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beA I: Dokument zunächst (nur) im Dateiformat JPG, oder: Nachreichung im PDF-Format heilt

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Und heute geht es dann in die 50 KW., und zwar mit zwei Entscheidungen zum beA.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 05.10.2023 – 3 StR 227/23. Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger Revision gegen seine Verurteilung eingelegt. Er hat dann, weil er der Auffassung was, dass seine Revisionsbegründung nicht fristgemäß eingegangen war, Wiedereinsetzung beantragt. Der BGh hat den Antrag als unzulässig verworfen:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 Satz 1 StPO) ist unzulässig, weil die Revisionsbegründungsfrist gewahrt ist und sich der Antrag mithin auf eine unmögliche Rechtsfolge richtet (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. März 2019 – 2 StR 511/18, BGHR StPO § 341 Frist 2 Rn. 2; vom 14. Juli 2021 – 3 StR 185/21, NStZ-RR 2021, 344, jeweils mwN).

a) Die Revisionsbegründung ist jedenfalls im Ergebnis rechtzeitig formwirksam gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2, § 32d Satz 2, § 32a StPO bei Gericht eingegangen. Dafür ist hier letztlich nicht entscheidend, ob das zunächst im Dateiformat JPG eingereichte Dokument die Anforderungen an eine Eignung zur Bearbeitung im Sinne von § 32a Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO, § 2 Abs. 1 ERVV erfüllt (vgl. BT-Drucks. 19/28399, S. 33; BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2022 – 3 StR 89/22, wistra 2023, 389 Rn. 4; vom 8. September 2022 – 3 StR 251/22, NStZ 2023, 54 Rn. 10; vom 9. August 2022 – 6 StR 268/22, NJW 2022, 3588 Rn. 6; vom 19. Oktober 2022 – 1 StR 262/22, NStZ-RR 2023, 22; BAG, Urteil vom 25. August 2022 – 6 AZR 499/21, NJW 2023, 623 Rn. 44 f.; Beschluss vom 29. Juni 2023 – 3 AZB 3/23, NJW 2023, 2445 Rn. 11 ff.; Meyer-Goßner/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 32a Rn. 3 mwN). Selbst wenn die Revisionsbegründung zunächst nicht formwirksam eingereicht worden ist, gilt sie nach § 32a Abs. 6 Satz 2 StPO als zu diesem Zeitpunkt wirksam eingegangen (s. BT-Drucks. 18/9416, S. 47 f.); denn der Verteidiger hat auf einen Hinweis des Landgerichts hin direkt die Revisionsbegründung erneut, nunmehr im Dateiformat PDF, eingereicht und mitgeteilt, dass sie inhaltlich identisch mit der bereits übersandten sei.

b) Im Übrigen besteht kein Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, soweit zur Begründung einer Verfahrensrüge ein Gerichtsbeschluss nachgereicht werden soll, auf dessen Fehlen der Generalbundesanwalt im Rahmen seiner Antragsschrift aufmerksam gemacht hat. Die Frist zur Revisionsbegründung als solche ist nicht versäumt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt, wenn die Revision sonst form- und fristgemäß begründet worden ist, grundsätzlich nicht in Betracht. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient nicht zur Heilung von Zulässigkeitsmängeln bei Verfahrensrügen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21, juris Rn. 15; vom 11. April 2019 – 1 StR 91/18, NStZ 2019, 625 Rn. 4 mwN; s. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1995 – 2 BvR 1899/95, NJW 1996, 512, 513). Ein derartiger Ausnahmefall ist nicht gegeben.“

StPO II: Vortrag bei Abhandenkommen der Sendung, oder: Eigene eidesstattliche Versicherung reicht nicht

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Zu dem vorhin vorgestellten BGH, Beschl. v. 26.09.2023 – 5 StR 350/23 – passt dann ganz gut der OLG Hamm, Beschl. v. 26.09.2023 – 3 Ws 325/23.  Auch in ihm geht es um Wiedereinsetzung. Der Antrag ist als unzulässig verworfen worden.

Dem Verurteilten wurde ein Beschluss ausweislich der Zustellungsurkunde am 28.07.2023 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 21.08.2023 per beA, eingegangen beim LG am selben Tag, sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und zugleich beantragt, dem Verurteilten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dieser habe erst mit Schreiben der Bewährungshilfe vom 16.08.2023 Kenntnis von dem Beschluss erlangt.

Das OLG hat die Beschwerde verworfen

„1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO, § 56f Abs. 1 StGB statthaft, aber nicht innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO ab Zustellung nach § 35 Abs. 2 StPO eingelegt worden und damit bereits unzulässig. Grundsätzlich begründet die Zustellungsurkunde nach § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis, dass der Postzusteller den Brief am 28. Juli 2023 beim Verurteilten in den Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingeworfen hat, sodass die sofortige Beschwerde verspätet beim Landgericht Bielefeld eingegangen ist.

2. Auch ist dem Verurteilten auf seinen Antrag keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sein Antrag ist unzulässig. Denn es werden keine konkreten Tatsachen behauptet und glaubhaft gemacht, die den Schluss zulassen, dass der Beschluss – entgegen den Angaben in der Postzustellungsurkunde – nicht oder nicht wirksam zugestellt wurde.

Ein Zustellungsempfänger, der ein Schriftstück nicht erhalten haben will, muss in aller Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich ergeben kann, dass aufgrund der konkreten Umstände ein Abhandenkommen der Sendung ohne Verschulden des Verurteilten möglich erscheint (OLG Hamm, Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 Ss 425/09 -, juris Rn. 8 m.w.N.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Januar 2010 – 3 Ws 21/10 -, juris Rn. 13). Der Verurteilte hat hier lediglich zusammengefasst ausgeführt, er habe bis zum 16. August 2023 keine Kenntnis vom dem Beschluss erhalten. Diesen habe er nicht in seinem Briefkasten vorgefunden. Unter der Zustelladresse befänden sich mehrere Briefkästen, die von außen zugänglich seien. Sein Briefkasten sei ordnungsgemäß beschriftet. In der Wohnung herrsche allerdings ein reger Durchlauf an Mietern. Es sei auch schon zu Diebstählen von Post und insbesondere Paketen gekommen. Damit werden allerdings keine konkreten Tatsachen behauptet und glaubhaft gemacht – zum Beispiel durch eidesstattliche Versicherung anderer Mieter -, die es ausnahmsweise zum Beispiel als denkbar erscheinen lassen, dass der Beschluss aus dem Briefkasten entwendet wurde, bevor der Verurteilte von diesem Kenntnis nehmen konnte. Die Ausführungen erschöpfen sich letztlich in angedeuteten Vermutungen ohne konkrete tatsächliche Anhaltspunkte.

Darüber hinaus sind gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen. Die eigene eidesstattliche Versicherung des Antragstellers ist grundsätzlich kein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung (vgl. nur Cirener in: BeckOK, 48. Edition, Stand: 01.07.2023, § 45 Rn. 11 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 Ss 425/09 -, juris Rn. 9). Sie ist wie eine schlichte Erklärung zu werten, die grundsätzlich zur Glaubhaftmachung nicht ausreicht (Cirener a.a.O. m.w.N.; Valerius in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2023, § 45 Rn. 12 m.w.N.). Zwar kann ausnahmsweise die eigene Erklärung des Antragstellers dann genügen, wenn ihm eine anderweitige Glaubhaftmachung ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist (vgl. hierzu Cirener a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor, nachdem es bereits an konkretem Vortrag fehlt und ein solcher zum Beispiel durch eidesstattliche Versicherung anderer Mieter oder Ähnliches hätte glaubhaft gemacht werden können.“

beA II: Glaubhaftmachung des technischen Defektes, oder: Zumindest eine „laienverständliche“ Darstellung

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Die zweite Entscheidung, die sich mit Fragen in Zusammenhang mit dem beA-Versand – besser: einem missglückten beA-Versand – befasst, ist der BGH, Beschl. v. 05.09.2023 – 3 StR 256/23.

Das LG hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Urteil wurde am Mittwoch, den 15.02.2023, in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin verkündet worden. Die Frist zur Einlegung der Revision endete damit am 22.02.2023 um 24 Uhr (§ 341 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StPO). Am Donnerstag, den 23.02.2023, hat der Angeklagte durch Schriftsatz seiner Verteidigerin Revision eingelegt. Zugleich hat die Rechtsanwältin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass eine Übermittlung über das elektronische Anwaltspostfach (beA) „gestern wegen technischer Probleme nicht möglich“ gewesen sei. Sie hat die Aufnahme eines Bildschirms beigefügt, auf dem die Eingabemaske eines beA-Postfachs abgebildet ist. Dort finden sich folgende Angaben: Absender (es folgt der Name der Verteidigerin), Empfänger: Landgericht Duisburg, Aktenzeichen Empfänger (es folgt das Aktenzeichen des Landgerichts Duisburg in dieser Sache), Betreff: Revision. Außerdem ist der Hinweis „Fehler beim Aufbau der Verbindung“ zu sehen. Datum und Uhrzeit des Screenshots sind ebenso wenig zu erkennen wie ein etwa zu übermittelndes Schriftstück.

Der BGh hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen:

„Dieses Vorbringen genügt nicht den rechtlichen Darlegungsanforderungen des § 45 StPO. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO). In dem Antrag ist ein Lebenssachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen, der das fehlende Verschulden des Angeklagten an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung entgegenstehen. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO).

Die Glaubhaftmachung der hier geltend gemachten vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (vgl. BGH – 4 StR 104/22, BeckRS 2022, 25316, BGH – 5 StR 328/22, BeckRS 2022, 28366, BGH – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647; Siegmund: Anforderungen bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs, NJW 2023, 1681 Rn. 23 mwN, beck-online).

Zwar genügt insoweit eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen, doch auch diesen Anforderungen genügt das aus einem Satz bestehende Antragsvorbringen nicht. Insbesondere wird aus dem beigefügten Screenshot, der weder Datum noch Uhrzeit enthält und nur einen einzigen Sendungsversuch eines nicht mitgeteilten Textes dokumentiert, nicht erkennbar, wie lange am 22.02.2023 das vorübergehende technische Zustellungshindernis bestand und wann der Sendungsversuch erfolgte. Insoweit wäre ein glaubhaft gemachter Vortrag veranlasst gewesen, wann und wie oft Rechtsanwältin H.   , die offensichtlich eine für einen solchen Fall gesetzlich vorgesehene Ersatzzustellung gem. § 32d Satz 3 StPO nicht vorgenommen oder auch nur in Erwägung gezogen hat (vgl. BGH – II ZB 22/16, NJW-RR 2017, 1084, beck-online), versuchte, die schriftliche Revisionseinlegung am 22.02.2023 per beA zu übersenden. Ferner ist nichts dazu vorgetragen, ob und wie Rechtsanwältin H.    versuchte, etwa über Kontakt mit dem Landgericht, Abhilfe zu schaffen und das technische Problem zu beheben (BGH 2 StR 140/22, NStZ-RR 2023, 115, beck-online). An einem Werktag (der 22.02.2023 war ein Mittwoch) erscheint dies nicht offensichtlich unzumutbar.

Aufgrund der Unzulässigkeit des gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist auch die verspätet eingelegte Revision des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen.“

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend, dass die Verteidigerin von der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Gebrauch gemacht hat.

beA I: Keine Weitergabe von beA-Karte und/oder PIN, oder: Sich selbst verteidigender Rechtsanwalt

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Und auf geht es in die neue Woche. Diese woche mal wieder mit „beA-Entscheidungen“. Ich denke, die Problematik wird uns noch längere Zeit beschäftigen. Ich stelle hier zunächst zwei Entscheidungen aus dem Straf- bzw, aus dem Bußgeldverfahren vor, und zwar einmal vom BGH und die andere dann vom BayOblG.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 StR 39/23. In dem Verfahren hatte das LG den Angeklagten am 24.08.2022 freigesprochen. Dagegen hat die Nebenklägerin mit einem am 25.08.2022 per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihres anwaltlichen Vertreters, Revision eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil die Form des § 32d Satz 2 StPO in der Frist zur Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO nicht gewahrt wurde.

Nach Zustellung des Beschlusses an den anwaltlichen Vertreter der Nebenklägerin hat dieser am gleichen Tag durch Übermittlung im beA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionseinlegung auf diesem Wege nachgeholt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er damit begründet, er habe am 24.08.2022 mit der Nebenklägerin die Einlegung der Rechtsmitteleinlegung besprochen, am Folgetag den Rechtsmittelschriftsatz der Kanzleiangestellten S. diktiert und ihr die Anweisung erteilt, den Schriftsatz durch Übermittlung im besonderen elektronischen Anwaltspostfach und durch Telefax an das LG zu übersenden. Sendeberichte habe diese am nächsten Tag einem ebenfalls in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt zur Kontrolle vorlegen sollen. Er selbst sei am 25.08.2022 zu einer Reise aufgebrochen. Erst nach Zugang des Revisionsverwerfungsbeschlusses der Strafkammer sei erkannt worden, dass die Rechtsmittelschrift nicht im beA übermittelt wurde. Da er im Home-Office arbeite und die Kanzlei nur zur Wahrnehmung von Besprechungsterminen aufsuche, habe er die Angestellte S. gebeten, seine beA-Karte und den PIN in ihrem Schreibtisch zu verwahren; diese wäre daher in der Lage gewesen, den Übermittlungsauftrag auszuführen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte keinen Erfolg, der BGH hat das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes verneint.

M.E. reicht der Leitsatz zu der Entscheidung, der allerdings nicht vom BGH stammt, sondern von mir 🙂 :

Die Überlassung der beA-Karte und der PIN des Rechtsanwalts an Dritte, z.B. an Kanzleimitarbeiter, ist nicht zulässig.

Insoweit verweise ich auf § 26 Abs. 1 RAVPV aber auch auf § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV. Und wenn man dennoch überlässt, dann sollte man es zumindest nicht offen legen.

Und die zweite Entscheidung in diesem Posting ist der BayObLG, Beschl. v. 14.07.2023 – 201 ObOWi 707/23 – zur Rechtsbeschwerdebegründung eines Rechtsanwalts in eigener Sache und zu den Substantiierungsanforderungen für Wiedereinsetzungsgrund nach § 32d Satz 4 StPO. dazu folgende Leitsätze der Entscheidung:

1. Die Pflicht zur Begründung der Rechtsbeschwerde durch ein elektronisches Dokument (§ 32d Satz 2 StPO i.V.m. § 110c Satz 1 OWiG) gilt zumindest dann auch für den Rechtsanwalt, der selbst Betroffener ist, wenn dieser als Rechtsanwalt auftritt.

2. Wird die Rechtsmittelbegründung ausnahmsweise nicht in elektronischer Form übersandt, ist darzulegen und glaubhaft zu machen, dass im Zeitpunkt der Übersendung eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur zur elektronischen Übermittlung von anwaltlichen Schriftsätzen an die Gerichte existierte und eine nur vorübergehende technische Störung gegeben war

Dazu dann der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 30.08.2022 – 4 StR 104/22 und auf OLG Hamm, Beschl. v. 20.07.2023 – 4 ORs 62/23.

Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: Achtung! Da gibt es eine Frist….

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den KG, Beschl. v. 01.09.2023 – 3 ORs 52/23 — 161 Ss 130/22 – vor. Der behandelt verschiedene Themen. Ich stelle den Beschluss heute wegen des beantragten Pflichtverteididgerwechsels in der Revisionsinstanz vor. Auf die anderen Fragen komme ich noch zurück.

Der Verteidiger hatte einen Pflichtverteidigerwechsel in der Revisionsinstanz beantragt. Das ist vom KG abgelehnt worden, u.a. wegen Versäumung der Frist des § 143a StPO. Wiedereinsetzung hat das KG dann auch nicht gewährt:

„5. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist. zur Anbringung des Antrags auf Verteidigerwechsel für die Revisionsinstanz nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO ist unzulässig.

a) Zur Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch war die Vorsitzende des Senates berufen. Gemäß § 46 Abs. 1 StPO ist bei Wiedereinsetzungsanträgen das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur ‚Entscheidung in der Sache berufen gewesen wäre, zuständig. Zwar ist der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Revisionsinstanz nach § 143a Abs. 3 Satz 2 StPO bei dem Gericht zu stellen, dessen Urteil angefochten wird. Die- Zuständigkeit für die Entscheidung über den Beiordnungsantrag liegt auch zunächst bei dem (Vorsitzenden des) Gericht(s), dessen Entscheidung angefochten wird (BGH, Beschluss vom 11. September 2019 2 StR 281/19 -, BeckRS 2019, 27180; OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 342f.; BT-Drs. 19/13829, S. 49; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, a.a.O. § 142 Rn. 16). Seit der Vorlage der Akten durch. die Generalstaatsanwaltschaft verbunden mit dem zugleich gestellten Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO ist das Verfahren indes beim erkennenden Senat anhängig. Mit Anhängigkeit der Sache ist die Zuständigkeit für die Entscheidung über den unerledigten Antrag und damit auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über ein entsprechendes Wiedereinsetzungsgesuch gemäß § 347 Abs. 2 StPO auf die Vorsitzende des Senates übergegangen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2023 – 3 StR 450/22 -, juris; OLG Rostock, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, a.a.O. § 142 Rn. 16).

Vor dem Hintergrund, dass Rechtsanwalt Dr. pp. seiner Funktion als Wahlverteidiger die vom damaligen. Pflichtverteidiger form- und fristgemäß eingelegte Berufung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist auf das Rechtsmittel der Sprungrevision umgestellt und diese auch innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet hat, entsteht dem Angeklagten durch die vom Amtsgericht Tiergarten verabsäumte Entscheidung. über den Beiordnungsantrag (anders als in dem der Entscheidung. des BGH, Beschluss vom 11. September 2019 – 2 StR 281/19 -, BeckRS 2019, 27180 zugrunde liegenden Verfahren) kein Nachteil, weshalb eine Rückgabe an das Tatgericht zur Nachholung der Beiordnungsentscheidung nicht in Betracht kam.

b) Allerdings ist der Wiedereinsetzungsantrag nicht zulässig.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Vorzutragen und glaubhaft zu machen ist dabei ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 45 Rn. 5a).

Hieran fehlt es:

Der Angeklagte hat bereits nicht dargetan, dass er an der Einhaltung der versäumten Frist gehindert war. Die Frist von einer Woche zur Beantragung eines Verteidiger-wechsels für die Revisionsinstanz hat- gesetzlich vorgesehen parallel mit dem Beginn der Revisionsbegründungsfrist – gemäß §§ 345 Abs. 1 Satz‘ 3 StPO mit der am Montag, dem 24. April 2023 erfolgten Zustellung des Urteils an den damaligen Pflichtverteidiger zu laufen begonnen und endete – da Montag, der 1. Mai 2023 ein allgemeiner Feiertag war – gemäß § 43 Abs. 1 und Abs. 2 StPO mit Ablauf des 2. Mai 2023. Sein zeitgleich mit Umstellung auf das Rechtmittel der Revision am 23. Mai 2023 gestellter Antrag nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO ist daher verspätet. Weshalb der Angeklagte an einem früheren Antrag auf Verteidigerwechsel für die Revisionsinstanz gehindert war, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Der Umstand, dass während des Laufs der Wochenfrist nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO die Revision – wie hier bei der erst später durch Umstellung erfolgten Einlegung der Sprungrevision nach § 335 StPO – noch gar nicht eingelegt war, hindert weder deren gesetzlich geregelten Beginn noch deren Ablauf.

Eine von Amts wegen zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedingt die hier vorliegende Konstellation ebenfalls nicht. Die in § 143a Abs. 3 StPO ermöglichte Auswechslung des Pflichtverteidigers ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Revisionsinstanz soll – unter anderem – der Tatsache Rechnung tragen, dass es für die Revisionsbegründung und die weitere Vertretung des -Angeklagten in der Revision häufig spezieller, vertiefter Rechtskenntnisse und Erfahrungen im Revisionsrecht bedarf (BT-Drs. 19/13829, S. 49). Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristvorgabe, den Antrag auf Auswechslung des Verteidigers spätestens eine Woche nach Beginn der Revisionsbegründungsfrist stellen, ist es, dem Angeklagten bzw. seinem bisherigen Verteidiger, der vorsorglich Rechtsmittel eingelegt hat, zu ermöglichen, erst nach Prüfung der Urteilsbegründung und des Protokolls endgültig über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Wechsels zu einem anderen Verteidiger, insbesondere einem Revisionsspezialisten, zu entscheiden (BT-Drs. 19/13829, S. 50). Dass sich der Angeklagte und sein damaliger Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall in der dem Gesetzgeber bei Schaffung des erleichterten Verteidigerwechsels vorschwebenden oder einer vergleichbaren Entscheidungssituation befunden hätten, ist nicht ersichtlich. Ausweislich seines Meldeschriftsatzes vom 22. März 2023 war Rechtsanwalt Dr. pp. – als Wahlverteidiger – bereits mandatiert, als die Revisionsbegründungsfrist noch nicht einmal begonnen hatte.

In seiner Funktion als Wahlverteidiger hat Rechtsanwalt Dr. pp. vor der fristgemäß erfolgten Umstellung auf und Begründung der Revision die ihm mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 19. April 2023 gewährte Möglichkeit der Akteneinsicht wahrgenommen. Spätestens hierdurch hatte er daher die umfassende Möglichkeit, sich – und den Angeklagten – über die Sach-, Rechts-, und Fristenlage im Verfahren zu informieren. Dabei lassen seine Ausführungen vom 23. Mai 2023 auch erkennen, dass (aber nicht seit wann) er Kenntnis vom Zeitpunkt der Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe – und damit vom Lauf der Revisionsbegründungsfrist sowie der Frist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO – hatte.

Soweit die vorliegende prozessuale Konstellation der späteren Umstellung auf eine Sprungrevision bedingt, dass bei Ablauf der Antragsfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO die Revision möglicherweise noch nicht eingelegt ist, entbindet dies den Angeklagten nicht davon, dies im Einzelfall vorzutragen und glaubhaft zu machen, weshalb er ohne Verschulden an der Stellung des Antrags nach § 143a Abs. 3 StPO – gegebenenfalls in Verbindung mit der Umstellung des Rechtsmittels auf die Sprungrevision bei späterer Begründung – gehindert war und wann dieses Hindernis weggefallen ist.

2. Der Antrag des Angeklagten, ihm seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. pp. als Pflichtverteidiger zu bestellen, war abzulehnen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.

a) Zwar ist die Auswechslung des Pflichtverteidigers ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes für das Revisionsverfahren nach § 143a Abs. 3 StPO möglich. Allerdings hat der Angeklagte – wie oben unter III. 1. b) ausgeführt – die mit Antragstellung am 23. Mai 2023 einzuhaltende Wochenfrist nicht gewahrt.

b) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 StPO vor, wobei hier allein die Nr. 3 in Betracht zu ziehen ist. Für eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen v der Angeklagten und seinem bisherigen Pflichtverteidiger oder dafür, dass eine angemessene Verteidigung des Angeklagten durch den bisherigen Pflichtverteidiger nicht gewährleistet wäre, ist nichts vorgetragen.

c) § 143a StPO schließt allerdings die Möglichkeit eines konsensualen Verteidigerwechsels nicht aus. Dieser setzt voraus, dass, sowohl der Angeklagte als auch beide Verteidiger mit dem Wechsel einverstanden sind, keine Verfahrens-verzögerung eintritt und dass keine Mehrkosten entstehen (BT-Drs. 19/13829, S. 47; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143a Rn. 31). Vorliegend hat sich zwar der damalige Pflichtverteidiger mit der Aufhebung seiner Beiordnung einverstanden erklärt.

Allerdings liegt weder vom damaligen Pflichtverteidiger noch von Rechtsanwalt Dr. pp. eine Erklärung über einen zur Vermeidung von Mehrkosten erforderlichen Gebührenverzicht vor. Jedenfalls ist für beide Rechtsanwälte die Grundgebühr nach Nr. 4100 W-RVG entstanden, die der bisherige Pflichtverteidiger mit Kostenfestsetzungsantrag vom 21. April 2023 geltend gemacht hat und die mit Verfügung 12. Mai 2023 an ihn ausgezahlt wurde.

Mangels einer Verzichtserklärung Rechtsanwalt Dr. pp. hätte seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zur Folge, dass die Landeskasse .die Grundgebühr doppelt erstatten müsste.

d) Auch liegt beim gegenwärtigen Stand des Revisionsverfahrens – anderes mag dich bei der erneuten Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten ergeben – kein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO vor.“