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Verzögerungsrüge, oder: Auch bei mehr als vier Jahre Dauer des Berufungsverfahrens feilscht man noch

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich dann zunächst das BGH, Urt. v. 26.11.2020 – III ZR 61/20 – vor. Schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht.

Gegenstand des Verfahrens war eine Entschädigung nach den §§ 198, 199 GVG, also nach bzw. in Zusammenhang mit einer Verzögerungsrüge. Geltend gemacht wurde die wegen überlanger Dauer eines zivilrechtlichen Berufungsverfahrens.

Die Klägerin hatte im Jahr 2015 einen Zivilrechtsstreit vor dem LG Hamburg geführt, das ihr mit Urteil vom 02.09.2015 einen Betrag von 55.000 EUR nebst Zinsen zusprach. Dagegen legte der damalige Beklagte Berufung beim OLG Hamburg ein, die er mit Schriftsatz vom 09.11.2015 mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung begründete. Die Klägerin erwiderte unter dem 14.12.2015 auf das Berufungsvorbringen. Mit Schriftsatz vom 29.02.2016 bat sie unter Hinweis auf das Datum der Berufungserwiderung um einen Sachstandsbericht. Daraufhin teilte das Berufungsgericht ihr mit richterlicher Verfügung vom 02.03.2016 mit, dass wegen zeitlich vorrangig zu bearbeitender Eilverfahren und älterer Verfahren mit einer Förderung der Sache vor dem vierten Quartal 2017 nicht gerechnet werden könne. Der Senat sei jedoch bemüht, die Bearbeitung schon vorher in Angriff zu nehmen.

Unter dem 22.12.2016 übersandte die Klägerin die Kopie einer Anklageschrift gegen den damaligen Beklagten und bat um eine möglichst zeitnahe Terminierung. Da auch nach Ablauf des vierten Quartals 2017 eine Förderung des Verfahrens durch das Berufungsgericht nicht feststellbar war, wies die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.05.2018 unter Bezugnahme auf die am 29.08.2017 erfolgte endgültige Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beklagten nach Zahlung einer Geldauflage auf die Entscheidungsreife des Berufungsverfahrens und dessen „enorme Verfahrensdauer“ hin. Dabei verband sie die Spiegelstrichauflistung des bisherigen Verfahrensgangs mit der erneuten Bitte um eine zeitnahe Terminierung.

Mit Verfügung vom 06.08.2018, die sich mit einer weiteren Sachstandsanfrage der Klägerin unter dem 09.08.2018 überschnitt, erteilte das Berufungsgericht den Parteien den Hinweis, dass der Senat beabsichtige, die Berufung des Beklagten (des Ausgangsverfahrens) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Die dem Berufungskläger eingeräumte Stellungnahmefrist bis zum 24.08.2018 ließ dieser ungenutzt verstreichen.

Da eine mit Schriftsatz der Klägerin vom 09.10.2018 vorgetragene dringende Bitte um kurzfristigen Abschluss des Verfahrens fruchtlos blieb, rügte die Klägerin unter dem 28.03.2019 mit ausführlicher Begründung die dreieinhalbjährige Dauer des Berufungsverfahrens gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG und behielt sich einen Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG ausdrücklich vor. Mit Beschluss vom 02.12.2019 wies das Oberlandesgericht schließlich die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Berufungsverfahren jedenfalls seit Oktober 2017 unangemessen verzögert worden sei und ihr deshalb eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens 2.300 € (nebst Zinsen) zustehe.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die geltend gemachte Entschädigungsforderung scheitere daran, dass die Verzögerungsrüge vom 28.032019 keine Rückwirkung bis Oktober 2017 entfalten könne (Hinweis auf BFHE 253, 205).

Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 2.200 € (nebst Zinsen) verurteilt und die Revision zugelassen. Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter, soweit sie zur Zahlung eines Betrages von mehr als 800 € (nebst Zinsen) verurteilt worden ist.

Die Revision beim BGH hatte keinen Erfolg.

Der BGH verwendet auf die Frage der Unangemessenheit der Dauer des Berufungsverfahrens in seinem Urteil nicht viel Platz und führt  nur kurz – und zutreffend – aus, dass „diese Verfahrensweise (objektiv) nicht mehr verständlich.“ M.E. noch nett. Man hätte auch schreiben können: „unverschämt“.

Im Übrigen nimmt er zu den Anforderungen an die Verzögerungsrüge wie folgt Stellung:

1. § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge, sondern verlangt lediglich, dass die „Dauer des Verfahrens gerügt“ wird. Daraus folgt, dass auch eine nicht ausdrücklich als „Verzögerungsrüge“ bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge anzusehen ist, wenn sich ihr nur entnehmen lässt, dass der Beteiligte die Dauer des Verfahrens beanstandet oder in sonstiger Weise zum Ausdruck bringt, mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden zu sein.

2. Ein Anlass zur Besorgnis im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG ist gegeben, wenn ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektiveGründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 21.05.2014 III ZR 355/13, NJW 2014, 2443).

Und: Bei einer wirksam gegenüber dem mit der Sache befassten Ausgangsgericht erhobenen Verzögerungsrüge ist auch der vor dem Rügezeitpunkt liegende Zeitraum in die Entschädigungsprüfung einzubeziehent. Daran ändert auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Verzögerungsrüge später – hier erst rund acht Monate nach Eintritt der Überlänge des Verfahrens – erhoben worden ist.

Mich wundert immer, warum und wieso eigentlich die Justizverwaltungen bei solchen Verfahrensabläufen – Entscheidung im Berufungsverfahren mehr als vier Jahre nach dem erstinstanzlichen Urteil – noch um die Entschädigung feilschen müssen. Auch das ist peinlich.

12 Monate für Verkehrsunfallsache beim AG ist zu lang, oder: Entschädigung von 100 EUR/Monat

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Und als zweite Entscheidung dann das schon etwas ältere KG, Urt. v. 29.01.2016 – 7 EK 12/15, auf das ich neulich durch eine Diskussion in einer Facebookgruppe aufmerksam geworden bin. Das Urteil war mir bis dahin durchgegangen.

Es geht um eine Entschädigung für eine unangemessene Verfahrensdauer, also §§ 198, 199 GVG – Stichwort: Verzögerungsrüge. Dazu gibt es ja inzwischen einige Entscheidungen, darunter dann eben auch dieses KG, Urteil. Entschieden hat das KG zu einer „verschleppten/langsamen“ Verkehrsunfallsache. Die Klägerin hatte in der eine eingetretene Verzögerung von der Klageeinreichung  bzw. der Terminansetzung bis zu dem rund 15 Monate später angesetzten Verhandlungstermin, in dem auch das Urteil verkündet wurde, gerügt. Der zuständige Abteilungsrichter hatte die Verzögerungsrüge der Klägerin zurückgewiesen. Er hatte seine Überlastung und die ungenügende Maßnahmen der Gerichtsverwaltung für den langen Terminstand verantwortlich gemacht.

Das KG sagt in seiner Entscheidung: So nicht. Zu lang und dafür muss die Klägerin entschädigt werden.

„Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist hier von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen. Es gibt zwar keine festen Grenzen, in der ein Verfahren zeitlich bearbeitet und abgeschlossen werden muss, sondern dies ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu bewerten. Hier wird nicht der Vorwurf einer oder mehrerer verzögerlichen und unsachgemäßen Einzelmaßnahmen durch den konkreten Richter erhoben, sondern es geht um die grundsätzliche Überlastung der Verkehrsabteilung des Amtsgerichts und des hierdurch verursachten langen Terminstandes. Die Verfahrensdauer bei Zivilsachen an deutschen Amtsgerichten betrug im Jahr 2011 durchschnittliche … und nur 1,2% der Verfahren waren länger als … anhängig (Zöller, ZPO, 31 .Aufl., § 198 GVG Rn. 1). Wie die Klägerin zudem unwidersprochen vorgetragen hat, betragen die Zeiträume zwischen Klageeinreichung und den ersten Termin bei den anderen Verkehrsabteilungen des Amtsgerichts … im Durchschnitt … bis … Monate. Gemessen an diesen statistischen Durchschnittswerten, auch wenn sie allein nicht zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer herangezogen werden können, und den besonderen Umständen des relativ einfachen Sachverhalts des zu bearbeitenden Verfahrens ohne erforderliche Beweisaufnahme ist die hier maßgebliche erstinstanzliche Verfahrensdauer von der Einreichung der Klage bis zum ersten Termin von rund … Monaten zwischen Klageeinreichung und der Urteilsverkündung als unangemessen lang anzusehen.

Soweit auch die Zeit zwischen Urteilsverkündung und Zustellung an die Klägerin mit über zweieinhalb Monaten nicht im Einklang mit der gesetzlichen Vorgabe des § 315 Abs.2 S.1 ZPO steht, bedarf dies hier keiner Entscheidung, denn, wie der Beklagte zutreffend eingewandt hat, ist die Klage darauf nicht konkret gestützt worden und damit hier nicht streitgegenständlich. Auf diesen Zeitraum hat die Klägerin ihre Klage nicht gestützt.

Der Klägerin zuzurechnende Verfahrensverzögerungen gibt es in diesem Rahmen nicht. Der vom Beklagten angeführte Umstand, dass die Klägerin erst mit Schriftsatz vom … auf den Schriftsatz des Beklagten des Ausgangsverfahrens vom … erwidert hat, ist angesichts des langen Terminstandes und des erst auf den … angesetzten Termins völlig unerheblich und hat keinerlei eigene Verfahrensverzögerung bewirkt. Dies gilt auch, soweit in der Klageschrift nicht das Aktenzeichen des vorangegangenen Prozesskostenhilfeverfahrens angegeben war und es dadurch zu einer völlig geringfügigen Verzögerung von … Tagen gekommen ist.

Es kommt für die Frage der angemessenen Verfahrensdauer zudem nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat. Folglich kann sich der beklagte Staat zur Rechtfertigung der langen Dauer eines Verfahrens auch nicht auf chronische Überlastung eines Gerichts oder eine angespannte Personalsituation berufen (Zöller a.a.O. Rn 4 unter Hinweis auf Reg.E. S.19; BVerfG NZS 2011, 384). Wie sich aus dem die Verzögerungsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts vom … ergibt, war nach der Ansicht des zuständigen Abteilungsrichters der lange Terminstand von … Monaten der Überlastung der Abteilung, der personellen Unterdeckung und auch der Mehrbelastung der Verkehrsabteilungen gegenüber den allgemeinen Prozessabteilungen geschuldet.

Soweit der Beklagte demgegenüber einwendet, das Präsidium habe versucht, die richterlichen Personalressourcen gleichmäßig auf alle Arbeitsgebiete zu verteilen und die Frage der Entlastung von Abteilungen – insbesondere auch der … – sei insbesondere im Jahr … Gegenstand jeder Präsidiumssitzung gewesen, vermag dies nicht zu überzeugen und hier die Verfahrensdauer noch als angemessen zu bewerten. Insbesondere ist nicht konkret dargetan und nachvollziehbar, welche Maßnahmen zur Reduzierung der Belastung und des Terminstandes in der … erfolgten. Wenn, wie der Beklagte selbst vorträgt, per … der durchschnittliche Bestand einer reinen Verkehrsabteilung rund … offene Verfahren betrug, während in den reinen Zivilprozess- oder Mischabteilungen ein durchschnittlicher Bestand von nur rund … offenen Verfahren vorlag, dann spricht dies gerade nicht für eine angemessene Personalverteilung der aus Art 19 Abs.4 GG folgenden Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes, zumal hier noch hinzukommt, dass nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten die Verkehrsabteilungen gegenüber den normalen Zivilprozessabteilungen neben der höheren Verfahrenszahl deutlich höhere Urteilszahlen (mehr als 50% der Verfahren) und vierfach mehr Beweisaufnahmen zu erledigen haben. Auch würden die Richter der Verkehrsabteilungen mit durchschnittlich … Sachen pro Jahr mehr Verfahren als nach dem Pensum (…) erledigen, während im Jahr … eine Verkehrsabteilung mit … Eingängen belastet gewesen sei. Dass dieser Entwicklung vom Präsidium des Amtsgerichts Rechnung getragen wurde, wie der Beklagte behauptet, ist weder substanziiert dargetan noch ersichtlich. Bei den dargestellten erheblichen Ungleichgewichten zwischen Verkehrsabteilungen und normalen Zivilprozessabteilungen ist nicht nachvollziehbar, was es für die konkrete Verfahrenssituation bedeutet, dass Mitte … “mehrere Proberichter” als personelle Verstärkung bewilligt wurden, dadurch “weitere Abteilungen mit Mischpensen” eröffnet werden konnten und “sämtlichen Abteilungen” um eine “kleinere Anzahl von Akten” entlastet werden konnten. Darauf, dass der Handlungsspielraum eng gewesen sei, kann sich der Beklagte, wie bereits oben ausgeführt, nicht zurückziehen. Entweder ist es nicht gelungen, die überlasteten Verkehrsabteilungen in die Lage zu setzen, dass sie die anhängigen Sachen innerhalb angemessener Fristen erledigen konnten, oder der zuständige Abteilungsrichter hat das Verfahren nicht in der ihm möglichen und gebotenen Weise gefördert. Denn insbesondere erfolgte keine Vorverlegung des hier anberaumten Termins. Wie sich aus dem Beschluss des Amtsrichters vom … ergibt, stellte diese Belastung der Verkehrsabteilungen auch keine plötzlich auftretende Akutbelastung dar, sondern ist Folge einer bereits seit längerem andauernden Entwicklung.

Und: Entschädigt wird mit 100 €/Monat

„Die Frage der Bemessung der Entschädigung für immaterielle Nachteile wird in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG durch Pauschalierung gelöst. Diese Regelung zieht zusammen mit der widerleglichen Vermutung eines solchen Nachteils die Konsequenz aus der Schwierigkeit, einen nach den Vorgaben des EGMR regelmäßig anzunehmenden immateriellen Nachteil zu beweisen und in der Höhe zu bestimmen (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2 A § 198 Rn. 223). § 198 Abs. 2 S. 4 GVG eröffnet zwar für Ausnahmefälle eine Abweichungsmöglichkeit von der Pauschale nach oben oder nach unten. Die Pauschalhöhe ist danach die Regel, die nicht gesondert begründet werden muss. Soweit dieser Regelsatz nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann eine davon abweichende Entschädigung festgesetzt werden. Gesteigerte Anforderungen dergestalt, dass für eine Abweichung ein atypischer Sonderfall vorliegen muss, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen, die Unbilligkeit der Pauschale genügt. Eine Ober- und eine Untergrenze für die in Abweichung von der Pauschale festzusetzende Entschädigung enthält die Regelung nicht. Da nach Abs. 2 Satz 2 bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eine Entschädigung für immaterielle Nachteile nur ausgeschlossen ist, wenn eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht, ist zu folgern, dass die Entschädigungshöhe nach der Ausnahmeklausel jedenfalls nicht auf Null reduziert werden darf, weil das Regelungskonzept sonst ausgehöhlt würde. Ein möglicher Höchstsatz wird sich zumindest in der Größenordnung an der vom Gesetzgeber vorgesehenen Höhe der Pauschale zu orientieren haben. Eine Abweichung von der Pauschale nach unten kommt beispielsweise bei einem Kostenfestsetzungsverfahren mit geringem Streitwert in Betracht oder beim Unterlassen einer Wiederholung der Verzögerungsrüge, wenn sich eine solche beispielsweise bei einem Richterwechsel aufgedrängt hätte (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Teil 2 A § 198 Rn. 227). Dass hier ein derartiger Fall vorläge, ist weder dargetan noch ersichtlich. Es bleibt daher bei der regelmäßigen Entschädigungshöhe von 100,00 EUR je Monat.“

Na, das ist doch mal wieder eine Entscheidung, mit der man der Justizverwaltung und auch den Gerichten Beine machen kann, wenn es nicht voran geht. Dazu passt dann auch das dem OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 EntV und dazu: Verzögerte Kostenfestsetzung, oder: Hiermit kann man der Staatskasse ggf. Beine machen.

Unverschämt, oder: Tickt die Staatskasse noch richtig?

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Die Kollegin von Braunschweig aus Köln hat vor einigen Tagen in der FB-Gruppe „Fachanwälte für Strafrecht“ über ein Schreiben einer Bezirksrevisorin beim AG Köln berichtet, zu dem ich nur sagen kann: Unverschämt und: Es lässt mich fassungslos mit der Frage zurück: „Tickt die Staatskasse noch richtig?“

Ich hatte die Kollegin um ein wenig Sachverhalt und das Schreiben gebeten, um dazu hier posten zu können. Die Bitte hat sie erfüllt. Also:

Zum Sachverhalt teilt die Kollegin mit:

„Mein Mdt hatte einen Strafbefehl wg des Tatvorwurfes der Körperverletzung erhalten, nach Anzeige meiner Verteidigung und Einspruch fand am 29.11.2016 die HV statt. Nach Einlassung meines Mdt und Vernehmung zweier Zeugen wurde mein Mdt freigesprochen. Da auch die StA dies beantragt hatte, hab ich am gleichen Tag die Wahlverteidigergebühren abgerechnet. Die Abtretungserklärung sämtlicher Rechtsanwaltsgebühren an mich seitens meines Mandanten war dem Kostenantrag beigefügt. Da die Sache nicht so lange gedauert hatte, habe ich die Mittelgebühren abgerechnet.

Also alles in allem eine einfache Abrechnung (keine Besonderheiten, da Mittelgebühr) und Abtretungserklärung lag bei.

Ich erhielt keine Resonanz und erinnerte am 09.03.2017 an die Kostenfestsetzung und erhielt sodann die angehängte Erklärung der Bezirksrevisoren per Post direkt an mich.“

Und in dem Schreiben vom 20.03.2017 an die Kollegin heißt es dann:

„Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin!

Der Antrag vom 29.11.2016 liegt mir als Vertreterin der Landes­kasse seit dem 19.12.2016 zur Stellungnahme nach Nr. 145 RiStBV vor.

Aufgrund von enormen Rückständen bei den Bezirksrevisoren, die durch lange Zeit andauernde Personalknappheit und durch Einsatz in der Ausbildung von Anwärtern entstanden sind, ist nach heutiger Einschätzung mit einer Stellungnahme an das Amtsgericht wohl nicht vor Ablauf von zwölf bis vierzehn Wo­chen zu rechnen. Ich bearbeite die mir vorliegenden Verfahren grundsätzlich chronologisch, da mir diese Verfahrensweise als die gerechteste erscheint.

Ich bedauere es sehr Ihnen derzeit keine andere Mitteilung machen zu können und verbleibe mit freundlichen Grüßen…“

Wenn man es liest: Ich bin fassungslos und finde das Verhalten der Justizkasse unverschämt. Abgesehen davon, dass man die Sache erst mal drei Monate liegen lässt, bevor man sich auf die Nachfrage der Kollegin überhaupt meldet, wird sie nun noch weiter vertröstet – um noch einmal „zwölf bis vierzehn Wo­chen„. Dann hat das Kostenfestsetzungsverfahren sechs Monate gedauert. Eine in meinen Augen unverschämt lange Dauer des Verfahrens. Und der Grund: Die „enormen Rückständen bei den Bezirksrevisoren, die durch lange Zeit andauernde Personalknappheit und durch Einsatz in der Ausbildung von Anwärtern entstanden sind.“ Was bitte schön haben der frei gesprochene Angeklagte, der die bei ihm entstandenen Auslagen nach einem Freispruch ersetzt haben möchte, oder sein Verteidiger, dem er seine Ansprüche abgetreten hat, damit zu tun? Nichts. Die Justiz mag genügend Personal einstellen, dann muss sie sich nicht auf Personalknappheit berufen. Dafür wird man dann aber vielleicht mal den Finanzminister in die Pflicht nehmen müssen, der seine Schatulle öffnen muss. Der hat doch – wie er uns zum Jahresende – wortreich und stolz erzählt hat, so viel Geld. Ja, hat er. Aber offenbar gespart auf Kosten anderer. Unverschämt das Verhalten der Justizkasse m.E. auch deshalb, weil die Justiz/das Land/die Finanzkasse in den Fällen, in den dem Land Ansprüche zustehen, anders reagiert. Denn, wenn der (Steuer)Bürger Fristen nicht einhält, dann ist man schnell mit Verspätungszuschlägen zur Stelle. Und das dann zu einem satten Zinssatz.

Um Kommentaren vorzubeugen: Ja, ich bin mir bewusst, dass sich die Forderung der Kollegin verzinst. Nur von den Zinsen wird man kaum leben und ein Büro betreiben können. Aber vielleicht meint die Bezirksrevisorin das ja.

Was kann die Kollegin tun? Nun, im Grunde nicht viel:

Und man kann die Unverschämtheit/Frechheit auch einfach erdulden. Wahrscheinlich muss man das, auch wenn es schwer fällt. Alles in allem: Unverschämt.

Schneckenpost aus dem Schloßbezirk

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Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich (hoffentlich)? Es geht um den BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11. Ergangen auf die Verzögerungsrüge des Betroffenen in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen Entscheidungen des OLG Hamm und Köln aus dem Jahr 2010 gerichtet hat. In dem Verfahren hatte das BVerfG durch den BVerfG, Beschl. v. 13. 05. 2015 – 1 BvR 99/11 entschieden. Es hat die Verfassungsbeschwerde in dem 12 (!!) Zeilen langen Beschluss zurückgewiesen. So weit, nicht so gut, sondern so schlecht. Denn es kommt noch besser/schlechter. Der Betroffene hatte nämlich eine Verzögerungsrüge erhoben, mit der die Dauer seines abgeschlossenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens – immerhin 4 Jahre 10 Monate – als unangemessen lang gerügt hatte. Und über die Verzögerungsrüge hat das BVerfG dann jetzt im BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11, Vz 1/15 entschieden.

Nun, es wird dann vielleicht doch nicht überraschen, wenn das BVerfG dem Betroffenen mitteilt: Alles (fast) gut. Hat zwar lange gedauert, aber wir, vor allem der Berichterstatter, hatte andere wichtigere Dinge zu tun. Da haben wir dich hintenan gestellt und als es dann wieder ging, ging es dann ja auch zügig. Im Übrigen kann nach § 97b Abs. 1 Satz 4 BVerfGG die Verzögerungsrüge frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim BVerfG erhoben werden kann. Eine Verfahrensdauer von einem Jahr ist also keinesfalls unangemessen lang. Aber 4 Jahre und 10 Monate – für einen 12 Zeilen langen Beschluss. Für mich grenzt das an Rechtsverweigerung. Und liest sich m.E. auch nicht gut im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz, den das BverfG in Haftsachen den Instanzgerichten ja immer gern unter die Nase reibt. Wie hatte der Kollege Vetter zu der Entscheidungg so schön geschrieben: Bundesverlangsamungsgericht. Ist an sich zu milde: „Bundesrechtszögerungsgericht“ würde auch passen.

Aber: Warum soll sich das BVerfG beeilen oder etwa der Gesetzgeber tätig werden? So lange nämlich die zögerlichen Entscheidungen bzw. langen Verfahren vom EGMR abgesegnet werden, ist das doch alles ohne Gefahr. Exemplarisch verweise ich dazu auf das EGMR (V. Sektion), Urt. v. 04.09.2014 – 68919/10 (Peter/Deutschland). Da waren es beim BVerfG allerdings nur rund 4 1/2 Jahre. Der EGMR hat es „gehalten“ und das BVerfG zitiert dann im Beschluss vom 08.12.2015 den EGMR, schöne „runde Sache“. Und besonders „pikant“. Der EGMR braucht dafür, wenn ich richtig gerechnet habe, auch gut vier Jahre. Da ist dann im September 2014 also ein Verfahren entschieden, dass im Jahr 2002 (!!!) begonnen hat. Das zur Beschleunigung.

Gericht „schläft“ – dann geht es schnell, damit dann alles gut?

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Thematisch ganz gut zu meiner Beitrag: Bei der Justiz geht es nicht so schnell, oder: 15 Monate für 12,50 €, passt m.E. Folgendes: Durch das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ v. 24.11.2011 (vgl. BGBl I. S. 2302) sind am o3. 12. 20111 die §§ 198 ff. GVG in Kraft getreten, die für eine Verfahrensbeschleunigung sorgen sollen (vgl, zu der Neuregelung meinen Beitrag aus StRR 2012, 4 – Verfahrensverzögerung, überlange Gerichtsverfahren und Verzögerungsrüge – die Neuregelung im GVG). Die Vorschriften gewähren ggf. einen Entschädigungsanspruch, wenn ein Gerichtsverfahren zu lange dauert. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass im Verfahren die sog. Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG erhoben worden ist. Zu der Neuregelung liegt inzwischen auch erste Rechtsprechung der Obergerichte vor, die im Wesentlichen aber andere Verfahren als das Strafverfahren betrifft. Soweit ersichtlich hatte bisher nur das BGH, Urt. v. 14. 11. 2013 -III ZR 376/12 ein Strafverfahren zum Gegenstand, wobei es um die angemessene Verfahrensdauer eines Strafverfahrens ging (vgl. dazu: Wie lange darf ein Strafverfahren dauern?).

Nun liegt der OLG Celle, Beschl. v. 17.12.2013 – 23 SchH 6/13 – vor, der -im PKH-Verfahren – eine andere Problematik der Verfahrensverzögerung, nämlich die Frage: Wenn die Verzögerungsrüge erhoben ist, wie schnell muss es dann gehen bzw. welche Auswirkungen hat es, wenn das Verfahren dann „schnell“ erledigt ist/wird?, behandelt. Dazu hat bislang kein Obergerichte Stellung genommen.Das OLG hat den PKH-Antrag zurückgewiesen:

„Die beabsichtigte Rechtsverfolgung, hier die Erhebung einer Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung infolge unangemessener Verfahrensdauer, bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weshalb dem Antragsteller Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist, §§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, 114 Satz 1 ZPO.

Das Verfahren vor dem Amtsgericht ist nämlich innerhalb von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge durch die Rücknahme der Anklage zum Abschluss gebracht worden. Die Verzögerungsrüge dient als eine Art Vorwarnung (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 20), die das Gericht zur Prüfung hinsichtlich einer zügigen Bearbeitung veranlassen soll, um anderenfalls entstehende Entschädigungsansprüche gegen das Land zu vermeiden. Wird das Verfahren nach Erhebung der Rüge in angemessener Weise beschleunigt und abgeschlossen, scheiden Ansprüche nach den §§ 198 ff GVG aus (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 56. Aufl., § 198 GVG Rn. 6). Indem der Gesetzgeber die zulässige Erhebung einer Klage nach § 198 GVG unabhängig vom Verfahrensgegenstand und der bisherigen Dauer des Verfahrens von einem weiteren Zuwarten von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge abhängig gemacht hat, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass dies den Zeitraum bestimmt, in dem der Abschluss eines Verfahrens als angemessen anzusehen ist.“

Nun, man kann den Schluss so ziehen, wie es das OLG tut und aus der Regelung in § 198 Abs. 5 GVG folgern, dass ein Verfahrensabschluss innerhalb von sechs Monaten nach der (ersten) Verzögerungsrüge angemessen ist und damit dann Entschädigungsansprüche ausscheiden. Denn dann ist der Zweck der Verzögerungsrüge – Vorwarnung – erfüllt. Zwingend ist das allerdings nicht. Und es bleibt die Frage offen, was mit der Entschädigung von bis dahin bereits eingetretenen Nachteilen ist. Erlöschen entsprechende Ansprüche? Das dürfte dem EGMR kaum gefallen.

Nötig wäre der Schritt des OLG übrigens nicht gewesen, da der Antrag schon aus formellen Gründen hätte abgelehnt werden können. Denn:

„Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kam darüber hinaus auch deswegen nicht in Betracht, weil der Antrag des Antragstellers inhaltlich zu wenig substantiiert ist. So teilt er weder mit, in welcher Höhe er Entschädigung fordern will, noch, in welchen konkreten Zeiträumen es zu einer unangemessenen Verzögerung des gegen ihn gerichteten Verfahrens gekommen sein soll. Eines entsprechenden Hinweises durch den Senat bedurfte es insoweit aufgrund der oben angeführten Erwägungen, die bereits zu einer Versagung von Prozesskostenhilfe geführt haben, jedoch nicht.

Dazu nur so viel: Wenn man schon einen PKH-Antrag stellt, dann sollte man ihn – unabhängig von den rechtlichen Fragen/Problemen – zumindest so begründen, dass die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht schon an formellen Umständen scheitert. Sonst kann man es gleich lassen. 🙁