Schlagwort-Archive: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Klima: Klimastraßenkleber leisten Widerstand, oder: Bedeutung der Ablösedauer

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann habe ich hier noch den KG, Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24zu einem Klimakleberfall.

AG/LG haben die Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 12. Juli 2022 beteiligte sich die Angeklagte an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 111 im Bereich der Ausfahrt H-Damm in Berlin. Sechs weitere Personen und sie setzten sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans um 8:45 Uhr am Ende der Autobahnabfahrt auf die Fahrbahnen, wobei sie sich so gleichmäßig über alle drei Fahrbahnen der Ausfahrt verteilten, dass zwischen ihnen kein Fahrzeug mehr durchfahren konnte, ohne sie zu gefährden bzw. zu verletzen.  Die Angeklagte saß dabei auf der von den Fahrzeugen aus gesehen ganz rechten Fahrbahn. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebten sich ein Aktivist und drei Aktivistinnen, unter anderem die Angeklagte, mit jeweils einer Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, um sich so fest mit dieser zu verbinden. Die Absicht der Angeklagten war es dabei, die Störung des Verkehrs dadurch möglichst in die Länge zu ziehen, dass die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Straße erheblich erschwert würden. Die Angeklagte klebte sich zumindest auch deswegen fest, um sich der von ihr erwarteten polizeilichen Räumung nach Auflösung der Versammlung zu widersetzen.

Die Versammlung war nicht angemeldet. Durch EPHK Z wurde um 8:54 Uhr über Lautsprecher durchgesagt, dass wegen der Grundrechtseinschränkung für die blockierten Autofahrer der Versammlung ein neuer Ort auf dem Gehweg zugewiesen würde. Dies wurde um 9:00 Uhr nochmals wiederholt. Nachdem die Aktivistinnen und Aktivisten sich nicht an den neuen Versammlungsort begeben hatten, wurde die Versammlung durch Lautsprecherdurchsage durch EPKH Z um 9.08 Uhr aufgelöst. Die Angeklagte befolgte die Aufforderung, die Straße zu verlassen, nicht. Da sie festgeklebt war, konnten die Polizeibeamten sie – wie sie wusste – nicht einfach wegtragen, sondern mussten sie erst von der Straße lösen. Die Ablösung ihrer Hand dauerte von 9:39 Uhr bis 10:05 Uhr. Sodann wurde sie von zwei Polizeibeamten von der Straße getragen.

Die Angeklagte handelte zusammen mit den übrigen Aktivistinnen und Aktivisten, um mindestens die auf der Autobahnabfahrt befindlichen Fahrzeugführer bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte bzw. bis zu einer rückwärtigen Ableitung aus der Autobahnabfahrt an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels und im Speziellen gegen zu hohen Ölverbrauch zu erzielen. Wie von der Angeklagten und ihren Mitgliedern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der – im unteren Bereich über zwei und im oberen Bereich über drei Fahrspuren verfügenden – Fahrbahn der Autobahnabfahrt einnahm, zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Bereits um 8:46 Uhr war die Autobahnausfahrt zwischen ihrem Beginn bei der Autobahn bis zu der von der Angeklagten und ihren Mittätern gebildeten Menschenkette im oberen Bereich am H-Damm, also über eine Länge von etwa 150 m, vollständig mit Fahrzeugen gefüllt, unter anderem einem Bus der BVG. Diesen Fahrzeugen war es zunächst nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Erst nach und nach vermochten die Fahrzeuge – abgeleitet von den Verkehrsdiensten der Polizei – rückwärts von der Autobahnausfahrt auf die Autobahn zurückzufahren und ihren Weg fortzusetzen – wenn auch nicht über die zuvor beabsichtigte Autobahnausfahrt H-Damm. Die Zeugin X, die in der 3. Reihe der blockierten Fahrzeuge stand, steckte dort bis mindestens 9:05 Uhr fest, bevor sie rückwärts von der Polizei auf die Autobahn geleitet wurde. 

Am 15. Juli 2022 strömte die Angeklagte gemeinsam mit zahlreichen weiteren Personen durch das Unterholz neben der Autobahn BAB 103 auf die Fahrbahn der Autobahnausfahrt Sachsendamm einige Meter vor der Ampel auf dem Sachsendamm. Der Polizei war es aufgrund der Anzahl der Aktivistinnen und Aktivisten nicht möglich, diese daran zu hindern, sich – entsprechend eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplanes – auf die Fahrbahn zu setzen und teilweise dort zu verkleben. Die Aktivistinnen und Aktivisten formten spätestens um 7:45 Uhr zwei Blockadelinien etwa 15 m voneinander entfernt und schlossen zwischen beiden Linien einen Lkw ein. Die gesamte Breite der drei Fahrspuren wurde durch die Aktivistinnen und Aktivisten blockiert, wobei die Angeklagte – von den zum Stillstand gebrachten Fahrzeugen aus gesehen – in der ersten Blockade, die aus 18 Aktivisten und Aktivistinnen gebildet wurde, links vorne saß. Sie benetzte ihre Hand mit Sekundenkleber und klebte sich auf die Fahrbahn. Damit wollte sie die Störung durch die Blockade möglichst in die Länge zu ziehen, indem die Bemühungen der eingesetzten Polizeibeamten, sie nach der von der Angeklagten erwarteten Auflösung der Versammlung von der Straße zu entfernen, erheblich erschwert und in die Länge gezogen werden sollten.

Durch die Blockade kam es – wie von der Angeklagten beabsichtigt – zu einem erheblichen Rückstau sämtlicher Verkehrsteilnehmer, die sich zum Zeitpunkt des Blockierens auf den Fahrspuren im Bereich zwischen der A 100 und der Blockade befanden. Der Berufsverkehr auf sämtlichen Spuren der Autobahnabfahrt kam mindestens im Bereich bis zur BAB 100 zum Erliegen. Jedenfalls bis 8:30 Uhr standen noch Fahrzeuge auf der Autobahnausfahrt, bevor sie rückwärts von der Polizei aus der Abfahrt abgeleitet wurden und ihren Weg fortsetzen konnten.

Um 7:47 Uhr wurde durch PHK A gegenüber den Protestierenden eine erste beschränkende Verfügung erlassen mit dem Inhalt, dass es sich vorliegend um eine nicht angezeigte Versammlung handele, das Verhalten der Aktivisten und Aktivistinnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und deswegen die Fahrbahn zu verlassen sei und die Versammlung zum neu zugewiesenen Versammlungsort auf dem Gehweg zu verlegen sei. Um 7:50 Uhr wies PHK A erneut auf den neu zugewiesenen Versammlungsort hin und gab bekannt, dass bei einem weiteren Nicht-Nachkommen der Beschränkung polizeiliche Maßnahmen folgen würden auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang. Schließlich wurde die Versammlung um 7:56 Uhr durch PHK A aufgelöst. Die Aktivisten und Aktivistinnen wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Polizei unmittelbaren Zwang gegen sie einsetzen würde, sollte der Auflösungsverfügung nicht nachgekommen werden. Die Angeklagte kam der Auflösungsverfügung nicht nach. Das Ablösen der Hand der Angeklagten, die sich mit ihrer Hand auf der Fahrbahn festgeklebt hatte, dauerte über 40 Minuten lang, nämlich von 8:17 Uhr bis 9:01 Uhr.  Die Ablösung einer weiteren Person dauerte bis 9:15 Uhr.

Im Vorfeld dieser beiden nicht als Versammlungen angemeldeten Aktionen wurde von der Gruppierung „Angehörige der letzten Generation“ im Internet angekündigt, es werde Aktionen im Berliner Stadtgebiet geben. Konkrete Zeitpunkte und Orte wurden jedoch nicht genannt. Die Aktivistinnen und Aktivisten breiteten während der Blockaden jeweils zumindest ein Transparent vor sich aus, auf dem es hieß: „Öl sparen statt bohren“.  Ziel war jeweils eine möglichst große – auch mediale – Aufmerksamkeit für dieses Anliegen.“

Das KG hat die Revision verworfen. Hier die Leitsätze der Entscheidung, die m.E., nachdem die Fragen derzeit nicht mehr so aktuell sind, genügen:

1. Eine Bewertung des Gerichts, ob das Anliegen als nützlich und wertvoll einzuschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist, verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse inhaltsneutral bleiben muss.

2. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

3. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

4. Indem der Täter die mit Sekundenkleber benetzte Hand so auf die Fahrbahn drückt, dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingehen, leistet er Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wenn hierdurch vorsatzgemäß die nach Auflösung der Versammlung erfolgende polizeiliche Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte deutlich erschwert wird.

5. Die Ablösedauer ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann ebenso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.

StPO I: Einspruchsbeschränkung beim Strafbefehl, oder: Ausreichende Feststellungen getroffen?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Es ist Ostermontag, hier geht es aber heute normal weitern. Feiern war gestern. Ich stelle dann zwei StPO-Entscheidungen vor.

Ich beginne hier mit einer Entscheidun aus dem Strafbefehlsverfahren, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 1 ORs 1/24 – 161 Ss 3/24 – zur Frage der ausreichenden Feststellungen in einem Strafbefehl im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Einspruchbeschränkung. Dazu führt das KG da aus, was auch für eine Berufungsbeschränkung gilt: nämlich:

„a) Entgegen der Revisionsbegründung ist das Landgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Die Wirksamkeit der Beschränkung hat das Rechtsmittelgericht, ungeachtet dessen, in welchem Verfahrensstadium diese vorgenommen worden ist, wegen der damit verbundenen Frage der (Teil-)Rechtskraft der Entscheidung stets vom Amts wegen zu prüfen. Dabei steht nicht jeder Fehler im nicht angefochtenen Teil der Entscheidung der Wirksamkeit der Beschränkung entgegen. Vielmehr hat das Rechtsmittelgericht im. Fall eines auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung grundsätzlich auf der Basis des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils vorzunehmen, auch wenn dieser auf einer rechtsfehlerhaften Subsumtion und damit unzutreffenden rechtlichen Einordnung des Tatgeschehens beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 290; Schmitt in; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 318 Rn 17a; jew. m.w.N.). Erst wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind; dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat, ist die Beschränkung unwirksam (vgl. BGH NStZ 2018, 367 m.w.N.).

Art und Umfang der Schuld des Angeklagten sind in dem Strafbefehl in einem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmt.“

Außerdem hat das KG dann u.a. noch zu den erfoderlichen Feststellungen bei der gefährlichen Körperverletzung Stellung genommen, und meint zum „gefährlichen Werkzeug“

Zu der Frage der Geeignetheit eines Gegenstandes zur Verletzung von Menschen, müssen nicht ausdrücklich zur Beschaffenheit usw. Feststellungen getroffen werden, wenn sich die Geeignetjeit bereits aus der hier festgestellten Art der konkreten Verwendung ergibt.

 

StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Ich hatte heute Morgen zwar geschrieben, dass es heute drei StGB-Entscheidungen vom BGH gibt. Nun, ist dann doch nicht so. Ich habe das Programm umgestellt.

Ich bin nämlich im Laufe des Tages auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 – gestoßen und möchte den dann doch heute sofort bringen. Denn es geht um eine Frage, die die Gerichte ja in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt hat. Und dazu gibt es bisher wenig obergerichtliche Rechtsprechung, nämlich zur Frage des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn. Dazu dann also jetzt das KG:

Das AG hat die Angeklagte am 12.01.2023 wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe verurteilt. Das AG istvon folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.“

Das KG hat aufgehoben. Ihm reicht die Beweiswürdigung des AG nicht:

 „Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft. Denn ihm ist nicht zu entnehmen, worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, die Angeklagte habe sich auf der Fahrbahn festgeklebt, um die erwartete polizeiliche Maßnahme zur Räumung der Blockade zu erschweren (UA S. 2). Dies ist weder den mitgeteilten Zeugenaussagen noch dem mitgeteilten Inhalt des Geständnisses zu entnehmen. Dass es glaubhaft sei, weil es dem “aktenkundigen Ermittlungsergebnis” (UA S. 3) entspreche, und die Angeklagte es „uneingeschränkt“ abgelegt habe (UA S. 6), führt zu keiner anderen Betrachtung, weil das bloße Abgleichen des Geständnisses mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGH NStZ 2023, 57 m.w.N.). Als allgemeinkundig kann der Umstand, die Angeklagte habe sich festgeklebt, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren, nicht angesehen werden (zur Allgemeinkundigkeit vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 –  3 StR 508/17 -. juris; LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 202 – (518) 237 Js 518/22 Ns (31/22) -, juris). Dazu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.“

Und dann gibt es noch folgende „Anmerkungen“:

„3. Da bereits der unter 1. dargelegte Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führt, kam es zwar auf das weitere Rügevorbringen der Angeklagten nicht mehr an, der Senat merkt aber dazu folgendes an:

a) Auch die auf die Verwerflichkeitsprüfung beziehende Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Schlussfolgerung (durch wörtliche – kommentarlose – Wiedergabe einer etwa sechs Monate vor Beginn der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung), die Tat der Angeklagten sei verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB, auf die “teilweise Dringlichkeit der blockierten Transporte” und auf den Umstand gestützt, dass die Aktion unangekündigt gewesen sei (UA S. 5). Unklar bleibt allerdings, auf welcher tatsachenbegründeten Beweiswürdigung diese Schlussfolgerung beruht; auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

Zwar stützt sich das Amtsgericht zur Begründung der Höhe des einzelnen Tagessatzes auf lückenhafte Feststellungen. Denn es hat ausgeführt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 StGB geschätzt zu haben, verschweigt aber, auf welcher tatsächlichen Grundlage es die Schätzung vorgenommen hat; die Mitteilung, die Angeklagte sei Studentin und beziehe eine Halbwaisenrente, lässt keine konkreten Rückschlüsse auf die Höhe des Einkommens zu. Allerdings hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die als Studentin in L. lebende Angeklagte über ein unter 600,- Euro liegendes Einkommen verfügt, weswegen sie dieser Rechtsfehler nicht beschwert……

5. Zur weiteren Sachbearbeitung weist der Senat auf Folgendes hin:

„a) Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.

aa) Das Festkleben auf der Fahrbahn, um das Entfernen von dort zu verhindern oder zu erschweren, kann als Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB qualifiziert werden; es ist in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten (vgl. dazu BVerfGE 104, 92; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353) vergleichbar. Hier wie dort liegt eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vor, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGHSt 18, 133, 134; NStZ 2023, 108; 2013, 336). Dass Polizeibeamten das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 65, 36 m.w.N.) des Widerstands (a.A. LG Berlin, Beschluss vom 20. April 2023 – 503 Qs 2/23 -, juris). Ob das Festkleben im konkreten Einzelfall als gewaltsamer Widerstand gegen eine Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs.1 StGB zu qualifizieren ist, bedarf allerdings der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. zu § 240 StGB Senat DAR 2022, 393). Hierbei sind auch Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen und vom Tatgericht zumindest in Grundzügen – wie es das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung noch ausreichend getan hat – darzulegen. Der Umstand, dass die Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen eine bis eineinhalb Minuten benötigten, um die Angeklagte von der Fahrbahn zu lösen, ist ein gewichtiges Indiz, dass im vorliegenden Fall für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB spricht.

bb) Ebenso wenig steht einer Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1 StGB entgegen, dass die Widerstandshandlung (hier durch Festkleben auf der Fahrbahn) bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung (Entfernen der Demonstranten von der Fahrbahn) vorgenommen wurde. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands genügt es, wenn der Täter gezielt eine Widerstandshandlung vornimmt, die bei Beginn der Vollstreckungshandlung noch fortwirkt (vgl. BGHSt 18, 133; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353). Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss allerdings in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.). Das Tatgericht hat deshalb dahingehende Feststellungen zu treffen, ob sich der Täter (zumindest auch) festgeklebt hat, um sich der von ihm erwarteten polizeilichen Räumung zu widersetzen.

c) Um den Schluss ziehen zu können, dass eine Nötigung verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Tatumstände. Das kommentarlose Einrücken von Textpassagen – hier einer etwa sechs Monate vor der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung – genügt dem nicht und ist vielmehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in das Bemühen der Gerichte um Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nachhaltig zu beschädigen.

Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerflichkeit zu ermöglichen, hat das Tatgericht in den Urteilsgründen eine tragfähige Entscheidungsgrundlage darzulegen. Das Gericht wird zumindest folgende Gesichtspunkte zu beachten und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben:

  • Ankündigung der geplanten Blockade/ Anmeldung der Demonstration,

  • Dauer der Blockade,

  • eine präzise Beschreibung des Tatorts, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auch gemäß 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Lichtbilder, Tatortskizzen, Kreuzungspläne und dergleichen mehr verwiesen werden kann,

  • Art und Ausmaß der Blockade, insbesondere die Länge des Staus, sowie etwaige Ausweichmöglichkeiten für die Kraftfahrer vor der blockierten Fahrbahn,

  • die Motive der Angeklagten, insbesondere auch dazu, warum sie sich festgeklebt hat,

  • Zweck/Zielrichtung der Demonstration.“

StGB I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Entkleidung einer Frau im Beisein männlicher Beamter

© ernsthermann – Fotolia.com

Ich stelle heute dann StGB-Entscheidungen vor, die eins gemeinsam haben: Es handelt sich um nicht alltägliche Fallgestaltungen.

Schon etwas älter ist die erste Entscheidung, die ich vorstelle. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 07.12.2022 – 206 StRR 296/22. Das LG hatte die Angeklagte wegen eines Geschehens, das noch in der „Corona-Zeit“ liegt wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung“ verurteilt.

Dagegen die Revision der Angeklagten, die nur teilweise Erfolg hatte. Das BayObLG hat nämlich die Revision wegen eines Teils des Berufungsurteils verworfen, insoweit bitte selbst lesen. Wegen eines weiteren Teils hatte sie hingegen Erfolg. Insoweit geht es um die Frage der Strafbarkeit wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) durch Widerstandshandlungen einer weiblichen Person, die aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung einer Platzverweisung in Gewahrsam genommen und in eine Haftzelle verbracht wurde, gegen ihre Entkleidung, die nach zunächst erfolglosen Maßnahmen weiblicher Polizeibeamtinnen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs unter Beteiligung mehrerer männlicher Polizeibeamter bis auf den Slip durchgeführt wurde. Dazu das BayObLG:

„Die Revision erweist sich hingegen als begründet, soweit das Verhalten der Angeklagten im zweiten Teilkomplex des Gesamtgeschehens zu einer Verurteilung geführt hat. Das Berufungsurteil weist insoweit durchgreifende Darstellungs- und Erörterungsmängel auf.

1. Ein Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte setzt, was das Landgericht im Ansatz zutreffend gesehen hat, in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 3 StGB die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Diensthandlung voraus (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 114 Rn. 6). Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen fehlt es hieran, wie die Revision zu Recht beanstandet. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich dem in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2022 im Ergebnis an; soweit die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft die Entkleidung der Angeklagten in der Haftzelle betreffen, nimmt der Senat hierauf ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen Bezug.

a) Der von der Angeklagten geleistete tätliche Widerstand richtete sich ausweislich der Feststellungen nicht gegen ihre Ingewahrsamnahme als solche gemäß Art. 17 PAG in der zur Tatzeit geltenden, von der aktuellen Rechtslage abweichenden Fassung vom 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021. Gegen ihre Verbringung zur Polizeidienststelle hat sich die Angeklagte nicht gewehrt. Tätlichen Widerstand leistete sie vielmehr erst gegen die ihr in der Haftzelle erteilte Aufforderung, sich (offensichtlich: vollständig oder nahezu vollständig) zu entkleiden, sowie gegen ihre zwangsweise Entkleidung, vorgenommen durch zwei Polizeibeamtinnen, die dabei von männlichen Beamten unterstützt wurden (UA S. 8), wobei der Senat anmerkt, dass in den Urteilsfeststellungen lediglich das Hinzukommen eines männlichen Beamten (POM …) geschildert wird, während sich aus den Aussagen der Zeugen eine Unterstützung durch drei männliche Beamte ergibt (UA S. 14, S. 15), von welchen einer sogar den BH der Angeklagten geöffnet hat (UA S. 15).

b) Ob die Ingewahrsamnahme der Angeklagten nach Art. 17 PAG gerechtfertigt war, begegnet zwar Bedenken, eine abschließende Entscheidung ist aber auf der Grundlage der insoweit lückenhaften Feststellungen weder möglich noch ist sie erforderlich. Selbst wenn eine etwaige weitere Sachverhaltsaufklärung durch den neuen Tatrichter die Beurteilung erlauben würde, dass die Ingewahrsamnahme als solche rechtmäßig war, stellt dies kein Präjudiz für die Rechtmäßigkeit der Entkleidungsanordnung dar. Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind grundsätzlich voneinander zu scheiden (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2005, 2 BvR 447/05, juris Rn. 61). Auch wenn die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtmäßig ist, kann sich eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs als rechtwidrig erweisen (BVerfG a.a.O.).

c) Die Maßnahme der Entkleidung, gegen die die Angeklagte Widerstand leistete, stellt einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar und war damit rechtswidrig.

(1) Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen allgemein einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG dar (VG Augsburg, Urteil vom 10. Dezember 2021, Au 8 K 20.1952, juris Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, juris Rn. 25 für eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung). Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist auch die Menschenwürde, Art. 1 GG, tangiert. Die Maßnahme einer Entkleidung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall geboten erscheinen (VG Augsburg a.a.O.).

(2) Der Senat kann den Feststellungen keine tatsächlichen Umstände entnehmen, die die Entkleidung der Angeklagten hätten rechtfertigen können.

aa) Nach den Angaben der als Zeugin vernommenen Polizeibeamtin pp. habe sich die Anordnung auf „Vorschriften der HVOPol“ gestützt (UA S. 8, 14); eine konkrete Bestimmung wurde dabei von ihr nicht genannt. Weiter nach Aussage der Zeugin – der sich die Berufungskammer ohne weitere Erörterung kritiklos angeschlossen hat (UA S. 17) –, seien „in einem BH meistens Metallbügel verarbeitet, die man leicht entnehmen könne und die dann gefährlich sein könnten“ (UA S.17).

Auf diese Behauptungen und Wertungen lässt sich die Maßnahme indessen nicht stützen. Nr. 3 Abs. 1 der Haftvollzugordnung der Polizei (HVPol), die zur Tatzeit in Geltung war (Fassung vom 5. April 1978) und inzwischen außer Kraft ist (seit 1. Mai 2022) ordnete an, dass ein Polizeihäftling sachlich, gerecht und unter Achtung der Menschenwürde zu behandeln sei. Gemäß der auch vom Landgericht herangezogenen Nr. 16 Abs. 1 der HVPol waren Gegenstände des Polizeihäftlings, die u.a. zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden konnten, zu beschlagnahmen; beispielhaft waren Messer, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger u.a. genannt. Nach Nr. 16 Abs. 2 der HVPol war ein Polizeihäftling auf die nach Abs. 1 sicherzustellenden Gegenstände gründlich zu durchsuchen.

Von einer Entkleidung ist in der Verordnung nicht die Rede. Selbst wenn unterstellt wird, dass in einen BH Metallbügel eingearbeitet sein können – worauf sich die Annahme, dies sei „meistens“ der Fall, stützt, ist nicht dargelegt und dürfte auch tatsächlich nicht zutreffen – erschließt sich dem Senat nicht, warum zur Feststellung, ob ein solcher BH von der Angeklagten getragen wurde, deren vollständige Entkleidung notwendig gewesen sein sollte, insbesondere auch der Bekleidung des Unterkörpers, wobei in den Feststellungen nicht einmal mitgeteilt wird, worin diese Kleidung bestand und ob von dieser irgendeine Gefahr ausgehen konnte. Dass es bedeutend mildere Maßnahmen zur Feststellung, ob der BH der Angeklagten im konkreten Fall tatsächlich so beschaffen war, dass er als Werkzeug zur Schädigung von Leben oder Gesundheit hätte verwendet werden können (z.B. Abtasten durch eine weibliche Beamtin unter der Oberbekleidung, ggf. Ablegen des BH unterhalb der Kleidung durch die Angeklagte), liegt auf der Hand. Feststellungen, wonach solche milderen Eingriffe im konkreten Fall nicht möglich gewesen wären, sind nicht getroffen. Die vollständige Entkleidung der Angeklagten – das Gericht teilt in den Feststellungen nicht mit, ob und welche Kleidungsstücke die Angeklagte anbehalten durfte, lediglich aus einer Zeugenaussage ergibt sich, dass sie wenigstens ihren Slip habe anbehalten dürfen (UA S. 15) – stellt sich im Hinblick darauf als grob unverhältnismäßig und als schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten dar.

bb) Dass eine, wie von einer Zeugin geschildert, etwaige „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ und „eine seit Jahren bewährte Praxis“ (UA S. 17) nicht geeignet sind, einen derart gravierenden Eingriff wie das vollständige Entkleiden einer in Polizeigewahrsam genommenen Person unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls zu rechtfertigen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Derartige Faktoren können fehlende gesetzliche Eingriffsgrundlagen nicht ersetzen.

cc) Feststellungen dazu, dass sich die Entkleidung der Angeklagten aus anderen Gründen als zum Zweck der Sicherstellung eines etwaig getragenen Büstenhalters mit eingearbeiteten Bügeln als erforderlich erwiesen habe, sind nicht getroffen. Im Übrigen unterlassen es die Urteilsgründe zudem, mitzuteilen, ob und welche Art von BH von der Angeklagten tatsächlich getragen wurde.

(2) Hinzu kommt schließlich noch, dass die Entkleidung der Angeklagten – bei andauerndem Widerstand ihrerseits – unter Hinzuziehung männlicher Beamter stattgefunden hat, wobei sich zudem ein offener Widerspruch zwischen den Feststellungen (UA S. 8: PHM … sei „in die Zelle gekommen, um zu helfen“) und der erhobenen Beweise (UA S. 14): PHM … [männlich] habe sich zusammen mit PHM … [männlich] und PHM … [männlich] in die Zelle begeben, danach sei der Körper der Angeklagten fixiert worden. Schließlich habe der männliche Beamte … den BH-Verschluss geöffnet (UA S. 15).

Die Beteiligung männlicher Beamter an der Entkleidung der Angeklagten beinhaltet zunächst einen eklatanten Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol, welcher anordnet dass, bei der körperlichen Durchsuchung von Frauen Männer nicht einmal anwesend sein durften, was nach dem Gesetzeszweck nicht nur für die Durchsuchung des Körpers, sondern auch für eine Durchsuchung gemäß Nr. 16 Abs. 2 HVPol nach Gegenständen im Sinne der Nr. 16 Abs. 1 HVPol zumindest dann gelten musste, wenn diese Durchsuchung in der Bekleidung vorgenommen wurde oder gar mit deren fast vollständiger Entfernung vom Körper der Betroffenen verbunden war. Zudem liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 3 PAG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 24. Juli 2017, insoweit gleichlautend mit der geltenden Fassung, vor, wonach Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden durften. Dies ist nur dann anders, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Dafür, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht im Ansatz ein Hinweis. Ob ein BH, der als gefährlicher Gegenstand hätte missbraucht werden können, getragen wurde, hätte sich, wie dargelegt, durch Maßnahmen deutlich geringerer Eingriffsintensität als durch das fast vollständige Entkleiden der Angeklagten unter Beteiligung dreier männlicher Beamter feststellen lassen, ggf. sogar unter Festhaltung der bekleideten Angeklagten durch männliche Beamte und Überprüfung der Beschaffenheit des BHs unter der Oberbekleidung durch eine weibliche Beamtin.

d) Soweit die Angeklagte gegen die Maßnahme des zwangsweisen Entkleidens tätlichen Widerstand geleistet hat, kann sie sich somit wegen deren jedenfalls auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsurteils bestehenden Rechtswidrigkeit weder wegen eines tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB noch – vom Berufungsgericht ohnehin übersehen – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB schuldig gemacht haben. Der Schuldspruch wird vom Revisionsgericht aufgehoben.“

StGB I: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, oder: Tatsächliche Feststellungen

© ernsthermann – Fotolia.com

Heute dann drei StGB-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 378/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung vor.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„In der Nacht vom 20.05.2020 auf den 21.05.2020 kam es zu mehreren Platzverweisen gegen eine Gruppe alkoholtrinkender Personen, unter denen sich auch der Angeklagte befand. Der Angeklagte wurde schließlich wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben — insofern wurde in der Hauptverhandlung nach § 154 II StPO verfahren — in polizeilichen Gewahrsam genommen. Zu diesem Zweck verbrachten ihn, mit Handschließen fixiert, Polizeikräfte zum Polizeirevier Calw. Gegen 0.10 Uhr am 21.05.2020 nahmen ihm PHMZ pp. und PMA pp. in der Gewahrsamszelle des Polizeireviers Calw, Schloßberg 3, die Handschließen ab. Als PMA pp. die Handschließen abgestreift hatte und im Begriff war, diese außerhalb der Gewahrsamszelle abzulegen, und während PHMZ pp. den Angeklagten aus Sicherheitsgründen am Arm festhielt, holte der Angeklagte plötzlich mit dem rechten Arm aus, um PHMZ Pp. einen Faustschlag zu versetzen, wobei er in Richtung Kopf/Hals zielte. PHMZ Pp. konnte den Schlag jedoch abwehren und den Angeklagten gemeinsam mit den hinzugeeilten PMA pp. und PK pp. wieder schließen.

Eine noch zu Beginn der Gewahrsamsnahme am Polizeiauto durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab um 0:08 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 1,54 mg/I. Trotz der hohen Alkoholisierung lag weder eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungs- noch der Einsichtsfähigkeit vor“.

Dagegen die Berufung, die beschränkt worden ist. Das LG hat die Beschränkung als wirksam angesehen und die Berufung verworfen. Anders das OLG in der Revision:

„2. Gemessen hieran ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam. Denn die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und ermöglichen dem Senat keine Überprüfung dahingehend, ob die Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB zu Recht erfolgt ist.

Dem Urteil ist nicht hinreichend zu entnehmen, ob die polizeilichen Diensthandlungen, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, rechtmäßig waren. Der Vorschrift des § 113 Abs. 3 StGB, auf die § 114 Abs. 3 StGB verweist, liegt der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde, der sich mit dem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff nicht in jedem Fall deckt. Es kommt grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern auf ihre formale Rechtmäßigkeit an, also auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit sie vorgeschrieben sind und — soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt — die Ordnungsgemäßheit der Ermessensausübung. Entscheidend ist weiter, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007 – 1 BvR 1090/06, juris Rn. 37). Zudem sind Belehrungs-, Eröffnungs- und Hinweispflichten, die eine effektive Wahrnehmung entgegenstehender Rechte, aber auch eine autonome Entscheidung zur freiwilligen Befolgung des Verwaltungsbefehls ermöglichen, für die strafrechtliche Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung wesentlich (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl., § 113, Rn. 41).

Hiervon ausgehend ist es, um die rechtliche Einordnung der Diensthandlung durch das Tatgericht nachvollziehbar prüfen zu können, erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, genau erkennen lassen. Es genügt nicht, die Diensthandlung nur ihrer Art nach zu benennen, sondern es bedarf auch hinreichender Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und zu den Begleitumständen, so-dass ein Bezug zu einer bestimmten Ermächtigungsgrundlage erkennbar wird, aus der sich wiederum die einzuhaltenden wesentlichen Förmlichkeiten ergeben (OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2016 — 3 RVs 11/16, juris Rn. 6, 7). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Aus den Feststellungen ergibt sich bereits nicht, ob die von den Polizeibeamten vorgenommenen Diensthandlungen, nämlich die Ingewahrsamnahme, das Anlegen der Hand-schließen und das Verbringen auf die Dienststelle, präventiv-polizeilichen oder repressiven Zwecken dienten. Die Formulierung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei von den Beamten wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben, in Gewahrsam genommen worden, lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass die Ingewahrsamnahme nicht aus einem der in § 28 Abs. 1 PolG BW (in der zur Tatzeit geltenden Fassung) anerkannten Gründe erfolgte, sondern als — repressive — Reaktion auf den vermeintlichen Flaschenwurf. Dass die lngewahrsamnahme zur Vermeidung weiterer Ausschreitungen und damit zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW a.F.) oder zur Identitätsfeststellung (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW a.F.) erfolgte, ist dagegen gerade nicht festgestellt.

b) Auch lässt sich den Feststellungen nicht hinreichend entnehmen, ob die Polizeibeamten dem Angeklagten die durchgeführten Maßnahmen im Rahmen eines stufenweisen Vorgehens angedroht und ihm so die Möglichkeit der freiwilligen Beachtung des Verwaltungsbefehls, namentlich der Befolgung des Platzverweises, ermöglicht haben oder ob im vorliegenden Einzelfall eine solche Androhung aufgrund (in einem Urteil näher darzulegender) besonderer Umstände ausnahmsweise entbehrlich oder nicht möglich war. Das Erfordernis der vorherigen Androhung einer polizeilichen Zwangsmaßnahme ergibt sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist beispielsweise für den unmittelbaren Zwang ausdrücklich gesetzlich geregelt (§ 52 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 66 Abs. 2 PolG BW n.F.). Bei einer Ingewahrsamnahme sind zudem der Grund der Maßnahme und die gegen sie zulässigen Rechtsbehelfe unverzüglich bekanntzugeben (§ 28 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 33 Abs. 2 PolG BW n.F.).

Ob dies erfolgt ist oder nicht, ist im Urteil des Amtsgerichts nicht hinreichend dargetan. Zwar ist – im Rahmen der Beweiswürdigung – ausgeführt, dass einer der Beamten dem An-geklagten den Gewahrsam „erläutert“ habe; dem lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob die konkreten Vorgaben des § 28 Abs. 2 PolG BW a.F. eingehalten wurden.

c) Da sich aus den Feststellungen nicht ergibt, ob derartige wesentliche Förmlichkeiten von den beteiligten Polizeibeamten eingehalten wurden, sind diese insoweit lückenhaft, zumal die Einhaltung der Förmlichkeiten auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung der Urteilsgrün-de ersehen werden kann. So bleibt offen, aus welchem konkreten Anlass es zu den Platz-verweisen gegen die Gruppe, der auch der Angeklagte angehörte, kam. Auch ist nicht dar-getan, wie der Angeklagte hierauf reagierte und welche weiteren Maßnahmen ihm von den an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten für den Fall der Nichtbefolgung angedroht wurden.

Ebenfalls nicht festgestellt ist, aufgrund welcher konkreten Umstände dem Angeklagten Handschließen angelegt wurden und ob vor Anwendung dieser Maßnahme des unmittelbaren Zwangs eine Androhung erfolgte oder ob dies, etwa aufgrund des Verhaltens des Angeklagten, ausnahmsweise unterbleiben konnte.“