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OWi III: 4 x Entscheidungen zum Verfahrensrecht, oder: Zu späte Ablehnung, Vorhalt, Entlastungszeuge, Urteil

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Und zum Schluss dann noch ein paar Entscheidungen zu Verfahrensfragen, und zwar – zum Teil noch einmal:

    1.  Die gerichtliche Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Ladung von Entlastungszeugen ist in den Fällen eingeschränkt, in denen der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene anhand eines bei der Tat gefertigten Lichtbildes nach Auffassung des Tatgerichts eindeutig identifiziert worden ist. Die Verpflichtung, in einem solchen Fall dennoch einen Zeugen zu laden, hängt dann von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
    2. Im Fall der Identifizierung anhand eines Lichtbildes müssen die tatrichterlichen Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

Auch einem Urteil in Bußgeldsachen muss im Grundsatz zu entnehmen sein, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert hat oder ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat.

    1. Entscheidet das Gericht über die Rechtsbeschwerde außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist.
    2. Nichts anderes gilt, wenn die Ablehnung mit einer Gehörsrüge nach § 356a StPO verbunden wird, weil der Rechtsbehelf nicht dazu dient, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung der Verletzung rechtlichen Gehörs doch noch Geltung zu verschaffen.
    3. Die nicht den Akteninhalt betreffenden Informations- und Einsichtsrechte leiten sich im Bußgeldverfahren nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ab.
    4. Der Zulassungsgrund des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (Verletzung rechtlichen Gehörs) ist auf nicht vom Wortlaut der Norm erfasste Verletzungen des Verfahrensrechts nicht entsprechend anwendbar.

Erklärt ein Zeuge auf einen Vorhalt hin, sich (weiterhin) nicht an die ihm vorgehaltenen Angaben in einer Urkunde zu erinnern, ist der Inhalt der Urkunde nicht verwertbar in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Auch die Angabe, bei Durchführung der damaligen Vernehmung richtig protokolliert zu haben, führt in einem solchen Fall nicht dazu, dass die vorgehaltenen Angaben des Zeugen durch den Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt werden und bei der Entscheidung verwertbar sind.

StPO I: Vorhalt eines Vernehmungsprotokolls, oder: Beweiswürdigung/Aussagekonstanz

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In die heute beginnende 36. KW. starte ich mit zwei OLG-Entscheidungen zu StPO-Fragen.

Zunächst komme ich noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.07.2020 – 1 Ss 90/20 – zurück, den mir der Kollege Koop aus Lingen geschickt hat. Ich hatte ihn ja bereits wegen der Frage der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung vorgestellt (vgl. hier Beweisantrag III: Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages wegen Prozessverschleppung, oder: Nicht erst im Urteil).

Das OLG hat in dem Beschluss aber auch noch einen weiteren Punkt angesprochen, und zwar einen in der Hauptverhandlung gemachten Vorhalt. Auch insoweit war die Revision erfolgreich:

„2. Darüber hinaus rügt die Revision zu Recht eine Verletzung von § 261 StPO durch die Heranziehung des Ermittlungsberichts des Zeugen pp. im Rahmen der Prüfung der Konstanz seiner Aussage.

a) Die Rüge ist in zulässiger Weise erhoben. Die Revision macht geltend, der Ermittlungsbericht habe allein dann herangezogen werden dürfen, wenn er im Wege der Verlesung gemäß § 249 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt worden wäre. Ein Vorhalt allein reiche nicht aus. indessen habe das Landgericht diesen Urkundenbeweis nicht erhoben. Angesichts dieser Zielrichtung der Rüge ist es unschädlich, dass die Revisionsbegründung nicht mitteilt, ob in der Berufungshauptverhandlung ein Vorhalt aus dem Ermittlungsbericht an den Zeugen pp. erfolgt ist.

b) Auch in der Sache hat die Rüge Erfolg.

Zwar ist es grundsätzlich zulässig, einem Zeugen Protokolle über seine frühere Vernehmung oder von ihm stammende Urkunden vorzuhalten und sie auf diese Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Der Tatrichter darf seiner Beweiswürdigung aber nur das zu Grunde legen, was auf den Vorhalt hin von dem Zeugen bekundet wird (vgl. LR-Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rz. 93).

Ein solcher Vorhalt ist deshalb nicht zulässig, wenn es gerade um die sich aus der Aussagekonstanz ergebende Glaubwürdigkeit des Zeugen geht. Denn anderenfalls würde der Versuch unternommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen mit der Glaubhaftigkeit seiner eigenen Aussage zu stützen, ohne dass eine weitere Vergleichsgröße herangezogen würde. Das aber wäre ein Zirkelschluss. Um die Aussagekonstanz zu begründen, bedarf es einer prozessordnungsgemäßen Einführung, die etwa im Falle eines polizeilichen Protokolls über eine Zeugenaussage durch eine Vernehmung des aufnehmenden Polizeibeamten, unter den Voraussetzungen des § 251 StPO auch durch die Verlesung des Protokolls (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 20.09.2004, 2 Ss 354/04, bei juris), oder durch Verlesung einer wie vorliegend – von der Auskunftsperson selbst stammenden Urkunde nach § 249 StPO vorzunehmen ist.

c) Da sich das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des einzigen Belastungszeugen neben der Tatsache, dass es sich um ein punktuelles und deshalb zuverlässig reproduzierbares Ereignis handelt, auch auf die Aussagekonstanz stützt, kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler ebenfalls nicht ausschließen.“

Wörtliche Wiedergabe umfangreicher, nicht verlesener Urkunden im Urteil, oder: Inbegriffsrüge

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Die zweite Entscheidung heute kommt auch aus Bayern, und zwar vom OLG Bamberg. Es handelt sich um die den OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2018 – 3 OLG 130 Ss 30/18 – zur Frage, wie geltend zu machen ist, wenn beanstandet werden soll, dass im Urteil nicht verlesene Vernehmungsniederschriften eines Zeugen wörtlich wieder gegeben werden. Das OLG sagt: Mit der Inbegriffrüge

„Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist bereits mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO begründet und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich sämtlicher Feststellun-gen (§ 349 IV StPO) und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des LG, weshalb auf es auf die weiteren Beanstandungen der Revision nicht mehr ankommt.

„1. Die Inbegriffsrüge, mit der ein Verstoß gegen § 261 StPO geltend gemacht wird, weil das LG mehrere Protokolle über die Vernehmung einer Zeugin, auf deren Aussagen es die Verurteilung auch stützt, im Rahmen in der Beweiswürdigung wörtlich niedergelegt habe, ohne diese förmlich verlesen zu haben, ist in zulässiger Weise erhoben. Insbesondere bedurfte es angesichts der wörtlichen Wiedergabe mehrerer umfangreicher Urkunden über Seiten hinweg ausnahmsweise nicht des Vortrags, dass deren Inhalt nicht durch nicht protokollierungsbedürftigen Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (BGH, Beschl. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = wistra 2017, 351 = StraFo 2017, 206 = NStZ 2017, 722 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 1; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 249 Rn. 30; KK/Ott StPO 7. Aufl. § 261 Rn. 80). Bei dieser Sachlage ist die Feststellung des genauen Inhalts der Protokolle durch bloßen Vorhalt an die Zeugin nicht möglich. Denn ein Vorhalt selbst kann nicht Grundlage einer Verurteilung sein; vielmehr kommt es allein auf die Erklärung desjenigen an, dem der Vorhalt gemacht wird (BGH, Beschl. v. 05.04.2000 – 5 StR 226/99 = wistra 2000, 219 = NStZ 2000, 427 = StraFo 2000, 267 = StV 2000, 477 = BGHR StPO § 249 I Verlesung, unterbliebene 1). Dass ein Zeuge aber den genauen Inhalt von Protokollen über frühere Vernehmungen, die sich über mehrere Seiten erstrecken, bestätigen kann, ist ausgeschlossen.

2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. In der wortgetreuen Wiedergabe mehrerer Vernehmungsprotokolle liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO, wonach die Überzeu-gungsbildung des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist. Eine förmliche Verlesung der Urkunden gemäß § 249 I StPO erfolgte nicht, was durch das Fehlen des entsprechenden Eintrags im Hauptverhandlungsprotokoll gemäß § 274 S. 1 StPO belegt wird (BGH, Urt. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = ZInsO 2017, 1038 = StraFo 2017, 206 = NZI 2017, 542 = GmbHR 2017, 925 = BGHR StGB § 283 I Nr. 1 Beiseiteschaffen 6 = wistra 2017, 351 = NStZ 2017, 722). Im Übrigen hat die Berufungskammer die von der Verteidigung beantragte Verlesung der Urkunden sogar ausdrücklich abgelehnt. Da aus den bereits dargelegten Gründen die Einführung des Inhalts dieser Urkunden durch Vorhalt nicht in Betracht kam, ist der Verfahrensverstoß bewiesen.“

„sieben eng beschriebene Seiten“ – die kann man kaum vorhalten

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Für das strafrechtliche Urteil darf nur das verwertet werden, was „Inbegriff der Hauptverhandlung“ gewesen ist (§ 261 StPO). Damit gibt es immer wieder Schwierigkeiten bei der Verwertung von Erkenntnissen , die nicht oder nicht vollständig Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sind. So häufig, wenn es um die Verwertung von Vernehmungsprotokollen aus dem Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit der Bewertung von Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung geht. Dann stellt sich die Frage: Waren die Gegenstand der Hauptverhandlung und wenn ja, wie sind sie es geworden. Die Frage spielte auch in dem dem BGH, Beschl. v. 25.04.2012 – 4 StR 30/12 – zugrunde liegenden Verfahren beim LG Frankenthal eine Rolle. Da hatte die Strafkammer ein (umfangreiches) Vernehmungsprotokoll der Nebenklägerin im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet. Der BGH stellt die Frage: Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ggf. durch Vorhalt? und verneint sie:

Wie sich aus dem schon durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag des Revisionsführers ergibt, wurde die Vernehmungsniederschrift nicht in der Hauptverhandlung verlesen und auch die vernehmende Ermittlungsrichterin nicht als Zeugin gehört. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht seine Überzeugung vom Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Vorhalte gewonnen hat, die der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht worden sind.

 Durch seine Feststellung, dass die Angaben der Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Einvernahme weitgehend der im Rahmen ihrer ur-sprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage entsprachen (UA S. 11), die ihrerseits nur in Randdetails von den die Verurteilung tragenden Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung abwich (UA S. 10), hat das Landgericht zu erkennen gegeben, dass es den gesamten das Tatgeschehen betreffenden Vernehmungsinhalt zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. Dies ergibt sich auch aus den wörtlichen Zitaten und der zusammen-fassenden Bewertung ganzer Aussageabschnitte als „relativ knapp“ oder „oberflächlich“. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 15. Februar 2011 besteht aus sieben eng beschriebenen Seiten. Wie sich aus den übereinstimmenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Berichterstatterin sowie der Gegenerklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ergibt, wurden der Nebenklägerin nur von der Verteidigung Vorhalte aus diesem Protokoll gemacht. Dabei ging es vornehmlich darum, Widersprüche und Unstimmigkeiten aufzuzeigen. Der Umfang der Vernehmungsniederschrift und die Zielrichtung der Vorhalte schließen aus, dass sich das Landgericht auf diesem Wege die Überzeugung verschafft haben kann, die seine umfassenden Feststellungen zu dem Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung und dessen Übereinstimmung mit früheren Aussagen tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1991 – 5 StR 164/91, MDR 1991, 704 bei Holtz; Beschluss vom 11. August 1987 – 5 StR 162/87, StV 1987, 421).“

Hätte also ggf. verlesen werden müssen.

Vorhalt in der Hauptverhandlung – Vortrag in der Revision

Der Vorhalt an Zeugen in der Hauptverhandlung macht nicht nur in der Hauptverhandlung Schwierigkeiten – sowohl dem Gericht, als auch dem Verteidiger – sondern auch in der Revision. In der Hauptverhandlung wird ggf. darum gestritten, ob und in welchem Umfang ein Vorhalt gemacht werden darf. In der Revision stellt sich dann die Frage, was man vortragen muss, wenn eine Verletzung des § 253 StPO rügt. Dazu BGH, Beschl. v 08.02.2001 – 5 StR 501/10, der ausführt:“

Für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 253 Abs. 1 StPO geltend gemacht wird, gehört, namentlich bei umfangreichen Anklagevorwürfen, auch, dass vorgetragen wird, ob und in welcher Weise die Vernehmung durch die Strafkammer gegliedert wurde.“

Die Gliederung der Vernehmung eines Zeugen? Das Problem stellt sich insbesondere bei der Vernehmung zu umfangreichen Anklagevorwürfen.