahme, das Führen des Fahrtenbuchs sei funktionslos (geworden). Hier sind keine Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Vor dem Hintergrund, dass – wie dargelegt – ab einem gewissen Zeitraum die Auferlegung eines Fahrtenbuchs tatsächlich unverhältnismäßig sein kann, ist es auch nicht willkürlich, dass sich der Beklagte – wie der Kläger geltend macht – offenbar entschieden hat, Vorfälle aus dem Jahr 2008 im Jahr 2011 nicht mehr zu verfolgen.

Auch eine Verwirkung mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz kommt vorliegend nicht in Betracht. Der bloße Zeitablauf vermag eine Verwirkung nicht zu begründen. Vielmehr muss neben das Zeitmoment ein schutzwürdiges Vertrauen begründendes Umstandsmoment treten. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte aber kein Verhalten gezeigt, aus dem der Kläger den Schluss ziehen konnte, es solle von einer Fahrtenbuchauflage abgesehen werden.“

Also: Ja, der Zeitablauf kann Auswirkungen auf die Fahrtenbuchauflage habe, aber erst nach einem erheblichen Zeitraum….und das sind mehr als 19 Monate. Ich habe das jetzt nicht näher geprüft: Aber nach zwei Jahren dürfte – wie beim Fahrverbot – Schluss sein.

Fahrverbot – Absehen nach einem Zeitablauf von zwei Jahren, nur wann?

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Das von einem Regelfahrverbot nach einem längeren Zeitablauf nach der Tat abgesehen werden kann, ist h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Man ist sich auch einig, dass es dabei um einen Zeitablauf von zwei Jahren handeln muss. Nur: wie berechnet sich der Zeitraum: Müssen es zwei Jahre zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung sein oder isz bei einer Entscheidung des OLG die Zeit des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit ein zu beziehen? Der OLG Celle, Beschl.  v. 18.07.2012 –  311 SsBs 82/12 – geht von der ersten – für den Betroffenen ungünstigeren – Variante aus (ebenso wie auch schon das OLG Oldenburg im Beschluss vom 03. 08.2011 – 2 SsBs 172/11. Andere OLG haben das in Vergangenheit auch anders gesehen. Vielleicht legt ja mal ein OLG beim BGH vor.

 

Entziehung der Fahrerlaubnis – nicht mehr über 2 Jahre nach der Tat

Vor kurzem haben wir erst über den Beschl. des LG Kleve v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 berichtet, mit dem das LG Kleve einen § 111a-Beschluss, der sieben Monate nach der Tat ergangen war, „gehalten“ hat. Jetzt übersendet mir ein Kollege vom KG den Beschl. des KG v. 01.04.2011 -3 Ws 153/11, in dem das KG eine grundsätzlich ähnliche Konstellation zu entscheiden hatte, allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Hier lag die Tat nämlich bereits über zwei Jahre zurück. Zu der beantragten Entziehung sagt das KG.

„Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO unterliegt als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebots. Sie ist daher nicht mehr rechtlich vertretbar, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliegt, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft gestellt wird und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere fünf Monate vergehen lässt.“